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Warum Christen keine komischen Vögel sein müssen

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Warum Christen keine komischen Vögel sein müssen
Klaus Straßburg | 28/01/2023

Wir Menschen verbringen unsere Tage in dem Bewusstsein, dass sich die ganze Welt um uns dreht. Wir wissen natürlich, dass es nicht so ist. Aber unser Bewusstsein redet uns etwas anderes ein. Es sagt:

"Vor dir ist die Haustür. Wenn du auf sie zugehst, kommt sie näher an dich heran. Gehst du durch die Tür hindurch, stehst du auf der Straße. Wenn du dich einmal im Kreise drehst, dann siehst du, wie sich die Häuser, Gärten, Autos und alles, was es sonst noch so gibt, um dich herum bewegen. Wenn du zum Marktplatz gehst, kommt er mit jedem Schritt, den du tust, näher an dich heran. Dort auf dem Marktplatz siehst du viele Menschen, die auf dich zukommen, an dir vorbeigehen und sich von dir entfernen. Drehst du dich um, passiert dasselbe. Wenn du wieder nach Hause gehst, entfernt sich der Marktplatz von dir und auch die Menschen auf dem Platz, und zugleich nähert sich das Haus, in dem du wohnst. Dort angekommen siehst du, wenn du dich umschaust, dass die Dinge in deinem Zuhause geduldig auf dich gewartet haben. Du schaust aus dem Fenster, siehst die Sonne am Himmel und denkst: 'Bald geht sie unter. Aber morgen geht sie auf der anderen Seite wieder auf.' Auch die Sonne dreht sich also um dich."

Ich hoffe, dass du verstanden hast, was ich meine. Wir sehen alles um uns herum aus unserer eigenen Perspektive. Und da wir nicht aus unserer Haut heraus können, erscheint es uns immer so, als seien wir der Mittelpunkt des Universums. Und all unser Wissen, dass es nicht so ist, kann nichts daran ändern, dass unser Gehirn uns das jede Sekunde unseres Lebens vorgaukelt.

Und dann sagt uns die Bibel, dass wir uns auf unseren Nächsten konzentrieren sollen. Wie soll das überhaupt möglich sein, wo doch unser Bewusstsein uns ständig klarmacht, dass wir selbst das Zentrum sind? Und noch mehr: Die Bibel sagt, dass Gott das Zentrum der Welt ist, der Schöpfer, der Herr der Welt, der alles am Laufen hält. Dabei scheint es doch so, als würden wir selbst über den Ablauf jedes Tages bestimmen, würden Gutes und Böses tun, Entscheidungen treffen und alles am Laufen halten.

An dieser Stelle möchte ich eine Fabel einfügen:

In einer alten Fabelsammlung wird von einem Vogel erzählt, der auf dem Rücken lag und seine Beine starr gegen den Himmel streckte. Als ein anderer Vogel diese etwas merkwürdige Position beobachtete, flog er herbei und fragte: "Warum liegst du denn so auf dem Rücken und streckst die Beine von dir weg?" – "Weißt du", erwiderte der andere, "ich trage nämlich den Himmel mit meinen Beinen. Wenn ich die Beine anzöge und losließe, würde das ganze Himmelsgewölbe einstürzen!" Als er das kaum gesagt hatte, fiel ein Blatt von dem nahe dabeistehenden Baum und raschelte dicht neben ihm nieder. Das versetzte dem Vogel einen solchen Schreck, dass er seine hehre kosmische Sendung vergaß und nicht nur seine Beine einzog, sondern auch in Panik davonflog. Der Himmel aber wölbte sich weiter über der Erde.*

Diese Fabel sagt uns, dass der Himmel Bestand hat und wir uns unter ihm geborgen fühlen können. Was immer auch geschehen mag auf Erden: Der Himmel wird sich weiter über uns wölben, solange Gott es will. Die Welt wird nicht untergehen: nicht durch Corona, nicht durch den Klimawandel, nicht durch einen Krieg.

Es gibt nämlich einen Herrn, der nicht alles geschehen lässt, was Menschen tun wollen. Und der trotz allem, was sie tun, seine Schöpfung erhält – auch wenn Grausamkeiten genug in ihr geschehen. Er ist der unsichtbare Herr der Geschichte. Manches, was wir in der Geschichte treiben, lässt er zu, anderes nicht. Warum er so viel Leid zulässt, bleibt uns verborgen. Wir können nur darauf vertrauen, dass es dennoch eine liebevolle Hand ist, die über uns regiert.

Wir Menschen sprechen also nicht das letzte Wort. Darum sollen wir uns auch nicht einbilden, wir würden es tun. Wir sollen uns nicht zu wichtig nehmen und für den Nabel der Welt halten – auch, wenn unser Bewusstsein uns das täglich einredet. Wir können gelassener werden, weil der Himmel nicht ohne Gottes Willen einstürzen wird, weil wir also nicht über Leben und Tod entscheiden und schon gar nicht über den Weltuntergang. Wenn wir uns zu ernst nehmen, kann das sogar lächerlich wirken – wie der Vogel, der meinte, den Himmel zu stützen.

