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Über das strikte Dualisieren in Christentum und Politik

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Über das strikte Dualisieren in Christentum und Politik
Wie wir eine komplexe Welt besser verstehen können
Klaus Straßburg | 15/06/2024

Die Welt ist im Wandel. Viele wichtige Lebensbereiche verändern sich rasend schnell. Nicht nur die Seele bleibt oft dahinter zurück, sondern auch das Verstehen. "Ich versteh' die Welt nicht mehr", sagen wir dann. Auf das Weltgeschehen wirken so viele und immer neue Faktoren ein, dass es immer komplexer wird – und immer komplizierter, sich in dieser Welt zurechtzufinden.

Doch es gibt Gegenmaßnahmen. Wir praktizieren sie täglich. Ohne sie würden wir überhaupt nichts mehr verstehen. Also sind wir durchgehend damit beschäftigt, Ordnung in unsere Weltanschauung zu bringen. Dazu eignet sich gut das Dualisieren.

Das Dualisieren erleben wir in der Politik, wo man Freund und Feind, "Gute" und "Böse" strikt voneinander abgrenzt, besonders in unserer Zeit, in der das Verhältnis der Staaten zueinander an Komplexität zugenommen hat. Munter dualisiert wird aber auch in der Christenheit, wo Gläubige von Ungläubigen streng geschieden werden. Darum lohnt es sich, das Dualisieren einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Ich versuche das in folgenden vier Abschnitten:

1. Die Reduktion von Komplexität durch Dualisierung
2. Selbstrechtfertigung und Dualisierung
3. Die Überwindung der zeitlichen Dualisierungen und ihrer ewigen Fortschreibung
4. Das Verstehen der Welt im Verzicht auf strikte Dualisierungen


1. Die Reduktion von Komplexität durch Dualisierung

Was bedeutet Dualisieren? Ein Dual ist eine Zweizahl im Unterschied zur Einzahl und zur Vielzahl. Dualisieren bedeutet dann, dass man etwas in zwei Bereiche aufteilt. Wir können die verschiedenen Aspekte eines Sachverhalts zum Beispiel in zwei gegensätzliche Aspekte aufteilen. Damit reduzieren wir die Komplexität des Sachverhalts, der eigentlich viel mehr Aspekte hat. Aber durch diese vielen Aspekte wird er für uns unübersichtlich. Was macht also unser Gehirn, um Übersicht zu schaffen? Es beschränkt die Aspekte des Sachverhalts auf zwei überschaubare und gut verständliche Gegensätze.

Ein Beispiel dafür ist, den Menschen in Leib und Seele aufzuteilen und diese fein säuberlich voneinander abzugrenzen – obwohl wir heute wissen, dass der Leib auf die Seele und die Seele auf den Leib einwirken, beide also nicht voneinander getrennt sind. Oder wir grenzen streng Gott und Welt voneinander ab – obwohl Gott auch in der Welt ist und die Welt nicht einfach komplett gottlos. Ebenso trennen wir, wie bereits erwähnt, Gläubige und Ungläubige oder auch Gute und Böse – obwohl wir wissen, dass auch die Gläubigen nicht frei vom Unglauben sind und die "Guten" durchaus auch Böses tun. Indem wir diese Komplexität ausblenden, praktizieren wir einen sogenannten "Dualismus".

Im christlichen Glauben, aber auch im Alltagsleben und in der Politik gibt es viele Beispiele für praktiziertes Dualisieren. Politik reduziert sich dann schon mal auf Folgendes: Die Regierung ist wahlweise die schlechteste oder dümmste aller Zeiten, die Opposition sagt die Unwahrheit, die AfD sowieso und Sahra Wagenknecht ist auch nur eine verkappte Rechtsextreme. Die so Angeklagten sind natürlich die Bösen oder Schlechten, während der jeweilige Ankläger zu den Guten zählt. Dieses Schauspiel dient dann nicht mehr dazu, die Welt selbst besser zu verstehen, sondern dazu, Wähler mit einfachen Alternativen auf die eigene Seite zu ziehen. Wer einfache Lösungen anbietet, dem glaubt man lieber als jemandem, der komplizierte Erklärungen abgibt. Das macht das Dualisieren sogar gefährlich.

