Wir müssen an das Unvorstellbare glauben
Zuversicht in einer krisengeplagten Welt
Klaus Straßburg | 04/10/2024
Kann man bei all den gegenwärtigen Krisen noch glauben, dass sich das Gute durchsetzen wird?
Dietrich Bonhoeffer hat als Gefangener der Nazis, nicht wissend, ob und wann er noch einmal frei kommen werde, ein persönliches Glaubensbekenntnis formuliert. Ein Satz in diesem Glaubensbekenntnis lautet so:
Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.*
Ich finde diesen Satz sehr ermutigend und hoffnungsvoll, gerade auch in Notsituationen. Ich würde den Satz aber für mich leicht verändern und sagen: Ich glaube, dass Gott aus allem nicht nur Gutes entstehen lassen kann und will, sondern es auch tut.
Denn was Gott will, das tut er auch. Warum sollte Gott etwas wollen, aber nicht umsetzen?
Das Problem ist aber: Es ist für uns kaum einmal etwas davon zu sehen, dass aus Bösem Gutes entsteht. Im Gegenteil: Viele gute Absichten werden zunichte gemacht, und manche enden sogar im Bösen. Es scheint immer nur bergab zu gehen. Die Krisen häufen sich: Kriege, Klimawandel, Umgang mit Migration, gefährdete Demokratie. Das schlägt auf die Stimmung. Menschen ertragen es nicht mehr, von so vielen Krisen zu hören, und schalten ab. Depressionen sind auf dem Vormarsch. Das ist verständlich.
Es gibt aber ein Gegenmittel gegen die Hoffnungslosigkeit: glauben, dass Gott aus all den Krisen und Katastrophen Gutes entstehen lässt. Und zwar deshalb, weil er das Schicksal der Welt nicht den Menschen überlässt, sondern es selbst in seinen guten Händen hält. Weil er das Schicksal der Welt bestimmt.
Wenn wir das glauben, halten wir das Unvorstellbare für möglich. Wir glauben an das Leben mitten im Tod.
Wenn wir in all den Krisen und Katastrophen die Hoffnung auf Gutes nicht verlieren wollen, müssen wir darauf vertrauen, dass Gott auch aus dem Bösesten Gutes entstehen lässt.
Der berühmte jüdische Geigenvirtuose Yehudi Menuhin (gest. 1999) hat einmal gesagt:
Wir müssen für das Unerreichbare kämpfen.
Das ist gut jüdisch gedacht, mit dem Akzent auf dem menschlichen Handeln. Heute, wo wir sehen, dass das menschliche Handeln der Krisen nicht Herr wird, sondern sie überhaupt erst erzeugt, möchte ich den Satz umformulieren:
Wir müssen an das Unvorstellbare glauben.
Es ist kaum vorstellbar, dass aus all den gegenwärtigen Krisen und Katastrophen Gutes wird. Aber alle Dinge sind möglich bei Gott (Mk 10,27; 14,36 u.ö.).
Dass Gott aus Bösem Gutes entstehen lässt, ist nicht nur ein frommer Wunsch oder eine Glaubensphrase. Für die Glaubenden ist es die Realität – wenn auch oft eine unsichtbare. Und das Vertrauen auf diese Realität beeinflusst unser Denken, Fühlen und Handeln. Es prägt unsere Stimmung und gibt unserem Leben in allem Bösen, das wir erleben, Zuversicht.
Das bedeutet nicht, dass wir nicht mehr zu leiden hätten. Es kann uns schwer erwischen. Es kann uns auch ein früher Tod ereilen. Aber was wäre der christliche Glaube, wenn er nicht im Schweren die Erlösung, im Tod das Leben erwarten würde?
Dass Gott aus Bösem Gutes entstehen lässt, bedeutet auch nicht, dass wir selbst die Hände in den Schoß legen könnten. Sondern gerade weil Gott (auch durch uns!) Gutes entstehen lässt, sollen wir uns für das Gute einsetzen. Insofern gilt tatsächlich: Wir müssen für das (für uns!) Unerreichbare kämpfen.
Ich vermute, dass Bonhoeffer bei der Formulierung seines Bekenntnisses an einen Satz des Apostels Paulus dachte (Röm 8,28):
Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken – denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.
