Über Dummheit (Teil 2)
Klaus Straßburg | 24/11/2021
Der erste Teil dieses Artikels beschäftigte sich mit den Fragen, was Dummheit eigentlich ist und wie sie mit Massenbewegungen zusammenhängt. Dieser zweite Teil fragt danach, wie wir mit Dummheit umgehen können und wo sich Dummheit gegenwärtig konkret zeigt. Außerdem gibt es eine kurze Zusammenfassung dessen, was mir an Einsichten über die Dummheit wichtig geworden ist.
5. Zum Umgang mit Dummheit
Wie wir Dummheit begegnen können, darüber gehen die Meinungen auseinander. Harald Welzer betont [1]:
Es gibt eine moralische Verantwortung, gegen Dummheit Position zu beziehen, wo immer sie in Erscheinung tritt. Das ist mühsam, tut manchmal weh und steht immer unter der dunklen Wolke der Vergeblichkeit. (S. 250)
Anders urteilt Dietrich Bonhoeffer [2]:
Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse läßt sich protestieren, es läßt sich bloßstellen [...] Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt läßt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch [...]; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich. (S. 16f)
Ich persönlich habe monatelang Kontakt zu einem Bekannten aus der Jugendzeit gehabt und mich mit ihm über die politische Situation ausgetauscht. Der Kontakt wurde immer wieder von ihm gesucht, und viele E-Mails flogen hin und her. Dabei hatte ich das Gefühl, dass ich ihn nicht erreichen kann. Alle Argumente, die ich brachte, schienen nicht zu zählen. Mehrmals hat er dann den Dialog abgebrochen, bis er sich das nächste Mal meldete. Aber es war etwas wie eine Mauer zwischen uns. Es war genau so, wie Bonhoeffer es beschrieben hat: Argumente zählten nicht, Tatsachen wurden nicht geglaubt, er setzte seine „Tatsachen" dagegen, Andersdenkende wurden verunglimpft, und irgendwann war er so gereizt, dass er den Kontakt ganz abgebrochen hat. Ich habe von anderer Seite gehört, dass dort ähnliche Erfahrungen gemacht wurden.
Wie also soll man im Umgang mit Dummheit verfahren? Ich denke, man sollte zunächst das Gespräch mit einem Menschen suchen. Man merkt ja ziemlich schnell, ob die eigene Meinung zumindest wahrgenommen wird oder nicht. Wenn allerdings nach geraumer Zeit kein Entgegenkommen spürbar ist, halte ich es für angebracht, sich nicht weiter um eine Annäherung zu bemühen. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, muss jede und jeder selbst entscheiden. Aber viel Zeit und Energie in ein offensichtlich aussichtsloses Unternehmen zu stecken, scheint mir nicht sinnvoll. Da gibt es wahrscheinlich wichtigere Dinge zu tun.
Insofern sehe ich sowohl „eine moralische Verantwortung, gegen Dummheit Position zu beziehen, wo immer sie in Erscheinung tritt" (Welzer), als auch einen Schlusspunkt aller Versuche, „den Dummen durch Gründe zu überzeugen" (Bonhoeffer).
Bonhoeffer eröffnet übrigens noch einen ganz anderen Weg, Dummheit zu überwinden, den ich auch für entscheidend halte:
Es ist gerade hier ganz deutlich, daß nicht ein Akt der Belehrung, sondern allein ein Akt der Befreiung die Dummheit überwinden könnte. Dabei wird man sich damit abfinden müssen, daß eine echte innere Befreiung in den allermeisten Fällen erst möglich wird, nachdem die äußere Befreiung vorangegangen ist; bis dahin werden wir auf alle Versuche, den Dummen zu überzeugen, verzichten müssen. [...] Das Wort der Bibel, daß die Furcht Gottes der Anfang der Weisheit sei (Psalm 111,10), sagt, daß die innere Befreiung des Menschen zum verantwortlichen Leben vor Gott die einzige wirkliche Überwindung der Dummheit ist. (S. 18)
Bonhoeffer reflektiert hier seine enttäuschenden Erfahrungen während des Nazi-Regimes und spielt auf den weisheitlichen Grundsatz an, dass die Furcht Gottes der Anfang aller Weisheit und damit das Ende der Dummheit ist. Es ist wohl nicht falsch, dass die äußere Machtausübung eine innere Befreiung erschweren kann. Dennoch verstehe ich den Akt der inneren Befreiung als eine Tat Gottes und würde nicht voraussetzen, dass der inneren Befreiung zunächst die äußere Befreiung vorangegangen sein muss. Ich halte es für möglich, dass eine Tat Gottes auch bei äußerer Gefangenschaft eines Menschen dessen innere Befreiung bewirken kann.
Michael Kröger hat in einem Kommentar zum ersten Teil dieses Artikels darauf hingewiesen, dass Menschen in gesellschaftlichen Krisen umso mehr dazu neigen, „an ihren alten Gewohnheiten, Vorurteilen und Trägheiten ängstlich festzuhalten". Ich finde das einleuchtend und verständlich, weil das Alte und Wohlbekannte für uns handhabbar ist, das Neue und Unbekannte aber nicht. Darum erfordert es Mut und innere Standfestigkeit, das Neue und Unbekannte zu akzeptieren und sich darauf einzulassen.
