Jona – ein Prophet zweifelt an Gottes Gerechtigkeit
Klaus Straßburg | 08.03.2024
Jona war ein Glückspilz: Er war von Gott berufen, das Wort Gottes an die Menschen weiterzugeben. Ein Auserwählter sozusagen. Nicht einfach ein Glaubender oder ein Priester, der seinen Glauben bezeugte. Nein, Jona war einer, der zu seiner Zeit Gottes ganz konkrete Botschaften an die Menschen ausrichten durfte. Er durfte ausdrücken, was Gott den Menschen in ihrer jeweiligen Situation sagen wollte.
Solche auserwählten Menschen wurden damals Propheten genannt. Es gab nicht viele von ihnen. Darum war es eine besondere Ehre, von Gott zum Propheten berufen zu sein.
Jona lebte nach 2. Könige 14,25 zu einer Zeit, als das Reich der Assyrer langsam zu einer Weltmacht aufzusteigen begann. Das war im 8. Jahrhundert v.Chr. Aufgeschrieben wurde die Geschichte Jonas aber erst viel später, nämlich zwischen 400 und 200 v.Chr. So entstand das kleine, aber beeindruckende Buch Jona mit seinen vier Kapiteln.
Das assyrische Reich umfasste vor allem Gebiete des heutigen Iran und Irak. Die Assyrer eroberten aber Gebiete bis ans Mittelmeer und bis nach Ägypten. Die Hauptstadt Assyriens war Ninive, am Tigris gelegen, und zwar auf dem Gebiet der heutigen irakischen Großstadt Mossul.
Ninive war damals für Israel der Inbegriff von Bosheit und Gottesferne. Die Weltmacht Assyrien war für ihre Grausamkeit bekannt. Sie führte brutale Eroberungskriege und deportierte die einheimische Bevölkerung. Die Assyrer eroberten von dem damals gespaltenen Staat Israel zuerst den nördlichen Teil und etwas später fast auch den südlichen. Große Teile der Bevölkerung des Nordreichs wurden nach Assyrien deportiert.
1. Jonas Flucht vor dem Auftrag Gottes
Jona wurde von Gott auserwählt, gegen die Großstadt Ninive zu predigen (Jon 1,2). Genaueres zu Gottes Auftrag wird nicht erzählt. Man kann aber annehmen: Gott will dem von dieser Stadt ausgehenden Unrecht nicht länger zusehen. Wenn die Einwohner ihren Lebenswandel nicht ändern, wird die Stadt von Gott vernichtet werden (Jon 3,4).
Und was tut Jona? Er läuft weg. Er weigert sich, der verruchten Großstadt diese Botschaft zu überbringen. Er gönnt es dem Sündenpfuhl Ninive nicht, von Gott gewarnt zu werden. Sollen sie doch in ihrer Gottlosigkeit umkommen! Sie haben es nicht besser verdient. Womöglich, denkt Jona, bereut Gott in seiner unermesslichen Güte und Barmherzigkeit noch seinen Entschluss und lässt die Leute am Leben (Jon 4,2). Nein, dabei will Jona nicht mitspielen.
Vielleicht spielte auch Angst eine Rolle. Immerhin bedeutet der Name Jona "Taube", und die Taube galt in Israel als ängstlicher Vogel. Dabei geht es nicht um die Angst, von den Gottlosen in Ninive getötet zu werden. Jona fürchtet nicht den Tod. Was er aber fürchtet, ist, dass Gott zuletzt ein gnädiges Urteil über Ninive sprechen und seinen Vernichtungsbeschluss zurücknehmen könnte. Dann hätte der Sündenpfuhl gut Lachen, und der Prophet wäre dafür mitverantwortlich. Diese Blöße will er sich nicht geben.