Der komische Vogel, der auf dem Rücken lag und die Beine von sich streckte wie ein toter Vogel, war ja eigentlich auch schon tot. Denn er tat etwas total Sinnloses, anstatt das Sinnvolle zu ergreifen. Er opferte sich selbst und seine Freiheit, die der Schöpfer ihm gegeben hatte: Er lag – als Vogel, dem die Freiheit der Lüfte gehört! – regungslos am Boden.

So kann es jemandem ergehen, der sich für den Nabel der Welt hält. Der meint, es drehe sich alles um ihn; er sei der Garant von Leben und Zukunft. So wird nicht nur der wahre Herr der Welt verfehlt, sondern auch der eigene Lebenssinn: Wir sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Gottes. Eine schönere und wichtigere Aufgabe gibt es nicht.

Diese Aufgabe befreit und entlastet, weil die letzte Verantwortung bei Gott selbst liegt. Er ist der Herr der Welt. Gerade darum aber sind wir in die Lage versetzt, frei und fröhlich am Reich Gottes mitzubauen. Es ist eine Verantwortung, die uns herausfordert, ohne Krampf und Überanstrengung zu sein. Und als Beteiligte am Wirken Gottes werden wir uns nicht mehr so sehr auf uns selbst konzentrieren, sondern auf unseren Nächsten.

Manchmal müssen wir allerdings an unsere wahre Rolle erinnert werden – sozusagen aufgeschreckt werden aus unserer Verkrampfung und Selbstüberschätzung. Manchmal rüttelt uns Gott wach, indem er uns einen Schrecken einjagt – so wie dem Vogel, der durch ein niederfallendes Blatt erschreckt wurde. Aber es ist ein heilsamer Schrecken. Denn wenn wir aus ihm lernen, gewinnen wir unsere Freiheit und Gelassenheit zurück. Damit wir kein komischer Vogel werden.

Dann können wir Gott dienen anstatt uns selbst. Dann können wir nach seinen Weisungen leben, so gut wir es vermögen – und können auch, wenn wir scheitern, gelassen bleiben. Denn der Himmel der Gnade wird sich auch dann über uns wölben.

Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Völker tobten, Königreiche wankten; er ließ seinen Donner dröhnen, da bebte die Erde. Der Herr der Heerscharen ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.
(Psalm 46,2-4.7f)


* * * * *


* Helmut Thielicke: Das Lachen der Heiligen und Narren. Nachdenkliches über Witz und Humor. Quell Verlag, Stuttgart 1988. S. 129.

Grafik: Gerd Altmann auf Pixabay.




6 Kommentare
2023-01-29 08:25:29
Hallo Klaus,

folgendes ist mir beim Lesen deines Beitrags eingefallen:

Das erste ein gebrochen romantisches Gedicht:

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! Sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.

(Heinrich Heine 1844)

Außerdem ist für mich das Christentum eine zutiefst anthropozentrische Religion. Damit, dass Gott sich in einem Menschen inkarniert, dem hinterher Gottgleichheit zugesprochen wird, geht es weiter selbst als seine beiden engsten Verwandten, das Judentum und der Islam. Ich kann deren Kritik insofern auch gut nachvollziehen. Der romantische Glaube, dass Gott/Jesus sich mit Gnade und Barmherzigkeit um jeden einzelnen Menschen kümmert und insbesondere um sein auserwähltes Volk und die, die ihn anrufen, wurde wieder und wieder praktisch widerlegt, vielleicht am krassesten in den Gaskammern der Nazis. Dennoch wird er immer noch gepredigt.

Zu Weihnachten habe ich ein Mini-Planetarium geschenkt bekommen, mit dem ich 60.000 Sterne an die Zimmerdecke projizieren und auch die Milchstraße betrachten kann, die man hier sonst nur selten sehen kann. Wir wissen heute, dass unsere Galaxis nur eine von vielen ist und unsere Sonne ein Durchschnittsstern. Vermutlich gibt es auch dort draußen irgendwo intelligentes Leben und mir fällt ein Zitat von Stanislaw Lem ein, dass eben diese anderen Intelligenzen mit einbezieht:

„Trotzdem kann man, wie mir scheint, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum ein vollwertiger Mensch sein, wenn man nicht wenigstens von Zeit zu Zeit jener bisher unbekannten Gemeinschaft der Vernünftigen gedenkt, zu der wir vermutlich gehören.“ (Lem, S.: Summa technologiae, S. 130).

Viele Grüße

Thomas
2023-01-29 09:41:56
Hallo Thomas,

danke für deine Einwände. Ich weiß natürlich, dass es unendlich viele Argumente und Erfahrungen dagegen gibt, dass Gott der Herr der Geschichte ist, der sich um sein auserwähltes Volk und jeden einzelnen Menschen kümmert. Diese Erfahrungen und Gedanken sind mir keineswegs fremd, sondern begleiten meinen Glauben - manchmal quälend - von Beginn an.