Ich denke, dabei kann der Glaube helfen, dass unser Leben letztlich immer Unwägbarkeiten mit sich bringt und dass wir trotz alles nicht Planbaren in Gottes Hand gut aufgehoben sind. Das würde der biblischen Sicht entsprechen, dass die Ehrfurcht vor Gott, also die Anerkennung Gottes und der Glaube an ihn, der Grund innerer Freiheit und damit auch der Grund eines von Verführung und Verblendung befreiten Verhaltens ist. Denn ein Mensch, der sich auch in den Krisen des Lebens „von guten Mächten wunderbar geborgen" weiß, ist frei davon, sich angesichts neuer Probleme an Altbekanntes zu klammern. Er muss sich nicht der Illusion hingeben, alles unter Kontrolle zu haben.
Das schließt nicht aus, dass auch höchst religiöse Menschen innerlich gebunden sein können, dass also ihre Ehrfurcht vor Gott und ihr Glaube nur eine unvollkommene Ehrfurcht und ein mangelhafter Glaube sein können.
6. Zusammenfassung
Ich möchte zunächst kurz das zusammenfassen, was mir von den bisherigen Einsichten wichtig geworden ist. Danach möchte ich diese Einsichten auf unsere Gegenwart beziehen.
Wichtig sind mir folgende Punkte geworden:
- Die Bibel stellt einen Zusammenhang her zwischen Dummheit einerseits und der Ablehnung Gottes sowie der Missachtung seiner der Schöpfung eingestifteten Ordnungen und seines heilsamen Willens andererseits. Unglaube ist demnach besonders der Gefahr der Dummheit ausgesetzt.
- Religiöse Menschen können vordergründig gläubig sein, aber hinsichtlich ihres Lebenswandels in einem „praktischen Atheismus" (Gerhard von Rad) verharren [3].
- Dummheit ist ein Mangel an Realitätssinn. Denn die der Schöpfung eingestifteten Ordnungen (Altes Testament) und die Hoffnung weckende Zukunft des Reiches Gottes (Jesus) sind Teil unserer Realität.
- Dummheit ist ein Mangel an eigenem kritischen und selbstkritischen Denken. Das führt zu zweierlei: Einerseits wird allgemein Anerkanntes übernommen und Altbekanntes festgehalten. Andererseits lässt man sich leicht manipulieren und verführen.
- Das Eintauchen in eine Masse Gleichgesinnter begünstigt Dummheit, weil abweichende Meinungen nicht mehr wahrgenommen werden und man sich stattdessen der Masse und ihren Meinungsmachern oder Führergestalten fraglos anschließt.
- Der Reiz, zu einer Masse von Menschen zu gehören, besteht in dem Gefühl, dort Bedeutung und Macht zu haben, Einfluss nehmen zu können und seinem Leben einen Sinn zu geben.
- Dummheit zeichnet sich durch ein hohes Maß an Unzugänglichkeit und Uneinsichtigkeit aus. Sie lässt sich auch durch gute Argumente nur schwer eines Besseren belehren. Jeder gegen Dummheit argumentierende Mensch muss daher selbst entscheiden, wann für ihn die Fortsetzung der Überzeugungsarbeit aussichtslos und reine Energieverschwendung geworden ist.
- Dummheit wird nicht allein durch naturgegebene Fähigkeiten des Menschen überwunden. Sie wird vielmehr überwunden durch den Geist Gottes, der von Dummheit nicht durch Macht und Stärke befreit, sondern dadurch, Gottes „Schwäche", die in Wahrheit Stärke ist, zu teilen. Das heißt: Der vom Geist Gottes erfüllte Mensch kann zum einen an der „Schwachheit" der in Not geratenen Geschöpfe Anteil nehmen und dadurch bewegt weise handeln (Paulus, Bonhoeffer). Er kann zum anderen zu seiner „Schwäche" stehen, das Leben trotz aller Bemühungen letztlich nicht unter Kontrolle zu haben, und sich deshalb im Vertrauen auf Gottes Geleit neuen, noch unbekannten Versuchen zur Problemlösung öffnen.
7. Aktualisierungen
Weil wir alle manchmal dumme Gedanken haben, dummes Zeug reden und dumme Sachen machen, spreche ich nicht von dummen Menschen, sondern vom dummen Verhalten von Menschen, die durchaus nicht prinzipiell dumm sein müssen. Eine klare Scheidung zwischen Dummen und Klugen gibt es nicht, wenngleich es sicher Menschen gibt, denen dummes Verhalten näherliegt als anderen und die deshalb öfter etwas Dummes tun als andere.
Das vorausgeschickt möchte ich die gewonnenen Einsichten auf vier aktuelle gesellschaftliche Problemkomplexe anwenden.
Klimawandel
Eine wichtige christliche Einsicht besteht darin, dass Gott seiner Schöpfung Ordnungen eingestiftet hat, denen zu folgen vor Dummheit bewahrt. Hier ist im globalen Bereich zum Beispiel der Umgang mit dem Klimawandel zu nennen. Den Klimawandel zu leugnen oder seine Eindämmung in der Praxis zu unterlaufen, wird man als dumm bezeichnen dürfen, weil die natürlichen Ordnungen der Schöpfung damit missachtet werden.
Man kann diesbezüglich von einem „praktischen Atheismus" (Gerhard von Rad) sprechen, der seit Jahrzehnten unser Handeln bestimmt. Denn wir haben die Warnungen vor den Grenzen des Wachstums auf Kosten der natürlichen Ressourcen, die es seit den 1970er Jahren gibt, weitgehend in den Wind geschlagen. Die Folgen dieses Handelns bekommen wir jetzt in neuer Schärfe zu spüren. Ein konsequent anderes Denken und vor allem Handeln ist in weiten Teilen der Welt noch nicht erkennbar. Stattdessen werden wider besseres Wissen die natürlichen Ordnungen weiterhin verletzt.
