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Sabbat und Sonntag

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Veröffentlicht von in Theologie verständlich · 19 Januar 2024
Tags: SchöpfungReich_GottesJudentumGottesdienstZeit

Sabbat und Sonntag
Die lebenswichtige Bedeutung zweier Tage
Klaus Straßburg | 19/01/2024

"Endlich Wochenende!" – so wird wohl jeder schon mal mit einem Seufzer aufgeatmet haben. Endlich den Stress hinter sich lassen: keine Arbeit mehr, sondern Zeit zum Ausruhen und zur freien Gestaltung.

Am Samstag muss keiner mehr zur Schule und viele müssen nicht mehr arbeiten. Und am Sonntag ruht sogar das Gewinn maximierende Verkaufen und das Überflüssiges anhäufende Kaufen – meistens jedenfalls.

Bekanntlich geht der Sonntag auf den jüdischen Sabbat zurück. Zum Nomen "Sabbat" (hebräisch schabbát gesprochen, Betonung auf der letzten Silbe) gibt es das verwandte Verb schabát. Das bedeutet: "aufhören, ruhen".


1. Den Geschöpfen soll es nicht schlechter gehen als dem Schöpfer

Irgendwie toll: Die Verfasser der biblischen Schöpfungsgeschichte in 1. Mose/Genesis 1 scheuten sich nicht davor, von Gott zu erzählen, dass er sich nach sechs Tagen Schöpfung Zeit zum Ruhen gegönnt hat. Vielleicht hätten sich der jüdische und dann auch der christliche Ruhetag nicht bis heute durchgesetzt, wenn das Ruhen und Aufhören mit der Arbeit nicht in dieser genialen Weise in das Leben Gottes einbezogen worden wäre.

Weil der Schöpfer am siebenten Tag von seiner Schöpfung ruhte, wird im Alten Testament seinen Geschöpfen das Halten der Sabbatruhe geboten (2Mo/Ex 20,11). "Geboten" heißt hier, wie auch sonst in der Bibel: Es wird den Geschöpfen eine Weisung gegeben, die ihrem Wohlergehen dient und ihrem Leben förderlich ist.

Man kann also sagen: Den Geschöpfen soll es nicht schlechter gehen als dem Schöpfer. Sie sollen in all ihrer Unruhe an der Ruhe Gottes Anteil haben. Denn Leben ist mehr als aktiv sein, arbeiten und produzieren. Deshalb soll an einem Tag in der Woche niemand arbeiten: weder der Herr noch der Knecht, weder Erwachsene noch Kinder, weder Sklaven noch Gastarbeiter oder Migranten. Und – man beachte! – die Tiere werden nicht vergessen: Auch sie sollen an diesem Tag ruhen.


2. Sich selbst Grenzen setzen und Gott Raum gewähren

Das ist schon außergewöhnlich: Landwirtschaft ist zum Beispiel in der Erntezeit sehr arbeitsintensiv und ganz einfach notwendig. Da kann der Landwirt nicht einfach sagen: "Ich hör jetzt mal auf." Dennoch wurde in der bäuerlich geprägten Gesellschaft Israels an jedem siebenten Tag die Arbeit in der Landwirtschaft – und darüber hinaus – eingestellt.

Mit dem Einstellen der eigenen Arbeit wurde etwas Entscheidendes anerkannt: Nicht der Mensch, sondern Gott ist der Herr über die Fruchtbarkeit des Landes und über den Alltag mit all seiner Mühsal.

Wenn der Mensch aufhört und ruht, setzt er sich selber Grenzen. Er schraubt seinen Anspruch, durch sein Arbeiten über den Alltag zu verfügen, zurück, und ebenso seinen Anspruch, die Natur zu beherrschen. Er gesteht ein, dass er keine letzte Macht über sein eigenes Leben hat. Denn all sein Arbeiten und seine Naturbeherrschung dienen der Sicherung seines Lebens.

