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Unverlierbarer Sinn

Christsein verstehen
Veröffentlicht von in Theologie verständlich · 18 Juli 2020
Tags: AngstHoffnungLebenssinnLeidGottverlassenheit

Unverlierbarer Sinn
Klaus Straßburg | 18/07/2020

Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat mich vor allem in den Jugendjahren bewegt und auch belastet. Gibt es etwas, was unserem Leben eine letzte Bedeutung gibt? Kann es einen Sinn geben, wenn alles vergänglich ist und am Ende nichts von uns bleibt? Wir sterben, unsere Angehörigen und Freunde sterben, und irgendwann in gar nicht so langer Zeit kennt niemand mehr unseren Namen. Dass wir einmal da waren, dass wir uns durchs Leben gekämpft haben – hat das irgendeine Bedeutung?

Die Freude am Leben könnte dem Leben Sinn verleihen. Aber was ist mit den Zeiten, die keine Freude kennen, in denen der Lebenskampf die Tage regiert? Ist nicht jede Freude durchsetzt von Schwerem, und ist sie nicht äußerst vergänglich? Welchen Sinn hat Freude, wenn nichts von ihr bleibt?

Gute Taten könnten unserem Leben Bedeutung verleihen. Aber wie können gute Taten Bedeutung haben, wenn das Gute so schnell vergeht und auch die, denen wir Gutes taten, einmal sterben werden?

Vielleicht waren das typische Fragen eines Jugendlichen. Später traten sie für mich in den Hintergrund. Und dennoch stellt sich die Frage nach dem Sinn denen, die sie nicht verdrängen, immer wieder.

Die Existenzphilosophen (Jean-Paul Sartre, Albert Camus) stellten sich schonungslos der Sinnlosigkeit des Lebens. Folgt man ihnen, dann ist alles absurd. Nichts hat Bestand. Leid und Tod zermalmen alles, was wir uns als bedeutungsvoll ausmalen.

Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer hat die Erfahrungen, die er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft machte, aufgeschrieben (unter dem Titel „... und führen, wohin du nicht willst. Bericht einer Gefangenschaft", Christian Kaiser Verlag München, 7. Auflage 1953). Dort berichtet er davon, dass Gefangene immer wieder quälenden Vernehmungen unterzogen wurden, dass sie gefoltert und etliche von ihnen zu sibirischem Straflager verurteilt wurden. Dort gab es kaum Hoffnung auf Rückkehr, dort drohte ihnen der Tod.

Wem das langjährige Straflager bevorstand, dessen Überstehen, wenn er nicht vorzeitig entlassen wurde, kaum zu erhoffen war, dem war nun alles genommen, worin er bisher den Sinn seines Daseins, auch den Sinn seines Durchhaltens in der Gefangenschaft erblickt hatte. Die Philosophien, die bis dahin zu genügen schienen, die deutschtümelnden, die naturalistischen und die idealistischen, waren zerbrochen, und nur die bleierne Resignation blieb übrig. Was aber diesen Menschen sagen? (S. 325)

Wenn alle Weltanschauungen zerbrechen, wird das Leben sinnlos. Aller Halt geht verloren. Der Mensch fällt in ein Loch, in dem es nichts als bleierne Resignation gibt. Gollwitzer stellte sich selbst die Frage: Was soll man diesen Menschen an guten Worten mitgeben? Kann das Evangelium sich angesichts solchen Leidens und solcher Hoffnungslosigkeit bewähren?

Auch Mitglieder des Bibelkreises im Gefangenenlager blieben nicht davon verschont, gefoltert und nach Sibirien geschickt zu werden. Welchen Sinn hatte das Leben noch, wenn der Tod in Sibirien drohte? Wenn alles verloren schien, was den letzten Funken Hoffnung am Glimmen erhalten hatte?