Also macht sich Jona auf nach Tarsis, im Südwesten Spaniens gelegen. Ein unheimlich weiter Weg – damals das Ende der bekannten Welt. In der Philisterstadt Jafo/Joppe (heute Tel Aviv) besteigt Jona ein Schiff, das nach Tarsis fahren will. Dort wäre er weit genug von Ninive entfernt.
Doch so leicht entkommt man Gott nicht. Das hätte auch Jona wissen müssen. Auf dem Meer kommt ein Sturm auf, das Schiff droht zu sinken. Die Seeleute beten zu ihren Göttern, Jona aber schläft. Der Kapitän ist darüber erbost und fordert Jona auf, ebenfalls zu seinem Gott zu beten (Jon 1,6).
Schließlich hegt die Mannschaft einen Verdacht: Vielleicht ist Jona der Grund für diesen Sturm. Sie nehmen ihn ins Verhör, und tatsächlich kommt heraus, dass der Gott, vor dem Jona flieht, der Urheber des Sturmes sein muss (Jon 1,7-11).
Jona weiß, dass er das Versteckspiel mit Gott verloren hat. Deshalb rät er den Seeleuten, ihn ins Meer zu werfen. Dann wird der Sturm sich legen (Jon 1,12).
Man sieht daran, wie hartnäckig Jona ist. Er weigert sich weiterhin, Gottes Auftrag auszuführen. Lieber will er sterben. Vielleicht ist er auch deprimiert: Er weiß, dass er Gott nicht entkommen kann. Er will aber das ihm Gebotene nicht tun. Er hat seinen eigenen Kopf in dieser Sache. So sehr er auch an Gott glaubt und von ihm bekennt, dass er "der Gott des Himmels ist, der das Meer und das Trockene gemacht hat" (Jon 1,9) – dieses Mal ist er anderer Ansicht als Gott. Dem Sündenpfuhl Ninive will er nicht zur Umkehr verhelfen. Dann stirbt er lieber auf der Flucht vor Gott.
Die heidnischen Seeleute mögen Jona nicht einfach ins Meer werfen. Sie rudern, was das Zeug hält, aber sie schaffen es nicht, gegen den Sturm anzukommen. Schließlich fassen sie den Entschluss, Jona doch den Fluten zu übergeben. Vorher aber beten sie wieder – nun nicht mehr zu ihren Göttern, sondern zum Gott Jonas. Sie bitten Gott um Gnade, wenn sie nun tun, was nicht zu vermeiden ist, wenn sie nicht alle im Sturm umkommen wollen. Dann werfen sie Jona ins Meer (Jon 1,13-15).
Der Sturm legt sich. Die Seeleute haben Angst vor dem Zorn Gottes. Sie bringen Gott Opfer dar und legen Gelübde ab. Es scheint so, als hätten sie sich zum Gott Israels bekehrt (Jon 1,16).
So kann Gott sogar aus der Eigenwilligkeit eines abtrünnigen Propheten noch Gutes entstehen lassen.
2. Jonas theologische Kritik an Gott
Was für ein Mensch ist Jona? Zweifellos ein Frommer. Einer, dem Gott wichtig ist und der Gottes Wort weitergibt, wie es einem Propheten gebührt. Er hat feste religiöse Vorstellungen: von Gott, von den Menschen und davon, was Recht und Unrecht ist. Und er weiß: Wer gottlos ist und wem es an Liebe fehlt, wer stattdessen grausam und unbarmherzig mit seinen Mitmenschen umgeht, der hat Gottes Zorn verdient. "Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten" (Gal 6,7), würde Jona wohl mit Paulus sagen. Ein Mann von ehernen Grundsätzen.
