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Leben mit Gott und Nicht-Gott

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Veröffentlicht von in Theologie to go · 28 Februar 2022
Tags: Mensch_seinSünde

Leben mit Gott und Nicht-Gott
Theologische Notlösung oder zeitgemäßer Geistesblitz?
Ein Gastartikel von Michael Kröger | 28/02/2022

Als gläubige und philosophisch interessierte Menschen wissen wir eines ganz genau: am Ende unseres Lebens werden wir unserer Sterblichkeit nicht ausweichen können. Ob wir wollen oder nicht: Wir sind und wir bleiben sterbliche Wesen und wir haben ein Leben lang genug damit zu tun, uns mit dem Ende an unserem Ende abzufinden. Das Leben ist, was es ist. Knapp gesagt: ein vorübergehender Zustand (Tobias Haberl, Den Tod vor Augen. SZ Magazin, 30. Juli 2021, S.18).

Der Einsicht in das eigene Ende, die in jedem individuellen Leben wieder neu erfahren wird und ausgehalten werden muss, kann man auf sehr unterschiedliche Art und Weise begegnen. In der (christlichen) Religion hat sich heute ein Glaube durchgesetzt, nach dem uns Menschen unter bestimmten Bedingungen ein ewiges Leben in Aussicht stehe. Doch diese Aussicht ist natürlich abhängig von unserem Glauben, den Gott uns gewährt und geschenkt hat und der uns durch seine Gnade in die Lage versetzt, dieser Zukunft unser Vertrauen zu schenken.

Menschen sind nicht nur gläubig orientiert und selbstlos eingestellt. Ganz im Gegenteil. Sie sind von ihrem Wesen her mit einer existenziellen Unruhe, einer rastlosen Lebens- und Neugier und auch mit einem grenzenlosen Erfindungsgeist ausgestattet. Oder mit einem modernen Schlagwort formuliert: Menschen sind gerade heute kreativ, wissen immer mehr und vieles immer besser, finden immer noch eine Alternative, um sich, auch in hoffnungslosen Situationen, eine Zukunft auszumalen, die eine Rettung aus der täglichen Not verspricht. Auf diese Weise könnte man die Situation des jetzt lebenden Menschen auch sehr kurz als eine Paradoxie kennzeichnen: als sterblicher Mensch weiß ich um mein kommendes Ende, aber ich stelle mir ehrlicherweise auch gerne vor, wie es wäre mit kreativen Kräften ausgestattet zu sein. Der französische  Philosoph André Glucksmann hat 2004 einmal ein sehr einfaches, aber überzeugendes Sprachexperiment gewagt, das diese Paradoxie auf eine überraschend andere Weise formuliert:

Wir sind offenbar vollkommen unfähig zu akzeptieren, dass wir nichts als Menschen sind. Wir wollen Gott sein. Es macht uns wahnsinnig, dass wir es nicht sind. Und wir hassen all jene [...] die uns zwingen, klein beizugeben.
(Andre Glucksmann, HASS. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt. München 2005 S. 190).

Mit denjenigen, die wie Gott sein wollen, meinte Glucksmann offenbar vor allem "die Amerikaner", die, so Glucksmann sinngemäß, ihre scheinbar überlegenen, "westlichen Werte"  und angebliche moralische Überlegenheit mit allen Mitteln auf der Erde durchsetzen wollen.  

Wir wollen Gott sein – das heißt nach Glucksmann: wir wollen als sterbliche Menschen unser Leben so erfahren, also ob wir wie Gott selbst unsterblich sein könnten. Dieser maßlose, unerfüllbare Wunsch des Menschen ist einerseits aussichtslos – verrät aber andererseits auch etwas von der Hinterlist, ja der Sprachkunst von Menschen, die darauf aus sind, alles zu unternehmen, um noch zu Lebzeiten die eigene Angst vor dem Tod zu bewältigen.

Wenn wir aber schon zwar wie Gott sein wollen, es aber nicht können, wie wäre es denn, wenn wir uns buchstäblich – und sei es nur einen Moment lang – einmal einbilden würden, Nicht-Gott zu sein? Dieser Geistesblitz erstaunt und irritiert zugleich. Klingt diese Frage nicht etwas sehr schräg und ja, auch ein bisschen "surreal"? Auch wenn der Ausdruck Nicht-Gott, wie der Name schon sagt, nicht für Gott, sondern für etwas anderes steht, könnten wir doch so mit einem Symbol kalkulieren, das ähnlich wie die Null in der Mathematik für etwas Unbekanntes steht, mit dem man trotzdem gut rechnen kann. Wenn wir als Gläubige davon ausgehen, dass der Begriff Gott im Grunde etwas Unverfügbares für uns Menschen markiert und zur Sprache bringt, dann wäre der Terminus Nicht-Gott so etwas wie eine menschengemachte kreative Erweiterung des "alten" Gottes-Begriffs – gewissermaßen eine kreative Anwendung einer Dimension, die sich menschlicher Vorstellung entzieht und dieser gleichzeitig eine, wenngleich auch neue, künstliche Dimension verleiht.  

Der tiefe Sinn dieser ganzen Operation liegt auf der Hand: als gläubige Menschen vertrauen wir uns der Gnade Gottes an, als kreativ zum Glauben Begabte wollen wir nicht hinnehmen, dass wir uns noch zu Lebzeiten nicht auch eigene Gedanken über die Unsterblichkeit machen dürfen. Im Gegenteil.

Durch die Erfindung eines paradoxen Ausdrucks NICHT GOTT entlasten wir uns von unserer Enttäuschung, nicht Gott sein zu können. Gleichzeitig erfahren wir uns neu, indem wir durch die Idee eines Nicht-Gottes erkennbar machen: gerade auch als Sterbliche sind wir – wenn man so will aus Notwehr – kreativ geworden. Und durch die Notlösung, den Kunstgriff eines Nicht-Gottes, sind wir selbst Gott ein Stück näher gerückt: wir haben als Gläubige Gott nicht ersetzt und dürfen gerade deshalb jetzt mit ihm, vielleicht auch für uns unverhofft, umso mehr rechnen.



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2 Kommentare
2022-03-07 09:28:47
"Keineswegs werdet ihr sterben! Gott weiß ja, dass an dem Tag, da dem ihr mir glaubt und vertraut, eure Sichtweise freiheitlich aufgetan wird und ihr befähigt und unabhängig sein werdet wie Gott, erkennend Gutes und Böses." ... Das Resultat dieser trügerischen Information gestaltet und beherrscht diese Welt der Leiden, in der wir leben ... mit dem Lichtblick der Barmherzigkeit aus Liebe.
Michael Kröger
2022-03-07 11:56:38
Hallo Pneumatheou,

dass das Böse als Ausdruck des absolut Negativen in der Welt (vor-)herrscht, erfahren wir gerade live vor unseren Bildschirmen. Aber ob die "trügerischen Information" dieser Agenten unsere Welt der Leiden auch absolut beherrscht? Offenbar setzen sich heute menschenverachtende Ideologie an die Stelle von Wahrheit, Liebe und Barmherzigkeit. Wir müssen uns als Menschen mit dieser Zumutung auseinandersetzen und können vor dieser nicht ausweichen. Eine Zumutung ist vielleicht der zeitgeistige Begriff des "Nicht-Gottes". Dieser will jedoch nicht das Böse postmodern relativieren, sondern uns einen schärferen Blick auf unsere Welt ermöglichen, in der Gutes und Böses, Menschliches und Un-Menschliches existiert - jedoch auch und gerade direkt vor unseren Augen und dem dem Angesicht Gottes.
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