Reich Gottes – Weg und Ziel des Daseins
Was ist das Reich Gottes? (Teil 6)
Klaus Straßburg | 02/07/2023
Es ist wunderbar, eine Aufgabe zu haben. Und es ist noch wunderbarer, dass Gott für jeden Menschen eine Aufgabe hat.
Ohne Aufgabe rumzusitzen und unsere Lebenszeit zu vergeuden, füllt uns nicht aus. Aber dass Gott uns etwas zutraut und uns beauftragt, ist die größte Ehre, die es gibt.
Natürlich gibt es ganz unterschiedliche Aufgaben. Jeder Mensch hat Begabungen und entsprechende Aufgaben. Aber mit all diesen Aufgaben können wir an dem einen großen Werk Gottes in dieser Welt mitwirken: am Bau des Reiches Gottes.
Ich denke, dass wir in diese Welt gesetzt sind, um dabei mitzuwirken, dass Gottes Reich der Gnade und Liebe an möglichst vielen Orten Raum gewinnt. Man kann dazu beitragen in der Familie, an der Arbeitsstelle, im Freundeskreis und im Sportverein – einfach überall.
In diesem letzten Teil zum Reich Gottes möchte ich allen Menschen zurufen: Am Reich Gottes mitzuarbeiten ist nicht nur eine Ehre, sondern es macht auch Freude. Das Leben erhält einen Sinn. Was man tut, ist nicht vergeblich. Manchmal sieht es zwar so aus, als sei alle Mühe umsonst. Man sieht wenig vom Reich Gottes in der Welt. Das macht mich traurig. Aber ich versuche zu glauben, dass Gott trotzdem in der Welt wirkt – auch durch meinen Beitrag, der mir oft so belanglos erscheint.
Und ich sehe mich in allen Wirren dieser Zeit auf dem Weg einem Ziel entgegen. Am Ende wird sich durchsetzen, was jetzt noch am Reich Gottes fehlt. Darauf freue ich mich, auch wenn das dem Reich Widerstrebende mir jetzt noch das Leben schwer macht.
Wir sind also eingeladen, am Reich Gottes mitzubauen. Manche Menschen fragen allerdings: "Ist das Reich Gottes nicht eine Sache für den Himmel – für das zukünftige ewige Leben?"
Ich sage dazu: Nicht nur. Gott baut sein Reich schon jetzt. Aber wir Menschen arbeiten noch oft dagegen. Der Bau wird untergraben und steht auf wackligen Beinen. Er wird darum erst in der neuen Schöpfung von Himmel und Erde vollendet sein (Offb 21,1-5).
Doch im Vaterunser beten wir schon jetzt: "Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden." Was im Himmel schon jetzt Wirklichkeit ist, soll auf Erden noch Wirklichkeit werden – und zwar nicht erst in ferner Zukunft, nicht erst im ewigen Leben, sondern schon in dieser Welt. Dafür setzen sich alle ein, die am Reich Gottes mitbauen.
Aber sind wir nicht zu schwach dazu, Gottes Reich zu bauen? Ist das nicht allein Gottes Sache?
Mit Jesus ist das Reich Gottes angebrochen. Das Reich Gottes ist also zuerst Jesu Sache. Die Menschen, die ihm begegneten und denen er sich zuwandte, haben das Reich Gottes am eigenen Leibe erfahren (siehe Was ist das Reich Gottes? (Teil 4)).
Der Epheserbrief hat für die Christenheit auf Erden das Bild des Leibes Christi gefunden (Eph 1,22f). Gemeint ist, dass die Christenheit die leibliche Gegenwart Christi darstellt, der ja leiblich nicht mehr unter uns ist. Darum sagte Jesus zu seinen Jüngern (Mt 6,33; 10,7f):
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit! Dann werden euch alle [lebensnotwendigen] Dinge hinzugefügt werden.
Wenn ihr [zu den Menschen] hingeht, dann verkündet: "Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen." Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!
Das gilt auch für uns: Wir sollen also mit exakt denselben Worten das Reich Gottes verkündigen, wie Jesus es tat (Mt 4,17), und wir sollen dieselben Taten tun, die Jesus getan hat (Mt 11,5). Auch wenn uns das nicht immer gelingen wird (auch Jesu Jünger konnten es nicht; Mt 17,16): Es ist unsere Aufgabe, den leiblich abwesenden Christus sozusagen zu verleiblichen. Das Reich Gottes ist also, weil es Jesu Sache ist, auch unsere Sache.
Wir sind zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Reich Gottes berufen. Wir werden das Reich nicht aus eigener Kraft bauen können. Aber wir können auf Gottes Kraft vertrauen, mit der er uns ausstatten will.
Im 19. Jahrhundert nannte man die missionarischen und diakonischen Dienste der Christenheit in der Welt "Reich-Gottes-Arbeit." Dazu gehört das "Rauhe Haus" für verwahrloste Kinder, das Johann Hinrich Wichern in Hamburg gründete. Oder die Anstalten für Behinderte in Bielefeld-Bethel, die Friedrich von Bodelschwingh aufbaute.
