"Womit hab' ich das verdient?"
Klaus Straßburg | 17/01/2020
Die Frage "Womit hab' ich das verdient?" ist mir schon oft gestellt worden. Und zwar immer von Menschen, die von Leid betroffen waren.
Auch mir selbst ist die Frage schon in den Sinn gekommen. Ich hatte sie nicht bestellt, sie war einfach plötzlich da. Ohne dass ich es wollte.
Die Frage stellt sich offensichtlich automatisch ein, wenn uns Leid widerfährt. Sie geht davon aus, dass wir es eigentlich nicht verdient haben zu leiden. Wir halten uns ja in der Regel für ganz anständige und Gott wohlgefällige Menschen. Und wir meinen, mit unserem Wohlverhalten hätten wir so etwas wie einen Anspruch an Gott: ein Anrecht auf ein gutes Leben. Warum also bewahrt uns Gott nicht vor Leid?
Die Frage unterstellt, dass Gott uns beständig beurteilt und uns je nach unserem Betragen belohnt oder bestraft. Wenn wir gehorsam sind, werden wir belohnt; und wenn wir ungehorsam sind, werden wir bestraft.
Wir verstehen Gott dann nach dem Bild unseres leiblichen Vaters, so wie wir ihn als Kind erlebt haben: der belohnende und strafende Vater. Das ist ein sehr kindliches Gottesbild. Und wir verstehen uns selbst als Kinder, die jeden Tag Gottes Strafe zu fürchten haben. Das ist ein angsteinflößender Glaube.
Diese Gottesvorstellung wird Gott nicht gerecht. Wir müssen uns davon lösen, unsere kindliche Vatererfahrung auf Gott zu übertragen. Gott ist ganz anders.
Er ist weit entfernt davon, uns beständig zu beurteilen und unserem Verhalten entsprechend zu belohnen oder zu bestrafen. Jesus selbst hat es verneint, dass ein Unglück mit dem vorangehenden Ungehorsam der Menschen zu tun hat (Lk 13,1-5; Joh 9,1-3). Jesus ruft uns zu einem Gott, dem man bedingungslos vertrauen kann und vor dem man eben keine Angst haben muss. Auch dann nicht, wenn man Gottes Willen in keiner Weise gerecht wird.
Ein solcher Glaube ist befreiend. Er nimmt uns die Angst vor dem autoritär über allem stehenden und jede Sünde bestrafenden Vatergott.
Der Frage „Womit hab' ich das verdient?" steht die Frage Jesu am Kreuz gegenüber: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Die erste Frage blickt auf mich selbst, auf meine Taten; die zweite blickt auf Gott, auf das, was Gott getan hat. Sie drückt Unverständnis für Gottes Handeln aus. Die Warum-Frage stellt sich uns im Leiden: „Mein Gott, warum bewahrst du mich nicht? Ich verstehe dich nicht." Das ist die Frage des Glaubens. Der glaubende Mensch steht ohne Antwort vor dem unbegreiflichen Handeln Gottes. Die Frage des Unglaubens ist die, die auf sich selber blickt und den Vorwurf enthält, Gott werde meinem Anspruch nicht gerecht.
Merkwürdig: Noch niemand, dem es gut ging, hat mich gefragt „Womit hab' ich das verdient?" Das Gute nehmen wir offenbar ganz selbstverständlich hin. So, als ob es uns zustände, als ob wir einen Anspruch darauf hätten.
Ich stelle mir diese Frage seit einiger Zeit bewusst dann, wenn es mir besonders gut geht. Und ich erlebe es als heilsam. Denn die Antwort auf die Frage ist: Mit nichts habe ich es verdient, dass es mir so gut geht.
Die Frage macht mir also bewusst, dass das Gute nicht selbstverständlich ist. Und dass es keine Belohnung ist, wenn es mir gut geht, sondern ein Geschenk Gottes, für das ich nur dankbar sein kann. Auf eine Belohnung haben wir ein Anrecht; Gott wäre dann uns gegenüber verpflichtet. Ein Geschenk aber kann man sich nicht verdienen. Gott gibt es uns aus freier Gnade. Alles andere wäre kein Geschenk mehr, sondern Lohn.
Im Glauben an Gott geht es nicht darum, gehorsam zu sein und einen entsprechenden Lohn zu erwarten. Sondern es geht darum, darauf zu vertrauen, dass Gott uns Gutes schenken wird – und auch das Schlechte, das wir nicht verstehen, irgendwann zum Guten wenden.
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