Seit dem dreizehnten Lebensjahr hatte ich mit dem Glauben gebrochen. Längst gehorchte ich nicht mehr den Geboten und beachtete nicht mehr die zahllosen Verbote. Aber die Zuversicht, mit der ich den Messias erwartete, war die gleiche geblieben. Es mag sein, dass ich, seit ich denken kann, keiner Idee begegnet bin, die mich so überwältigt hat wie die Idee, dass diese Welt nicht bleiben kann, wie sie ist, und dass sie ganz anders, besser werden kann, und dass sie es werden wird.
Manès Sperber
Juden warten auf das Kommen des Messias, Christen auf das Wiederkommen des Messias.
Es trennt sie der christliche Glaube, dass Jesus von Nazareth der Messias war und dass durch ihn alle Menschen ohne ihr eigenes Zutun an der Versöhnung der Welt mit Gott teilhaben können.
Es vereint sie die Zuversicht, dass diese unsere Welt einer anderen, unvergleichlich besseren Welt harrt – einer Welt, die der Messias mit sich bringen wird und die so sein wird, wie die Welt von Gott gedacht war.
Quelle: Wolfhart Koeppen / Renate Spennhoff / Waldemar Wolf (Hg.): Spuren des Lebens. Biblische Texte, Gebete, Betrachtungen. Aussaat Verlag Neukirchen-Vluyn / Verlag Katholisches Bibelwerk Stuttgart. S. 101. Dort zitiert nach: Manès Sperber in: Hans Eckehard Bahr: Hoffen. Kreuz-Verlag, Stuttgart 1988. Orthographisch angepasst an die Neue Deutsche Rechtschreibung.
in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung steht genau heute ein ganzseitiger Artikel über den Theologen Klaus Wengst. Überschrift "Die ersten "Christen" waren Juden".
Kurztext darunter: "Erst im 2. Jahrhundert grenzten sich die Jesus-Anhänger von israelitischen Ursprüngen ihres Glauben ab. Der Theologe Klaus Wengst möchte das rückgängig machen."
Herausgehobene Zitate im Text: "Dann hat das Christentum einen Geburtsfehler, nämlich: antijüdisch zu sein." (Klaus Wengst) und "Wahrheit ist immer auch die Wahrheit des Anderen." (Klaus Wengst plädiert, auf Rosa Luxemburg anspielend, für einen toleranten Wahrheitsbegriff der Religionen.) Als Bild wird das Gemälde "Der zwölfjährige Jesus im Tempel" von Max Liebermann gezeigt, das dieser hatte ummalen müssen, nach heftiger antisemitischer Kritik.
Letzter Satz im Artikel: " Die Wahrheit des Judentums, so spitzte es ein Aphoristiker einst zu, liege darin, dass der Messias noch nicht da war - und die des Christentums darin, dass keiner mehr kommen wird."
Daran musst ich sofort denken, als ich deinen heutigen Beitrag gelesen habe.
Viele Grüße
Thomas
vielen Dank für deinen interessanten Hinweis. Klaus Wengst vertritt schon lange eine Meinung, der ich mich nicht anschließen kann. Dass die ersten Christen Juden waren, ist eine Plattitüde; auch Jesus war Jude. Dass sich die Christen erst im 2. Jahrhundert von den „israelitischen Ursprüngen ihres Glaubens" abgrenzten, wird man nicht behaupten können, wenn man berücksichtigt, dass schon Jesus selbst manche damals vertretene jüdische Glaubensvorstellungen hinterfragte und Paulus sich deutlich von dem zuvor von ihm selbst vertretenen jüdischen Glauben abgrenzte, vom Johannesevangelium einmal ganz zu schweigen. Das Christentum war auch nicht antijüdisch (Jesus und Paulus wollten das Judentum neu interpretieren, nicht aber beseitigen), aber kritisch gegenüber dem jüdischen Glauben, so wie er damals vertreten und praktiziert wurde. Der Satz „Wahrheit ist immer auch die Wahrheit des Anderen" schließlich ist nichts anderes als die grenzenlose Relativierung der Wahrheit, d.h. ihre Abschaffung; denn so viele Andere es gibt, so viele Wahrheiten gibt es auch. Wenn aber alles wahr ist, ist nichts mehr wahr. Das Ergebnis eines solchen Denkens wird deutlich in dem letzten von dir zitierten Satz „Die Wahrheit des Judentums ...": Wenn beides wahr ist, nämlich dass der Messias noch nicht da war und dass auch kein Messias mehr kommen wird, dann gibt es keinen Messias und der jüdische wie auch der christliche Glaube lösen sich in nichts auf.
