Was ist das Schlimmste im Leben?
Klaus Straßburg | 04/09/2022
Schon länger treibt mich der Gedanke um, dass der Tod vielleicht gar nicht so schlimm ist, wie wir ihn uns immer vorstellen.
Täglich sterben weltweit nicht nur über 50 Millionen Menschen, sondern auch unzählige Säugetiere, Fische, Insekten, Kleinstlebewesen ... – von den Pflanzen gar nicht zu reden.
Manche Theologen behaupten, Gott habe den Menschen sterblich geschaffen. In 1Mo/Gen 2,17 steht nicht, dass Adam und Eva im Paradies sterblich werden, wenn sie gegen Gottes Gebot verstoßen. Es steht dort nur, dass sie dann sterben werden.
Wenn diese Auslegung stimmt, würde sie bedeuten, dass Adam und Eva schon vor dem Sündenfall sterblich waren.
Ich weiß nicht, ob diese Auslegung richtig ist. Jedenfalls ist aber die Welt, in der wir leben, so beschaffen, dass der Tod unwiderruflich zu ihr gehört. Neues Leben kann nur entstehen, wenn an anderer Stelle Leben endet.
Ist der Tod also gar nicht so schlimm für uns? Was ist das Schlimmste im Leben?
Das Schlimmste im Leben ist weder der Tod noch schweres Leid. Das Schlimmste ist der Tod ohne die Hoffnung auf ein neues Leben, in welchem Gott Leid und Tod abgeschafft hat.
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Foto: Klaus Straßburg
bei dem Satz "Manche Theologen behaupten, Gott habe den Menschen sterblich geschaffen" muss ich lächeln. Biologen wissen, dass alle Menschen sterblich sind. Für die meisten anderen Menschen ist das ebenfalls eine Binsenweisheit. Theologen und andere Gläubige, ich z. B. auch, interpretieren die Natur als Schöpfung. Dazu gehört als Teil des Konzepts natürlich auch die Sterblichkeit. Was es da theologisch groß zu diskutieren geben soll, erschließt sich mir nicht.
Mit meiner eigenen Sterblichkeit habe ich mich längst abgefunden. Und natürlich gibt es Schlimmeres als den eigenen Tod, angefangen mit dem Tod der eigenen Kinder oder anderem schweren Leid.
Sehr empfehlen kann ich den Roman "Alle Menschen sind sterblich" von Simone de Beauvoir, wo sie die Unsterblichkeit eines Menschen experimentell durchspielt und ad absurdum führt. Durchaus überzeugend, und ich frage mich danach, ob man sich "ewiges Leben" überhaupt wünschen oder erträumen sollte.
Viele Grüße
Thomas
danke für deine wichtigen Gedanken. Deine Frage am Schluss finde ich völlig berechtigt. Auch dein Einwand gegen meinen Satz "Manche Theologen behaupten, Gott habe den Menschen sterblich geschaffen" ist berechtigt. Der Satz ist missverständlich. Er müsste besser lauten: "Manche Theologen behaupten, der Mensch sei von Gott so geschaffen, dass er auch ohne Sünde (also schon 'vor' dem Sündenfall) sterblich ist." Die Formulierung ist schwierig, weil die Urgeschichte keine historischen Ereignisse wiedergibt, also eigentlich kein "vor" und "nach" kennt, sondern Grundeinsichten über Gott und den Menschen beschreibt. Das heißt: Der Mensch ist sterblich, egal ob er sündigt oder nicht. Die Alternative wäre: Der Mensch ist durch seine Sünde erst sterblich geworden.
Die erste Variante würde ja der biologischen Erkenntnis entsprechen. Aber auch die zweite würde ihr wohl nicht widersprechen, weil die theologische Grundeinsicht über den Menschen darin besteht, dass er immer schon sündigt, obwohl er es nicht müsste. Der Mensch ("nach" Adam und Eva) ist eben der sündige Mensch und deshalb der sterbliche Mensch.
Man wird wieder beachten müssen, dass der Tod Adams und Evas keine "Strafe" eines zornigen und/oder in seiner Ehre gekränkten Gottes ist, sondern eine Folge des Handelns der beiden Menschen. Wer Gottes gute Weisungen missachtet, trennt sich vom lebendigen Gott, vom Leben und schaufelt sich sozusagen sein eigenes Grab. Wir sehen das in der aktuellen Klimakrise und in vielem anderen ganz deutlich.