Welche Beispiele könnte es heute dafür geben, im täglichen Leben zuerst nach dem Reich Gottes zu trachten und zu erleben, dass uns alles Lebensnotwendige dadurch hinzugefügt wird:
- Zuerst für andere da sein. Dann werden wir aneinander wachsen und miteinander glücklich sein. Denn wer für andere da ist, findet sich selbst, spürt seine Lebendigkeit und erlebt einen tiefen Sinn in seinem Leben.
- Zuerst keine Kirche und Gemeinde für sich selbst sein, sondern eine für andere. Dann wird die Kirche und Gemeinde stark werden und überzeugend auf ihre Mitmenschen wirken.
- Zuerst keine Regierung sein, die sich um die nächste Wahl sorgt, sondern eine, die sich um das Land und die Welt sorgt. Dann wird sie die Stimmen der Armen und Benachteiligten sammeln, die sich ihr Recht nicht durch teure Anwälte kaufen können, und die Stimmen aller Menschen guten Willens werden ihr zufallen.
- Zuerst langfristig denken und für die zukünftigen Generationen da sein. Dann wird auch unsere eigene Generation an Lebenswert gewinnen.
Ich sprach von der "Reich-Gottes-Arbeit." Aber das Eintreten für das Reich Gottes ist nicht nur Arbeit, sondern auch Ruhe: die Sonntagsruhe, die auf die Auferstehung vorausblickt, und im jüdischen Glauben die Sabbatruhe, von der die Sonntagsruhe abgeleitet ist. Nach einer jüdischen Tradition ist ein richtig gefeierter Sabbat bereits ein Sechzigstel des Reiches Gottes. Die Ruhe gehört im jüdisch-christlichen Denken dazu: Ruhen im Vertrauen darauf, dass Gott auch ohne unsere Rastlosigkeit sein Reich baut.
Man kann das griechische Wort für "Reich Gottes" auch mit "Gottesherrschaft" übersetzen. Wenn Gott über uns herrscht, werden wir aber nicht unterdrückt, sondern geliebt. Es ist die Herrschaft der Liebe, die nicht zwingt, sondern bittet, nicht fordert, sondern einlädt, nicht die Freiheit nimmt, sondern sie schenkt (siehe Was ist das Reich Gottes (Teil 1)).
Für uns bedeutet die "Gottesherrschaft" keinen blinden Gehorsam, sondern "das Aufleben aller Geschöpfe in der Gemeinschaft des Schöpfers" (Jürgen Moltmann). In dieser Gemeinschaft haben die Geschöpfe teil an Gottes Weg und Ziel, an seiner Herrlichkeit und Schönheit.
Wenn wir in dieser Teilhabe leben, dann gehorchen wir unserem Gewissen und lassen uns nicht durch die "Werte", die andere uns nahelegen, betäuben. Wir sind wir selbst. Im Reich Gottes gibt es keinen christlichen Zwang, sondern nur freiwillige christliche Selbstdisziplin.
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Weitere Teile der Reihe zum Reich Gottes:
Teil 1: Reich Gottes – Raum der Lebenslust.
Teil 4: Reich Gottes – geheilte Lebendigkeit.
Teil 5: Reich Gottes – Glück der Armut.
Verwendete Literatur: Jürgen Moltmann: Wer ist Christus für uns heute? Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1994. S. 21-29.
Foto: Klaus Straßburg.
"Aber ich versuche zu glauben, dass Gott trotzdem in der Welt wirkt – auch durch meinen Beitrag, der mir oft so belanglos erscheint." ... so geht es vielen ... sehr vielen ... und wir sind dann doch nur die die sähen, so gut wir eben durch die Liebe Gottes befähigt wurden ... aber der Boden ist nun mal wie er ist ... man kann ihn lockern, gießen und düngen, aber das Wachsen ist außerhalb unser Möglichkeiten, so dass unsere Hoffnung sich nur auf das Geben konzentrieren sollte. Und wer weiß, welches Timing manche Menschen haben. Jeder lernt auf seine eigene Weise, der eine auf die harte Tour und der andere sehr langsam ... und mancher überhaupt nicht ... und trotzdem wollen wir Ernten und es Wachsen sehen ... vielleicht sollte wir uns mehr darauf konzentrieren, von der Freude und Begeisterung erfasst zu werden von Gott zu lernen, das Gelernte erfolgreich angewendet zu haben, und den Wunsch gegenseitig zu Teilen zu pflegen ... völlig unabhängig ob es zur Befruchtung des Geistes kommt. Alles hat seine Zeit aber auch wann eine Zeit abläuft.
Daher sind wir alle hier in der "Grundschule", um Lieben zu lernen, weil in den nächsten LebensRealitäten nicht mehr jeder auf der gleichen "Schule" sein wird, denn unsere Wege werden für einen jeden andere Realitäten, Systeme und Verantwortungen werden. Das erleben wir heute schon in den christlichen Gemeinschaften in unserem jetzigen Leben.
vielen Dank für deine Ergänzungen. Ich denke auch, wir sollten mehr die Freude zum Zuge kommen lassen, die darauf vertraut, dass Gott die Saat wachsen lässt, auch wenn wir davon wenig oder nichts sehen. Denn sein Wort wird nicht leer zu ihm zurückkehren (Jes 55,11). Und das Aufgehen der Saat ist nicht immer in Zahlen zu messen. Ich glaube, dass jede Christin und jeder Christ an ihrer bzw. seiner Stelle ein wenig dazu beiträgt.