Zwischen den Jahren
Klaus Straßburg | 28/12/2021
Wir leben gerade „zwischen den Jahren", wie manche es nennen – zwischen Weihnachten und Neujahr. „Zwischen den Jahren", zwischen Gewesenem und Kommendem, fühlen wir uns gleichsam der Zeit enthoben und schauen, ohne von ihr getrieben zu sein, auf unser Leben, auf uns selbst.
Ich frage mich: Wer bin ich eigentlich? Bin ich der gläubige Christ mit ein paar Zweifeln, die sich hin und wieder bemerkbar machen – oder bin ich doch eher der Zweifler mit ein bisschen religiösem Gefühl im Hinterstübchen? Bin ich, der ich meine, ich hätte gefunden, nicht vielmehr ein Suchender, der ein Suchender bleiben wird bis ans Ende seiner Tage? Bin ich – im fortgeschrittenen Alter – noch immer nicht angekommen, sondern auf dem Weg? Sterben als Suchender, der nicht angekommen ist – ist das mein Schicksal?
Es ist wohl unser aller menschliches Schicksal. Wir finden, doch es ist, auch wenn wir es nicht wieder verlieren, niemals das, was alles weitere Suchen erübrigen würde. Wir erreichen ein Ziel, aber das Ziel entpuppt sich, vielleicht unerwartet, nur als Zwischenstation auf dem weiteren Weg, der das eigentlich gesuchte Ziel nie erreichen wird – jedenfalls nicht auf Erden.
In der Regel verdrängen wir dieses unser Schicksal, müssen es wohl verdrängen, um leben zu können. Mechanismen des Verdrängens gibt es genug, und die Welt, in er wir leben, macht es uns leicht mit ihren grellen Zerstreuungen, vielfältigen Vergnügungen und scheinbar wichtigen Errungenschaften. Doch ist es eine Illusion zu meinen, wir könnten bereits im Diesseits unser Ziel erreichen.
Wir leben tatsächlich in einer Zwischenzeit: zwischen dem Kommen Jesu Christi und seinem Wiederkommen. Sein Kommen, sein Austreiben der Dämonen, sein Sieg über den Tod hat gezeigt: Die Macht des Lebensfeindlichen ist schon gebrochen, obgleich es uns noch quält. Sein Wiederkommen, sein Richten und Vernichten des Lebensfeindlichen steht noch aus, obgleich wir ihm schon voller Hoffnung und Vorfreude entgegenblicken dürfen.
Die Nachdenklichen haben es schon immer gewusst, dass das Wesentliche nicht verfügbar, nicht machbar ist, sondern eine Gnade, ein Geschenk, das man nicht produzieren kann, sondern nur annehmen, wenn es uns unverdient erreicht.
Das bedeutet für uns: Wir sind Angewiesene. Wir sind abhängig davon, dass uns vom Unerreichbaren her Gnade widerfährt; dass wir finden sogar dann, wenn wir nicht oder am falschen Ort gesucht haben; dass wir gefunden werden von einer gnädigen Macht, derer wir nicht Herr werden.
Übrig bleibt uns zu hoffen, dass die unverfügbare Gnade uns widerfahren möge, und zu danken, wenn es denn geschieht. Und den Begnadeten bleiben – trotz ihrer Zweifel – die Gewissheit und die Vorfreude, wenn sie der Verheißung glauben: dass allen, die sich für die Gnade öffnen, diese nicht vorenthalten werden wird.
Übrig bleibt uns, zu unserer Schwachheit zu stehen. Sie wird zur Stärke, wenn wir uns nicht der Illusion des homo faber hingeben, des rastlos schaffenden Menschen, der meint, Herr seines Lebens und Glaubens zu sein. Stark sind wir, wenn wir uns eingestehen, in einer Angewiesenheit zu existieren, in der wir uns finden lassen von dem, der uns mit großer Geduld und Gnade sucht.
* * * * *
du schreibst, es bleibe zu hoffen, dass uns eine unverfügbare Gnade geschenkt werde. Das ist fpr mich ein hilfreicher Gedanke in ungewisser Zeit! Danke für diesen Impuls, der in klaren Worten Wesentliches zum Ausdruck bringt.
Viele Grüsse und alles Gute!
Michael
danke für deine Rückmeldung. Es freut mich, dir einen Anstoß gegeben zu haben.
Viele Grüße
Klaus
Wie du zu Recht verweist:
Wir leben in Abhängigkeit als Angewiesene,
was alle endlichen Geschöpfe im Himmel und auf Erden gerne verdrängen.
Deshalb gilt um so mehr:
Gnade über Barmherzigkeit, Vergebung, Erlösung und Befreiung aus Empathie, Mitgefühl und Demut macht erst eine Freundschaft mit der Gerechtigkeit zu einer wahrhaftig liebevollen und wohlgefälligen Familie; sowohl im Himmel als auch auf Erden.
Wahrlich etwas wirklich Herrliches und Schönes.
Alles Gute
es gibt einen schönen alten Spruch: "Glauben heißt, die Abhängigkeit von Gott als Glück zu bezeichnen." Ich finde, das trifft es sehr gut.
Herzliche Grüße
Klaus