Neues aus Hamsterland
Klaus Straßburg | 17/04/2020
Nun hamstern wir also weiter. Es wird noch lange dauern, sagt man uns. Da kann ich nur hoffen, dass wir in dieser Zeit möglichst viel Gutes einhamstern werden.
Eigentlich wollten wir demnächst Urlaub machen. Der ist natürlich abgesagt. Stattdessen pendele ich jetzt zwischen Sonne und Schreibtisch. Auch Zu-Hause-Bleiben und Pendeln hat seine Vorzüge: Ich genieße die Sonne und zugleich alle Vorzüge meines Zu-Hause-Seins. Zum Beispiel den, solche Hamstertexte zu schreiben.
Alles ist ruhiger als sonst. Eigentlich ist das gar nicht schlecht, jedenfalls eine Zeit lang. Manche kommen endlich mal raus aus dem Hamsterrad. Ich werde nicht von Terminen getrieben. Ich komme dazu, Dinge zu erledigen, die ich immer wieder aufgeschoben habe. Ich habe Zeit, über dies und das nachzudenken. Manchmal wünsche ich mir, etwas von dieser Ruhe könnte ich für die Zeit nach dem Virus hamstern.
Ich weiß natürlich, dass für viele Hamster jetzt eher Stress und Hektik den Alltag bestimmen und dass ich selbst demgegenüber in einer sehr komfortablen Situation bin.
Ich sitze in der Sonne und lausche den Vögeln (und das mitten im April!). Was die sich wohl alles zu erzählen haben? Ich würde sie gern verstehen, aber ihre Sprache zu entschlüsseln ist uns alles erforschenden Hamstern noch nicht gelungen. Jedenfalls sind die Vögel unberührt von allen Corona-Sorgen – im Gegensatz zu uns. Da fällt mir Jesu Wort ein:
Seht die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen;
euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
Seid ihr denn nicht viel mehr wert als sie?
Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne hinzusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt? (Mt 6,26f)
Das ist wohl wahr. Vielleicht sollten wir die Ruhe auch dazu nutzen, solche Gedanken mal so richtig in uns hineinzuhamstern.
Stattdessen hamstern wir anderes. Nicht nur Klopapier, sondern auch Hefe. Klopapier und Hefe? Wie hängt das zusammen? Wie kann man das verstehen? (Typische Theologenfragen!) Ich hab's: Wir Hamster machen uns Sorgen darum, dass oben zu wenig reinkommt und unten zu viel rauskommt. Merkwürdig! Logisch ist das nicht. Wie soll denn unten zu viel rauskommen wenn oben zu wenig reinkommt?
Sorgen sind eben nicht logisch. Ich mache mir auch Sorgen, wenn mir andere Hamster zu nahe kommen. Im Hamstermarkt zum Beispiel. Ich habe festgestellt: Es gibt zwei Arten von Hamstern. Die einen schleichen leise und kaum sichtbar mit Handschuhen und Maske durch den Hamstermarkt. Sie tun mir leid, weil sie so ängstlich aussehen. Die anderen schlendern breit und zu zweit und lautstark durch denselben Markt, ohne die anderen wahrzunehmen. Sie ärgern mich, weil sie nur sich selbst zu kennen scheinen und Abstand unmöglich machen. Darum habe ich beschlossen: Ich werde demnächst eine Maske im Markt tragen. Unsere Oberhamster in Berlin haben es ja auch so empfohlen.
Vor einigen Tagen habe ich Folgendes erlebt: Der Gang im Hamstermarkt war etwa 2 Meter breit. Links stand eine Hamsterin und rechts eine andere, sie hielten also den Abstand zueinander ein. Aber beide unterhielten sich über den Gang hinweg. Wenn man weitergehen wollte, musste man mitten zwischen ihnen und ihrem Hamsteratem hindurch. Igitt! Weil ich ein schlauer Hamster bin, habe ich einen Umweg gemacht und bin so den beiden aus dem Weg gegangen. Aber geärgert hat mich das schon etwas...
Du merkst schon, wie die Angst sich irgendwie auch in mir breit macht.
Leider habe ich das Gefühl, dass viele Hamster das Virus noch gar nicht wirklich ernst nehmen. Auf einer Wanderung stießen meine Hamsterfrau und ich auf eine Gruppe von fünf Erwachsenen, die nicht so aussahen, als ob sie zum selben Hamsterhaushalt gehörten. Die machten Picknick auf einer Bank und feierten lautstark mit Bier und Musik. Ich will ja kein Spielverderber sein, aber ich frage mich schon, ob man das Virus nicht etwas ernster nehmen sollte (aber auch wieder nicht zu ernst – nicht das Virus regiert über unser Leben).