Wer aber auch in dieser Lage das Evangelium mit dem Herzen hören durfte, dem versprach es volle Sinngebung, indem es die irdische Zeit als bloßen Durchgang auf das ewige Leben hin zeigte (wie töricht erschienen uns nun die, die in dieser Verheißung christliche Weltflucht gesehen hatten!), indem es beharrliche Gegenwart des Wortes Gottes verhieß und konkrete Aufgaben in Aussicht stellte dadurch, daß es an die Leidensgefährten erinnerte, für die einer da sein konnte, und schließlich indem es zeigte, daß einer auch einsam in einem Kerker verfaulend bis zum letzten Atemzuge Kraft erhalten kann, Gott zu loben und darin einen unverlierbaren Sinn jeder Stunde zu finden. Weil es das Evangelium des Kreuzes und der Auferstehung ist, kann es halten, was es verspricht. (S. 326)

Was war die Erfahrung des Gefangenen, manchmal Verzweifelten, der fern der Heimat vom Tod bedroht war?

Es war die Erfahrung, dass man das Evangelium mit dem Herzen hören musste. Nicht einfach mit dem Kopf, mit der Vernunft, die immer skeptisch ist. Sondern mit dem Herzen, das kindlich vertraut und sich den Kopf zu Hilfe nimmt, um das Evangelium zu verstehen.

Nicht der Kopf spielt die Hauptrolle und damit die Skepsis, die das Vertrauen untergräbt, sondern das Herz und damit die vertrauensvolle Hingabe an das, was geschrieben steht. Der Kopf ist damit nicht ausgeschaltet, sondern an den Platz gerückt, der ihm gebührt: der dem suchenden Herzen zum Verstehen hilft.

Ohne dieses grundsätzliche Einverständnis des Herzens mit dem Evangelium hat der Glaube es schwer.

Herz und Kopf sagen dann gemeinsam: Was ich lese oder höre, ist das Evangelium des Kreuzes und der Auferstehung, also die frohe Botschaft des Leidens und Sterbens und zugleich des Überwindens und Lebens. Es geht nur durch Leid und Tod hindurch zur Hoffnung und zum Leben, nur durch die Erfahrung der Sinnlosigkeit hindurch zur vollen Sinngebung.

Diese Erfahrung eines Lebenssinns ist kein billiges „Alles wird gut", das so leicht dahingesagt ist. Es ist die Erfahrung eines Menschen, der durch Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hindurchgegangen ist und der so das Geschenk des Glaubens erhalten hat.

In diesem Glauben erscheint die irdische Zeit als bloßer Durchgang zum ewigen Leben: Die irdische Zeit ist nichts Endgültiges, sondern etwas Vorläufiges, Vorübergehendes, das dem Leben keinen Sinn geben kann. Der Sinn liegt jenseits dieses Lebens: im Endgültigen, Bleibenden, Ewigen.

Wer das nicht anerkennt, erscheint den Leidenden als töricht, also dumm. Es ist die Dummheit der Intelligenten, die meinen, die Hoffnung auf das Endgültige, auf das ewige Leben sei nichts weiter als Weltflucht. Dabei sind sie selbst auf der Flucht, nämlich vor der Wirklichkeit, zu der auch Gott gehört und die eben deshalb mehr ist als die nackte Welt.

Dass die Hoffnung der Glaubenden keine Flucht aus der Welt ist, zeigt sich auch daran, dass das Evangelium konkrete Aufgaben in Aussicht stellt: Es gibt für den Leidenden noch etwas zu tun in der Welt. Er kann dem Nächsten zur Seite stehen in dessen Leid. Er kann es besser als jeder andere, der dieses Leid nicht selbst erfährt.

Wo du leidest, kannst du da sein für den Nächsten, der auch leiden muss. Du bist Experte für das Leid, das dich getroffen hat, und darum Experte dafür, andere Leidende zu trösten.

Das gibt deinem Leben Sinn. Das Gute zu tun ist darum nicht sinnlos, weil du damit Gottes Liebe und Segen für den Mitmenschen weitergibst. Deine Tat erzählt von Gottes Liebe. Und Gottes Liebe bleibt in Ewigkeit.

