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Mit dem Anfang anfangen

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Mit dem Anfang anfangen
Klaus Straßburg | 16/06/2020

Womit soll man anfangen, wenn man vom christlichen Glauben redet? Die Frage ist nicht so unwichtig, wie es vielleicht scheinen mag. Es ist sogar eine entscheidende Frage. Denn der Anfang bestimmt die ganze Sache.

Vor einigen Tagen las ich in einem theologischen Buch eine einzige Seite über den Anfang. Es war wie eine Antwort auf meinen Artikel Gegen den Augenschein. Darin hatte ich beschrieben, dass wir mit unseren Sinnen nichts von Gott wahrnehmen können. Wir haben nichts in der Hand, was uns bestätigt, dass unser Glaube wahr ist. Ja, wir müssen gegen all das Ungöttliche, das wir wahrnehmen, anglauben.

Womit also soll das Nachdenken über den Glauben anfangen? In dem besagten Artikel habe ich mit der Vernunft angefangen, für die nur das wahr ist, was für sie irgendwie „objektiv" erfahrbar ist: sehen, hören, messen usw. Als „moderner", aufgeklärter Mensch der Neuzeit beurteile ich die Wirklichkeit mit meiner Vernunft: Was vor meiner Vernunft bestehen kann, das halte ich für wahr. Was nicht vor ihr besteht, das verwerfe ich.

Der Glaube hat es schwer gegenüber dieser Vernunft. Denn Gott ist ihr nicht sichtbar, hörbar, messbar. So produziert meine Vernunft Fragen und Zweifel.

Es gibt eine Alternative dazu, mit der Vernunft anzufangen. Fromme christliche Strömungen (der sog. Pietismus) bildeten von Beginn an eine Gegenbewegung gegen den Zweifel des aufgeklärten Menschen. Pietisten fangen mit den subjektiven Erlebnissen an, die Christ*innen machen. In Ereignissen und Gefühlen erfahren sie die Nähe und Gegenwart Gottes. Das verschafft ihnen die Sicherheit, dass Gott da ist und in der Welt handelt: Man kann seine Gegenwart ja an Erlebnissen und Gefühlen ablesen.

Der aufgeklärte moderne Mensch fängt mit seiner Vernunft an, also mit sich selbst. Der Pietist fängt mit seinen Erlebnissen und Gefühlen an, also auch mit sich selbst. Denn beides, was wir denken und was wir erleben und fühlen, ist jeweils ein Teil von uns selbst.

Was ich mir nun auf jener einen Seite des theologischen Buches sagen ließ, war: Der Anfang des Nachdenkens über Gott ist weder unsere Vernunft noch sind es unsere Erlebnisse und Gefühle. Wir dürfen nicht mit uns selbst anfangen, wenn es um den christlichen Glauben geht. Sondern wir müssen mit Gott anfangen: mit dem „Gott sprach" (lateinisch Deus dixit, was zum theologischen Fachbegriff wurde).

Der Anfang besteht also darin, dass Gott zu uns redet. Er ist kein sprachloser Gott oder einer, der nur mit sich selber spricht. Er ist ein Gott, der uns anredet und eine Beziehung zu uns herstellen will. Wir können Gottes Stimme zwar nicht akustisch hören; aber Gott hat viele andere Weisen, sich uns vernehmbar zu machen.

Das kann auch durch Erkenntnisse der Vernunft, durch Erlebnisse oder Gefühle geschehen. Wichtig dabei ist aber, dass Gott den Anfang macht, nicht wir. Wir können den Anfang, den Gott bereits gemacht hat, immer nur nachträglich aufgreifen und uns darauf einlassen.

Natürlich stellt sich sofort die Frage: Woher weiß ich denn, dass meine Gedanken, Gefühle und Erlebnisse durch Gott gewirkt sind, dass Gott durch sie zu mir gesprochen hat?