Dennoch zeichnet den biblischen Glauben im Alten und Neuen Testament die Gewissheit aus, dass Gott genau dies tut: sich mit Gnade und Barmherzigkeit kümmern. Man kann diesen Glauben sozusagen auf jeder Seite der Bibel finden. Dieser Glaube ist aber keine Gewissheit, die sich am sichtbaren Lauf der Geschichte entzündet. Will sagen: Dass Gott sich kümmert, ist uns oftmals verborgen. Die Geschichte bietet dafür, aufs Ganze gesehen, kein Anschauungsmaterial. Insofern leben wir nicht im Schauen, sondern im Glauben (= Vertrauen) (2Kor 5,7). Oder anders gesagt: Der jüdische und christliche Glaube ist immer ein an den Fakten gebrochener Glaube. Es gibt ihn nur in einem großen "Dennoch" (Ps 73,23).

Dieses "Dennoch" wurde auch von den Jüdinnen und Juden gelebt, die mit einem Loblied auf den Lippen in die Gaskammern gingen. Das ist nun ganz und gar nicht romantisch, sondern das verzweifelte und zugleich hoffnungsvolle Festhalten an den biblischen Verheißungen, die besagen, dass sich am Ende (und sei es erst im Jenseits) Gott als Herr der Geschichte und als gnädiger "Kümmerer" erweisen wird. In dieser Ambivalenz von Verzweiflung und Hoffnung lebt der Glaube. Anders ist kein Glaube möglich, dass wir "von guten Mächten wunderbar geborgen" sind. Und vom Glauben bleibt doch eigentlich nichts übrig, wenn wir uns nicht bei Gott geborgen fühlen können - trotz allem. Insofern ist der in allem Elend uns treue Gott das Zentrum des Glaubens, nicht der zwischen Glaube und Anfechtung, Gewissheit und Zweifel beständig hin und her pendelnde Mensch.

Dass gerade der christliche Glaube keinen "sichtbaren" Anhalt an der Geschichte hat, sieht man ja deutlich am Geschick Jesu. Dessen Leben war ja bekanntlich kein Triumphzug, sondern endete am Kreuz. Dass er dennoch von Gott nicht verlassen war, zeigt seine Auferweckung, die aber nun gerade wieder nicht historisch zu belegen war und ist. Sie konnte nicht beobachtet werden, sondern wurde "nur" verkündigt. Seither berufen sich Christinnen und Christen nicht auf sichtbare Ereignisse, auf "harte Fakten", sondern auf das Wort.

Mehr als das Wort haben wir nicht und werden wir nie haben, da mag die Vernunft noch so sehr protestieren - das ist wohl keinem Christen fremd. Doch was vermag die Vernunft? Das Zitat von Stanislaw Lem kann ich nicht so recht einordnen, weil ich den Zusammenhang nicht kenne. Doch positiv von einer "Gemeinschaft der Vernünftigen" zu sprechen, erscheint mir angesichts der gegenwärtigen Weltlage als geradezu ironisch. Bei aller Wertschätzung der Vernunft, die dem Glauben gut ansteht - der gegenwärtig sichtbare Irrsinn der "Vernünftigen" kann für mich kein Argument gegen den Glauben sein, dass Gott in für uns verborgener Weise die Welt regiert.

Einen segensreichen Sonntag
Klaus
2023-01-29 22:21:33
Hallo Klaus,

Lem hat vorher auf 7 Seiten ernsthaft darüber nachgedacht, was es mit der Wahrscheinlichkeit der Existenz außerirdischer Intelligenzen auf sich hat und bezieht diese ggf. in die Gemeinschaft der Vernünftigen mit ein. Sein Buch "Summa technologiae" hat er in der 1960er Jahren geschrieben, bisher sind solche Außerirdischen immer noch nur Gegenstand der Science-Fiction-Literatur geblieben, aber theoretisch könnte es sie geben. Wir Menschen haben jedenfalls noch keine Möglichkeit gefunden, entsprechende Distanzen zu überbrücken, um Kontakt aufzunehmen, und anderen könnte es ähnlich gehen, so sie überhaupt wollen.

Viele Grüße

Thomas
2023-01-29 22:31:17
Hallo Thomas,

danke für die Erklärung. Sollte es außerirdisches Leben geben, ob intelligent oder nicht, dann wäre auch das Gottes Geschöpf. Es wäre ja sehr interessant zu sehen, was der Schöpfer sich neben dem irdischen Leben noch so hat einfallen lassen. Und man hätte ein neues Missionsfeld 😇 (positiv verstanden).

"So sie überhaupt wollen" - das ist die große Frage, wenn man sich das Ergebnis der irdischen Intelligenz gerade jetzt ansieht. Vielleicht haben sie dazu keine Lust ... 😬

Schönen Abend noch
Klaus
2023-01-30 07:33:05
Hallo Klaus,

mit der Botschaft, dass Gott Mensch geworden wäre, käme man bei Außerirdischen wohl nicht so gut an. :-)

Viele Grüße

Thomas
2023-01-30 14:53:30
Hallo Thomas,

vielleicht müsste man es ihnen so erklären: Gott ist Mensch geworden, aber der Mensch will Gott sein und verpasst so gerade seine Menschlichkeit 😕.

Viele Grüße
Klaus
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