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Keine Lizenz zum Töten

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Veröffentlicht von in Theologie aktuell · 10 Juni 2022
Tags: UkraineKriegSünde

Keine Lizenz zum Töten
Klaus Straßburg | 10/06/2022

In den letzten Wochen und Monaten hört man immer wieder den Satz: "Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung."

Nach allgemeiner Vorstellung kann jemand, der ein Recht hat, davon mit gutem Gewissen Gebrauch machen. Er hat ja das Recht auf seiner Seite und tut, wenn er es ausübt, nichts Schlechtes. So wird gemeinhin ein Recht verstanden.

Der Satz "Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung" entspricht dem Völkerrecht. Aber auch in einem Verteidigungskrieg werden unzählige Menschen getötet, verkrüppelt, traumatisiert, ihres Lebenswerkes beraubt. Diese Ambivalenz des Krieges findet in dem Satz keinen Ausdruck. Es ist nur vom Recht die Rede.

Als Christ blicke ich nicht in erster Linie auf das Völkerrecht, sondern auf das, was die biblischen Schriften und die christliche Tradition über Recht und Unrecht sagen. Das Töten von Menschen ist nach christlicher Vorstellung aber nichts Gutes. Sogar Kain, der seinen Bruder Abel aus Eigensucht ermordete, wird von Gott davor geschützt, dass ihn jemand tötet (1Mo/Gen 4,15).

Aus christlicher Sicht gibt es kein grundsätzliches, eindeutiges und schrankenloses Recht zum Töten – auch nicht im Verteidigungsfall. Doch der Satz "Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung" klingt wie eine Lizenz zum Töten.

Ich behaupte weder, dass ein Staat sich niemals gegen einen Angriff verteidigen darf, noch sage ich, dass ein Verteidigungskrieg in jedem Fall gerechtfertigt ist. Ich möchte vielmehr die Ambivalenz jeder Entscheidung für einen Krieg herausstellen. Diese Ambivalenz geht in der allgemeinen Rechtfertigung des Verteidigungskriegs der Ukraine durch Politik und Medien unter.

Könnte man den Satz nicht vorsichtiger formulieren? Zum Beispiel so: "Die Ukraine geht den schweren und nicht ohne Schuld möglichen Weg der Selbstverteidigung." Dadurch würde der Verteidigungskrieg nicht als ein Recht erklärt, das man leichtfertig und guten Gewissens ausüben kann. Er käme vielmehr als schwere Entscheidung in den Blick und als eine Entscheidung, in der es ohne Schuld nicht abgeht.

Ein Staat, der sich dieser Schuld bewusst ist, wird anders über den von ihm geführten Krieg denken und auch anders in ihm handeln als ein Staat, der meint, das Recht zum Töten zu haben.

Die Schuld Russlands, das einen Angriffskrieg führt, ist bei weitem größer. Dennoch bleibt auch das Töten in einem Verteidigungskrieg Schuld. Die kirchliche Ethik der letzten Jahrzehnte hat das so ausgedrückt: Es gibt keinen gerechten Krieg.

Nach meinem Verständnis christlicher Ethik gibt es extreme Ausnahmesituationen, in denen ein Verteidigungskrieg unumgänglich ist. Es gibt aber keine christliche Lizenz zum Töten.


* * * * *




6 Kommentare
2022-06-10 12:57:25
Lieber Klaus

Ein Recht zu nutzen, das man hat, ... hmmm ... erinnert mich ... irgendwie an 1. Korinther 9.
Vielleicht sinnvoll es zu deinen obigen Gedanken zu berücksichtigen.
...
"Denn obwohl ich allen gegenüber frei bin, habe ich mich allen zum Sklaven gemacht, damit ich so viele wie möglich gewinne. ... Ich tue aber alles um des Evangeliums willen, um an ihm Anteil zu bekommen. ... Wir haben aber von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, sondern wir ertragen alles, damit wir dem Evangelium Christi kein Hindernis bereiten. ... Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette." ... Manchmal geht es darum sich selbst zu bezwingen und sich zu enthalten ... weil sich darin ein besserer und größerer Vorteil und Raum für die Liebe Gottes offenbart.
2022-06-10 18:49:39
Lieber Pneuma,

das ist ein interessanter Text, in dem Paulus zeigt, dass er auf sein Recht verzichtet hat, um keinen Anstoß zu erregen und dem Evangelium nicht im Wege zu stehen. Man kann noch hinzufügen, dass es offensichtlich um ein Recht geht, das auch in den ersten Gemeinden Geltung hatte: Ein Apostel konnte auf Kosten der Gemeinde, in der er wirkte, leben. Dennoch hat Paulus darauf verzichtet. Christinnen und Christen heute sollten vielleicht auch auf dieses oder jenes Recht lieber verzichten, als es auszuüben ...