Es gab und gibt ja viele Hamster, denen das mit dem Ernstnehmen schwer fällt. Zum Beispiel der Oberhamster in Amerika hat lange gebraucht, bis er die Kurve kriegte. Mir tun nur die vielen Unterhamster leid, die jetzt krank werden oder sogar sterben. Oder bleibende Schäden davontragen.
Der Oberhamster kann zwar nichts dafür, dass er nur ein so klitzekleines Mäuschenhirn hat. Aber er könnte doch wenigstens auf seine Ratgeber hören. Tut er aber nicht, wie man hört. Er soll bloß aufpassen, dass er das Amerika, das er wieder groß machen will, nicht ganz klein macht.
Irgendwie sieht er bei seinen Auftritten im Fernsehen selbst schon ganz klein und gebeugt aus. Tja, das Virus kümmert sich eben nicht um Fake News. Da ist er wohl mit seinem Latein am Ende.
Der Oberhamster in Großbritannien, der das Virus auch zuerst nicht ernst nahm und groß tönte, er würde sogar jedem Infizierten die Hamsterpfote schütteln, war ja dann selbst schwer erkrankt. Ich habe ihm das nicht gewünscht. Aber immerhin gibt es einen Zusammenhang zwischen dem, was ich tue, und dem, wie es mir schließlich ergeht. Die Theologie hat dafür das Wortungetüm „Tun-Ergehen-Zusammenhang" geprägt. Zwar ergeht es dem, der Schlechtes tut, nicht immer sogleich schlecht. Aber es gibt im Alten und Neuen Testament doch die Vorstellung, dass (jedenfalls langfristig gesehen) auf der schlechten Tat kein Segen ruht und der Täter die bösen Folgen seiner Tat irgendwann selber wird tragen müssen (Ps 7,16f).
Leider müssen aber auch die Unterhamster die bösen Folgen der Taten ihrer Oberhamster tragen. Dabei soll doch die Liebe das Kriterium alles staatlichen Handelns sein, sozusagen die Liebe der Oberhamster zu ihren Unterhamstern. Durch die Liebe aber werden oben und unten relativiert: Die Oberhamster haben Gott zu dienen und gerade deshalb auch ihren Unterhamstern zu dienen. Du merkst schon, wie oben und unten in der Liebe verschwimmen. Solchen Oberhamstern, die das Gute suchen, sollen dann nach Paulus die Unterhamster gehorchen (Röm 13,1-7) – aber eben nur dann, wenn sie ihrem Liebesauftrag gerecht werden (Röm 12,9f; 13,8-10).
Ich bin zwar ein Hamster, der unsere Oberhamster in Berlin durchaus kritisch sieht, aber ich finde, im Moment machen sie ihre Sache ziemlich gut. Natürlich könnte Manches besser laufen, aber hinterher weiß man es immer besser und sollte nicht besserwisserisch die kritisieren, die vorher entscheiden mussten. Ich hoffe nur, dass es bei uns so weitergeht wie bisher und das Virus sich immer weniger einhamstern kann. Und dass wir auch anderen Ländern, die nicht so gut dran sind, stärker helfen – von den Menschen in den griechischen Flüchtlingslagern ganz zu schweigen. Da müssen die Oberhamster noch deutlich zulegen.
Jedenfalls haben sie Regeln für uns festgelegt. Und das ist gut so. Der Weisheitshamster Richard David Precht meinte vor ein paar Tagen im ZDF: Wir Hamster brauchen klare Ansagen und feste Regeln. Manchmal denke ich: Die meisten Hamster sehnen sich geradezu danach. Sie wollen und können gar nicht alles selbst entscheiden. Darum möchten sie Wegweiserfür ihr Leben. Solche wie Gottes Gebote, die nichts anderes als Wegweisungen Gottes sind. Nun trauen sich die Politikhamster, das zu tun, was wir Christenhamster schon gar nicht mehr wagen: Den Mithamstern klare Wegweisungen und feste Regeln zu geben. Könnte es sein, dass wir Christenhamster unsere Mithamster orientierungslos zurückgelassen haben?
