Klagen statt das fromme Programm abspulen
Klaus Straßburg | 20/11/2022
Heute im Gottesdienst wurde über Hiob gepredigt. Hiob, das ist der reiche, angesehene und fromme Mann, der alles verloren hat – seinen Reichtum, seine Kinder, seine Gesundheit. Übrig blieb ein jämmerliches Häuflein Unglück.
Da fing er an, Gott sein Leid zu klagen – nein, entgegenzuschleudern, entgegenzuschreien, es ihm vor die Füße zu werfen und zu schreien: "Sieh dir an, was du mit mir gemacht hast! Was soll das? Warum tust du mir das an?"
Das ist der eine Gedanke, den ich heute aus der Predigt mitgenommen habe: Hiob spulte kein frommes Programm ab. Und Gott nahm ihm das nicht einmal übel.
Kein frommes Programm abspulen – dieser eine Satz blieb bei mir hängen. Wenn es uns schlecht geht, wenn uns nach Heulen und Schreien zumute ist, wenn wir Gott nicht verstehen – dann müssen wir nicht unser frommes Programm abspulen.
Das fromme Programm sieht so aus: Gott danken, ihn loben und preisen, ihn für uns und andere bitten, zu allem Amen sagen und dann fröhlich in den Tag gehen. Immer freundlich sein und lächeln. Den Glaubensfrust unterdrücken. Sich einreden: Als Christ darf es mir nicht schlecht gehen, darf ich nicht depressiv sein, darf ich nicht mit Gott hadern, sondern muss alles still und fromm hinnehmen und Gott dankbar sein. Und lass bloß niemanden merken, dass du Probleme mit Gott hast.
Und unter diesem frommen Programm gehst du vor die Hunde.
Hiob spulte nicht das fromme Programm ab. Es wäre nämlich nicht ehrlich gewesen. Ihm war nicht nach frommen Sätzen zumute. Im Gegenteil.
Weil Gott uns so haben möchte, wie wir sind, dürfen wir ehrlich sein. Gott möchte nicht, dass wir fromme Phrasen dreschen, sondern so mit ihm reden, wie wir im Innersten sind.
Sei also echt und ehrlich! Lass es raus, was in dir ist! Wenn dir nach Klagen zumute ist, dann wirf Gott deine Klagen an den Kopf! Schrei es ihm entgegen, dass du ihn nicht verstehst, dass du nicht weißt, was das soll! Hör auf, dir fromme Vorschriften zu machen: Ich muss jetzt dankbar sein, ich darf nicht unzufrieden sein, Gott macht alles richtig.
Ja, er macht wirklich alles richtig, aber du merkst davon gerade nichts. Dann sag ihm das. Ja, Gott kann dir Zufriedenheit schenken, aber im Moment hast du sie nicht, also bitte ihn darum. Ja, es gibt Vieles, wofür du dankbar sein kannst, aber im Moment kannst du gerade nicht dankbar sein, also heuchle keine Dankbarkeit. Gott möchte einen echten Menschen und keinen fromm programmierten Roboter.
Du musst also dein Leid nicht verschweigen oder unterdrücken. Du musst dir keinen Sinn einbilden, wenn du keinen siehst. Du musst auch nicht den ganzen Tag lächeln und so tun, als gehe es dir prächtig. Du wirst erleben, dass es dich erleichtert, wenn du ehrlich vor Gott bist.
Hiob bekam übrigens Besuch von seinen Freunden, die alle das fromme Programm abspulten: dass Hiob doch Gott nicht Unrecht tun dürfe, dass es irgendeine Sünde in seinem Leben gebe, auf die Gott ihn aufmerksam machen will, dass er Gott nicht auf die Anklagebank setzen dürfe. Das könnte sogar alles richtig sein. Aber es geht Gott nicht um Richtigkeiten, sondern darum, dass du ihm dein Herz schenkst – so, wie dein Herz gerade aussieht.
Am Ende gibt Gott nämlich nicht den Freunden recht, sondern Hiob. Denn sie haben nur das übliche fromme Programm abgespult. Und Gott tröstet Hiob damit, dass er, Gott, den Überblick behalten hat, auch den Überblick über Hiobs Leben. Aber Gott wirft Hiob mit keinem Wort vor, dass er ihm sein Leid geklagt hat.