Dass wir in Wahrheit keine letzte Macht über unser Leben haben, müssen wir immer wieder erfahren. Dennoch gibt es in dieser Unsicherheit des Lebens und in all unserer besorgten Unruhe eine tröstliche Ruhe für die Glaubenden. Der Hebräerbrief des Neuen Testaments hat das so ausgedrückt (Hebr 4,9f):

Die endgültige Sabbatruhe steht also für das Volk Gottes noch aus. Denn wer zu dem Ruheplatz Gottes gekommen ist, ruht sich aus von seinen Werken – so wie Gott selbst es von seinen eigenen Werken getan hat.

So die BasisBibel. Martin Luther hat den ersten Satz sehr schön und einprägsam so übersetzt:

Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes.

Gerade in unruhigen Zeiten ist das eine tröstliche Wahrheit.

Aber das Ruhen von den eigenen Werken hat auch noch eine ganz andere Dimension. Denn kaum etwas ist heute wichtiger für die Schöpfung als unser Aufhören: aufhören damit, die Schöpfung immer weiter auszubeuten. Die Bewahrung der Schöpfung kann nur so gelingen, dass wir uns selber Grenzen setzen und Verzicht üben dort, wo wir die Schöpfung mit unseren Aktivitäten, unserem Konsumieren und Produzieren über die Maßen belasten.


3. Der Tag ohne Nacht

Es gibt noch eine weitere Dimension des Sabbats, die ich sehr wichtig finde und die mir erst kürzlich bewusst wurde: In der Schöpfungsgeschichte fällt auf, dass der siebente Tag nicht "sehr gut" ist wie die anderen Tage, sondern heilig. Und außerdem wird im Unterschied zu allen anderen Tagen vom siebenten Tag kein Abend ausgesagt (1Mo/Gen 2,2-4). Der heilige siebente Tag erscheint als ein Tag, an dem es keine Dunkelheit der Nacht gibt!

Das erinnert an eine andere Aussage am Ende des Neuen Testaments, wo die neue, ewige Schöpfung Gottes im Bild des neuen Jerusalem beschrieben wird. Von dieser Stadt gilt (Offb 21,23):

Die Stadt bedarf nicht der Sonne noch des Mondes, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtete sie, und ihre Leuchte ist das Lamm [= Jesus].

Wenn man beide Aussagen zusammen in den Blick nimmt, kann man folgern: Weder am siebenten Tag der Schöpfung noch im neuen Jerusalem der Neuschöpfung gibt es Dunkelheit. Der Sabbat weist damit über sich selbst hinaus auf die neue, ewige Schöpfung, die nach dem Neuen Testament in Jesus ihren Grund hat. So nimmt der Sabbat die zukünftige Herrlichkeit, in der die Schöpfung vollendet wird, schon ansatzweise vorweg.


4. Die Vorwegnahme der Zukunft

Was heißt das genau? Nach den Evangelien ist die Botschaft vom Reich Gottes das Zentrum der Verkündigung Jesu. Kein anderes biblisches Buch spricht derart oft und zentral vom Reich Gottes, wie Jesus es in den Evangelien tat. Daraus kann man schließen, dass Jesus davon ausging, mit ihm sei das Reich Gottes angebrochen. Dementsprechend ist er auch der erste Mensch, der von den Toten auferweckt wurde (1Kor 15,20.23).

Wenn wir auf Jesus blicken, begegnet uns also schon die Zukunft: Wir sehen, was es heißt, im Reich Gottes zu leben und von den Toten auferweckt zu werden. Wie Jesus das ewige Leben leiblich vorweggenommen hat, so nehmen wir es im Andenken an ihn gedanklich vorweg. Außerdem beschreibt das biblische Buch der Offenbarung in vielen Bildern das ewige Leben (Offb 21 und 22). Diese Bilder sind unvollkommene irdische Vorstellungen, die aber dennoch etwas über das ewige Leben aussagen.