Um noch einen weiteren strikten christlichen Dualismus zu nennen: Er besteht darin, die Menschen in solche einzuteilen, die nach dem Tod das ewige Leben erhalten, und in die anderen, die "verloren" sind oder "verdammt" werden. Die einen kommen in den "Himmel", die anderen in die "Hölle". Das ist eine leicht zu verstehende und deshalb attraktive Antwort auf die Frage, was aus den Menschen nach ihrem Tod wird – jedenfalls solange man wie selbstverständlich davon ausgeht, dass man selber zu den Himmelskandidaten gehört.


2. Selbstrechtfertigung und Dualisierung

Die jüdisch-christliche Tradition benennt einen entscheidenden Dualismus bereits am Anfang der Bibel, und zwar exakt in der Situation, in der Adam und Eva der Sünde verfallen. Adam und Eva stehen hier nicht für historische Personen, also für Menschen, die in grauer Vorzeit einmal wirklich gelebt haben. Adam und Eva stehen vielmehr für uns alle. Ihre Geschichte ist unsere Geschichte. Sie bieten uns einen Spiegel, in dem wir uns erkennen können – ob wir dem Christentum verbunden sind oder nicht. Darum sind Adam und Eva für uns höchst interessant.

Die Sündenfallgeschichte erzählt, dass Eva von der Schlange dazu verführt wird, eine Frucht vom verbotenen "Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen" zu essen. Sie gibt auch Adam davon, und der macht fraglos mit – ein typischer Fall von Mitläuferschaft (1Mo/Gen 2,9; 3,4-6). Das Essen der verbotenen Frucht hat augenblicklich Folgen (1Mo/Gen 3,8-13): Erstmals erfasst den Menschen die Scham, wahrscheinlich wegen seiner Verfehlung. Und als Gott kurz darauf in der Abendkühle des Gartens Eden einen Spaziergang macht (so menschlich wird hier Gott beschrieben!), verstecken sie sich vor ihm – vermutlich wiederum wegen ihrer Verfehlung.

Gott vermisst die beiden offenbar und ruft nach seinem Geschöpf: "Wo bist du?" Als Adam gesteht, dass er sich schämt und vor Gott fürchtet, weiß Gott, dass die beiden von der verbotenen Frucht gegessen haben. Adam verteidigt sich: Eva hat mir davon zu essen gegeben. Eva verteidigt sich auch: Die Schlange hat mich verführt. Die paradiesische Einheit von Adam und Eva mit Gott, aber auch ihre Einheit untereinander und mit der Schöpfung ist damit beendet.

Wer sich darin nicht wiedererkennt, hat offenbar nicht viel von sich selbst verstanden. Wir erleben es ja täglich, dass Menschen, wir selbst eingeschlossen, die Schuld für eine Verfehlung auf andere abwälzen: Ich habe keine Schuld; die anderen waren's.

Eine interessante Auslegung dieser Szene besteht darin, dass Adam und Eva den Ruf Gottes "Wo bist du?" komplett missverstehen. Sie verstehen ihn nämlich als Frage des zornigen Gottes, der Rechenschaft für das verbotene Verhalten der beiden verlangt. Davon ist aber im Text überhaupt keine Rede. Im Gegenteil, Gott scheint erst im Gespräch zu erfahren, dass die beiden vom verbotenen Baum gegessen haben (1Mo/Gen 3,11). Und selbst wenn er es schon vorher gewusst hat, könnte die Frage "Wo bist du?" so verstanden werden: Gott will den Menschen, der sich seiner Schuld schämt und in ihr seinen Halt verloren hat, wohlmeinend und besorgt aufsuchen.

Man sieht daran: Wir haben ein Problem mit unseren Fehltritten. Nicht Gott hat damit zuerst ein Problem, sondern wir. Gott kann uns verzeihen – wir uns oftmals nicht. Wir reden uns zwar schnell heraus, finden viele Entschuldigungen und verdrängen unsere Schuld vielleicht vollkommen. Aber im Innersten wissen doch die meisten von uns, dass wir sehr fehlbare Menschen sind, die vor Gott und unseren eigenen moralischen Ansprüchen nicht bestehen können.