Für sogenannte „Klimaleugner" stellt sich außerdem das Problem, dass sie sich meist in einer Blase Gleichgesinnter bewegen, so dass sie ihre Gesinnung nicht kritisch beleuchten und in Frage stellen. Das führt zu einem Verlust von Realitätssinn, zu Verführbarkeit, Verblendung und Unbelehrbarkeit (siehe zum christlichen Begriff der „Verstockung" auch den Artikel Eine aktuelle Verhärtung, ihre Folgen und ihre Heilung.
Corona-Pandemie
Dasselbe gilt für sogenannte „Coronaleugner". Auch sie befinden sich oft in einer Blase Gleichgesinnter. Die Pandemie, die Gefährlichkeit der Erkrankung oder gar die Existenz des Virus zu leugnen, kann man aber angesichts der naturwissenschaftlichen Belege als dumm bezeichnen. Es ist schlichtweg Realitätsverweigerung.
Anders sehe ich diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen. Man kann sie nicht alle über einen Kamm scheren, sondern muss differenzieren. Denn die Impfung gegen das Virus zu verweigern, kann viele unterschiedliche Beweggründe haben (siehe auch die neue Studie zu sogenannten „Querdenkern" in Baden-Württemberg). Ich kann hier nur auf einige Gründe, sich nicht impfen zu lassen, eingehen.
Es gibt Menschen, die aus sozial prekären Verhältnissen kommen, sich vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen fühlen und genug damit zu tun haben, ihr tägliches Leben zu organisieren. Die Sorge um den täglichen Lebensunterhalt ist für sie mitunter wichtiger als eine Impfung. Schwer verständliche staatliche Vorgaben und ein kompliziertes Anmeldeverfahren zur Impfung können weitere Hemmnisse sein, den Weg zur Impfung anzutreten. Hier würde ich nicht von Dummheit sprechen, sondern von Überforderung.
Andere Menschen haben schlicht keinen Hausarzt und seit Jahren überhaupt keinen Arzt mehr aufgesucht. Das kann man als dumm bezeichnen. Es erschwert jedenfalls für manche den Gang zum Arzt oder ins Impfzentrum. Hilfreich könnte es sein, wenn staatlich organisiert der Arzt zu den Menschen kommen würde, z.B. in die Siedlung, in den Supermarkt, auf den Marktplatz. Dumm könnte es sein, wenn der Staat diese Möglichkeiten nicht erkennt und nicht in ausreichendem Maße praktiziert.
Des weiteren gibt es Menschen, welche die dringende Notwendigkeit einer Impfung nicht erkannt und sich deshalb die Zeit für das Impfverfahren nicht genommen haben. Sie fühlen sich fit genug, eine Infektion auch ohne Impfung zu überstehen. Die Gefahr einer schweren Erkrankung wird von ihnen möglicherweise verdrängt. Das ist zwar dumm, aber der Verdrängungsmechanismus ist kein Einzelfall. Ich gehe davon aus, dass Verdrängung von Gefahren von uns allen hier und da praktiziert wird. Insofern sind wir alle vor Dummheit nicht gefeit.
Andere Menschen haben echte Angst vor den Nebenwirkungen einer Impfung und lassen sich deshalb nicht impfen. Sie sind vielleicht sogar gut informiert, trauen aber den Aussagen der Experten nicht. Fakt ist, dass die vorliegenden Impfungen kein jahrelanges Prüfverfahren durchgemacht haben. Angst ist nicht Dummheit, sondern kann ein Warnsignal sein. Sie ist aber nicht immer ein guter Ratgeber.
Hier könnte eine umfangreiche staatliche Aufklärungskampagne helfen, die aber in meinen Augen nicht stattgefunden hat. Dennoch steht allen, die Angst haben, in den verfügbaren Medien ausreichend Informationsmaterial zur Verfügung. Außerdem zeigt die Statistik, dass bei inzwischen Milliarden weltweit geimpfter Menschen schwere Impfnebenwirkungen nur bei einem verschwindend geringen Anteil der Geimpften aufgetreten sind und dass die Gefahr durch eine Erkrankung um ein Vielfaches größer ist als durch eine Impfung.
Über Spätfolgen der Impfung lässt sich naturgemäß noch nichts Endgültiges sagen. Es gibt zwar Expertinnen und Experten, die eine Gefahr von Spätfolgen sehen. Meines Wissens ist es aber eine große Mehrheit, die Spätfolgen ausschließt.
Ich tue mich schwer damit, einen Menschen, der sich um seine Gesundheit sorgt, als dumm zu bezeichnen. Allerdings könnte es dumm sein, die zur Verfügung stehenden Informationen und Statistiken nicht in angemessener Weise wahrzunehmen und zu interpretieren und sich stattdessen auf unseriöse Informationsquellen zu berufen.
Aus christlicher Sicht kann ich nur sagen: Der Glaube, dass das eigene Leben letztlich weder einer Impfung noch einer Infektion ausgeliefert ist, sondern in Gottes Hand liegt, ist ein gutes Mittel auch gegen die Angst. Der Glaube liefert sich Gott aus, ohne leichtsinnig zu sein.