So weit, so gut. Doch seine ehernen Grundsätze werden ihm zum Fallstrick. Wenn Gott anders handelt, als es Jonas Vorstellungen entspricht, bekommt der Prophet ein Problem. Dass Gott mit den übelsten Sündern, den teuflischen Menschenverächtern, den brutalsten Massenmördern nicht kurzen Prozess macht, sondern ihnen noch eine Frist einräumt und ihnen am Ende möglicherweise gnädig ist – das geht dem frommen Propheten dann doch zu weit. Das ist nicht gerecht. Und Gerechtigkeit muss sein. Wo kämen wir hin, wenn man Massenmördern das Leben schenken, ihnen womöglich das Feld überlassen würde. Wir können die Welt nicht in ihre Hände geben. Hat Jona nicht recht damit?
Jona kämpft für Gerechtigkeit. Jeder muss bekommen, was er verdient. Und die Gottlosen haben den Tod verdient. An ihrer Begnadigung will der Prophet sich jedenfalls nicht beteiligen. Für diese Überzeugung geht er bis ans Ende der Welt. Ja, er ist bereit, für seine Überzeugung sein Leben zu opfern.
Wie gesagt: ein Mann eherner Grundsätze. Er dient Gott gern, aber er kann dabei nicht gegen seine religiösen Grundsätze verstoßen. Was gegen seine religiösen Grundsätze verstößt, kann er nicht als Gottes Wort anerkennen.
Der Prophet hat zwar einen Auftrag bekommen – anscheinend von Gott. Aber war es wirklich Gott, der zu ihm sprach? Könnte die innere Stimme, die er vernahm, nicht die Stimme eines anderen gewesen sein? Könnte es nicht die Stimme des Teufels gewesen sein, die ihn in die Irre führt? Ist Gott nicht ein gerechter Gott, zu dem es gar nicht passt, dass er den hoffnungslosen Halunken in Ninive noch eine Chance gibt? "Sollte Gott gesagt haben ...?" – das war schon die Frage, welche die Schlange im Paradies an Eva richtete (1Mo/Gen 3,1).
Jona ist uns nicht so fern, wie wir vielleicht meinen. Auch wir haben eine bestimmte Vorstellung von Gott und von seiner Gerechtigkeit. Aber Gott begegnet uns immer wieder unheimlich fremd. Dann sind wir schnell geneigt, ihm nur so weit zu folgen, wie es uns einleuchtet. Wir glauben dem Wort Gottes gern, solange es mit unserer Meinung übereinstimmt. Wenn jedoch unsere Meinung und Gottes Wort auseinanderklaffen, sind wir schnell dabei, dieses Wort zu ignorieren. Es passt nicht in unser Gedankensystem. Darum müssen unsere Gedanken und letztlich wir selbst vor dem Wort Gottes die Flucht ergreifen.
3. Die Umkehr der Gottlosen
Jona hat den Tod vorgezogen vor einer Zustimmung zu Gottes Wort. Doch Gott lässt ihn nicht sterben. Schon das ist bemerkenswert. Gott hält immer noch an diesem abtrünnigen Propheten fest. Er wird von einem großen Fisch verschlungen und überlebt im Leib dieses Fisches. Von einem Wal ist im hebräischen Text nicht die Rede. Jedenfalls bleibt Jona drei Tage lang im Leib dieses Fisches.
Ich gehe jetzt nicht der Frage nach, ob und wie das möglich sein kann und ob das wirklich so passiert ist. Darum geht es auch in dieser Geschichte gar nicht. Es geht nicht darum, dass wir über ein großes Wunder staunen und darüber, was Gott alles kann. Dass Gott kann, was Menschen nicht können, wissen wir. Damit müssen wir uns nicht lange aufhalten. Wenn man sich auf das Können Gottes konzentriert, übersieht man die anderen Aspekte der Geschichte.
Konzentrieren wir uns also nicht auf Nebensächlichkeiten. Wichtig ist, dass Gott den Fisch "kommen ließ", wörtlich dass er ihn "anordnete". Diese Formulierung taucht später in der Geschichte noch dreimal auf: Gott ordnete eine Staude an sowie ein Gewürm und einen Ostwind (Jon 4,6-8). Wir werden darauf zurückkommen. Jetzt nur so viel: Alle Elemente der Schöpfung – Pflanzen, Tiere und Winde – haben Gott zu dienen. Nur der Mensch Jona verweigert sich.