Weil der erste Reflex auf das Schuldbewusstsein aber die Selbstrechtfertigung ist, kommt es zur Dualisierung: Nicht ich bin schuld, sondern der andere oder die anderen. Oder die Verhältnisse in der Welt, die so ungerecht sind. Nicht Adam, sondern Eva hat schuld; nicht Eva, sondern die Schlange, also das Böse, das es in der Schöpfung gibt. Also eigentlich hat Gott selbst schuld, der ja auch die Schlange, also das Böse, das mich verführt hat, geschaffen oder zumindest zugelassen hat. Also ist die Schöpfung wohl doch nicht so gut, wie Gott meinte (1Mo/Gen 1,31).

Mit dem Abschieben eigener Schuld bezweifeln wir also die Güte der Schöpfung – und damit auch die des Schöpfers.

Was ist hier passiert? Eigentlich wollten Adam und Eva doch nur wissen, was gut und böse ist (1Mo/Gen 3,5). Aber die Erkenntnis des Guten und Bösen bringt offenbar, weil wir selber niemals die Bösen sein wollen, notwendig eine Dualisierung mit sich: Ich bin der Gute, und die anderen sind die Bösen. Eigentlich bin ich gut, aber die Verhältnisse sind so schlecht, dass ich Böses tun musste. Warum hat Gott solche Verhältnisse geschaffen, wo ich doch eigentlich ein guter Mensch bin?


3. Die Überwindung der zeitlichen Dualisierungen und ihrer ewigen Fortschreibung

Zum Sündenfall – dem Abfall und der Trennung von Gott – gehört also "das Verstricktsein in heillose Oppositionen und strenge Dualisierungen"*, in Feindschaften und Verteufelungen, in Selbstrechtfertigungen und Moralisierungen. All diese mentalen Operationen sind keine bedauerlichen Einzelfälle, sondern kennzeichnen das "allgemeine Wahrheitsbewusstsein"*: Ich bin auf der Seite der Guten, ich vertrete die wahren Werte, ich weiß, was gut und böse ist. Die Bösen sind daher meine Feinde, sie sind teuflisch gefährlich und müssen deshalb von mir und meinen Gesinnungsgenossen bekämpft werden. Einen Gott brauche ich dazu nicht.

Das daran orientierte Denken und Handeln kann so fest in Menschen verankert sein, dass sie gar nicht auf den Gedanken kommen, dieses "allgemeine Wahrheitsbewusstsein" könne unwahr sein.

Das biblische Wahrheitsbewusstsein findet demgegenüber seinen profiliertesten Ausdruck in der Liebe zu Gott und zugleich zum Nächsten, der auch ein Fremder oder Feind sein kann (Mk 12,29-31; Mt 22,37-40; Lk 10,27). Meine Liebe zu Gott beruht dabei auf Gottes unverbrüchlicher Liebe zu mir, in der er mir alle Schuld vergibt. Weil ich dieser Vergebung gewiss bin, kann ich in der Fremdheit oder Feindschaft des Nächsten auch das entdecken, was ich selbst schuldhaft zu eben dieser Fremdheit oder Feindschaft beigetragen habe. Und indem ich mich dazu bekenne und dazu stehe, bin ich nicht mehr gezwungen, meinen Nächsten moralisierend abzuwerten oder zu verteufeln.

Der gekreuzigte Jesus, der für seine Feinde bat "Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23,34), steht für die Überwindung aller Feindschaften. Das heißt nicht, alle Unterschiede einzuebnen. Es ist nicht egal, was ein Mensch denkt und tut. Aber es steht denen, die Jesus nachfolgen oder die Werte des "christlichen Abendlandes" vertreten wollen, nicht gut an, mit Dualisierungen zu arbeiten: Der Nächste, und sei er unser Feind, ist kein unverbesserlicher Teufel, mit dem man sowieso nicht reden kann. Sondern auch der Feind ist und bleibt ein geliebtes Geschöpf Gottes, dem Gottes Vergebung gilt. Er bleibt also unser Nächster.

Dementsprechend steht es christlichen Menschen auch nicht gut an, dem "Bösen" die Hölle vorherzusagen, womöglich noch begründet mit dem gekreuzigten Jesus. Vielmehr steht es ihnen gut an, Gott um Vergebung für ihn, den "Bösen" oder "Feind", zu bitten, so wie Jesus es am Kreuz getan hat.