Du wirst schließlich auch dann, wenn du nichts mehr für andere tun kannst, nicht verlassen sein. Es gibt die beharrliche Gegenwart des Wortes Gottes, die Gegenwart Gottes selbst, der beharrlich und treu zu dir spricht, dich tröstet, dir Kraft gibt. Es gibt diese Gegenwart Gottes und diese Kraft auch im qualvollen Sterben, so dass ein Mensch sogar darin Gott loben und einen unverlierbaren Sinn jeder Stunde finden kann.

Es ist ein Wunder, wenn ein Mensch so sterben kann. Wir können das nicht „machen", sondern es uns nur schenken lassen. Es gibt keine Garantie dafür, dass du so sterben kannst.

Jesus starb nach zwei der vier neutestamentlichen Evangelien im Gefühl der tiefen Verlassenheit von Gott – weit entfernt von einem Lob Gottes (Mk 15,34; Mt 27,46). Es gibt keine Garantie dafür, dass Gott dir das Gefühl seiner Nähe schenkt. Aber es gibt die Verheißung, dass er dich nicht lange verlässt (Jes 54,7f), dass er sogar bei dir ist jeden Tag deines Lebens – auch am Tag deines Sterbens (Mt 28,20b). Auch dann, wenn du dich von ihm verlassen fühlst.

Dass Gott dich niemals lange verlässt, dass er auch in deiner Verlassenheit bei dir ist, dass er deine Lebensgeschichte segnen (Gen/1Mo 12,3; 26,24) und dich schließlich endgültig zu sich ziehen will (Jer 31,2f; 1Tim 2,4) – das gibt deinem Leben einen unverlierbaren Sinn.


* * * * *




5 Kommentare
2020-07-21 20:19:47
Die Frage nach dem Sinn des Lebens habe ich mir vor -zig Jahren so beantwortet:

Das Leben trägt seinen Sinn in sich. Man kann seinem Leben Sinn darüber hinaus geben, aber man muss nicht.

Dabei bleibe ich im Grunde bis heute.
2020-07-21 21:09:53
Ich kenne das: Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst.

Meine Frage war immer schon und ist noch heute: Wo bleibt der Sinn, wenn das Leben endet?
2020-07-22 11:11:10
Der Tod ist für mich integraler Bestandteil des Lebens. Und jede Eintagsfliege ist Teil des großen Lebensstroms. Der Sinn trägt sich weiter, auch wenn das individuelle Leben endet.
pneumatheou
2020-09-28 11:47:05
Wie sagt schon ein guter Freund: Der Geist ist sehr nützlich, das Fleisch aber nutzlos, und in Bezug auf die Worte Gottes: Sie sind Geist und Leben, ja ewiges Leben. Dabei ist der Tod nur ein Umzug in etwas Neues. Wie ein Kleiderwechsel, weil die alten Kleider unbrauchbar geworden sind. Wie wenn man in der Schule der Liebe versetzt wird, weil man nicht mehr die Klasse wiederholen muss und für Neues bereit ist. Das Leben endet allerdings dann für jemanden, wenn die Fähigkeit zur Reue für die Liebe erloschen ist. Das ist weit mehr als der irdische Tod und Abschied. So ist der irdische Tod nur ein Wechsel auf der Reise, von Auto ins Flugzeug, von Fuß zu Bus, ... aber nie allein und immer mit Gleichgesinnten und Freunden. Der Tod ist eine gute Sache und eine Erlösung und ein Gewinn für den, der schon vorbereitet ist für das Kommende.
2020-09-28 12:21:12
Danke für deine Ergänzungen. Das Bild "Umzug in etwas Neues" gefällt mir spontan. Die körperliche Dimension des Todes ist wohl (abgesehen vom mitunter leidvollen Sterben) gar nicht das Schlimme am Tod, sondern die Trennung von Gott ist das eigentlich Schlimme: Das Leben, Sterben und Totsein außerhalb der Gemeinschaft mit Gott. So kann man tot sein (im geistlichen Sinn) auch schon dann, wenn die Körperfunktionen hervorragend funktionieren. Dazu habe ich etwas geschrieben im Artikel "Von lebendigen Toten und toten Lebendigen" vom 9.4.2020.
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