Aber Gott lässt ihn nicht los. Drei Tage und drei Nächte lang muss er im Leib des Fisches aushalten – keine angenehme Vorstellung. Die Zahl "drei" verweist einerseits darauf, dass der Prophet vollkommen vom Leben abgeschnitten und dem Tode preisgegeben ist. Andererseits ist er Gott ausgeliefert, der ihn durch den Fisch vor dem sicheren Ertrinken bewahrt hat. Es ist ein Dasein zwischen Leben und Tod, in Einsamkeit und Ungewissheit. Doch Jona erlebt es als Rettung vor dem Tod und spricht ein langes Dankgebet (Jon 2,2-10). Ein Kommentator schreibt dazu:
Jona im Fischbauch, das ist zum Bild geworden für eine Erfahrung, die Unzählige gemacht haben: dass Gott den Menschen in die Tiefen der Verzweiflung, ja an die Grenze des Todes geraten lässt, damit der sich aus dem Gefängnis der Vorurteile, aus engherziger Selbstabkapselung löst und zum lebensvollen Zeugen der weltumspannenden Liebe Gottes wandelt.*
Eine andauernde Finsternis, ein nicht zu überwindendes Leid kann dazu führen, dass wir uns verändern, dass sich in uns etwas verändert. Und im Nachhinein merken wir, dass Gott im Leid an uns gearbeitet hat. So ist es auch bei Jona: Er gibt schließlich den Kampf gegen Gott auf und führt den göttlichen Auftrag aus.
Denn der Fisch spuckt den Propheten wieder ans Land. Das ist eine klare Ansage Gottes. Und damit keine Zweifel bleiben, wiederholt Gott noch mal seinen Auftrag: "Geh in die Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sagen werde!" (Jon 3,1f) Jona folgt nun, ohne weitere Fragen an Gott zu stellen. Er predigt der Stadt: "Es sind noch vierzig Tage, dann wird Ninive untergehen" (Jon 3,4).
Sicher hat der Prophet noch ein paar Worte mehr gesagt. Doch der Erzähler konzentriert sich auf das Wesentliche. Und er will uns vielleicht sagen, dass Jona sich nicht viel Mühe macht und sich als wortkarger und missmutiger Prediger zeigt.
Dazu passt auch, was der Erzähler über die Größe der Stadt berichtet: Drei Tage benötigt man von einem Ende zum anderen – aber Jona geht nur einen Tag weit in die Stadt hinein, gelangt also nicht bis ins Zentrum, und hält dann seine Predigt (Jon 3,3f). Er mag gedacht haben: "Warum soll ich mir viel Mühe machen und bis ins Zentrum vordringen? Die Gottlosen haben es gar nicht verdient, dass ihnen Gottes Wort verkündigt wird."
Dass der Untergang erst in vierzig Tagen erfolgen soll, eröffnet noch eine Frist, in der die Einwohner von Ninive sich besinnen können. Vierzig Tage währte schon für Mose die Zeit des Betens und Fastens (2Mo/Ex 34,28; 5Mo/Dtn 9,18.25f).
Tatsächlich geschieht, was man kaum erwarten konnte, und dies wird sehr ausführlich berichtet: Die Einwohner Ninives mitsamt des assyrischen Königs beginnen zu glauben, zu fasten und ihren Lebenswandel zu ändern. Sie hoffen, dass Gott seinen Vernichtungsbeschluss noch einmal zurücknimmt (Jon 3,5-9).