Um das festzustellen, brauche ich einen Maßstab außerhalb von mir selbst. Meine Vernunft, meine Gefühle oder Erlebnisse können mich täuschen. Aber gibt es etwas, was mich nicht täuscht, worauf absolut Verlass ist?

Wenn es so etwas gibt, dann kann es nur Gott selber sein. Ein Gott, der uns nicht täuscht und betrügt, sondern der treu zu uns steht und dabei sich selber treu bleibt. Der absolut vertrauenswürdig ist. Der hält, was er verspricht. Dieser Gott muss der Maßstab sein für alles, was ich über Gott denke, von ihm fühle und mit ihm erlebe.

Um mich nicht selber über Gott zu täuschen, muss ich mich also an sein Wort halten. Sein Wort besteht, wenn man dem Neuen Testament folgt, nicht einfach in den Worten der Bibel. Sondern das Wort Gottes ist zuerst Jesus. „Am Anfang war das Wort. [...] Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit wie die des Einziggeborenen vom Vater, voll von Gnade und Wahrheit" (Joh 1,1.14).

Wenn das Neue Testament von Jesus als dem einzigen Sohn Gottes redet, dann meint es, dass Gott durch ihn in einzigartiger Weise zu uns geredet hat.

Was ist der Maßstab für meine Gedanken über Gott? Das Wort Gottes, das Jesus ist. Ein lebendiges Wort, ein Wort der Liebe, so wie Jesus lebendige Liebe gelebt hat.

Man könnte sagen: Erst in zweiter Linie sind die biblischen Worte Gottes Worte. Sie bezeugen das Wort Gottes, das in Jesus erschienen ist. Sie weisen auf ihn hin.

Und erst in dritter Linie können die vielen, seit 2.000 Jahren gesprochenen und geschriebenen Worte Gottes Worte sein. Sie müssen gemessen werden an den biblischen Worten und an dem einzigartigen Wort, das Jesus ist.

Durch Jesus Christus ist der Anfang gemacht, noch bevor jemand von ihm geschrieben oder gesprochen hat; noch bevor wir angefangen haben, über Gott nachzudenken oder irgendetwas von ihm erfahren oder gefühlt haben. Gott ist uns zuvorgekommen.

Mit seinem Wort kommt uns Gott bis heute zuvor. Wir haben mit allem, was wir anfangen, unseren Anfang schon hinter uns. Was wir jetzt noch zu sagen haben, kann nur von diesem Anfang, den Gott gemacht hat, herkommen und zu ihm zurückführen (Röm 11,36a).

Wir sollen also nicht anfangen mit unseren Wünschen nach Klarheit, unserer Sehnsucht nach Sichtbarkeit, unserem Bedürfnis nach Beweisen. Wenn wir so anfangen, kommen wir nicht weiter, sondern kommen immer wieder nur zu uns selbst zurück. Wir landen dann bei unerfüllten Wünschen, Sehnsüchten und Bedürfnissen: bei Fragen, Zweifeln und Selbsttäuschungen.

Mit dem Anfang anzufangen: Ich verstehe das als Ermutigung, mich allein auf Gottes Wort zu verlassen. Es ist nichts weiter als ein Wort. Das scheint wenig zu sein. Aber es ist unfassbar viel, weil es nicht irgendein Wort ist, sondern Gottes Wort. Das Wort des Gottes, der uns in seiner unergründlichen Liebe treu ist und bleibt vom Anfang bis zum Ende. „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" (Mt 28,20b). Was für ein letztes Wort Jesu am Ende des Matthäusevangeliums!

Alles zu theoretisch? Dann hier etwas Praktisches:

Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir und will dich segnen (Gen/1Mo 26,24).

Dieser Bibelvers hing im Schlafzimmer meiner Eltern, und immer, wenn ich als Kind krank war, durfte ich dort, nah an der Küche und dem Wohnzimmer, liegen und hatte diesen Vers vor Augen. Er war mir schon damals Trost und hat sich mir tief eingeprägt.

Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen (Röm 8,28).

