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Wie kann man mit Widersprüchen in der Bibel umgehen?

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Veröffentlicht von Klaus Straßburg in Theologie to go · Donnerstag 22 Feb 2024
Tags: BibelErkenntnisGottesbildGötzen

Wie kann man mit Widersprüchen in der Bibel umgehen?
Klaus Straßburg | 22/02/2024

Für manche Menschen ist es eine Horrorvorstellung, dass die Bibel Widersprüche enthält. Ich kann das verstehen. Denn woran soll man sich dann noch halten, wenn man nicht mal der Bibel glauben kann!?

Aber das ist für mich nun gerade kein Widerspruch: dass man der Bibel glaubt, auch wenn sie Widersprüche enthält. Ich finde es sogar wichtig, diese Widersprüche nicht zu verdrängen. Denn irgendwann holen sie uns doch ein, und dann kann es sein, dass der ganze Glaube ins Wanken gerät.

Aber wie soll man mit Widersprüchen in der Bibel umgehen? Um diese Frage geht es in diesem Beitrag. Und ich rede dabei nicht von bloßen Abschreibfehlern in den biblischen Originaltexten, die ja, als es noch keinen Buchdruck gab, mühsam Wort für Wort abgeschrieben wurden. Und ich rede auch nicht von Aussagen, die sich im Wortlaut unterscheiden, aber inhaltlich dasselbe sagen. Auch meine ich keine Aussagen, die sich zwar inhaltlich unterscheiden, aber keinen wesentlichen Unterschied in der Botschaft machen. Sondern ich rede von widersprüchlichen Aussagen über das Wesen Gottes.


Wenn Gott Finsternis und Unheil schafft, dann muss doch
auch ein finsterer und unheilvoller Wille in ihm sein

Um einmal zwei Beispiele zu nennen: In 1Joh 1,5 lesen wir:

Das ist die Botschaft, die wir von ihm [Jesus Christus] gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und es ist keinerlei Finsternis in ihm.

Ganz anders klingt dagegen Jes 45,7:

Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Heil vollbringt und Unheil schafft, ich, der HERR, bin es, der all dies vollbringt.

Der Widerspruch irritiert: Einerseits soll keine Finsternis in Gott sein, andererseits soll er aber selber Finsternis und Unheil schaffen. Wenn aber Gott Finsternis und Unheil schafft, dann muss doch auch ein finsterer und unheilvoller Wille in ihm sein.

Ein zweites Beispiel: Im Alten Testament ist mehrfach davon die Rede, dass Gott etwas, was er getan oder beschlossen hat, bereut. So steht in 1Mo/Gen 6,5-7, dass Gott es bereute, die Menschen erschaffen zu haben, als er ihre Bosheit sah:

Als Gott sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden, und dass alles Dichten und Trachten ihres Herzens die ganze Zeit nur böse war, da bereute Gott es, dass er den Menschen geschaffen hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn tief. Und Gott sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vom Erdboden vertilgen [...]; denn ich bereue, dass ich sie gemacht habe.

Abgesehen davon, dass Gott mit der dann folgenden Sintflut Finsternis und Unheil über die Welt bringt, widerspricht dieses Wort auch dem, was in 1Sam 15,29 über Gott gesagt wird:

Der Ruhm Israels [= Gott] lügt nicht und bereut nicht, denn er ist kein Mensch, dass er etwas bereuen müsste.

Und das, obwohl noch kurz zuvor im selben Kapitel Gott von sich selbst sagt (1Sam 15,11a):

Ich bereue, dass ich Saul zum König gemacht habe.

Diese Beispiele zeigen, dass es offensichtlich Widersprüche in der Bibel gibt, die das Wesen Gottes betreffen. Wie sollen wir nun mit solchen Widersprüchen umgehen?


Gott handelt je und je anders,
aber er wird dadurch kein anderer

Zuerst sollte man sich klarmachen, dass sich Gott nicht in ein System pressen lässt. Ich meine damit, dass wir stets versuchen, ein einheitliches Bild von Gott zu entwerfen und alle Widersprüche aus diesem Bild auszuschließen. Wir möchten ein klares Bild von Gott haben. Widersprüche passen nicht zu dieser Klarheit.