Gott wirft es uns auch nicht vor. Das Buch Hiob und die biblischen Psalmen sind voll von Klagen. Gott hört sie alle geduldig an. Er findet es aber nicht in Ordnung, wenn wir unehrlich sind und nur das fromme Programm abspulen. Wir sollen ehrlich sein, auch wenn wir dabei manchmal den falschen Ton treffen.
Denn Gott möchte, dass wir ohne Vorbehalte unser Herz mit ihm teilen und es ihm öffnen. Und wenn wir das tun, dann wird er gern in unser offenes Herz einziehen und Hoffnung, Mut und Kraft mitbringen.
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Foto: Marisa04 auf Pixabay.
vorab: ich staune, wie genau du weißt, was Gott will.
Neulich habe ich aus der Hiob-Erzählung folgende Worte Hiobs mitgenommen:
"Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen; der Name des Herrn sei gelobt!" Hiob 1,21. Das klingt doch sehr nach dem "frommen Programm", wie du es oben nennst. Das schließt ja nicht aus, dass man auch klagend betet, wenn es zu schlimm wird.
Und davor im ersten Kapitel steht auch die Einleitung, in der Gott sich von Satan verleiten lässt, Hiob zu prüfen. Was sagt denn die theologische Weisheit dazu?
Viele Grüße
Thomas
leider (oder zum Glück?) weiß ich oft genug gar nicht, was Gott will, und das habe ich ja im obigen Artikel auch zum Ausdruck gebracht. Ich glaube aber an einen Gott, der Liebe ist und der uns deshalb nicht sadistisch sinnlos quält. Ein Gott also, der so ist, wie Jesus gelebt hat. Dazu braucht es kein großes Wissen, sondern das kann sich jedem, der das Neue Testament liest, erschließen.
Aber weil du jetzt offenbar die Position des Frommen übernimmst (worüber ich wiederum staune 😉): Manche Formulierungen von mir sind vielleicht für ein frommes Gemüt grenzwertig. Aber manchmal muss man pointiert formulieren, um deutlich zu sein. Falls du nach den biblischen Begründungen für meine Sätze fragst, könnte ich dir die nachliefern.
Du hast natürlich recht damit, dass Hiob zunächst sehr fromm reagiert. Dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Ich finde es bewundernswert, wenn jemand in schwerem Leid im Vertrauen zu Gott lebt und sogar Gott loben kann! Ich habe mich aber dagegen ausgesprochen, fromm zu reagieren, wenn einem gar nicht mehr danach zumute ist - also sozusagen aus einem inneren Zwang heraus, in dem ich mir selber meine unfrommen Gefühle, meine Zweifel, mein Nicht-Verstehen und Hadern mit Gott gar nicht mehr erlaube. Ich denke, solche Zwänge tun dem Menschen nicht gut und können ihn sogar von Gott entfremden. Und später gelingt es ja auch Hiob nicht mehr, diese fromme Haltung fortzusetzen.
Zu der "theologischen Weisheit", nach der du fragst, kann ich nichts sagen. Ich kann nur das bekennen, was ich selber glaube und wie ich das Gespräch zwischen Gott und dem Satan verstehe. Im Artikel habe ich schon festgestellt, dass die Erzählung keine Auskunft darüber gibt, warum Gott dem Satan erlaubt, Hiob zu "prüfen". Das entspricht meiner Lebenserfahrung: Das "Warum?" bleibt oft unbeantwortet. Tröstlich finde ich es, dass nicht Gott selbst Hiob "prüft", sondern das dem Satan überlässt - also einer gottwidrigen Wirklichkeit, der wir in der unerlösten Welt ausgesetzt sind. Diese Wirklichkeit ist allerdings ganz Gott untergeordnet: Sie muss bei Gott darum bitten, ihr Anliegen umsetzen zu dürfen, und Gott begrenzt ihre Macht deutlich: "Bis hierher und nicht weiter!" (Vers 12)
Das Tröstliche daran ist für mich, dass wir auch im schlimmsten Leid nicht von einem blinden Schicksal gequält werden, sondern dass das Leid sozusagen zuerst durch Gottes Hände gegangen ist, dass er es gewogen hat, dass er es begrenzt hat und dann erst die so auf unsere Person abgestimmte leidvolle Wirklichkeit zugelassen hat.
Viele Grüße
Klaus