Vielen Dank für diese treffende Ergänzung.
2022-06-11 11:23:18
Lieber Klaus,

hast du schon mal die ganze kriegerische Situation als Ehe-Drama betrachtet, in der ein Ehepartner eine andere Beziehung eingehen möchte und die Scheidung will, wobei der andere Ehepartner* nicht in die Scheidung einwilligt und dann die Ehe-Brecherin und der Neben-Buhler gewaltsam eine Scheidung erzwingen wollen. Wie sollte und würde sich ein christlicher Ehepartner* verhalten?
Oder sollte man das ganze als ein Kindschaft-Drama betrachten, indem ein Kind andere Eltern lieber haben möchte und die eigenen Eltern* quält und zwingt bis es zur Adoption freigegeben wird, so dass die neuen Eltern sich mit dem Kind vereinigen können.
Wie sollten und würden sich christliche Eltern* verhalten?
Wahrscheinlich muss man sich dabei auch Fragen: Wurde der scheidende Ehepartner oder das scheidende Kind missbraucht, so schlecht behandelt oder unterdrückt, dass die Scheidung sogar gerechtfertigt ist. Was wenn es keine zwingende Gründe gibt?
2022-06-11 14:43:42
Lieber Pneuma,

meiner Meinung nach unterscheiden sich ein Ehedrama und das Verhältnis zweier Staaten dadurch voneinander, dass zwei selbstständige Staaten ja nicht miteinander vereint sind und sich die Treue versprochen haben. Anders wäre es, wenn ein Teil eines Staates sich von diesem Staat abspalten wollte. Aber auch dann gibt es andere Fragestellungen als bei einem Ehedrama.

Was das Ehedrama betrifft, das du beschrieben hast, gab es im Judentum zur Zeit Jesu die Scheidung, die ein Mann vollziehen konnte, wenn die Frau "Unzucht" betrieben, also Ehebruch begangen hatte. Jesus gesteht ja auch zu, eine Scheidung zu vollziehen wegen der "Härte unseres Herzens". Ich denke, wenn einer der Partner sich vom anderen trennen will bzw. emotional schon getrennt hat, dann muss man auch als christlicher Partner nicht krampfhaft an der Ehe festhalten. Denn es wäre doch gar keine Ehe mehr, wenn der andere keine emotionale Beziehung mehr zu mir aufbauen kann oder will. Und zu einer emotionalen und gedeihlichen Beziehung kann man niemanden zwingen. Ähnlich wäre es bei einem Kind, das sich von seinen Eltern trennen will: Auch das Kind kann man nicht zu einer gedeihlichen Elternbeziehung zwingen. Was dabei herauskäme, wäre nur ein gewaltsam, unter Zwang zusammengehaltenes Nebeneinanderher-leben.

Das würde dann auch wieder für zwei Staaten gelten, von denen der eine sich den anderen einverleibt. Es würde keine Gemeinschaft entstehen, sondern eine Zwangsherrschaft. Und das ist nicht das Zusammenleben, das Gott für uns vorgesehen hat und das gut für uns ist.
2022-06-11 23:41:16
Hallo Klaus,

ich weiß nicht so recht, was ich von deinem Beitrag halten soll. Strategisch würde ich ihm vielleicht sogar zustimmen, aber taktisch habe ich viel Kritik daran.

"Lizenz zum Töten" ist ein Filmtitel, James Bond, wenn ich mich nicht irre. Das Recht zur Selbstverteidigung eines souveränen Staats gegen einen Angriffskrieg ist Bestandteil des Völkerrechts. Dieses Recht durch Begriffsverschiebung in die Nähe eines etwas zynischen Filmtitels zu rücken und anschließend vor diesem Hintergrund abzulehnen, ist ein sog. Strohmann-Argument und damit wertlos.

"Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung" ist ein klarer und richtiger Satz. Ich würde ihn nicht umformulieren. Im Moment läuft außer dem Krieg mit Waffen auch ein Krieg mit Worten, mit Desinformation. Falsche Gleichsetzungen und Verunklarungen spielen dabei eine große Rolle. Umso wichtiger ist es, klar und eindeutig zu sprechen.

Auch den Satz "Es gibt keinen gerechten Krieg" halte aus christlicher Sicht so für richtig. Aber was soll man tun, wenn man angegriffen wird?

Diese Frage stelle ich hier auch konkret an dich. Soll man diese Welt aus christlicher Sicht den Schurken und den Skrupellosen überlassen, die notfalls auch Gewalt anwenden und Krieg führen, um ihre Interessen durchzusetzen? Ich halte aus christlicher Sicht die Antwort "ja" für durchaus möglich und konsequent. Ich bin aber nicht konsequent christlich genug und zu diesseitig; ich würde hier "nein" sagen. Wie ist deine Antwort? Ja oder nein?