Wir vergessen dabei, dass Gott unser Denken und Verstehen übersteigt (Phil 4,7). Er passt sich auch nicht fein säuberlich in unsere Logik ein. Deshalb müssen wir uns darüber klar sein, dass alle unsere Erkenntnisse über Gott sehr begrenzt sind (1Kor 13,9.12) – und uns eben deshalb manchmal auch widersprüchlich erscheinen.

Das bedeutet aber nicht, dass Gott selber in sich widersprüchlich ist. Die biblischen Aussagen und unsere Erkenntnisse über ihn mögen widersprüchlich sein, aber Gott selbst ist morgen kein anderer als heute und gestern (Hebr 13,8). Auch dann nicht, wenn er morgen anders handelt als heute und gestern. Er handelt je und je anders, aber er wird dadurch kein anderer. Er bleibt sich selbst treu, gerade indem er in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich und für uns überraschend handelt.

Man könnte auch sagen: Gott ist lebendig und darum vielschichtig. Er hat viele unterschiedliche Seiten. Unser eindimensionales Denken möchte gern einen eindimensionalen Gott aus ihm machen. Aber ein eindimensionaler Gott wäre kein lebendiger Gott, sondern so etwas wie ein fixierbarer und definierbarer Götze aus Holz oder Stein.

Weil Gott kein solcher Götze ist, müssen wir nicht resigniert bei den widersprüchlichen Aussagen über ihn stehenbleiben. "Wir können Gott sowieso nicht verstehen" wäre solch ein resigniertes Stehenbleiben. Ebenso der Satz "Jedes Nachdenken über Gott ist zwangsläufig unlogisch". Wir sollten vielmehr damit rechnen, dass gerade die widersprüchlichen biblischen Aussagen über Gott uns etwas über ihn lehren können.

Und wir sollten versuchen, die widersprüchlichen Aussagen nicht zu harmonisieren, aber doch miteinander zu vermitteln. Also zu fragen: Welche Spannung im Gottesbegriff drücken diese widersprüchlichen Aussagen aus? Und unter welchem Gesichtspunkt sagen sie etwas Sinnvolles über Gott aus?


Nicht nur im Heil, im Hellen und Schönen
dieser Welt begegnet mir Gott, sondern auch
im Unheil, im Dunklen und Schweren

Die widersprüchlichen Aussagen über Licht und Finsternis Gottes sagen mir zum Beispiel Folgendes: Nicht nur im Heil, im Hellen und Schönen dieser Welt begegnet mir Gott, sondern auch im Unheil, im Dunklen und Schweren. Auch wenn alles in mir und um mich herum finster zu sein scheint, bin ich nicht in der Hand böser Mächte oder eines anonymen Schicksals, sondern in der Hand des Gottes, dessen Licht auch in der Finsternis leuchtet und der in seiner unauslöschlichen Liebe stärker ist als alles Finstere (Ps 139,11f).

Und in Bezug auf Gottes Reue möchte ich sagen: Dass Gott etwas bereut, ist sicher eine sehr menschliche Redeweise. Aber die Bibel scheut sich nicht, von Gott auf unsere menschliche Weise zu reden. Vom Menschen unterscheidet sich Gott aber dadurch: Er bleibt sich treu, auch wenn er etwas bereut. Und er bleibt uns treu, auch wenn er so ganz anders handelt, als wir es von ihm erwartet haben. Wie sehr sich Gott auch zu wandeln scheint: Seine Gnade bleibt bestehen – und sie ist tausendmal stärker als sein Gericht über uns (2Mo/Ex 34,6f).

Ein Gott, von dem man nur logisch passgenaue Aussagen machen könnte, erscheint mir wie ein von uns konstruierter Götze. Seine Lebendigkeit und Größe wird mir erst angesichts seiner spannungsvollen Vielschichtigkeit bewusst.


* * * * *


Vertiefend zum Verhältnis von Licht und Finsternis in der Bibel empfehle ich dir diesen Artikel.

Foto: John Hain auf Pixabay.