Dem Erzähler ist die Reaktion Ninives offensichtlich wichtig. Man kann das so deuten:
Was Jerusalem – trotz engagiertester Verkündigung seiner Propheten – nie tat, das tut die verderbte Stadt Ninive auf die Worte des verdrießlichen Jona hin.*
4. Gottes Mitleid mit den Gottlosen
Und was tut Gott? Er tut das, was Jona die ganze Zeit befürchtete: Er bereut seinen Vernichtungsbeschluss und lässt Ninive nicht untergehen (Jon 3,10). Jona ist außer sich. Voller Zorn betet er zu Gott und wirft ihm seine Gnade, Barmherzigkeit, Geduld und Güte vor. Denn die hat Ninive seiner Meinung nach nicht verdient. Und so will er – wieder einmal – lieber sterben, als an dem Werk der Gnade Gottes beteiligt zu sein (Jon 4,1-3).
An dieser Stelle wird uns die ganze Verdorbenheit des göttlichen Propheten bewusst. Dieser gläubige, zur Verkündigung berufene Mensch kann nicht anerkennen, dass Gottes Gnade und Barmherzigkeit auch den Ungläubigen gilt, wenn sie von ihren gottlosen Wegen umkehren. Er hält theologisch daran fest, dass die gottlosen Heiden und Feinde Israels nichts anderes als den Untergang verdient haben. Er klammert sich an sein Gottesbild und lässt sich durch kein Handeln Gottes davon abbringen.
Jona lässt sich außerhalb der Stadt nieder. Gott erbarmt sich des abtrünnigen Propheten und lässt eine Staude wachsen, die ihm Schatten spendet. Jona freut sich sehr über diese gütige Tat Gottes. Doch am nächsten Tag schon verdorrt die Staude durch ein Gewürm, das Gott kommen lässt. Und die Sonne sowie ein heißer Ostwind, den Gott ebenfalls aufkommen lässt, macht dem schutzlosen Jona das Leben unerträglich. Wieder einmal ist er sauer auf Gott und möchte am liebsten sterben (Jon 4,5-8).
Das nimmt Gott zum Anlass, Jona eine Frage zu stellen (Jon 4,10f):
Du bist betrübt wegen der Staude, um die du dich nicht mühtest und die du nicht aufzogst [...]. Und ich sollte nicht betrübt sein wegen der großen Stadt Ninive, in der mehr als 120.000 Menschen leben, die nicht zwischen rechts und links unterscheiden können, und außerdem zahlreiches Vieh?
Gottes Argument ist Folgendes: Jona, du bist betrübt über den Verlust dieser Staude, die du nicht gemacht hast, um die du dich nicht bemüht hast und zu der du im Grunde keine Beziehung hast. Es ist ja auch nur eine Staude. Zugleich wirfst du mir vor, dass ich betrübt wäre über den Verlust von 120.000 Menschen mit ihren Tieren, die ich geschaffen habe, um die ich mich bemüht habe und die ich liebe. Es sind verirrte Menschen, die in religiösen und ethischen Fragen nicht wissen, wo rechts und wo links ist. Das ist für dich, Jona, ein Grund, sie zu verachten. Für mich aber ist es ein Grund mehr, dass sie mir leid tun. Sollte ich mich da nicht über sie erbarmen?
So spricht Gott zu Jona, und mit dieser Frage endet das Buch Jona. Wie Jona auf die Frage reagiert, bleibt offen. Es ist eine Frage, die sich an uns alle richtet.
5. Gottes Gnade ist immer gerecht
Das Buch Jona dreht sich um zwei Themen: Um die unbegreifliche Gnade Gottes und um die Reaktion des Propheten Jona auf sie. Beide Themen gehören zusammen. Denn jedes Handeln Gottes fragt danach, wie wir darauf reagieren.
Die Gottlosen aus Ninive werden gerettet. Jesus sagt später von ihnen, dass sie im Jüngsten Gericht die Generation Israels zur Zeit Jesu verurteilen werden. Denn die Einwohner Ninives sind auf die Verkündigung des Jona hin zu Gott umgekehrt. Jesu Zeitgenossen aber sind auf die Verkündigung Jesu hin nicht umgekehrt (Mt 12,41; Lk 11,32).