Wahrscheinlich wird in Wengsts Buch alles noch differenzierter dargestellt, als es ein Zeitungsartikel wiedergeben kann. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass die Zielrichtung stimmt. Jedenfalls geht es mit dem konform, was ich bisher von Wengst gelesen habe. Er stellt damit eine extreme Richtung innerhalb der evangelischen Theologie dar und befriedigt diejenigen, die mit dem Messias Jesus nicht viel anfangen können. Dann kann man eigentlich gleich Jude werden.
Wir aber feiern Weihnachten, und in diesem Sinne viele Grüße
Klaus
bei dem Satz "Erst im 2. Jahrhundert grenzten sich die Jesus-Anhänger von den israelitischen Ursprüngen ihres Glaubens ab." hatte ich auch sofort ein Störgefühl. Er mag bei ganz genauem Hinsehen vielleicht sogar stimmen, aber er erweckt einen falschen Eindruck. Paulus hat bei seinen Missionsreisen großenteils Nichtjuden angesprochen und erreicht. Soweit ich weiß, gab es auch früh Auseinandersetzungen zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Es kann sein, dass vielen Heidenchristen die "israelitischen" (Warum unterscheidet man hier zwischen israelitisch und jüdisch?) nicht bewusst oder gleichgültig waren und eine bewusste Abgrenzung erst später passiert ist.
Paulus eine ganz bewusste Öffnungspolitik betrieben, was dem jungen Christentum überhaupt erst zum Erfolg verholfen hat. Die Evangelisten hatten diese Öffnungspolitik schon verinnerlicht. Bei Jesus selbst bin ich der Meinung, dass er von Anfang bis Ende religiöser und frommer Jude war und geblieben ist. Das schließt nicht aus, dass er den einen oder anderen reinen Formalismus seiner Religion kritisiert hat.
Der Schlussatz, den ich zitiert habe, stammt m. M. n. nicht von Wengst, sondern von einem nicht mit Namen genannten Aphoristiker.
Viele Grüße
Thomas
da sprichst du mehrere Fragen an, über die man ganze Abhandlungen schreiben könnte. Ich kann hier nur kurz darauf eingehen:
Jesus fühlte sich gesandt „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (Mt 15,24) und sandte auch seine Jünger zu diesen (Mt 10,6). Insofern waren Jesus und seine Jünger als Juden Missionare der Juden. In Jesu Verkündigung und Lebenspraxis ging es ihm nicht nur um Formales, sondern auch um Inhalte. Das zeigt schon seine dezidierte Zuwendung zu „Zöllnern und Sündern", die bei den religiösen Autoritäten Anstoß erregte. Auch in seinen Antithesen „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist ... – Ich aber sage euch ..." (Mt 5,21-48) werden inhaltliche Unterschiede formuliert. Er interpretierte also – gerade als frommer Jude – den jüdischen Glauben in neuer Weise; darin bestand seine Sendung, seine Mission.
Ich würde Wengst einmal fragen, warum es denn wohl schon im 1. Jahrhundert überhaupt Judenchristen gab, wenn sich erst im 2. Jahrhundert die Christen von „den israelitischen Ursprüngen ihres Glaubens" abgrenzten. Wenn sie sich nicht abgegrenzt hätten, hätten die Judenchristen ja auch einfach Juden bleiben können.