Man kann, scheinbar christlich motiviert, die zeitliche Trennung von "Guten" und "Bösen" in alle Ewigkeit fortschreiben, indem man die "Guten" zu Himmelskandidaten und die "Bösen" zu Höllenkandidaten erklärt. Und man kann das sogar damit begründen, dass diese Fortschreibung doch von Gott und Jesus Christus vorgegeben sei.

Man ignoriert dabei aber, dass Jesus am Kreuz das Gegenteil einer solchen Fortschreibung praktizierte, als er für seine Feinde um Vergebung bat. Und man ignoriert das Wort des Paulus, dass "wir von jetzt an niemanden mehr nach dem Fleisch kennen" (2Kor 5,16). Das heißt: Wir beurteilen als Christinnen und Christen niemanden mehr allein nach seiner äußeren Erscheinung, nach seinen "guten" oder "bösen" Taten. Wir kennen und beurteilen ihn vielmehr als von Gott Geliebten, der sich – wie wir alle – im "Bösen" verloren hat. Und wir begegnen ihm entsprechend: Wir dämonisieren ihn nicht, überheben uns nicht moralisch über ihn und sagen nicht sein Höllenschicksal voraus, sondern hoffen für ihn und bitten darum, dass Gott ihm vergeben möge.

Dass dies als direkt von der Schuld des anderen betroffener und unter ihr leidender Mensch schwer oder sogar unmöglich sein kann, ist keine Frage. Manchmal kommen wir nicht gegen unsere Gefühle an. Aber die Tendenz christlichen Denkens sollte in eine andere Richtung gehen, auch wenn unsere Gefühle dagegen protestieren.

Zur Tendenz christlichen Denkens gehört auch, den Adam bzw. die Eva in sich selbst zu erkennen, sich aber zugleich bewusst zu machen, von Gott wohlmeinend gerufen und eben nicht ignoriert oder aufgegeben zu werden. Darum wendet sich, wer wirklich christlich denkt und handelt, gegen das Trennende, gegen den Hass, der den anderen verteufelt, indem er ihn auf die Seite des Teufels stellt oder mit Gleichgültigkeit straft. Und der christlich denkende Mensch tritt ein für ein verbindendes Handeln gerade in schwierigen Beziehungen, indem er auch auf den im "Bösen" Verlorenen zugeht und versucht, Vertrauen zu ihm aufzubauen.

Aber gehört es nicht zur christlichen, ja biblischen Tradition, die Bösen strikt von den Guten, die Höllenkandidaten von den Himmelskandidaten zu trennen? Nehmen wir als Beispiel Mt 25,31-46. Dort wird erzählt, wie im Jüngsten Gericht die Guten von den Bösen getrennt werden. Den Guten wird mitgeteilt, was sie Gutes, den Bösen, was sie Böses getan haben. Den Guten wird der "Himmel" geöffnet, die Bösen müssen ins "ewige Feuer".

Der Clou der Geschichte besteht jedoch darin, dass weder die Guten um das Gute wissen, das sie getan haben, noch die Bösen um das Böse. Alle schätzen sich falsch ein. Damit ist jeder Vorwegnahme des Urteils Gottes ein Riegel vorgeschoben. Wir wissen weder, wer zu den Guten gehört und "in den Himmel kommt", noch, wer zu den Bösen gehört und "verflucht" ist. Darum ist uns das Urteil darüber verwehrt, wer "gläubig" und wer "ungläubig", wer "gut" und wer "böse" ist. Heilsgewissheit gibt es in dieser Lage für uns nur dadurch, dass wir auf ein gnädiges Urteil Gottes vertrauen, auf das wir – wie alle anderen auch – angewiesen sind.

Diese Geschichte macht auch deutlich, dass es nicht darum geht, das Böse gut zu reden. Das sogenannte Jüngste Gericht dient vielmehr dazu, dass das Böse beim Namen genannt wird. Derjenige, für den Jesus am Kreuz um Vergebung bittet, hat es offensichtlich nötig. Der Böse wird also auch böse genannt. Aber der biblische Dual von guten und bösen Menschen, die beide von der Liebe Gottes leben, liegt quer zu allen weltlichen Dualisierungen.

Das wusste Paulus, als er den Glaubenden ins Stammbuch schrieb: "Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann noch Weib; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus" (Gal 3,28; vgl. Kol 3,11). Die Einheit liegt in der Liebe Gottes zu allen, wenn auch die Unterschiede offenbar sind und das Unrecht keinesfalls gerechtfertigt werden darf.


