Vom Glauben in der Angebotsgesellschaft
Ein Gastartikel von Michael Kröger | 18/08/2021
Was passiert eigentlich in unserer Gesellschaft, in der ja inzwischen alles und jedes in Form von Angeboten zu den Kunden gebracht wird? Politiker machen Impfangebote, Warenhäuser Sonderangebote und ja, die Bibel hat bekanntlich ihre zehn Gebote im Angebot. So gesehen leben wir – zumindest sprachlich – im Land der aufgeklärt Glückseligen. Wir können uns vor lauter Angeboten kaum noch retten.
Bei so vielen Optionen und Angeboten heißt es vor allem einen kühlen Kopf bewahren: aus den vielen Angeboten auszuwählen und dann "nach Herzenslust zu genießen": die eigene Gesundheit, den neuesten Computer und dazu noch ein möglichst reines Gewissen, ein Leben ohne Scham und Angst. Ein derartiges Leben in dieser Angebotsgesellschaft macht es uns leicht: buchstäblich alles wird möglichst niederschwellig vermarktet, wir können uns jederzeit auf der sicheren Seite des Lebens fühlen.
Doch dieses kollektive easy living verkennt natürlich, dass das westliche Leben, unser Leben ja doch auch aus vielfältigen Zumutungen besteht. Vor allem die heutige Politik, allen voran die Vorsitzenden der Parteien, kultivieren – seit wann eigentlich? – eine Strategie der Zumutungslosigkeit (so gerade in DIE ZEIT vom 12.8.2021, S. 3). Von Gefahren, Risiken, Einschränkungen und allen anderen, von uns gut verdrängten, existenziellen Unwägbarkeiten des Lebens wird ausdrücklich nichts kommuniziert – oder nur dann, wenn es sich, wie bei der jüngsten Flutkatastrophe, nicht länger vermeiden lässt.
Eine Zumutung der westlichen liberalen Demokratien liegt bereits darin, dass PolitikerInnen es längst nicht mehr wagen, ihren künftigen Wählern auch Unangenehmes wie etwa die Kosten für den Klimaschutz oder den schon lange überfälligen Umbau des Sozialstaates zuzumuten. Ist Gerechtigkeit nicht auch Bedingung dafür, der Wahrheit ins Auge zu sehen? Stattdessen wird Politik permanent auf wenige schnell konsumierbare Formeln heruntergebrochen; die wahren Zumutungen, die etwa eine angemessene Klima- oder Sozialpolitik bringen wird, will keiner hören, vor allem nicht in Form ihrer banalisierten Botschaften. Der Status von Politik gilt permanent dem "Stand jetzt", erforderlich wäre aber ein Blick für einen Zeithorizont von mindestens der nächsten 30 - 40 Jahre. Was für eine Herausforderung an die Weitsicht von heutigen EntscheiderInnen ...
Eine Zumutung bezeichnet eigentlich eine Frechheit, eine Respektlosigkeit. Die Frage, was nun in meinem Leben eine Zumutung darstellt, wird jede/r auf eine sehr persönliche Art und Weise beantworten können. Das setzt aber die Fähigkeit voraus, sich selbst gegenüber maximal offen, neugierig, aber eben auch ehrlich zu sein. Kann mir mein Glaube dabei helfen ...? Von Versprechen unterschiedlichster Art können wir heute Lebenden allein nicht leben; wir müssen auch die vielen kleinen und großen Mühen und Anfechtungen ertragen, die von Beginn an zum Leben dazugehören. Sie nicht und vor allem nicht rechtzeitig wahrnehmen zu wollen, wird unser Leben nicht einfacher machen.
Wenn ich heute den Eindruck nicht loswerde, die (politische) Zumutungslosigkeit als Zumutung zu empfinden, kann mir hoffentlich mein Glaube weiterhelfen. Es ist mein persönlicher Glaube, der mir heute hilft, die Sorgen und Nöte von Heute auch jetzt, mitten in meinem Leben, wahrzunehmen. In meinem Glauben fühle ich mich aller Unbill und Unheil zum Trotz von einer höheren Macht geborgen. In dem bekannten Taufspruch, den ich vor einigen Tagen in einem Taufgottesdienst hörte, wurde mir, der ich jahrelang den Kontakt zum Glauben nicht wirklich erfahren hatte, plötzlich wieder ein altes Versprechen klar, das viel mehr als ein bloßes Angebot sein will: Fürchte Dich nicht, ich habe Dich befreit. In der Masse der weltlichen Angebote kann und muss ich wählen – aber kann ich mich ebenso als von Gott Angenommener erfahren. Das gibt mir allen aktuellen Zumutungen zum Trotz eine große Zuversicht ...
Von Michael Kröger
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