Lebendig tot oder leidenschaftlich lebendig?
Das ewige Leben hat schon begonnen
Klaus Straßburg | 29/09/2023
Die meisten Christinnen und Christen stellen sich unter dem ewigen Leben etwas vor, was nach dem Tod beginnt: Nach dem Tod leben wir nicht mehr zeitlich begrenzt, sondern ewig.
Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es gibt nämlich etliche Aussagen im Neuen Testament, die davon sprechen, dass wir bereits jetzt, also vor unserem Tod, das ewige Leben haben. Hier einige biblische Texte:
Wer an den Sohn [Gottes] glaubt, hat ewiges Leben.
(Joh 3,36a; ähnlich 6,47)
Wahrlich, wahrlich, ich [Jesus] sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben, und in [Gottes] Gericht kommt er nicht, sondern er ist aus dem Tod ins Leben hinübergegangen.
(Joh 5,24)
Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat [...] uns, obwohl wir durch die Übertretungen [seiner Gebote] tot waren, zusammen mit Christus lebendig gemacht – durch Gnade seid ihr gerettet! Und er hat uns mit [Christus] auferweckt und uns durch Christus Jesus mit [ihm] einen Platz in der Himmelswelt gegeben.
(Eph 2,4-6)
... indem ihr in der Taufe mit ihm [Christus] begraben worden seid, und durch ihn seid ihr auch mit auferweckt worden durch den Glauben an die wirkungsvolle Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat. Und euch, die ihr tot wart durch die Übertretungen [der Gebote ...], hat er mit ihm lebendig gemacht, indem er uns alle Übertretungen vergeben hat.
(Kol 2,12f)
Die letzten beiden Stellen verbinden unsere Auferweckung zum ewigen Leben mit der Auferweckung Jesu Christi von den Toten und sagen: Mit ihm sind auch wir bereits von den Toten auferweckt worden – wenn auch in anderer Weise als Jesus. Was ist damit gemeint?
Das Neue Testament versteht unter Leben und Tod mehr als nur einen biologischen Vorgang. Echtes Leben ist ein Leben im Glauben an Gott und ein Leben aus seiner Gnade und Vergebung. Tod ist umgekehrt ein Leben ohne Beziehung zu Gott und ein Leben mit unvergebenen Verstößen gegen die Ordnung der Liebe und des Friedens, zu der uns Gott bestimmt hat.
Wir unterscheiden heute in der Regel nur naturwissenschaftlich zwischen einem biologisch lebenden Menschen und einem biologisch toten Menschen. Wir unterscheiden aber innerhalb der biologisch lebenden Menschen nicht die einen, die geistlich tot sind, und die anderen, die geistlich lebendig sind. Darum ist unsere Auffassung von Leben und Tod nur die halbe Wahrheit.
Die neutestamentlichen Texte sagen: Die Auferstehung Jesu von den Toten hat einen Prozess in Gang gesetzt. Dieser Prozess erfasst die Glaubenden schon jetzt und wird sie nach ihrem Tod vollenden. An die Auferstehung Jesu zu glauben, heißt also nicht nur: Ich halte das historische Faktum für wahr, dass Jesus von den Toten auferweckt wurde. Es bedeutet viel mehr: Ich nehme den Prozess wahr, der mit dem historischen Faktum der Auferstehung Jesu in Gang gesetzt wurde.
Wer diesen Prozess wahrnimmt, sagt: Ich glaube daran, dass alle Glaubenden bereits jetzt und mit Jesus zusammen zu einem neuen Leben erweckt worden sind. Sie werden zwar noch leiblich sterben, aber sie sind geistlich schon mit Jesus vereint. Denn die Glaubenden leben schon in der Gemeinschaft mit Gott. Dieses ewige Leben in der Gemeinschaft mit Gott ist jetzt noch getrübt und unvollkommen, aber es wird nach dem Tod vollkommen sein.
Das bedeutet auch, dass die tödlichen Mächte dieser Welt keine letzte Macht mehr über uns haben. Wir sind berufen und durch Gottes Geist befähigt, den tödlichen Mächten die Stirn zu bieten. Und dort, wo sie uns das irdische Leben rauben, können wir gewiss sein, dass dieser Raub nicht das Letzte ist.
Das Letzte ist das Geschenk der ewigen Gemeinschaft mit Gott. Diese Gemeinschaft hat bereits auf Erden begonnen. Und sie mündet in Gottes himmlisches Friedensreich, in dem die tödlichen Mächte dieser Welt vollständig entmachtet sein werden.
Weil auch dieses Friedensreich nicht nur eine Sache der Zukunft ist, sondern – wie vorläufig und angefochten auch immer – bereits auf Erden begonnen hat, konnte Paulus schreiben:
Wir sind durch die Taufe [...] mit ihm [Christus] begraben worden, damit, so wie Christus [...] von den Toten auferstanden ist, [jetzt] auch wir ein neues Leben führen. [...] Gebt die Glieder [eures Körpers] nicht der Sünde zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit hin. Sondern stellt euch Gott zur Verfügung als solche, die aus Toten lebendig geworden sind. Und eure Glieder überlasst Gott als Werkzeuge der Gerechtigkeit.
(Röm 6,4.13)
Gerechtigkeit meint hier ein Leben im Sinne der göttlichen Liebes- und Friedensordnung. Weil Gott uns ein neues Leben geschenkt hat, sollen wir dieses neue Leben auch praktizieren. Mit jedem Rückfall in die alte Todesordnung rauben wir uns selbst ein Stück des ewigen Lebens.