Das bedeutet auch, dass ein glaubender Mensch nicht davon ausgehen kann, Gott werde ihn schon vor einer schweren Erkrankung bewahren. Das Jesuswort „Ich habe euch Macht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten" (Lk 10,19) ist kein Freibrief zur Unvernunft, sondern eine Verheißung für Notsituationen, in denen Gott uns seine Hilfe und Rettung gewähren will. Das schließt die Hoffnung ein, dass Gott rettet, wenn er es will und nicht, wenn wir es uns wünschen oder gar herausfordern. Das Jesuswort muss darum immer im Zusammenhang mit dem anderen Wort gesehen werden „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen" (Lk 4,12).
Es gibt auch Menschen, die eine Impfung als Eingriff in die natürlichen Abläufe ihres Körpers verstehen (z.B. Anhänger der Homöopathie, der Esoterik oder der Anthroposophie). Sie möchten ihrem Körper keine „unnatürlichen" Stoffe zuführen. Ich kann das Argument verstehen, weise aber darauf hin, dass ein solcher Mensch dann konsequenterweise auch keinerlei chemisch hergestellte Medikamente zu sich nehmen dürfte. Das wiederum halte ich für fragwürdig, weil ich denke, dass auch diese Medikamente Gaben Gottes sind, die er durch Menschen herstellen lässt. Außerdem tragen wir ja auch mit Chemikalien gefärbte Kleidung am Körper, nutzen chemisch hergestellte Kunststoffe und hantieren im Haushalt mit einer Vielzahl anderer chemisch gewonnener Materialien. Man kann zwar versuchen, den Gebrauch solcher Materialien so gering wie möglich zu halten, aber gerade eine Impfung, die Leben retten kann, sollte dann nicht unbedingt dazu dienen, die Aufnahme von Chemikalien durch unseren Körper zu verringern.
Ein Teil der Menschen unterliegt der Gefahr, durch Verschwörungsmythen zu dummem Verhalten bewegt zu werden. Man kann sich in solche Mythen geradezu hineinsteigern. Das kann man nur dumm nennen, und es demonstriert die Verführbarkeit von Menschen. Dagegen hilft nur eigenständiges und auch selbstkritisches Denken.
Diese Aufzählung von Gründen, sich nicht impfen zu lassen, ist, wie gesagt, nicht vollständig. Sie zeigt aber, dass nicht alle „Impfverweigerer" gleichermaßen als dumm zu bezeichnen sind. Ich würde diesen Menschen auch zugestehen, die Impfung zu verweigern, dann aber mit der Verpflichtung, Kontakte zu anderen so stark wie möglich einzuschränken und sich regelmäßig zu testen, um so eine Ansteckung anderer zu vermeiden.
Ich will noch einmal betonen, dass es mir nicht darum geht, einen Menschen als durchweg dumm zu bezeichnen. Es geht mir nur darum, auf mögliche dumme Verhaltensweisen in der Frage der Impfung hinzuweisen. Dumm und eine Art Realitätsverweigerung könnte es jedenfalls sein, eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse nicht gelten zu lassen oder sich wissenschaftlichen Außenseitermeinungen anzuschließen, die einer Nachprüfung nicht standhalten. Auf der anderen Seite könnte auch eine kritiklose Wissenschaftsgläubigkeit dumm sein.
Klug würde ich es nennen, für die vorhandenen Impfstoffe dankbar zu sein, ihre relative Sicherheit bei inzwischen Milliarden geimpfter Menschen anzuerkennen, die Gefahren der Erkrankung nicht zu unterschätzen und folglich durch eine Impfung sich und andere zu schützen. Und wenn jemand stichhaltige Informationen über gefährliche Nebenwirkungen der Impfung zu haben meint, wäre es klug, diese mit den Informationen Andersdenkender (das müssen keine Ärzte oder Wissenschaftler sein) abzugleichen. Nur durch das Gespräch mit Andersdenkenden entgeht man der Blase Gleichgesinnter, in der man nicht dazulernen kann und deshalb unbelehrbar bleibt. Ein solches Verhalten wäre dann wirklich dumm (das gilt natürlich auch für diejenigen, die eine Impfung befürworten und sich mit Gegenargumenten gar nicht befassen).
Eine Impfpflicht für alle halte ich in Deutschland für unangebracht. Und zwar aus zwei Gründen:
Zum einen wäre eine Impfpflicht ein Eingriff in das Recht des Menschen, selbst zu bestimmen, was seinem Körper zugeführt werden darf und was nicht. Dieses Recht hat freilich – wie jedes Recht – seine Grenze in der Gefährdung des Mitmenschen. Darum kann eine Impfpflicht für Menschen, die „körpernahe Dienstleistungen" erbringen, sinnvoll sein. Für alle anderen nicht Impfwilligen würden Sonderregelungen über Kontaktbeschränkungen ausreichen, wie sie jetzt auch in Deutschland beschlossen wurden. Diese Sonderregelungen, zum Beispiel kein oder nur eingeschränkter Zutritt zu Cafés, Restaurants und Veranstaltungen, müssten die Impfverweigerer in Kauf nehmen, weil ihr Recht, sich nicht impfen zu lassen, zugleich die Pflicht bedeutet, andere vor Ansteckung zu bewahren. Als dumm, weil unsozial, kann man es bezeichnen, wenn jemand auf sein Recht pocht, ohne die damit verbundene Verantwortung für seine Mitmenschen in den Blick zu nehmen. Die Regelungen müssten allerdings konsequent überprüft und durchgesetzt werden. Sollte das nicht möglich sein, entfällt dieses Argument.