6
Rezensionen
Samstag 24 Feb 2024
Hallo Klaus,

mit Widersprüchen innerhalb der Bibel kann ich persönlich gut umgehen. Für mich besteht die Bibel aus ganz unterschiedlichen Glaubenszeugnissen ganz verschiedener Menschen unterschiedlicher Zeiten. Es ist nicht überraschend, dass sich darin Widersprüche finden. Die Konsequenzen dessen sind allerdings erheblich: mindestens fällt damit die Vorstellung einer wortwörtlichen Inspiration der Bibel durch Gott.

Ich würde da auch nicht unbedingt und überall zu vermitteln oder zu überbrücken versuchen. Das kann die eigene Glaubwürdigkeit erheblich beschädigen. Wenn zwei Aussagen zu demselben Sachverhalt sich widersprechen, dann ist mindestens eine davon falsch. Da beißt keine Maus den Faden ab.

Viele Grüße

Thomas
Samstag 24 Feb 2024
Hallo Thomas,

ich stimme dir zu, ausgenommen die letzten beiden Sätze. Bei Personen kann es durchaus so sein, dass sie in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich handeln oder dass mal die eine Seite der Persönlichkeit sich stärker ausdrückt und mal die andere, gegenteilige. Das muss nicht bedeuten, dass die Person in sich gespalten und widersprüchlich ist. Wenn das schon bei uns Menschen so ist, kann das bei Gott noch viel mehr so sein, also auch Aussagen über ihn widersprüchlich sein. Wenn man einen zusammenbindenden Punkt findet, ist das kein Problem. Darum finde ich das Vermitteln wichtig, aber es sollte nicht krampfhaft sein. Unserem Verstehen von Menschen sind ja Grenzen gesetzt, viel mehr noch unserem Verstehen Gottes.

Viele Grüße
Klaus
Michael Kröger
Sonntag 25 Feb 2024
Hallo Klaus,

als jemand, der sich lange mit systemischen Denkweisen beschäftigt hat, würde ich sagen: alles Lebendige lebt - gerade auch durch widesprüchliche Erfahrungen. Ohne Paradoxien könnten wir unsere Welt gar nicht fassen; die Nähe Gottes ist wohl das beste Beispiel ...

Mit besten Grüssen
Michael


Sonntag 25 Feb 2024
Hallo Michael,

in der Tat müssen wir mit widersprüchlichen Erfahrungen leben. Der Anstoß für Christinnen und Christen besteht darin, dass diese widersprüchlichen Erfahrungen einen Widerspruch in Gott nahelegen. Tatsächlich kann Gott uns nah oder fern sein - oder uns nah, gerade indem er sich von uns entfernt, oder - umgekehrt - uns fern, ohne uns wirklich zu verlassen. Mit diesen Widersprüchen, die in Gott selbst gar keine sein müssen, müssen wir leben.

Viele Grüße
Klaus
Montag 26 Feb 2024
Hallo Klaus

meine Erfahrung ist, dass die Widersprüche sich nicht selten darin begründen, welches Gottesbild wir haben. Neben den kleinen und größeren Endlichkeiten, gibt es das Ganze noch für beschränkte Unendlichkeiten, und final in allen Unendlichkeiten. Alle kleinen und größeren Götter darin, erzeugen da leicht Widersprüche in der menschlichen Wahrnehmung und mangelnden Differenzierung.
Montag 26 Feb 2024
Hallo Pneuma,

"meine Erfahrung ist, dass die Widersprüche sich nicht selten darin begründen, welches Gottesbild wir haben." Die Erfahrung habe ich auch gemacht. Ich denke auch, dass sich vieles in unserer Wahrnehmung als Widerspruch erscheint, was in der Person und Wahrheit Gottes kein Widerspruch ist. Es gibt aber auch sachliche Widersprüche, die sich auf diese Weise nicht "auflösen" lassen, z.B. die Textstellen zur Reue Gottes.

Ich will damit keinen Widerspruch in Gott selbst setzen, aber doch zwischen einigen biblischen Textstellen. Diese Widersprüche sollten wir nicht leugnen, sondern damit zu leben lernen.
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