Wengst meint offenbar, die Christen grenzten sich nicht von den Juden ab, sondern von den Ursprüngen des Glaubens im Volk Israel. Diese Unterscheidung finde ich schon zweifelhaft. Ich denke, die Christen grenzten sich schon im 1. Jahrhundert von der damals gängigen jüdischen Interpretation des ursprünglichen Glaubens Israels ab, nicht aber von dem ursprünglichen Glauben selbst. Im Gegenteil, sie kämpften um diesen ursprünglichen Glauben und gegen dessen Verzerrung im Judentum zur Zeit Jesu.
Auch das Evangelium des Paulus war nicht einfach mit dem damals üblichen jüdischen Glauben identisch. Das zeigt z.B. sein Brief an die Galater, in dem er dezidiert gegen die Einführung der Beschneidung bei Heidenchristen Stellung nimmt und insgesamt gegen den Versuch, durch eigene Werke das Heil (die „Gerechtigkeit vor Gott") zu erlangen. Er grenzte sich damit gegen judenchristliche Einflüsse in der Gemeinde von Galatien ab.
Wichtig ist auch die Parallelisierung von Gott und Jesus im frühen Christentum. Das wird von anderen Exegeten als Klaus Wengst herausgearbeitet. Demnach haben bereits die aramäisch sprechenden wie auch die griechisch sprechenden Judenchristen der ersten Gemeinden den auferweckten Jesus mit dem Namen „Herr" (aramäisch: adon, griechisch: kyrios) bezeichnet, der in der Septuaginta Gott selbst vorbehalten war. Der sog. Philipperhymnus in Phil 2, der nicht von Paulus stammt, sondern von ihm aus der ältesten Christenheit übernommen wurde, zeigt das deutlich, indem er das „Herr" aus Jes 45,23f ausdrücklich auf Jesus Christus bezieht (Phil 2,10f). Wichtig sind auch die Präexistenz-Aussagen über Jesus und die sog. „triadischen Formeln" – kurze Formulierungen der ältesten Christenheit, die Gott, Jesus Christus und den heiligen Geist sozusagen gleichberechtigt nebeneinanderstellen (z.B. 2Kor 13,13, ebenfalls von Paulus übernommen).
Ein interessanter Aufsatz von Hans-Joachim Eckstein dazu ist abrufbar auf https://www.ecksteinproduction.com/theologische-themen-Hans-Joachim-Eckstein. Dort auf „Gott" klicken, dann öffnet sich eine PDF-Datei mit Aufsätzen und dem Buch „Kyrios Jesus", dort auf S. 3 der Aufsatz „So haben wir doch nur einen Gott". Der Aufsatz enthält zwar auch griechische Texte, ist aber vielleicht doch interessant zu lesen.
Viele Grüße
Klaus
vielen Dank für diese Hinweise. Speziell der Unterschied in der vorchristlichen und frühchristlichen Verwendung der Worte "adon" und "kyrios" war mir nicht bekannt. Damit und auch mit dem Philipperhymnus sind Trinitätsvorstellungen früher im Christentum verankert, als ich bisher angenommen hatte. Das heißt immer noch nicht, dass sie richtig sein müssen. Als Abgrenzungshilfe der frühen Judenchristen gegenüber dem Judentum, dass sie sonst möglicherweise wieder absorbiert hätte, hatten sie jedenfalls eine Funktion.
Ich glaube nach wie vor nicht, dass der historische Jesus solchen Ideen zugestimmt hätte, ganz im Gegenteil. Es ist aber schon ein Punkt, dass Paulus sie sozusagen unterschrieben hat.
Viele Grüße
Thomas
es freut mich, wenn ich dir neue Informationen liefern konnte.
Viele Grüße
Klaus