Zum anderen aber, und das ist mir noch wichtiger, halte ich eine Impfpflicht für alle in Deutschland für nicht angebracht, weil sie von allen maßgeblichen deutschen Politikern immer wieder kategorisch ausgeschlossen wurde. Das war wahrscheinlich dumm, weil man in dieser Pandemie niemals etwas ausschließen sollte. Doch würde man jetzt trotz dieser Festlegung eine Impfpflicht für alle einführen, dann würde das die Politik (einmal mehr) als unehrlich und vertrauensunwürdig darstellen und in der Folge davon Staatsverdrossenheit und Demokratiefeindlichkeit erhöhen. Ich halte Ehrlichkeit und Verlässlichkeit in der Politik (wie auch im sonstigen Leben) für eines der höchsten Güter, das auch die Demokratie stabilisiert. Dieses Gut einfach über Bord zu werfen, wäre dumm. Es würde auch der christlichen Gottesbeziehung widersprechen, die sich durch Wahrhaftigkeit und Vertrauen auszeichnet. Wahrhaftigkeit und Vertrauen sollen aber auch zwischen Menschen praktiziert werden.
Aber könnte es nicht klug sein, den Fehler, eine Impfpflicht auszuschließen, jetzt einzugestehen und doch noch eine Impfpflicht zu verhängen? Als letzte Notlösung könnte ich mir das vorstellen. Aber es müsste das echte, überzeugende Eingeständnis eines Fehlers sein, verbunden mit einer Entschuldigung. Dass gegenwärtig über eine Impfpflicht so diskutiert wird, als habe es deren Ausschließung nie gegeben, spricht nicht gerade dafür, dass die beteiligten Politiker in ihrer früheren Festlegung einen Fehler sehen.
Ich denke, es wäre klug gewesen, wenn die Politik konsequent versucht hätte, mit ihren die Pandemie eindämmenden Maßnahmen vor die Welle zu kommen, anstatt immer erst auf die bereits anrollende oder sogar über uns zusammenschlagende Welle zu reagieren. Das ist bisher in Deutschland und manchen anderen Ländern nicht geschehen, obwohl man um die Notwendigkeit rechtzeitigen Handelns wusste. Ich kann dieses Versagen in Deutschland nur auf wahltaktische Überlegungen (mehrere Landtagswahlen, Bundestagswahl) und wirtschaftspolitische Interessen zurückführen, denen ein Vorrang gegenüber der Gesundheitspolitik eingeräumt wurde.
Wenn das stimmt, müsste man es wohl als dumm bezeichnen. Denn ein lascher Umgang mit der Pandemie muss früher oder später zu umso stärkeren Maßnahmen führen, die dann sowohl die regierenden Parteien in ein schlechtes Licht rücken als auch die Wirtschaft umso härter treffen. Mir scheint, ein konsequentes Eindämmen der Pandemie für eine kurze Zeit hätte weniger wirtschaftlichen Schaden angerichtet als das ständige Auf und Ab zwischen Öffnungen und (Teil-)Lockdowns. Auch in der aktuellen Situation ist ja keineswegs ausgemacht, ob es nicht noch einmal zu einem deutschlandweiten Lockdown kommen wird.
Die der Schöpfung eingestifteten Ordnungen Gottes lassen sich nicht umgehen. Oder weltlich gesprochen: Mit dem Virus kann man nicht verhandeln; es schlägt erbarmungslos zurück, wo es nicht ernst genommen wird. Das gilt auch für die Entstehung der Pandemie: Wo der Mensch dem Bereich, den Gott den Tieren vorbehalten hat, zu nahe kommt, wo also die dem Menschen gesetzte Grenze überschritten wird, da werden die Ordnungen missachtet. Diese Dummheit hat gefährliche Folgen. Aus ihr zu lernen, würde bedeuten, Gottes Schöpfung und ihre Ordnungen nicht weiterhin zu missachten.
Zum Schluss möchte ich noch zwei weitere Problemkomplexe in aller Kürze ansprechen.
Entwicklung von Feindbildern
Nach einer Zeit der Entspannung zwischen Ost und West stehen sich nunmehr China, Russland und „der Westen" wieder misstrauisch gegenüber. Probleme in den Beziehungen werden der jeweils anderen Seite zugeschoben. So baut sich nach und nach ein Feindbild auf, und das schwer errungene Klima der Entspannung wird innerhalb kurzer Zeit einem Gegeneinander geopfert. Dieses Gegeneinander wird als alternativlos dargestellt, weil die Schuld dafür ja immer dem jeweiligen Gegner zugeschoben wird.
Auch das ist eine Art der Realitätsverweigerung. Das vorhandene Feindbild bestimmt das Denken und Handeln. Man kann gar nicht anders, als jede Bewegung des Gegenübers misstrauisch und somit als potentiell feindlich zu betrachten. Jede als feindlich interpretierte Bewegung muss dann aber mit einer entsprechenden Gegenbewegung beantwortet werden, was die Eskalationsspirale nach oben treibt.
Klug wäre es, das eigene Denken und Handeln einmal selbstkritisch in den Blick zu nehmen. Christlich wäre es, Feindbilder gar nicht erst aufzubauen und einem (tatsächlichen oder imaginierten) Feind mit Gesprächsbereitschaft, Vertrauensvorschuss und deeskalierendem Verhalten zu begegnen. Das wären Mindestanforderungen christlicher Feindesliebe.