Vorwegnahme des ewigen Lebens meint also nicht, dass wir Gott vorgreifen und uns das ewige Leben aneignen oder es gar "herstellen", bevor es überhaupt angebrochen ist. Wir entwickeln nur Vorstellungen, die nicht das ewige Leben sind, die ihm aber ähnlich sind – und zwar trotz aller Unähnlichkeit. Wir müssen Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zusammendenken: Unsere Vorstellungen und Begriffe sind einerseits unvollkommen und unpassend, andererseits aber doch dem ewigen Leben ähnlich und deshalb nicht gänzlich ohne Aussagekraft. Sie formulieren Ähnlichkeiten in aller Unähnlichkeit. Man spricht dann auch von Analogien oder Entsprechungen.

So schreibt Paulus, dass wir auf etwas hoffen, was wir nicht sehen (Röm 8,24f). Und der Hebräerbrief stellt fest, dass der Glaube eine Überzeugung von Dingen ist, die man nicht sieht (Hebr 11,1). All unsere Erkenntnis ist verzerrtes Stückwerk (1Kor 13,12). Wir haben also nur eine vorläufige und verzerrte Vorstellung vom ewigen Leben.

Dennoch verändert diese Vorstellung unser Leben schon jetzt: Sie spendet Trost, weckt Vorfreude und ermöglicht liebevolle Hingabe an unsere Nächsten. So wirkt das ewige Leben bereits in unser zeitliches Leben hinein. Wir erleben in unvollkommener Weise das, was noch aussteht – etwas ihm Ähnliches. Unsere Vorstellung vom ewigen Leben ist nicht nur ein Traum, sondern sie prägt unser Leben schon jetzt.

So ist auch der Sabbat nach alttestamentlicher und jüdischer Vorstellung eine unvollkommene Vorwegnahme des Kommenden: ein heiliger Tag in der unheiligen Welt, ein Tag des Lichts in der Finsternis, ein Tag der Freude an Gott in allem Leid (Jes 58,13f), ein Tag, der den "ewigen Sabbat" in der Zeit, das Vollendete im Unvollendeten spiegelt (Jes 66,23). Der Sabbat unterbricht unseren Alltag mit seiner Mühsal und feiert die kommende Erlösung in der unerlösten Welt.


5. Die Woche beginnt mit der Auferstehung

Alles, was ich über den jüdischen Sabbat gesagt habe, gilt auch für den christlichen Sonntag. Ab dem 2. Jahrhundert n.Chr. ist belegt, dass der Sonntag für die Christenheit an die Stelle des jüdischen Sabbats getreten ist. Und erst unter dem römischen Kaiser Konstantin, der das Christentum zur Staatsreligion erklärte, wurde der Sonntag im Jahr 321 als arbeitsfreier Ruhetag eingeführt.

Der Sonntag geht auf den Sabbat zurück und ersetzte ihn schließlich für die Christinnen und Christen. Aber der Sonntag hatte noch einen über den Sabbat hinausgehenden Charakterzug. Denn der erste Tag der Woche war nach dem biblischen Zeugnis der Tag der Auferweckung Jesu (Mk 16,2; Mt 28,1; Lk 24,1; Joh 20,1).

Zwar ist der Sonntag im allgemeinen Bewusstsein heute nicht mehr der erste Tag der Woche, sondern der letzte. Zur Zeit Jesu aber war der auf den Sabbat folgende Tag, also unser Sonntag, der erste Tag der Woche, und so ist es im Judentum noch heute. Folgt man dem, dann beginnt die Woche für Christinnen und Christen mit dem Gedenken an die Auferstehung Jesu von den Toten und mit dem Vorausblick auf die zukünftige Auferweckung der Glaubenden zum ewigen Leben.

Wir müssen uns das mal ganz bewusst machen: Unsere Woche beginnt nicht mit Mühsal und Frust, sondern mit dem Blick auf die kommende Erlösung von alldem.

Im römischen Reich war der Sonntag oder "Tag der Sonne" auch dem Sonnengott geweiht. Für die frühe Christenheit aber gab es keine andere Sonne als Jesus Christus, der als "Licht der Welt" verehrt wurde (Joh 8,12) und der nach biblischer Überlieferung hell wie die Sonne leuchtet (Mt 17,2), ja sogar noch heller als die Sonne (Apg 26,13).


