T h e o l o g i e t o g o
Woran alles mitwirkt
Klaus Straßburg | 09/10/2020
Kann man sich vorstellen, dass alles, was wir erleben, auf ein bestimmtes Ziel hinwirkt?
Wirklich alles! Nichts ausgenommen! Das ist kaum vorstellbar.
Und doch hat Paulus einen denkwürdigen Satz geschrieben (Römer 8,28):
Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten mitwirkt –
denen, die nach dem Entschluss [Gottes] berufen sind.
So lautet die wörtliche Übersetzung. Martin Luther hat etwas anders übersetzt.
Paulus spricht von einem Wissen. Es ist kein Wissen im Sinne unserer Wissenschaften: kein nachprüfbares Wissen. Es ist ein Wissen anderer Art. Ein Wissen, das auf Vertrauen gründet.
Vertrauen lässt sich nicht objektiv überprüfen. Es lässt sich nur erfahren, ob das Vertrauen berechtigt war, nachdem man sich darauf eingelassen hat.
Darum spricht Paulus von dem Wissen, das diejenigen haben, die Gott lieben.
Was heißt es, Gott zu lieben? Ihm seine Liebe zu glauben. Gottes Liebe kommt uns zuvor, und wir nehmen Gott ernst, wenn wir uns von ihm lieben lassen. Oder anders gesagt: Wenn wir darauf vertrauen, dass er uns wirklich liebt.
Diejenigen, die Gottes Liebe vertrauen, können sagen: Alles, was mir widerfährt, wirkt mit zum Guten für mich.
Alles, was dir widerfährt, wirkt also zusammen mit all dem anderen, was geschieht, zum Guten für dich. Das einzelne Ereignis mag nicht gut sein. Aber zusammen mit allen anderen Ereignissen muss es Gutes für dich bewirken.
Dein ganzes Leben – eine Geschichte, die auf das Gute für dich hinwirkt.
Wie kann das sein? Dadurch, dass Gott es so bestimmt hat. Er kann es so bestimmen, weil er der Herr der Welt ist – und darum auch der Herr deiner Lebensgeschichte.
Es liegt nicht an dir, dass dir solches widerfährt. Es liegt allein daran, dass Gott dich nach seinem Entschluss dazu berufen hat.
Das ist der Hammer – unfassbar! Wenn du dich von Gott lieben lässt, kann passieren, was will: Es wird dir zum Guten werden – mit allem anderen zusammen, was dir widerfährt.
Du weißt nicht wie und du weißt nicht wann. Aber es wird geschehen. Spätestens in der neuen Welt der „himmlischen Herrlichkeit", zu der du berufen bist (Vers 30).
Dafür steht Gott. Und er ist absolut vertrauenswürdig. Denn seine Liebe zu dir ist unumstößlich.
* * * * *
Diesen Vers mag ich sehr und kann ihn in der Luther-Fassung auswendig. Er hilft, mit den Überraschungen und Widrigkeiten des Lebens umzugehen, nicht lange zu hadern, sondern das jeweils Beste aus einer Situation zu machen.
Was den Gedanken der Vorherbestimmung angeht, bin ich dagegen sehr skeptisch. Ich glaube, dass die Welt nicht wie ein mechanisches Uhrwerk abläuft, sondern dass es echten Zufall gibt und sich die Entwicklung der Dinge in einem Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit vollzieht. Folgerichtig bin ich der Meinung, dass deterministische Theologen und Theologien irren. Im Nachhinein kann man immer alles auf Gottes unerforschlichen Ratschluss zurückführen, aber das ist letztlich bei genauer und kritischer Betrachtung eine triviale Aussage ohne Prognosequalität.
Du stellst die spannende Frage nach der Vorherbestimmung. Ich glaube nicht, dass alles, was geschieht, von Gott im voraus dazu bestimmt ist, dass es geschieht. Dann müsste man ja auch schwerste Verbrechen dazu zählen, und Auschwitz wäre etwas, was Gott so gewollt hat. Das ist für mich undenkbar.
Ich glaube aber, dass alles, was geschieht, von Gott in Dienst genommen werden kann für seine Ziele. Darum spricht Luther in seiner Übersetzung davon, dass den Gott Liebenden alles zum Besten dient - auch das, was beileibe nicht zu ihrem Besten dienen will. Das Böse muss sozusagen gegen seinen Willen dem Willen Gottes dienen. Die wörtliche Übersetzung "mitwirken" finde ich auch interessant, weil sie darauf hinweist, dass das einzelne Ereignis zwar nicht als isoliertes einzelnes Ereignis, aber im Zusammenwirken mit allen anderen Ereignissen auf Gutes hinwirken muss.
Das setzt voraus, dass Gott der Herr der Geschichte ist und bleibt. Deutlich wird das z.B. in der Rahmengeschichte des Hiobbuches, wo der Satan (als Symbol für das Lebensfeindliche und Zerstörerische) Gott um Erlaubnis fragen muss, ob er Hiob Leid zufügen darf oder nicht, und wo Gott am Ende dem Hiob mehr zurückgibt, als der Satan ihm zuvor nehmen konnte.
Daran hängt mein Vertrauen: dass Gott der Herr der Geschichte ist und bleibt, der Herr auch des Zerstörerischen, Todbringenden, Zufälligen. Das impliziert natürlich den Glauben an die "himmlische Herrlichkeit", an das neue Leben, in dem manches Zerstörerische dann erst sein Ende hat.
Es gab Jüdinnen und Juden, die in Auschwitz mit einem Lobgesang auf den Lippen in die Gaskammern gegangen sind. Das ist - im Angesicht des Todes - der Blick auf das Gute, dem das Böse gegen seinen Willen dienen muss.
Das Kapitel 8 des Römerbriefs ist mein Lieblingskapitel in der ganzen Bibel, weil es so viel Hoffnung ausstrahlt, aber das Leid dabei nicht ausblendet, oder umgekehrt gesagt: weil es dem Leid ins Auge blickt, ohne die Hoffnung auf die Herrlichkeit zu verlieren. Ich bin meinem alten Konfirmator, von dem ich sonst wirklich nichts gelernt habe, dankbar, dass er mir Röm 8,28 als Konfirmationsspruch gab, und ich hoffe, dass dieses Wort mir in schweren Zeiten immer Trost sein und Hoffnung wecken wird.