Ich stimme dir auch darin zu, dass schweres Leid schlimmer sein kann als der eigene Tod. Aber als noch schlimmer empfinde ich Leid und Tod ohne Hoffnung auf ein himmlisches Leben, in dem es Leid und Tod nicht mehr gibt.
Viele Grüße
Klaus
danke für deine Gedanken, die mich einerseits nicht davor bewahren, an den eigenen Tod zu denken mir aber andererseits auch in gewisser Weise eine Art Trost vermitteln. Vielleicht, und dieser Gedanke mag etwas erstaunen, ist der Tod ja nur eine Metapher, die irgendwann real werden wird. Aber eine Metapher wofür?
Der Tod hat, aus meiner Sicht, den Nachteil, dass es sich immer nur um den jeweils eigenen Tod handelt. Wenn der Tod Vorteile hätte, dann sicher den, dass er uns unser gegenwärtiges Leben bewusster erfahren lässt. Joseph Beuys meinte einmal mit seinem rheinischen Humor: "Ich habe keine Zeit zu sterben." Und der frz. Schriftsteller Jules Renard befand: "Man stelle sich ein Leben ohne den Tod vor.Vor lauter Verzweifelung würde man sich tagtäglich umbringen wollen." (zit. n. Julian Barnes, Nichts, was man fürchten müsste. München 2008)
Nicht nur der Glauben auch die Kunst wäre ohne die Tatsache unseres Sterben-
müssens gar nicht möglich - und eine täglich neue Herausforderung an unser Leben, das wir uns täglich neu bewusst zu machen versuchen.
vielleicht ist das "Schlimmste" die Vielzahl von irreführenden Definitionen von Liebe, da sie sich als ungesunde Unwahrheiten offenbaren. Der bekannte Klassiker ist: "In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt!" usw.
das Alte Testament sieht es sogar als not-wendig an, den Tod bzw. das Sterbenmüssen zu bedenken: "Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden", wörtlich: "Lehre uns unsere Tage zählen, dass wir dem Herzen Weisheit zukommen lassen." Mit anderen Worten: Erst das Bedenken unserer Endlichkeit lässt uns weise werden. Unsere Gegenwart zeichnet sich aber dadurch aus, dass wir unsere Endlichkeit weitgehend verdrängen. Interessant wäre die Frage, inwiefern dieses Verdrängen der menschlichen Torheit in allen Bereichen des Lebens Vorschub leistet.
Beuys' Satz kann ich nur als Ironie oder Galgenhumor verstehen. Dass auch Sterben seine von Gott bestimmte Zeit hat, ist ebenfalls eine Einsicht alttestamentlicher Weisheit: "Geboren werden hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit" (Pred/Koh 3,2). Renards Satz hat sicher etwas Wahres. Ich frage mich aber, warum wir dann den Tod so sehr fürchten. Gehört das zur Ambivalenz des menschlichen Seins: Wir wollen auf keinen Fall tot sein, können aber auch nicht ohne den Tod leben?
Nicht sterben zu können wäre wahrscheinlich eine ziemlich hoffnungslose Angelegenheit; denn wir müssten dann ja in dieser Welt, so wie sie ist, ohne einen Ausweg existieren. Insofern steckt im Sterbenmüssen die einzige Hoffnung auf nicht nur partiell, sondern fundamental "bessere Verhältnisse". Das schließt für mich nicht aus, sondern ein, sich für fundamental Besseres einzusetzen. Yehudi Menuhin meinte: "Wir müssen für das Unerreichbare kämpfen."
der Irrtum und die Irreführung bezüglich der Liebe ist vielleicht genauso schlimm wie die Hoffnungslosigkeit im Tod, weil diese Hoffnungslosigkeit ganz einfach lieblos ist - gegenüber der eigenen Person und gegenüber allen anderen. Die Hoffnung über den Tod hinaus hingegen ist liebevoll und tröstlich, weil gebunden an den uns über den Tod hinaus liebenden Gott.
Den Satz "In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt" finde ich einfach nur dümmlich, und er ist ja noch nicht einmal rein weltlich, nämlich eherechtlich und völkerrechtlich, anerkannt.