Lebensfreude oder Lebenseinschränkungen?
Klaus Straßburg | 18/11/2021
Ein Bild sagt manchmal bekanntlich mehr als tausend Worte.
Derzeit werden in den Medien oft zwei aktuelle Bilder gezeigt, die schlagartig klarmachen, in welchem Zwiespalt sich unser Leben gegenwärtig, aber darüber hinaus zu jeder Zeit abspielt.
Das eine Bild zeigt, wie am Rosenmontag in Köln wohl tausende von fröhlichen Menschen dichtgedrängt und laut singend den Beginn des Karnevals feiern – ohne Masken und ohne Abstand. Corona-Regeln zu kontrollieren war in dieser Menschenmenge unmöglich. Man muss davon ausgehen, dass sich hierbei nicht wenige Menschen mit dem Virus infiziert haben.
Auf der anderen Seite werden uns immer wieder Bilder von vollen Intensivstation gezeigt, auf denen Corona-Infizierte mit dem Tod ringen, während das Pflegepersonal an der Überlastungsgrenze arbeitet.
Einerseits sieht man also Bilder von fröhlich Feiernden, andererseits Bilder von Menschen, die auf Intensivstationen leiden und sterben. Und die Politik ringt wochenlang darum, wie Lebensfreude und Lebenseinschränkungen in ein angemessenes Verhältnis zueinander gesetzt werden können.
Was ist dazu aus christlicher Sicht zu sagen? Soll Lebensfreude weiterhin in großem Maß erlaubt sein oder soll sie eingeschränkt werden?
Christliches Leben spielt sich ab zwischen den beiden Polen Selbstentfaltung und Selbstzurücknahme. Zur Selbstentfaltung gehören unter vielem anderen Lebensfreude und Glück. Gott hat uns auch dazu geschaffen, dass wir Freude haben und glückliche Stunden erleben (Pred 9,7-9; Ps 92,5).
Aber auch der andere Pol, die Selbstzurücknahme, soll unser Leben bestimmen. Wer sich selbst zurücknimmt, orientiert sich an Jesus: Er stellte seine ureigensten Interessen zurück, indem er die Menschen, die ihn verfolgten, nicht in den Tod gab (Mt 26,52f), sondern sie leben und ihr todbringendes Werk verrichten ließ; statt ihrer ging er selbst in den Tod.
So auch Gott selbst: Er leidet bis heute unter der Ablehnung und Gleichgültigkeit, die er von Seiten der Menschen erfährt (Eph 4,30a). Doch er lässt sich lieber verspotten, verhöhnen und ignorieren, anstatt der Menschheit ein Ende zu bereiten. Denn er will das Leben seiner Geschöpfe.
Selbstzurücknahme ist die Zurücknahme der eigenen Person um anderer willen. Sie muss immer mit der Selbstentfaltung im Gleichgewicht sein. Wer sich nur zurücknimmt, kann sich nicht mehr entfalten und verliert die Lebensfreude. Und wer sich nur entfaltet, lebt auf Kosten anderer.
In der aktuellen Coronalage kommt es darauf an, sich selbst zurückzunehmen, um die Dynamik der Pandemie einzudämmen. Das bedeutet, auf bestimmte Erlebnisse der Freude und auf Glücksmomente eine Zeit lang zu verzichten.
Vielleicht entdeckt man aber gerade so, dass auch der Verzicht auf etwas zugunsten anderer Menschen ein Stück Selbstentfaltung sein kann. Es kann eine Freude sein, andere zu schützen. Und es kann glücklich machen, Verzicht zu üben, damit andere leben können.
* * * * *
am 12.11. habe ich auch Bilder vom Karnevalsauftakt gesehen, versehen mit einem bissigen Reim:
Kamelle, Kamelle, jetzt kommt die vierte Welle!
Der Prinz hat schon die Pest, und bald der ganze Rest.
Bemerkenswert fand ich, dass Italien mittlerweile die Situation viel besser im Griff hat. Es gibt zwar auch dort Impfverweigerer, aber mit härteren Maßnahmen als bei uns hat man da eine gute Durchimpfung erreicht. Und viele Italiener können es kaum glauben, dass wir angeblich so disziplinierten und organisierten Deutschen es so schleifen lassen.
Viele Grüße
Thomas
ja! Obwohl ich bestimmt kein Vertreter eines "starken Staates" im Sinne von autoritären Strukturen bin, denke ich in den letzten Monaten oft daran, dass ein "schwacher Staat" auch ein nicht unerhebliches Gefahrenpotenzial in sich birgt. Wenn die Legislative sich in endlosen Diskussionen und parteipolitischen Grabenkämpfen auf verschiedenen Ebenen verhakt, beschlossene Rechtsverordnungen und Gesetze von der Exekutive nicht ausgeführt, Kontrollen lasch gehandhabt oder gar nicht durchgeführt und Verstöße gegen die Ordnung nicht konsequent verfolgt und geahndet werden, entsteht der Eindruck, dass die staatliche Ordnung von den sie repräsentierenden Institutionen selbst nicht ernst genommen wird, und das gefährdet die Demokratie. Die Pandemie wirkt auch hier wie ein Brennglas.
Viele Grüße
Klaus