4. Das Verstehen der Welt im Verzicht auf strikte Dualisierungen

Das christliche Dualisieren nimmt Gottes Beurteilung von Menschen vorweg, anstatt sie ihm zu überlassen. Es beginnt bei der strikten Scheidung von "guten" und "bösen", "gläubigen" und "ungläubigen" Menschen und endet bei der strikten Verteilung der Menschen auf "Himmel" und "Hölle". Es beginnt bei zeitlichen Oppositionen und Verteufelungen und endet bei ewigen. Es schafft daher keinen Frieden, sondern schürt Feindschaft und Hass.

Genau besehen reduzieren strikte Dualisierungen zwar vordergründig Komplexität, intensivieren aber letztlich die Komplexität, indem sie einfache zweistellige Lösungen an die Stelle der vielstelligen Wirklichkeit setzen. Damit werden sie der Wirklichkeit aber nicht gerecht. Und so wird die gedankliche Durchdringung der komplexen Wirklichkeit nicht erleichtert, sondern erschwert, oder, wenn das zweistellige Gedankengebäude sich verfestigt, sogar unmöglich gemacht.

Der Prozess des Dualisierens führt dazu, dass der Mensch sich auf seine "guten" Taten und seinen Glauben konzentriert, also auf sich selbst, indem er sich permanent von den "Bösen" und "Ungläubigen" strikt abgrenzt. Diese strikte Abgrenzung wird christlich noch dadurch überhöht und verewigt, dass das eigene ewige Heil mit dem ewigen Unheil unzähliger anderer Menschen Hand in Hand geht.

Die Haltung der in Gottes Liebe begründeten Nächstenliebe hingegen führt zusammen, indem sie gerade keine strikten Scheidungen vornimmt, sondern das "Böse" und den Unglauben des anderen auch in sich selber findet und zugleich um Gottes Vergebung weiß. Diese Vergebung gilt aber nicht nur für mich, sondern genauso auch für die anderen. Die Entscheidung, ob und wo die Vergebung Gottes auch eine Grenze hat, liegt dabei niemals in meiner Kompetenz, sondern ist allein Gottes Entscheidung.

Die Reduzierung von Komplexität geschieht nicht, indem Menschen Gottes Grenzentscheidung vorwegzunehmen trachten, sondern indem sie Gottes Liebe zu seinen Geschöpfen in der Nächstenliebe spiegeln. Das Bestreben, Gottes Entscheidung zu kennen und vorwegzunehmen, sich also an Gottes Stelle zu setzen, vergrößert die Komplexität sogar noch, weil es der Wirklichkeit der Welt und der Wahrheit Gottes unangemessen ist. Ein unangemessenes Wirklichkeitsverständnis und ein Ausblenden der Wirksamkeit Gottes in der Welt können aber nicht zum Verstenen der Welt beitragen.

Das Verstehen einer im schnellen Wandel begriffenen Welt vollzieht sich deshalb nicht durch die einfache Aufteilung der Menschen in "Gute" und "Böse". Die biblische Tradition weiß sowohl um "Gute", die Böses tun, als auch um "Böse", die Gottes Willen umsetzen.

Wir verstehen die Welt deshalb besser durch die Einsicht, dass das Böse in allen Menschen zu Hause ist, dass es also von vielen Seiten auf das Weltgeschehen einwirkt und sich nicht einseitig von uns fixieren lässt. Und zugleich dient dem Verstehen der Welt das Vertrauen, dass das Gute von Gott her in allen Menschen ein Zuhause finden kann. Es kann deshalb, weil Gott das Gute wirkt, von vielen Seiten her, auch von gänzlich unerwarteten Seiten, auf das Weltgeschehen einwirken und Gutes in ihm hervorbringen.


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Verwendete Literatur:
J. Christine Janowski: Allerlösung. Annäherungen an eine entdualisierte Eschatologie. Neukirchener Beiträge zur Systematischen Theologie. Hg. von Wolfgang Huber u.a. Band 23/1. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2000. S. 151-153.

Zitatnachweis:
* Janowski: Allerlösung, S. 151.

Foto: MasterTux auf Pixabay.




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