6. Der Gottesdienst und anderes Lebenswichtiges

Bis heute ist der Sonntag der Tag des christlichen Gottesdienstes. Einen Gottesdienst zu besuchen, ist keine vertane Zeit. Man ist zwar als Besucher des Gottesdienstes nicht produktiv im herkömmlichen Sinn, aber man ist ein aktiv Beteiligter:

  • Man blickt über den eigenen Horizont und die vielen nichtssagenden Worte des Alltags hinaus und hört auf das, was das Evangelium, die Frohe Botschaft von Gott, uns Lebenswichtiges zu sagen hat. Dazu gehört auch die Botschaft, dass alle irdische Mühsal einmal ein Ende haben wird.
  • Man konzentriert sich nicht auf die negativen Seiten des Lebens, sondern macht sich das Gute, das uns schon jetzt täglich widerfährt, bewusst und dankt Gott dafür.
  • Man wird ehrlich und führt sich die meistens verdrängte Verletzlichkeit des eigenen Lebens vor Augen. So kann man Gott um seinen Segen und seine Bewahrung bitten.
  • Man stärkt den eigenen, immer angefochtenen, vielleicht sogar schon verschütteten Glauben. Denn im Gottesdienst begibt man sich in eine Gemeinschaft von Menschen, die wie man selbst glauben, zweifeln und angefochten sind. So erlebt man, dass man mit seinen Zweifeln und Anfechtungen nicht allein ist.

Das alles ist lebenswichtig. Und über den Gottesdienst hinaus ist es lebenswichtig für uns, am Sonntag – ganz profan – Zeit zu haben:

  • Zeit, gemeinsam etwas zu unternehmen, einander wahrzunehmen, uns aneinander zu erfreuen und Leid miteinander zu teilen.
  • Zeit zum Feiern, Spielen und Alleinsein; Zeit, einfach da zu sein, ohne einem Ziel nachzujagen oder einen Zweck zu erfüllen.
  • Zeit innezuhalten und sich zu besinnen auf das Leben jenseits von Arbeit und Alltagssorgen.
  • Zeit, den weniger leistungsfähigen Menschen wertschätzend zu begegnen, aber auch den Tieren und der uns umgebenden Natur.
  • Zeit für alle und alles, was nicht ausschließlich einem ökonomischen Nutzen dient, sondern ein Lebensrecht hat jenseits aller Nützlichkeitserwägungen.

Wenn wir all das über den Sonntag Gesagte auch nur ein Stück weit verwirklichen, dann kann tatsächlich jeder Sonntag eine Verheißung sein: die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, die Gott für uns bereiten wird. Dass wir darauf hoffen und uns darauf schon jetzt freuen, dazu lädt uns Gott herzlich ein (Offb 21,1-7).


* * * * *


Verwendete Literatur:
  • Karl-Heinrich Bieritz: Sonntag. I. Historisch. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Verlag Mohr Siebeck. 4. Aufl. Band 4, München 2004. Sp. 1445-1447.
  • Berthold Klappert: Worauf wir hoffen. Das Kommen Gottes und der Weg Jesu Christi. Mit einer Antwort von Jürgen Moltmann. Chr. Kaiser/Güterslohner Verlagshaus. Gütersloh 1997. S. 67f.74-76.
  • Jürgen Moltmann: Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen. Christian Kaiser Verlag. München 1989. S. 350f.
  • Eckart Otto: Sabbat. I. Altes Testament. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Verlag Mohr Siebeck. 4. Aufl. Band 4, München 2004. Sp. 712f.
  • Ulrich Volp: Sabbat. III. Christentum. 2. Kirchengeschichtlich. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Verlag Mohr Siebeck. 4. Aufl. Band 4, München 2004. Sp. 716.

Grafik: Chen auf Pixabay (Ausschnitt).




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