Größer kann kaum von der Gnade Gottes geredet werden: Sie ist zuerst für Israel da, aber das schließt die Heiden nicht aus (Mt 15,24-28). Wenn diejenigen, die andere Götter verehren und höchst grausam mit ihren Mitmenschen umgehen, von ihren gottlosen Wegen umkehren, dann werden sie im Jüngsten Gericht über die scheinbar Frommen und Gottesfürchtigen urteilen – über die, die ihre Gottlosigkeit gar nicht erkannt haben und deshalb auch nicht von ihren gottlosen Wegen umgekehrt sind. Der Richter im Jüngsten Gericht wird aber Jesus selbst sein, und er wird so richten, wie er schon zu Lebzeiten auf Erden auftrat: als ein Mensch, der allen, die an ihn glauben, aus welchen Völkern auch immer, gnädig begegnet (Apg 10,42f).
Die Frage an uns lautet: Wie gehen wir mit dieser unermesslichen Gnade Gottes um? Ziehen wir, wie Jona, Grenzen zwischen Menschen – Grenzen, die den einen den Zugang zum Himmel erlauben, ihn den anderen aber verschließen? Können wir uns der Gnadenbotschaft anschließen, deren Horizont weiter ist als unser eigener, oder hegen wir Zweifel daran, dass Gott es mit seiner großen Geduld, Gnade und Barmherzigkeit richtig macht? Glauben wir, dass Gottes Gnade gerecht ist, oder bezweifeln wir das und spielen Gottes Gerechtigkeit gegen seine Gnade aus?
Es gibt Christinnen und Christen, die ein festes Bild von Gott haben: Er ist den Gläubigen gnädig und wird die Ungläubigen in die Hölle verstoßen. Manchmal reden sie so von der Hölle, als mache es ihnen geradezu eine Freude, die Gottlosen und Bösen schon in der Hölle zu sehen. Es fehlt ihnen offensichtlich an Mitleid für sie.
Wir sollten stattdessen bedenken, dass die Grenze zwischen Glaube und Unglaube durch uns alle geht (Mk 9,24). Wir haben uns den Himmel nicht verdient, auch nicht durch unser kleines bisschen Glauben. Wir leben alle von der Gnade Gottes. Darum haben wir nicht das Recht, über andere zu richten, auch wenn sie uns noch so gottlos und heidnisch erscheinen (Mt 7,1; 1Kor 4,5). Es ist auch nicht unser Recht, die Angehörigen anderer Religionen pauschal zu verurteilen. Das sollten wir an der Jonageschichte lernen.
Es gibt auch einen frommen Zweifel an Gott. Das ist der Zweifel daran, ob Gottes Gnade denn mit seiner Gerechtigkeit zusammenpasst. Man ist dann schnell dabei, die Andersgläubigen und Atheisten schon in der Hölle zu sehen, und man redet dann auch so.
Doch was wissen wir von dem einzelnen Menschen, über den wir urteilen? Und was wissen wir von Gottes Geduld mit diesem Menschen? Gott ist "langsam zum Zorn" (Jon 4,2; 2Mo/Ex 34,6; Jo 2,13; Ps 86,15 und öfter) und kann seinen Unheilsbeschluss sehr wohl bereuen. Was wissen wir darüber, wie Gott letztlich über den einzelnen Menschen urteilen wird? Wer Gottes Richten vorwegnimmt, setzt sich an die Stelle Gottes und zweifelt damit sein gerechtes Gericht an.
Der gläubige Jona ist der Mensch, der sich Gott nach seinem Bild erschaffen hat. Er klebt an seinen Erwartungen Gott gegenüber und bezweifelt, dass Gott ganz anders sein könnte, als er es sich vorstellt. Er glaubt mehr an sein Bild von Gott als an Gott, wie er ist. Und dennoch lässt Gott ihn nicht fallen. Er stößt ihn in schwere Krisen, damit er sich von seinem Gottesbild verabschiedet.