Mein Konfirmationsspruch. Lange konnte ich mit diesem Spruch nichts anfangen. Bis ich verstand: Alles, was passiert, „wirkt zum Guten zusammen" (so die wörtliche Übersetzung). Der Spruch ist wie für mich gemacht, weil ich mich viele Jahre lang fragte, wie Gottes Liebe mit dem Leid der Welt zusammenpasst. Nun verstand ich: Auch das, was Leid mit sich bringt, bewirkt letztlich Gutes für mich. Das kann ich nicht sehen, sondern muss es glauben. Ich hoffe, dass ich diesen Glauben in der Not geschenkt bekommen werde.

Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; lasst uns jubeln und froh an ihm sein! Ach Herr, hilf doch! Ach Herr, gib doch Gelingen! (Ps 118,24f)

Leider geschieht es selten, dass ich den Tag mit Jubel und Frohsein beginne. Aber wie tröstlich ist es, dass im Psalm gleich auf den Jubel das Flehen folgt! Beides schließt sich nicht aus, sondern gehört zusammen!

Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt (Jer 31,3).

Von dieser Liebe lebe ich: Gott liebt mich nicht wegen meines Glaubens oder meiner Taten, sondern von Ewigkeit her – schon vor allem, was ich anfange. Das ist für mich Freiheit.

Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? [...] Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. (Röm 8,34f.38f).

Das achte Kapitel des Römerbriefs wurde mir zum Lieblingskapitel in der ganzen Bibel. Hier kann ich mich absolut frei fühlen: Freiheit durch Gottes unvergängliche Liebe. Ich muss nichts tun, um geliebt zu werden. Ich kann der sein, der ich bin – und werde trotzdem geliebt. Nichts kann mich von dieser Liebe trennen – auch ich selber nicht.

Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch (1Petr 5,7).

Wie viele Sorgen mache ich mir. Ich wäre sie so gern los. Darum versuche ich immer wieder, das, was mir Sorgen macht, in Gottes Hände zu legen. Mit mäßigem Erfolg.

Womit sonst sollte ich anfangen als mit solchen Worten? Mit meinem bisschen Verstand? Mit meinen wechselhaften Gefühlen? Mit meinen zufälligen Erlebnissen?

Ich danke Gott für seinen Anfang mit mir und mit der ganzen Welt! Und weil Gott den Anfang gemacht hat, will ich selbst keinen anderen Anfang setzen.

Wenn mein Glaube mit sich selbst anfängt, erledigt er sich von selbst. Denn aus einem falschen Anfang kann kein richtiges Ende werden.


6 Kommentare
2020-06-17 18:33:20
Solche Erklärungen haben mich viele Male verzweifeln lassen. Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du setzt das Schwierigste - Gott - einfach voraus. Friss, Vogel, oder stirb! Mehr ist es nicht.

Damit stehst du nicht allein, viele Theologen gehen so vor. Wer das nicht hinnehmen will oder kann, muss anscheinend zu den Atheisten, Agnostikern oder sog. Humanisten gehen.

Ich durfte mir meinen Konfirmationsspruch übrigens selbst aussuchen. Gewählt habe ich "Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein, womit ihr euch selbst betrüget" Jakobus 1,22. Gefällt mir immer noch. Wenn Leute ungewöhnlich gut und mitmenschlich handeln, und sie dann nach den Gründen gefragt werden, und auf ihren Glauben verweisen, dann finde ich das überzeugend und glaubensstärkend.
2020-06-18 10:53:43
Hallo Thomas,

da wäre meine Frage: Was willst du denn Gott voraus-setzen??

Ich habe ja bereits im Artikel "Gegen den Augenschein" deutlich gemacht, dass wir nichts in der Hand haben, was ein objektiver Beweis für oder Hinweis auf Gottes Existenz sein könnte. Das gilt für mich schon gar nicht für mitmenschliches Handeln. Denn wer mit wachem Blick (und nicht "fromm" geschönt, und ich denke, das tust du gewiss nicht) in die Welt schaut, wird feststellen, dass es mindestens genau so viel (ehrlich gesagt: eher mehr) unmenschliches Handeln gibt. Wie soll man da auf menschliches Handeln seinen Glauben bauen? Ich kann das jedenfalls nicht.

