Mit der Masse oder mit Jesus gehen – Über Sophie Scholl
Klaus Straßburg | 09/05/2021
Heute morgen hörte ich im WDR den Rundfunkgottesdienst. Diesmal hat er mich so sehr beeindruckt, dass ich euch etwas davon weitergeben möchte.
Am heutigen Tag jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Sophie Scholl, der Widerstandskämpferin im Dritten Reich. Thema der Predigt war eben jene Sophie Scholl. Ich dachte am Beginn der Predigt: Oh nein, schon wieder so eine Predigt, bei der es nur um Politik geht. Doch ich wurde eines Besseren belehrt.
Ich gebe hier nicht die Predigt des Pastors Robert M. Zoske aus der Ansgarkirche in Hamburg (Gottesdienst am 9. Mai 2021 anklicken) wieder, sondern nur einige Äußerungen Sophie Scholls, die in der Predigt zitiert wurden, und die dazugehörigen Informationen.
Sophie Scholl führte Tagebuch. Ihre Tagebücher sind voll von Gebeten. Es ist ein Ringen um den Glauben. Einmal schreibt sie:
Gegen die Dürre des Herzens [hilft] nur das Gebet, und sei es noch so arm und klein.
Schon die junge Frau erfährt in ihrem Leben, wie schwer es zuweilen ist, Gott zu vertrauen. Und sie erfährt die Kraft des Betens gegen den Kleinglauben.
Wie wichtig ihr die Gnade Gottes war, zeigt eine kleine Episode: Eine wohl katholische Freundin fragte sie einmal danach, was sie vom Fegefeuer halte. Sophie antwortet, sie habe noch nie darüber nachgedacht. Sie wolle zwar nichts ausschließen und habe hierzu noch keine abschließende Meinung. Aber die Bilder, die davon gemalt würden, seien ihr fremd. Doch von einem sei sie überzeugt:
Für mich gäbe es nur ein ‚in Gott' oder ‚außer Gott' nach dem Tode.
Und sie fügt hinzu, was sie einen Roman gelesen hat, in dem eine Person über das Fegefeuer sagt, „daß dieses Feuer ihre harte und unreine Seele vollends läutere". Scharfsinnig folgert sie:
Demnach wäre es ja auch nur wieder eine Gnade.
Sophie Scholl hat etwas Entscheidendes erkannt. Sie hat erkannt, dass auch das Schmerzhafte, das uns von Gott her widerfährt, nichts anderes als Gnade ist, weil der gnädige Gott nicht zwei Gesichter hat: ein freundliches und ein hässliches. Gott hat vielmehr nur ein einziges Gesicht: das Gesicht der Gnade.
Während schon der Krieg tobte und täglich Menschen starben, betrachtete Sophie Scholl einmal die Wassertropfen auf zwei Rosen, die sich wie Perlen aneinanderreihten. Sie schrieb dazu in ihr Tagebuch:
Wie schön und rein dies aussieht, welch kühlen Gleichmut es ausstrahlt. Daß es dieses gibt. Daß der Wald so einfach weiter wächst, das Korn und die Blumen, daß Wasserstoff und Sauerstoff sich zusammengetan haben zu solch wunderbaren lauwarmen Sommerregentropfen. Manchmal kommt mir dies mit solcher Macht zu Bewußtsein, daß ich ganz voll davon bin [...]. Dies alles gibt es, trotzdem sich der Mensch inmitten der ganzen Schöpfung so unmenschlich und nicht einmal tierisch aufführt. Allein dies ist schon eine große Gnade.
Die Worte könnten heute geschrieben sein. Wir haben es verlernt, die Wunder der Schöpfung zu sehen. Wir erkennen darin keine Gnade mehr. Darum üben wir auch selber keine Gnade mehr mit der Schöpfung. Wer um Gottes Gnade nicht weiß, wird selber gnadenlos.
Dagegen wendet sich alles in Sophie Scholl. Sie will nicht den gnadenlosen Weg der Masse gehen, die Hitler folgte. Sie will den Weg einschlagen, den Jesus ging:
Aber im Grunde kommt es ja nur darauf an, ob wir bestehen, ob wir uns halten können in der Masse, die nach nichts anderem als nach Nutzen trachtet. [...] Wahrscheinlich hat es bisher nur ein Mensch fertiggebracht, ganz gerade den Weg zu Gott zu gehen. Aber wer sucht den heute noch?
Die Frage stellt sich in Westeuropa heute mehr denn je. Wer nicht nur den eigenen Nutzen suchen, sondern Jesus nachfolgen will, kommt gar nicht umhin, gegen den Strom zu schwimmen. Er wird von allen Seiten Widerspruch erfahren. Er wird als irrational, zurückgeblieben, extrem und etwas spinnert abqualifiziert werden. Denn die Masse hält es nicht aus, dass Einzelne von ihr abweichen. Deshalb müssen sie mundtot gemacht werden.
Sophie Scholls politisches Engagement folgt direkt aus ihrem Glauben an Jesus. Sie erklärte einer Freundin, dass sie nicht durch Untätigkeit schuldig werden wolle. Sie verstehe zwar nichts von Politik, aber sie habe ein Gespür für Recht und Unrecht. Darum müsse sie gegen den Unrechtsstaat der Nationalsozialisten kämpfen. Sie geht so weit, dass sie sagt: Wenn sie eine Waffe hätte, dann würde sie Hitler erschießen. Und sie fügt hinzu:
Wenn es die Männer nicht machen, muß es eben eine Frau tun.