Manchmal halten sich allerdings unsere Oberhamster nicht an ihre eigenen Regeln. Hast du das gesehen? Unser Obergesundheitshamster mit vielen anderen sehr wichtigen Hamstern dicht gedrängt in einem kleinen Fahrstuhl, Abstand ungefähr 20 Zentimeter bis Körperkontakt. Wie war das mit dem Vorbild?
Lustig anzusehen war, wie unser Obergesundheitshamster drei Versuche brauchte, um sich seine Schutzmaske richtig herum aufzusetzen: So herum, nein so herum, oder doch anders herum? Wo ist denn nun oben und unten? Und das vor laufenden Kameras – peinlich, peinlich!
Sie sind eben auch nur Hamster, unsere Oberhamster.
Manchmal denke ich: Will Gott uns mit dieser Krise vielleicht etwas sagen? Dazu meinte der Weisheitshamster Richard David Precht: „Wir haben einen Warnschuss der Natur bekommen." Keiner der anwesenden klugen Hamster widersprach, alle schienen einverstanden. Ob sie auch einverstanden gewesen wären, wenn jemand gesagt hätte: „Wir haben einen Warnschuss Gottes bekommen"?
Irgendwie ist die Natur mit ihren Gesetzen an die Stelle Gottes mit seinen Geboten getreten: Man glaubt lieber an die Natur als an Gott.
Vorsichtig sein muss man damit, aus irgendwelchen Ereignissen Worte Gottes herauszuhören. Das kann ganz schön in die Hose gehen - da hilft dann auch keine Wagenladung Klopapier. Aber das Alte und Neue Testament sprechen immer wieder von Gottes Gericht, wenn die Menschen sich schlecht verhalten. Und das Gericht ist nicht einfach Strafe um der Strafe willen, sondern es ruft uns zur Umkehr (Jes 30,15-17; Jer 35,15). Könnte es sein, dass Gott uns zur Umkehr rufen will?
Ich weiß es nicht, aber es ist immerhin möglich. Die Naturwissenschaftshamster geben jedenfalls zu bedenken, dass das Virus deshalb vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist, weil der Mensch in den Bereich der Wildtiere eingedrungen und ihnen zu nah gekommen ist. Wenn Gott schon den Lebensraum der einzelnen Völker bestimmt hat (Dtn/5Mo 32,8; Apg 17,26), sollte er dann nicht auch den Tieren ihren Lebensraum zugeteilt haben? Und was passiert, wenn wir in deren Lebensraum eindringen? Wenn wir sie aus ihrem Lebensraum herausholen und auf riesigen Märkten halten, töten, braten und essen? Wenn wir sie massenhaft in unserer Nähe einpferchen? Dann hat es ein Virus leicht, auf uns überzuspringen. Hat Gott uns also an unser eigenes unheilvolles Tun hingegeben? Fällt nun auf uns selbst zurück, was wir getan haben?
Jedenfalls hoffe ich, dass wir durch diese Krise vor allem gute Einsichten hamstern. Das griechische Wort krisis bedeutet auch „Scheidung, Unterscheidung". Vielleicht lernen wir ja zu unterscheiden: Was ist wichtig, was nicht? Was brauchen wir wirklich, um glücklich zu sein? Müssen wir Tiere in Massen halten, so wie wir es tun? Müssen wir sie in Massen essen? Müssen wir wie verrückt durch die Welt fliegen, wo Gott uns Hamster doch für die Erde gemacht hat? Aber wir sind eben nie zufrieden: Wir wollen nicht Hamster, sondern Vögel sein. Wären wir aber Vögel, dann ... na, du weißt schon.
Ich will keine Angst verbreiten. Aber vielleicht gibt uns Gott jetzt einen Schuss vor den Bug – oder besser gesagt: vor unseren unersättlichen Hamsterbauch. Und wir sollten uns öfter mal still draußen hinsetzen und den Vögeln lauschen (ohne ihnen mit viel Getöse hinterherfliegen zu wollen). Vielleicht fällt uns dann auch öfter Jesu Wort von den Vögeln ein, die von ihrem himmlischen Vater ernährt werden, ohne dass sie sich darum sorgen. Und wir denken daran, dass wir unser Leben um keine Minute verlängern können. Übrigens auch unser Glück nicht vergrößern können.
Wenn wir daran denken, dann werden wir vielleicht genügsamer, dankbarer und – glücklicher.
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Was wir in Krisenzeiten Hamstern nennen, ist berechtigterweise verpönt. Das gleiche findet aber in 'guten' Zeiten ebenso statt, heißt dann Marktwirtschaft und ist leider weniger verpönt.