Ich hatte oft den Eindruck, dass die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel eine solche deeskalierende Politik versucht und damit auch Erfolge erzielt hat. Ihre stille Diplomatie hat wahrscheinlich öfter, als wir denken, Gutes bewirkt. Denn es ist uns Menschen als Gottes Geschöpfen eingestiftet, miteinander und nicht gegeneinander zu agieren. Ein gutes Leben gibt es nur im Miteinander. Es ist dumm, das in Frage zu stellen und das Gegeneinander für das Normale, Unvermeidliche und ausschließlich durch den „Gegner" Verschuldete zu halten.
Beurteilung von Wirtschaftssystemen
Ein Gegeneinander wird auch oft bezüglich des kapitalistischen und kommunistischen Wirtschaftssystems konstruiert. Auch hierdurch werden Feindbilder aufgebaut.
Die sogenannten kommunistischen Systeme haben sich in den letzten Jahrzehnten so stark verändert, dass sie teilweise sehr kapitalistisch ausgerichtet sind. Es gibt auch in China und Russland milliardenschwere Oligarchen, die mit ihren Unternehmen Karriere gemacht und persönlichen Reichtum angehäuft haben. In den sogenannten kapitalistischen Systemen hingegen gibt es soziale Ordnungen, die einen hemmungslos agierenden Kapitalismus eindämmen sollen. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist dies innerhalb der Grundrechte durch den Artikel 14 Absatz 2 ausgedrückt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen".
Während im Kommunismus die sozialen Menschenrechte betont werden, sind es im Kapitalismus die Freiheitsrechte. Man könnte beide Systeme also (zumindest auch) als Ausdruck unterschiedlicher Akzentsetzungen verstehen. Jedenfalls aber hilft eine Verteufelung des jeweils anderen Systems nicht weiter und baut nur Mauern, wo Brücken gebaut werden sollten.
Es wäre klug, diese unterschiedlichen Akzentsetzungen und auch die Vorteile des jeweils anderen Systems anzuerkennen. Es wäre auch klug, davon auszugehen, dass beide Systeme nebeneinander existieren können, ohne feindliche Ansprüche gegeneinander geltend zu machen. Das würde auch bedeuten, keine Unwahrheiten oder Halbwahrheiten über das jeweils andere System zu verbreiten.
Diese kurzen Bemerkungen können natürlich nicht alle Facetten des Problems beleuchten. Sie wollen nur darauf hinweisen, welche Richtung ein gedeihlicher Umgang mit unterschiedlichen Wirtschaftsformen einnehmen könnte.
8. Schluss
Nach biblischer Vorstellung gründet Weisheit wahrscheinlich gar nicht so sehr in Sachargumenten, als vielmehr in Liebe: in der liebevoll zugewandten, nicht einfach „objektiv" distanzierten Beobachtung der Schöpfung und dann auch in der liebevollen Teilhabe am Leid der Schwächsten in der Gesellschaft und in der Welt; schließlich auch in der empathischen Teilhabe am anderen Menschen, auch am mir gegenüberstehenden Machthaber.
Eine solche Haltung gewinnt Einsichten aus einem wertschätzenden und teilnehmenden Einfühlen in die Schöpfung und die Geschöpfe und gelangt dann auch zu einem entsprechenden Handeln. Der so agierende Mensch tritt nicht als jemand auf, der die Phänomene und Menschen der Welt immer schon in gute und böse eingeordnet hat. Er nimmt vielmehr sich selbst auch kritisch in den Blick und unterstellt dem Gegenüber nicht von vornherein schlechte Absichten. Er tritt also nicht aus einer sich für überlegen haltenden Position der Stärke auf, sondern macht sich selbst in gewisser Hinsicht auch schwach. Er gibt darin sich selbst nicht auf, aber er überhebt sich auch nicht über den anderen und macht sich nicht zum alleinigen Herrscher über Gottes Schöpfung.
Im politischen Miteinander ist es nicht anders als im privaten: Es gelingt nur, wenn man sich selbst zurücknehmen und insofern schwach werden kann – wobei diese Schwachheit aber Stärke ist (1Kor 1,25-29; 2Kor 12,9f), weil sie allein ein gedeihliches Miteinander und ein gutes Leben für alle ermöglicht. Die Kraft zu dieser Schwachheit, die Stärke ist, gibt der Geist des Gottes, der selbst schwach wurde und in die Niederungen der Welt einging, um ein gutes Leben für alle seine Geschöpfe zu ermöglichen.
Anmerkungen:
[1] Alle Welzer-Zitate aus: Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens.
[2] Alle Bonhoeffer-Zitate aus: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft.
[3] Gerhard von Rad: Weisheit in Israel, S. 91.
Literatur:
- Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Herausgegeben von Eberhard Bethge. Neuausgabe. Chr. Kaiser Verlag, 3. Aufl. München 1985.
- von Rad, Gerhard: Weisheit in Israel. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1992.
- Welzer, Harald: Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens. S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021.
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mit dem Folgenden möchte ich Deine tiefschürfenden, weitgreifenden Überlegungen, denen ich größtenteils zustimme, ergänzen. Dabei habe ich nicht die Absicht, Dir zu widersprechen, was vielleicht an einigen Stellen so aussehen könnte.
Trotz
Bei kleinen Kindern kann man erleben, dass sie sagen: "Aber trotzdem!" - nicht mehr und ohne Begründung und nach ihrem Belieben wiederholt. Es kann ernst gemeint sein oder mehr spielerisch, mit einer gewissen "sportlichen" Note, um zu sehen, wer gewinnt. Aus diesem Trotzalter kommen manche Erwachsene nicht heraus, so dass ich ihr Verhalten ebenfalls als dumm bezeichne.