Aber du hast natürlich recht: Es gibt menschliches Handeln (und viele andere Dinge), das den Glauben stärken kann. Aber das überzeugt mich nicht in der Weise, dass ich daraus schließe: "Es muss einen Gott geben". Dass ich also aus menschlichem Handeln Gewissheit erlange.

Ich habe ja meine Schwierigkeiten mit dem Glauben im Artikel "Gegen den Augenschein" deutlich gemacht. Ich meinte damit: Es ist schwer, ohne eine gewissmachende Wirklichkeit an der Gewissheit, dass es Gott gibt, festzuhalten. Ich hatte gedacht, dass wir uns darin einig sind.

Mit meinen Ausführungen oben wollte ich sagen: Das einzige, worauf der Glaube gründen kann, ist gerade nichts "objektiv" Gewissmachendes, uns vor den Füßen Liegendes, von uns Handhabbares, Sichtbares, Messbares und Fassbares, sondern das für uns nicht greifbare, nicht objektivierbare Wort Gottes. Ich wüsste nichts anderes, worauf ich meinen Glauben gründen könnte. Wenn du etwas weißt - toll, dann sag es mir!

Die Schwierigkeiten mit dem Glauben sind damit nicht ausgelöscht, sondern weiter präsent!

Übrigens bin ich der Überzeugung, dass wir uns nicht selber zum Glauben aufschwingen müssen, sondern dass uns der Glaube geschenkt wird. Wir brauchen ihn nur dankbar anzunehmen, mehr nicht. Doch gerade damit tun wir uns so schwer. Wir wollen uns nicht "gegen den Augenschein" auf etwas verlassen. Also zweifeln wir, statt Gottes Zusagen zu vertrauen. Ich nehme mich da überhaupt nicht aus.

Und darum schicke ich alle Zweifelnden, die an meiner Seite stehen, auch gar nicht zu den Atheisten, Agnostikern oder Humanisten. Ich lasse sie (und mich) vielmehr als zweifelnde Christ*innen stehen. Siehe auch Jesus mit seinen vor "Kleinglauben" und Zweifeln nur so strotzenden Jünger*innen. Er hat sie nicht weggejagt. Aber er hat den Zweifel (der nichts anderes war als Misstrauen seinem Wort gegenüber) auch nicht gerechtfertigt.

Das ist die Gratwanderung: Der Zweifel wird verurteilt, die Zweifelnden werden gerettet! Und das ist der Grat, auf dem wir auch stehen: Als Glaubende und doch Zweifelnde. "Gerecht und Sünder zugleich", wie Luther es ausdrückte.

Über diesen Status werden wir nicht hinwegkommen. Auch nicht durch mitmenschliches Handeln. So bleiben alle Glaubenden in einer Reihe stehen (graduelle Unterschiede nicht ausgeschlossen, je nach dem Maß des Glaubens, das Gott zugeteilt hat): gerettet und doch zweifelnd.

Schlimm wird es nur, wenn sich welche über den Status des Zweifelns hinausgelangt sehen, also im Vollkommenheitsstatus. Oder wenn welche meinen, den Status des Gerettet-werden-Müssens überschritten zu haben. Dann werden Mauern zwischen denen aufgebaut, die mit ihrem Kleinglauben und ihren Zweifeln alle in einer Reihe stehen.

Viele Grüße
Klaus
2020-06-19 13:33:41
Hallo Klaus,

du schreibst: „was willst du Gott denn voraus-setzen??“

Das liest sich für mich wie ein Wortspiel als Antwort auf eine sehr klare und ernsthafte Kritik.

„Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem“ (Ockhams Rasiermesser) ist für mich ein sehr wichtiges Prinzip der Wissenschaftstheorie. Ockham selbst hat damals noch den Kotau vor der Kirche gemacht, heute braucht man das nicht mehr.