Man muss nichts von Politik verstehen, um zu spüren, was Recht und was Unrecht ist. Es gibt keine Ausreden für Untätigkeit. Die Ausreden, man verstehe davon nichts, man könne das nicht, man sei zu schwach, man habe doch gar keine Macht, die Politiker würden sowieso tun, was sie wollen – all das lässt Sophie Scholl nicht gelten. Auch die beliebte Ausrede, Christen sollten sich aus der Politik heraushalten, war ihr offenbar fremd. Und sie setzt schon in den 1940er Jahren einen Akzent für das Engagement von Frauen: Was die Männer nicht schaffen, muss eine Frau übernehmen. Das ist das Gegenteil von vorgetäuschter Machtlosigkeit und Schwachheit.
Sophie Scholls Engagement gründet nicht in einer politischen Haltung oder in einem kirchenfernen Humanismus, sondern in der Botschaft der Bibel. Als ihr Freund Fritz Hartnagel ihr davon berichtet, wie sich seine Kameraden den Überlebenskampf in der Natur als Vorbild nahmen für den Kampf der Völker um das Überleben des Stärkeren im Krieg, hält Sophie dem entgegen, dass der Krieg nicht „natürlich" sei, sondern von Menschen gemacht. Dann fordert sie Fritz auf, einen „herrlichen Satz" aus der Bibel zu lesen, nämlich Röm 8,2:
Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Und sie fügt hinzu:
Sind jene nicht arm, entsetzlich arm, die dies nicht wissen und [nicht] glauben? [...] Ja, wir glauben auch an den Sieg der Stärkeren, aber der Stärkeren im Geiste.
Die im Glauben gewonnene Freiheit reißt den Menschen aus der Masse heraus und ermöglicht es ihm, gegen die Masse und gegen alle Anfeindungen „dem Gesetz der Sünde und des Todes" nicht mehr zu folgen. Die ihren Nutzen suchen und reich erscheinen, und seien sie die große Masse – sie sind in Wahrheit die Armen. Und die sich stark fühlen im Kampf um den Lebensvorteil der Stärkeren, die wissen nichts von der Stärke im Geiste Gottes. Doch die Stärkeren im Geiste werden den Sieg davontragen.
Aber Sophie Scholls Glaube war nicht etwa unangefochten. Sie wird von Ängsten geplagt, als die entscheidende Phase des aktiven Widerstands näherrückt. Sie schreibt, dass sie Angst in sich habe und nichts als Angst und sich nur nach dem sehne, der ihr diese Angst abnehme. Die Gemeinschaft mit Gott scheint ihr verlorengegangen zu sein:
Ich bin Gott noch so ferne, daß ich ihn nicht einmal beim Gebet spüre. Ja manchmal, wenn ich den Namen Gott ausspreche, will ich in ein Nichts versinken. Das ist nicht etwa schrecklich, oder schwindelerregend, es ist gar nicht – und das ist noch viel entsetzlicher. Doch hilft dagegen nur das Gebet, und wenn in mir noch so viele Teufel rasen, ich will mich an das Seil klammern, das mir Gott in Jesus Christus zugeworfen hat, und wenn ich es nicht mehr in meinen erstarrten Händen fühle.
Der Glaube ist nicht das beständige Spüren der Nähe Gottes. Auch das Gebet ist es nicht. Wer glauben will, muss sich auf Einsamkeit und Leere gefasst machen. Er muss nicht nur bereit sein zu ertragen, dass die Menschen ihm widersprechen, ihn ausgrenzen und herabsetzen, sondern auch, dass Gott sich ihm entzieht und er die Nähe Gottes nicht mehr spürt. Er muss die Standfestigkeit aufbringen, trotz alldem nicht aufzugeben, sondern sich an das Seil zu klammern, das ihm Gott in Jesus Christus zugeworfen hat.
Das hat mir heute eine 20jährige gepredigt. Eine junge Frau, die am 22. Februar 1943 von den Nazis hingerichtet wurde. Also doch kein Sieg der Stärkeren im Geiste?
Die Antwort lautet: Der Sieg der Stärkeren im Geiste steht fest, auch wenn es in der Welt anders aussieht. Denn die Gemeinschaft mit Gott kann uns niemand nehmen.
Am Tag des Todes von Sophie Scholl besuchte ihre Mutter Magdalene Scholl ein letztes Mal ihre Tochter. Sie sagte ihrer lächelnden Tochter in deren letzten Minuten im Gefängnis: „Aber gelt, Jesus." Es wird berichtet, dass Sophie „überzeugend, fast befehlend" antwortete:
Ja, aber Du auch.
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(Die Predigt ist hier als PDF [Gottesdienst am 9. Mai 2021 anklicken] herunterzuladen. Der ganze Gottesdienst ist hier als Podcast zu hören.)
danke für diesen Beitrag!
Viele Grüße
Thomas
gern geschehen!
Viele Grüße
Klaus