Solche Krisen werden auch uns nicht erspart bleiben. Sie stoßen uns in Zweifel an unserem Gottesbild, damit wir ein falsches Gottesbild hinter uns lassen. Wir müssen uns immer wieder korrigieren, oder besser gesagt: uns von Gott korrigieren lassen. Und wir können darauf vertrauen, dass Gott uns auf diesem Weg nicht fallen lässt.
* * * * *
* Stuttgarter Erklärungsbibel, mit Einführungen und Erklärungen. Deutsche Bibelgesellschaft, 2. Aufl. Stuttgart 1992. Das erste Zitat auf S. 1113, das zweite auf S. 1116. Orthografisch angepasst. Die Kommentare auf den Seiten 1113-1116 habe ich zur Erklärung des Jonabuches verwendet.
Foto: Sang Hyun Cho auf Pixabay.
Hallo Klaus
Danke für deine sehr klaren Sätze. Es tut gut, wenn man in einem theologischen Text weniger auf fromme "Einbildungen" als vielmehr auf jetzt aktualisierbare Argumente trifft. Auch gerade auch, wenn man dabei so rätselhaft-wunderbaren Begriffen wie etwa GNADE begegnet ....
hg Michael
"so rätselhaft-wunderbaren Begriffen wie etwa GNADE" - ja, Gottes rätselhaft-wunderbare Gnade ist wohl das eigentliche Wunder ...
Danke für deine Rückmeldung.
Viele Grüße
Klaus
Er muss ein phantastischer Redner gewesen sein UND mutig.
Mit dem Wissen um einen Auftrag umzugehen ist äußerst aufreibend. Die Erschöpfung spürt er.
Klaus, wir können niemanden von der Gnade ausschließen, aber wir sollen die Lebenden die uns begegnen auf ihre Unrechtshandlungen hin ansprechen. Entscheidend ist die Form!
Es gibt Christen denen Christus begegnete! Wer ihm begegnet weiß, um die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Gott gibt sich denen zu erkennen die ihn ernst nehmen UND nach ihm fragen aus tiefsten Herzen. EINE VERPFLICHTUNG aus Liebe, geht Gott nicht ein, er ist immer Souverän, auch von Gründonnerstag bis Ostern! Und er zwingt niemanden Liebe auf, sprich: dreht aus Mitleid am Rädchen.
Der Glaube den Paulus beschreibt erhält, wer dem Sohn begegnet. Luther erlebte das und die Brüder Wesley, Du kannst das nachlesen in der Wesley Biografie von Garth Lean, Revolution ohne Gewalt, 31974, S. 41-43.
Wer Menschen verurteilt geht nicht auf den Wegen Gottes. Die Jona Erzählung sagt doch: Solange wie wir leben können wir nach Gott fragen.
Gott kennt uns, wer sein Herz befragt, richtet nicht aber BEURTEILT! Und beurteilt sich selbst! Dann kommen irgendwann die Frage nach dem eingeborenen Sohn, der reagiert auf unsere Fragen.
Dein Text verurteilt Jona, versuch ihn zu verstehen. Verstehen ist ein guter Weg. Heute morgen hatte ich nur das Handy
Aber das bedeutet nicht, dass er uns nicht auf Irrtümer und Irrwege aufmerksam macht und uns zu verändern versucht. Genau das geschieht ja auch mit Jona. Und wenn Gott das auch an uns tut, dann nicht, um uns zu verurteilen, sondern weil er uns liebt und deshalb Missstände beseitigen und uns im Glauben wachsen lassen will.
(Du musst übrigens beim Eingeben eines Kommentars unter "Website im Internet" nicht die Website der kommentierten Seite eingaben. Die Eingabe ist optional und nur für deine eigene Website gedacht, wenn du eine betreiben solltest.)