Es gibt auch nicht nur die Alternativen zwischen dem sich in seiner begrenzten Vernunft und Autonomie selbst feiernden Menschen und dem Glauben an Götter und speziell Gott in der Ausprägung der christlichen Dogmatik. Man kann sich sehr wohl seiner menschlichen Begrenztheit, Fehlbarkeit und Unzulänglichkeit bewusst sein, ohne an Gott zu glauben.

Zweifel nehme ich inzwischen auch nicht mehr negativ als Bedrohung meines Glaubens wahr, sondern als Indikatoren, dass möglicherweise etwas nicht zusammenpasst oder nicht stimmt, und als Motivation zum Weiterfragen und Lernen. Und die Einladung, trotz und mit diesen Zweifeln in der Kirche zu bleiben, finde ich einerseits sehr gut und bin vermutlich auch deswegen in dieser vergleichsweise liberalen Kirche geblieben. Andererseits habe ich dabei aber auch ein Gefühl wie in einer Gaststätte, wo ich auf wahrgenommene Hygienemängel hinweise und zur Antwort bekomme: Ja, haben wir schon öfters gehört, merken wir zum Teil auch selbst, aber bleib doch hier, es ist doch so schön gemütlich!

Viele Grüße

Thomas
2020-06-19 21:20:58
Hallo Thomas,

ich merke, dass es sehr schwierig ist, per Blogartikel und -kommentaren so sehr in die Tiefe zu gehen, wie wir das tun, und dabei nicht aneinander vorbei zu reden oder einander misszuverstehen. Anders als im persönlichen Gespräch fehlt einfach das Gegenüber, die Mimik und Gestik, der Tonfall, und vor allem die Möglichkeit, bei einem Missverständnis sofort korrigierend einzugreifen, so dass größere Missverständnisse gar nicht erst aufkommen können, oder auch die Möglichkeit, genauer nachzufragen, wenn etwas undeutlich geblieben ist. Diese Möglichkeit bietet eine Website nicht. Dennoch halte ich es nicht für ausgeschlossen, einander verständlich zu machen und voneinander zu lernen. Ich muss allerdings sagen, dass ich deine Argumentation oft nicht verstehe, wie du meine vermutlich auch nicht. Darum hier nochmal ein Erklärungsversuch:

1. Zur Voraussetzung bzw. zum Anfang des Glaubens und theologischen Nachdenkens: Es ging mir in meinem Artikel um den Anfang des Glaubens und der Theologie. Da für mich Gott der Anfang ist (Joh 1,1), eben weil er Gott ist, bedeutet das: Nicht ich setze Gott voraus, sondern Gott setzt sich selbst voraus. Das ist kein Wortspiel, sondern für mich die entscheidende, die wichtigste theologische Wahrheit. Sie ist nicht schwierig und widerspricht auch nicht der Sparsamkeit an Theoriebildungen, sondern es ist eine ganz einfache theologische Aussage. Ich verstehe nicht, was daran dem Sparsamkeitsprinzip Ockhams, nämlich der Einfachheit und dem Minimum von Hypothesen, widersprechen soll. Entscheidend ist die These, dass Gott der Anfang ist, für mich deshalb, weil ich allein darin meine Freiheit gegründet sehe. Der Anfang, den Gott setzt, ist nämlich sein Liebeswort. Und nur als unwiderruflich Geliebter fühle ich mich frei. Nur die Liebe macht frei – das ist meine volle Überzeugung. Nicht unsere Vernunft, nicht unsere Taten, nicht unser Glaube machen uns frei, sondern die Liebe, die uns liebt, auch wenn unsere Vernunft versagt, unsere Taten misslingen und unser Glaube versagt. Ich verstehe nicht, was daran schwierig oder nicht sparsam (was den Theoriegebrauch anlangt) sein soll. Es ist für mich eine ganz einfache, aber tiefe Wahrheit, die mit dem Beginn meines Glaubens zu tun hat. Ich konnte erst dann IN FREIHEIT glauben, als mir bewusst wurde, dass Gottes Für-mich-sein von keiner meiner Fähigkeiten, auch nicht von der Stärke meines Glaubens, abhängig ist. Mein Versuch, Gottes Für-mich-sein von meinen Fähigkeiten abhängig zu machen, musste zuerst zerbrechen. Das hat mich frei gemacht.