Die Gott lieben, das sind diejenigen, die Gott zum Glauben berufen hat. Ihnen jedenfalls wirkt alles, also auch das Böseste, zum Guten mit. Auch das Böseste kann Gottes guten Willen für die Gott Liebenden und für seine geliebte Welt nicht zunichte machen.
Das verändert wahrlich die Stimmung. Das macht unseren Glauben fröhlicher, unser Handeln gelassener und unsere Gebete preisender. Das kann uns Freude geben sogar in schlimmen Krisen und Katastrophen.
Ich gestehe, dass ich von solchem Glauben weit entfernt bin. Aber ich hoffe darauf und bete darum, dass Gott mich immer wieder zu solchem Glauben beruft und dann auch mit genug Glaubenskraft ausstattet.
So dass ich dann an jedem Tag, auch am bösen, vielleicht nicht gerade jubeln kann, wie Psalm 118 sagt, aber doch hoffnungsvoll und zuversichtlich sein (Ps 118,24):
Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; lasst uns an ihm jubeln und fröhlich sein!
* * * * *
* Aus: Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Hg. von Eberhard Bethge. Neuausgabe. Chr. Kaiser Verlag, 3. Auf. München 1985. S. 20.
Foto: Himsan auf Pixabay.
Hallo Klaus
....das ist eine sehr interessante Frage. Als auch soziologisch Interessierter würde ich meinen : vielleicht will Gott uns Menschen testen. Er möchte möglicherweise, daß wir uns vorstellen, was er demnächst wollen könnte - und wie wir uns als Menschen dazu verhalten ...
hg Michael
es stimmt: Gott möchte, dass wir seinen Willen umsetzen. Er wartet sozusagen darauf, dass sein Wille durch uns umgesetzt werde. Und wenn das nicht geschieht, müssen wir die Folgen unseres Versagens tragen.
Und dennoch gibt es noch eine andere Seite: Ich glaube, dass Gott auch aus unserem Versagen noch Gutes entstehen lassen kann. So jedenfalls verstehe ich das Wort des Paulus: "Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken." Wörtlich steht da nicht "alle Dinge", sondern "alles". Alles, was geschieht, kann diejenigen, die auf Gott vertrauen, im Zusammenwirken mit allen anderen Geschehnissen zu einem guten Ziel führen. Das Böse kann sich letztlich nicht durchsetzen. Für die Glaubenden führt alles zu einem guten Ende - selbst der Tod. Für die Auferweckung der Toten muss Gott nicht auf unsere Taten warten.
Entsprechend erweckt Gott "böse" Menschen zum Tun des Guten - und (1.) wartet entweder darauf, dass sie es umsetzen, oder (2.) überwältigt sie mit solcher Kraft, dass sie sich dem nicht widersetzen können. Das hat Paulus am eigenen Leib erlebt: Gottes Kraft hat ihn derart überwältigt, dass aus dem Christenverfolger ein Christusverkündiger wurde. Nun kann man spekulieren: Hätte Paulus sich dem widersetzen können? Das Neue Testament erwägt diese Möglichkeit nicht. Vielmehr spricht Paulus von einem "Zwang", der auf ihm liegt und ihn dazu treibt, Christus zu verkündigen (1Kor 9,16). Ich verstehe das nicht als einen äußeren Zwang, sondern als einen inneren: Christus lebt in ihm, so dass sein Ich nicht anders kann, als Christus zu verkündigen (Gal 2,20). Wir sagen heute: Er ist intrinsisch motiviert. Zumindest müsste er sich selbst verraten, wenn er sich seiner inneren Motivation widersetzen wollte. Diese Grenzmöglichkeit mag ja vielleicht bestehen. Sie ist aber doch wohl sehr unwahrscheinlich.
Wie dem auch sei: Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott, um sein gutes Ziel mit der Schöpfung und den Seinen zu erreichen, auf unsere Taten angewiesen ist. Er will sie wohl nutzen und ruft uns auf, an seinem Werk mitzuwirken. Er kann und wird aber auch ohne unser Mitwirken und sogar gegen unseren Widerstand sein gutes Ziel erreichen. Wäre es anders, dann hätte ich, ehrlich gesagt, nicht viel Hoffnung für unsere Welt.