Wir müssen also, wenn wir die neutestamentlichen Aussagen verstehen wollen, zwischen geistlichem Tod und geistlichem Leben unterscheiden. Geistlich tot sind wir, wenn wir uns nach unseren eigenen Antrieben und Leidenschaften ausrichten. Geistlich lebendig aber sind wir, wenn wir den Geist des Lebens, den lebendig machenden Geist Gottes (Joh 6,63; Röm 8,11) in uns wirksam werden lassen.
Dann leben wir schon jetzt nicht mehr als Menschen, die lebendig tot sind, sondern als solche, die leidenschaftlich das Leben lieben und deshalb Frieden in alle Lebensverhältnisse bringen – wie Paulus schrieb:
Nach weltlichen Dingen zu streben, bringt den Tod. Aber nach dem zu streben, was der Geist [Gottes] will, bringt Leben und Frieden.
(Röm 8,6)
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Verwendete Literatur:
Jürgen Moltmann: Wer ist Christus für uns heute? Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1994. S. 71-73.
Foto: Gerd Altmann auf Pixabay.
wenn zwischen biologischen Vorgängen und geistlichem Leben zu unterscheiden sei: wie kann man dann hier Joh. 11,17-44 einordnen? Ich finde darin liegt eine Verschärfung zu den im Text genannten Stellen: "Wer an mich glaubt wird leben auch wenn er stirbt / und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?" (Jesus zu Marta, Vers 25 und 26)
Ich war heute bei einem ev. Trauer-Gottesdienst. Auf dem Programm-Kärtchen des Bestattungs-Unternehmens (ansonsten wohl nicht weiter autorisiert) stand auf der Rückseite sinngemäß: Der Tote lebt weiter in unseren Gedanken.
Viele Grüße,
J.
ich finde, Joh 11,25f lassen sich ganz gut in das einordnen, was ich geschrieben habe. V 25 macht deutlich, dass das jetzt beginnende und nach dem Tod sich in anderer Weise fortsetzende ewige Leben uns durch den physischen Tod nicht genommen wird. Und V 26 sagt, dass die Glaubenden geistlich nicht sterben werden, auch wenn sie physisch noch sterben. Mir scheint darin auch deutlich zu werden, dass das geistliche Leben wichtiger ist als das physische bzw. dass das eigentliche Leben in der geistlichen Dimension besteht und nicht, wie wir meist denken, in der physischen.
Die Herausforderung der ganzen Geschichte Joh 11,17-44 besteht darin, dass hier ein physisch Toter ins physische Leben zurückgeholt wird. Das ist aber, gesamtbiblisch und auch in Jesu Handeln, ein extremer Ausnahmefall. Offenbar hatte Jesus zunächst gar nicht die Absicht, Lazarus aufzuerwecken, "ergrimmte" dann aber "im Geist" durch die Trauer Marias und der Juden (V 33) und durch die unzufriedene Frage einiger Juden (V 37f) und fasst den Enschluss, Lazarus aufzuerwecken, um die "Herrlichkeit Gottes" sichtbar zu machen (V 39) und Glauben zu wecken (V 42), was dann auch gelingt (V 45).
Der Satz "Der Tote lebt weiter in unseren Gedanken" ist meiner Meinung nach die typische Formulierung einer säkularisierten Welt, die von Auferweckung durch Gott nichts wissen will, aber doch nicht damit zurecht kommt, dass der Tote einfach "weg" ist, und deshalb nach der "Notlösung" eines Weiterlebens in unseren Gedanken greift - als ob dadurch irgendetwas gewonnen wäre, denn spätestens mit unserem eigenen Tod sterben auch "unsere Gedanken" an den Verstorbenen. Und selbst diejenigen, deren Andenken über Jahrhunderte gewahrt wird, haben davon nichts.
Viele Grüße
Klaus
vielen Dank für diesen Beitrag. Deine Überlegungen sind sehr interessant für mich.
Eine Problem bei dieser Auferweckung bereits vor dem physischen Tod besteht in der möglichen Wahrnehmung seitens Dritter: aber man merkt es euch nicht an. Deswegen muss man mit solchen Behauptungen die eigene Person oder Gruppe betreffend wohl vorsichtig sein.
Viele Grüße
Thomas
das stimmt. Schon Nietzsche meinte ja: "Bessere Lieder müssten sie mir singen, dass ich an ihren Erlöser glauben lerne: erlöster müssten mir seine Jünger aussehen!" Ich verstehe das ewige Leben vor dem Tod auch nicht als einen garantierten Dauerzustand, sondern als ein Ereignis, das je und je dort geschieht, wo der Glaube (bzw. Gottes Geist) sich durchsetzt. Insofern ist es nicht das vollkommene ewige Leben, sondern unvollkommen auch in Bezug auf seine Dauerhaftigkeit.
Dort, wo es aber geschieht, d.h. dort, wo der Geist wirkt, meine ich schon, dass man es einem Menschen anmerkt - sicher nicht durch ständiges Lächeln (das bei manchen Christen sehr aufgesetzt wirkt) oder überschwängliche Freude, sondern durch andere Eigenschaften, die Nichtchristen auch haben können, weil Gottes Geist auch in ihnen wirkt. Das macht das Unterscheiden zwischen Christ und Nichtchrist aufgrund äußerlicher Gegebenheiten unmöglich. Aber dass es Menschen gibt, die - jedenfalls zeitweise - tief in ihrem Glauben ruhen, mitunter sogar in schweren Lebenssituationen, und sehr menschlich mit anderen umgehen, finde ich unbestreitbar. Das ewige Leben jetzt unterscheidet sich eben vom ewigen Leben nach dem Tod auch darin, dass es noch ein geplagtes Leben sein kann, aber dennoch aufgehoben und gegründet in der Gemeinschaft mit Gott ist.
Viele Grüße
Klaus