2. Zu den Grenzen der Vernunft: Ich habe nie bestritten, dass man auch als Nicht-Glaubender sich seiner begrenzten Vernunft bewusst sein kann. Die Frage ist aber eine andere, nämlich: Womit fange ich an, wenn ich zu glauben anfange: mit den Worten, die mir meine begrenzte Vernunft sagt, oder mit den Worten, die Gott mir sagt? Für mich gibt es keinen anderen Anfang als den des Wortes Gottes. Das schließt aber doch nicht aus, sondern sogar ein, dass ich meine begrenzte Vernunft gebrauche, weil der heilige Geist mich zum Verstehen anleiten und zur Wahrheit führen will (Hi 32,8; Joh 16,13a; 1Kor 2,14f).

3. Zum ethischen Handeln: Hier ist das Problem genau so gelagert: Hören und Handeln gehören selbstverständlich untrennbar zusammen, das ist doch gar keine Frage. Die Frage ist wiederum: Was ist der Anfang? Werde ich von Gott wertgeschätzt, weil ich mich ethisch so gut schlage, oder werde ich überhaupt erst in die Lage versetzt, ethisch zu handeln, weil ich von Gott wertgeschätzt werde? Die Antwort ist für mich völlig klar: Nur wenn Gottes unwiderrufliche Wertschätzung und Anerkennung voran gehen, werde ich in die Lage versetzt, von mir selbst abzusehen und zum Nächsten hinzusehen. Nur Gottes Anfang mit mir macht mich frei von mir selbst und frei für den Nächsten. Sollte es anders sein, dann bitte ich um eine argumentative Begründung, für die ich immer offen bin.

4. Zur These „Friss, Vogel, oder stirb": Ich verstehe nicht, warum du mir unterstellst, ich würde Menschen, die meine Thesen nicht teilen, zu den Atheisten etc. verbannen. Ich leite seit vielen Jahren ein Diskussionsforum, in dem von Fundamentalisten über Gnostiker bis Atheisten alle vertreten waren und sind, und niemand hat sich von mir bisher in irgendeiner Weise aus dem Kreis der Glaubenden ausgeschlossen gefühlt. Dies steht auch nirgends in meinen Blogartikeln. Wenn du dich ausgegrenzt fühlst, weil du das Wort Gottes, das ich immer als ein Wort der Liebe verstehe, nicht als den Anfang des Glaubens und theologischen Nachdenkens akzeptieren kannst oder willst, dann tut mir das leid – aber ich habe das niemals gesagt, geschrieben oder auch nur intendiert.

5. Ich verstehe auch nicht, woraus du dein Gefühl ableitest, ich (als Vertreter der Kirche) würde sagen, deine Argumente hätte ich schon öfter gehört, und ich würde auch zum Teil selbst merken, dass sie richtig sind, aber du mögest doch bitte bei den Christen bleiben, weil es hier so schön gemütlich (also irgendwie harmonisch und bequem) sei. Würde ich auf diese Art von Gemütlichkeit Wert legen, hätte ich diesen Blog bestimmt nicht begonnen und würde die Auseinandersetzung mit dir gar nicht führen. Im Gegenteil, es geht mir überhaupt nicht um ein „gemütliches", harmonisches Miteinander, in dem alle dasselbe Glauben, sondern gerade um den Austausch und die Auseinandersetzung, von der alle nur lernen können.