Eitelkeit, Scham
Im Internet wurde kürzlich ein namentlich nicht genannter Professor erwähnt, der zu seinem Gesprächspartner sinngemäß sagte: "Sie haben ja recht, aber wenn ich das öffentlich sagen würde, wäre das das Eingeständnis, dass ich mich geirrt habe; und das möchte ich nicht." Es ist dies die berüchtigte Angst vor dem Gesichtsverlust, die vor allem in fernöstlichen Ländern eine bedeutende Rolle spielt.
Verachtung
Bei Verhandlungen und Streitigkeiten kommt es oft genug vor, dass Gesprächsbereitschaft, Vertrauensvorschuss, deeskalierendes Verhalten, wie Du sie als wünschenswert erachtest, von der Gegenseite als Schwäche ausgelegt wird, die es auszunutzen gilt. Wer so denkt, schätzt den Kontrahenten falsch ein, versteht nicht seine Motivation und verachtet ihn eventuell. Auch das ist letztendlich "dumm". (Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte: die Appeasement-Politik westeuropäischer Politiker gegenüber Hitler kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, die zum Münchner Abkommen und dessen üblen Folgen führte.)
Schwachheit vs. Stärke
Was Du mit Rückgriff auf die Bibel und den christlichen Glauben über diese beiden Begriffe schreibst, können - höchstens - nur diejenigen verstehen, die mit ihm vertraut sind. Auf viele unserer politischen Gegner trifft das nicht zu. Eine Reihe von ihnen sind sogar ausgesprochene Feinde des Christentums.
Viele Grüße
Hans-Jürgen
ich teile im Grunde viele Deiner Gedanken und Bewertungen von aktuellen "Dummheiten" so vieler Menschen, wie sie vor allem in der jetzigen Corona-Epidemie deutlich geworden sind. Was mich allerdings doch letztlich etwas stört ist Deine unterschwellige Ausgrenzung der menschlichen Dummheit. Von Joseph Beuys, einem, wie ich finde, sehr klugen Künstler, stammt die scheinbar provozierende Idee: "Ich bin auf der Suche nach dem Dümmsten." Was Beuys mit dieser paradoxen Formulierung im Sinn hatte, war wohl Folgendes: er wollte es vermeiden, die Nicht-Klugen in einer Gesellschaft auszugrenzen bzw. die Dummheit produktiv mit deren eigenen (schädlichen, ja zerstörerischen) Konsequenzen konfrontieren.
Vielleicht könnte es ja gerade heute für uns alle eine Herausforderung sein, die alte Unterscheidung zwischen >Dummheit/Klugheit< einfach einmal außer Kraft zu setzen oder zu transformieren. Was heute als Dummheit/Trägheit, "Transformationsfaulheit" (Armin Nassehi) und Uneinsichtigkeit wahrgenommen wird, könnte sich vielleicht später als Form von vorsichtig Klugheit und abwägender Weisheit herausstellen. Historisch geprägte Unterscheidungen wie Dummheit / Klugheit tun sehr häufig so als würden diese starre Gegensätze offenbaren. Klüger wäre es jedoch gerade die Wechselwirkungen zwischen den beiden Größen genauer zu bestimmen und diese weniger eindeutig moralisch zu bewerten.
Danke aber in jedem Fall für Deine anregenden Gedanken!
Mit besten Grüßen
Michael Kröger
vielen Dank für deine interessanten Ergänzungen, denen ich nichts hinzuzufügen habe. Es ist leider so, dass Deeskalation oft als Schwäche interpretiert wird und dass es nicht wenige Menschen gibt, die eine Kultur der Stärke und Selbstdurchsetzung pflegen, die der christlichen Sicht diametral entgegenstehen.
Viele Grüße
Klaus
vielen Dank für deine Kritik und deine Ergänzungen. Ich bleibe allerdings etwas ratlos zurück, wahrscheinlich weil ich dich nicht richtig verstehe. Denn einerseits teilst du meine „Bewertungen von aktuellen ,Dummheiten' so vieler Menschen", andererseits möchtest du „die alte Unterscheidung zwischen >Dummheit/Klugheit< einfach einmal außer Kraft setzen oder transformieren". Das bringe ich nicht zusammen. Aber vielleicht liegt der Fehler ja bei mir.
Es geht mir auch, wie ich schon schrieb, nicht um dumme und kluge Menschen, so dass ich DIE Dummen ausgrenze, sondern es geht mir um dumme und kluge Verhaltensweisen – wobei ich ausdrücklich vermerke, dass jeder Mensch sich auch mal dumm verhält, die Differenzierung zwischen dummen und klugen Menschen deshalb nur eine relative sein kann. Eine Ausgrenzung DER Dummen wollte ich keinesfalls vornehmen, sondern das Gespräch auch mit ihnen suchen, solange es sinnvoll ist.
Ich finde, die Unterscheidung zwischen Dummheit und Klugheit außer Kraft zu setzen, hat ein gewisses Recht. Denn in der Tat kann sich das, was heute als dumm erscheint, morgen als klug erweisen – aber doch nur bei einer recht begrenzten Perspektive. Die alttestamentlichen Weisen haben ihre Erkenntnisse durch lange Beobachtungen und vielfältige Erfahrungen gewonnen und sich außerdem auf die Erkenntnisse ihrer Vorfahren berufen. Sie haben es sich also nicht leicht gemacht und nach kurzem Überlegen zwischen dumm und weise unterschieden, sondern alte Traditionen und Lehrmeinungen in ihre Überlegungen einbezogen. Das würde ich von jedem Weisen erwarten. Er müsste das Morgen, das die heutige Dummheit in einem anderen Licht erscheinen lassen könnte, in seine Überlegungen einbeziehen, will er denn ein Weiser sein. Er ist sozusagen langsam im Erkennen und Reden: „Siehst du einen, der hastig ist in seinem Reden – ein Tor darf mehr hoffen als er" (Spr 29,20).