Wie gesagt, es scheint schwierig, sich nur schriftlich auseinanderzusetzen. Aber wir versuchen es, und ich denke, dass wir beide davon lernen und uns weiterentwickeln. Ich würde aber darum bitten, dass man mich genau liest und mir nicht Dinge unterstellt, die sehr fern von meinem Denken sind. Selbstverständlich will auch ich mich um genaues Lesen bemühen.

Viele Grüße
Klaus
2020-06-20 15:08:05
Hallo Klaus,

es ist gut, dass du die Frage der Kommunikationssituation ansprichst. Ich bin nicht glücklich damit. Ich habe mich vor meiner letzten Antwort auch gefragt, ob ich überhaupt noch etwas dazu schreiben soll. Es verläuft immer wieder in den gleichen Bahnen.

Sei versichert, dass ich dich ganz bestimmt nicht persönlich angreifen will. Meine Kritik betrifft diverse theologische Denkmodelle und viele in gläubigen Kreisen völlig übliche Sprachregelungen.

Vielleicht kann ein Beispiel aus einem ganz anderen Bereich helfen: Stell dir ein Haus vor, dass in den 1950er Jahren gebaut wurde, um auf den damaligen Wohnraummangel zu reagieren, einfach, aber durchaus solide, nach den damals üblichen Standards. Zwischenzeitlich wurde es mit Augenmaß modernisiert und den konkreten Bedürfnissen der Bewohner angepasst. Du bist in diesem Haus aufgewachsen, weißt, dass man darin gut leben kann, auch noch heute.

Jetzt kommt ein externer potenzieller Erwerber, beurteilt und bewertet dein Haus. Er vergleicht es mit anderen Häusern und den heute üblichen Standards, was z. B. Umweltfreundlichkeit, Energieeffizienz, Ausstattung, Barrierefreiheit etc. etc. angeht. Dein Haus schneidet nicht gut dabei ab. Gleichzeitig hat dein Haus Merkmale, z. B. ausreichend Fläche für einen großen Nutzgarten, auf die der heutige Erwerber keinen Wert mehr legt und auch gut verzichten könnte.

Eine solche Situation kann frustrierend sein, besonders für den Verkäufer, der kaum jemals das bezahlt bekommen wird, was ihm dieses Haus wert ist, incl. Herzblut. Und der Käufer überlegt sich, ob er nicht vielleicht besser gleich etwas ganz Neues kauft oder baut.

Ich kenne diese Situation aus Verkäufersicht. Und ich habe den Eindruck, dass du dich im Bezug auf das Haus Theologie und Kirche in einer ganz ähnlichen Situation befindest.

Viele Grüße

Thomas
2020-06-20 21:43:00
Hallo Thomas,

danke für deine Antwort, die mich darin bestätigt, dass die Kommunikationssituation schwierig ist. Darüber hinaus vertreten wir aber offensichtlich auch grundverschiedene Ansätze. Das finde ich nicht schlimm, es kann sogar bereichernd sein. Du wirst sicher verstehen, dass ich meinen Ansatz dabei durchaus nicht einer vergangenen, sozusgen gestrigen Theologie zurechne (was er in der zeitgenössischen theologischen Diskussion auch nicht ist), die den Bedürfnissen und Erwartungen der Menschen heute nicht mehr gerecht werden kann. Solche Zuordnungen finde ich auch nicht hilfreich.

Ich kann deinen Ansatz ungefähr einordnen, weil ich oft mit Menschen zu tun habe, die ähnlich denken. Ich bin sehr froh, diese Menschen kennengelernt zu haben und freue mich auch, dass sie bis heute mit mir im Gespräch sind, obwohl immer wieder Unterschiede, ja Gegensätze in unserem Denken und Glauben zutage treten. Das wird sicher auch zwischen uns so sein. Aber ich denke, dass es auch Gemeinsamkeiten gibt. Wichtig finde ich, dass wir uns persönlicher Angriffe enthalten und uns auf Sachargumente beschränken. Das will ich jedenfalls in Zukunft versuchen.

Viele Grüße und einen schönen Sonntag
Klaus

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