Nun kann man noch so „weise" sein und sich dennoch irren: „Halte dich nicht selbst für weise, fürchte den Herrn und meide das Böse" (Spr 3,7). Das Bewusstsein der eigenen Begrenztheit gehört also zur Weisheit. So schon angeblich Sokrates: „Ich weiß, dass ich nichts weiß." Von daher kann jedes Urteil über Dummheit oder Weisheit nur ein menschlich unvollkommenes sein.
Aber urteilen müssen wir trotzdem! Nicht im Sinne von ver-urteilen, aber im Sinne von be-urteilen. Jede Ethik setzt eine Beurteilung voraus. Wenn wir nicht beurteilen, können wir auch nicht zwischen gut und böse differenzieren und unser Handeln nicht danach ausrichten. Jede Beurteilung impliziert also immer eine ethische Bewertung, oder? Ich wüsste nicht, wie man sich sonst im Leben orientieren und Orientierung bieten soll. Ist es Moralisierung, wenn man ethisch urteilt? Und müssen nicht manchmal auch klare, eindeutige Grenzen gezogen werden (so wie ein anderes Mal eher zurückhaltend geurteilt wird, weil man sich seiner Bewertung noch nicht so sicher sein kann)?
Vielleicht habe ich ja irgendwo einen blinden Fleck und du kannst mir noch genauer erklären, wo und inwiefern ich für dich moralisierend bin und was du genau darunter verstehst. Ich will mich hier gar nicht verteidigen, sondern dazulernen – dann müsste ich dich aber noch besser verstehen. Tut mir leid, dass mir das bisher nicht gelungen ist. Wo ist mein blinder Fleck?
Viele Grüße
Klaus
nein, nein du hast sicher keinen blinden Fleck!
Ich wollte im grunde auch nur die möglichen Folgen der Problematik, das Handeln eines/r Anderen ethisch bzw. moralisierend zu beurteilen und letztlich auch zu verurteilen, etwas schärfer ins Bewusstsein rücken. Das hast du Du ja im vorletzten Abschnitt selbst sehr gut und treffend dargelegt. Jede Ethik setzt eine Beurteilung voraus! Ja, das stimmt sicher. Und eine Beurteilung sollte immer auch dem Beurteilten die Chance eröffnen selbst mein "Beurteilung" anzunehmen. Jeder so Beurteilte hat seine / ihre Chance verdient im Leben etwas klüger zu werden - auch wenn es dazu eines "Anstosses" von Aussen bedarf. Und wie auch hier so gilt ja im Leben allgemein: "Der Ton macht die Musik." Das gilt besonders für die von Dir angesprochene Problematik. Gegenwärtig sehen wir, dass unsere Gesellschaft droht zu zerreißen. Wir sollten und müssen also alles tun, um Spaltungen zu meiden und das Gemeinsame zu betonen
In diesem Sinne liegen wir aber wohl auf einer gemeinsamen Welle...
Viele Grüße
Michael
Die Wörter "dumm", "klug" und "weise" beziehen sich sowohl auf Menschen wie auf Handlungen, die beiden bisher noch nicht betrachteten Wörter "einfältig", "naiv" wohl nur auf Menschen. Diese werden gewöhnlich mit Nachsicht behandelt und zufrieden gelassen. Die Dummen im eigentlichen Sinne in der Politik und als randalierende Haufen in den Straßen dagegen können gefährlich werden; entsprechend kritisch sieht und kommentiert man sie.
Hans-Jürgen
vielen Dank für deine Erläuterung. Ich sehe es genau so, wie du schreibst, dass nämlich Spaltungen vermieden werden sollten und jedem Menschen die Chance eingeräumt werden sollte, klüger zu werden. Mein Anliegen im Artikel war es, genau das zu ermöglichen. Wo mir das nicht gelungen ist oder ich einen falschen Ton getroffen habe, bitte ich, mir das unbedingt mitzuteilen, damit ich es korrigieren kann. Ich habe zwar an vielen Stellen versucht, vorsichtig zu formulieren, und wüsste nicht, wie man das Thema Dummheit auf konkrete Konfliktlagen beziehen könnte, ohne manche Verhaltensweisen eben als (aus meiner Sicht) dumm zu kennzeichnen. Aber ich benötige natürlich das Gegenlesen eines Außenstehenden, der mich darauf hinweist, wo ich ausgegrenzt, einer Spaltung Vorschub geleistet oder mich im Ton vergriffen habe. Ich bin für jede sachgerechte und faire Kritik dankbar.
In diesem Sinne bitte ich alle Mitlesenden, mir gedankliche oder sprachliche Fehlgriffe mitzuteilen. Denn es geht um das wirklich hohe Gut eines alle Beteiligten weiterführenden Dialogs.
Viele Grüße
Klaus
vielen Dank für deine Ergänzung. Ich sehe auch eine große Gefahr, wenn Dummheit sich mit Macht paart. Den Ausdruck "randalierende Haufen" würde ich nicht benutzen, aber darin, dass Gewalt ausübendes Denken und Handeln in der Politik oder auf der Straße unbedingt kritisch zu beurteilen sind, stimme ich ganz mit dir überein.
Viele Grüße
Klaus