Viele Grüße

Thomas

2022-06-12 21:13:52
Hallo Thomas,

danke für deine Einwände und Fragen, die formaler und sachlicher Natur sind. Zuerst zu den formalen Einwänden. Die kann ich nicht nachvollziehen. Ich schreibe weder mit strategischen noch mit taktischen Absichten, zumal das Begriffe aus dem Militärrepertoire sind. Ich schreibe vielmehr, um meine christlichen Einsichten zur Diskussion zu stellen.

Auch den Vorwurf des Strohmann-Argumentes muss ich zurückweisen. Eine Lizenz ist eine Erlaubnis. Wenn jemandem ein Recht zugesprochen wird, kommt das einer Erlaubnis gleich, etwas zu tun – eben das, wozu ihm das Recht zugesprochen wird. Die Aussage, die Ukraine habe das Recht der Selbstverteidigung, also die Erlaubnis dazu, wird heute wie selbstverständlich vorgetragen. Der Satz entspricht dem Völkerrecht, wie ich auch ausdrücklich vermerkt habe. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass er aus christlicher Sicht richtig ist. Es könnte ja sein, dass die christliche Ethik zu einem anderen Ergebnis kommt als das Völkerrecht. Es könnte sein, dass das Völkerrecht etwas erlaubt, was die christliche Ethik kritisch beurteilt.

Du hast recht: Es ist wichtig, klar und eindeutig zu sprechen. Zur Klarheit und Eindeutigkeit gehört aber, dass auch in einem Verteidigungskrieg unbeschreibliches Leid erzeugt wird. Dieser Umstand findet in dem Satz "Die Ukraine hat das Recht zur Selbstverteidigung" überhaupt keine Erwähnung. Das finde ich weder klar noch eindeutig.

Nun zu den sachlichen Argumenten. Ich finde, es ist ein Widerspruch, sowohl den obigen Satz als auch den Satz "Es gibt keinen gerechten Krieg" für richtig zu halten. Denn wenn es keinen gerechten Krieg gibt, ist auch ein Verteidigungskrieg nicht gerecht, d.h. nicht rechtens. Vielleicht liegt die Schwierigkeit im Wort "gerecht". Ein Gerechter ist im Alten Testament und im Judentum ein Mensch, der nach den Weisungen Gottes lebt. Diesen Sinn des Wortes "gerecht" vorausgesetzt, entspricht nach der kirchlichen These, dass es keinen gerechten Krieg gibt, kein Krieg, auch kein Verteidigungskrieg, den Weisungen Gottes. Ein Krieg wäre vielmehr immer Schuld vor Gott. Das einmal hervorzuheben und nicht wie selbstverständlich und ohne jedes Problem- oder Schuldbewusstsein das Recht auf Selbstverteidigung zu wiederholen, war der Sinn meines Vorschlags zur Umformulierung.

Eine entscheidende Frage ist die, die du stellst: "Soll man diese Welt aus christlicher Sicht den Schurken und den Skrupellosen überlassen?" Ich habe mich dazu schon mehrfach geäußert und auch im obigen Artikel wieder festgestellt, dass in extremen Ausnahmefällen ein Verteidigungskrieg unumgänglich ist – eben um die Welt nicht den Schurken und Skrupellosen zu überlassen. Meine Antwort wäre also: Nein, es kann nicht angehen, dass am Ende nur noch Unbarmherzige, Skrupellose und Psychopathen regieren, denn das wäre das Ergebnis, wenn alle anderen auf Gegenwehr verzichten würden. Von daher halte ich auch die Gegenwehr gegen Nazi-Deutschland für unumgänglich.

Damit habe ich deine Frage beantwortet. Ich habe die Frage, wie ich die Situation in der Ukraine beurteile, im Artikel bewusst offen gelassen, weil sie stark emotionalisiert. Mir ging es im Artikel um etwas anderes. Außerdem kann und will ich nicht für die Ukraine entscheiden; das muss die Ukraine selber tun.

Aber weil deine Frage doch sicher auf die Ukraine zielt, kann ich für mich persönlich sagen: Wäre Deutschland statt die Ukraine von Russland angegriffen worden, würde ich wahrscheinlich gegen Selbstverteidigung plädieren, um auf Gewalt nicht mit Gewalt zu reagieren und größeres Leid zu verhindern. Natürlich bringt auch eine Fremdherrschaft viel Leid mit sich. Aber das Leid, der bleibende Hass, die Zerstörung von Leben, die durch einen Krieg, auch einen Verteidigungskrieg, ausgelöst wird, scheint mir größer als bei einer Kapitulation. Das mag man anders sehen, aber ich denke, Jesus wusste um die Gewaltspirale und die Vergiftung der Beziehungen, die über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hin durch einen Krieg entstehen kann, und hat deshalb bewusst zur Feindesliebe aufgerufen.

Ich will noch hinzufügen: Auch beim Verzicht auf Gegengewalt wird ein Staat schuldig an seiner Bevölkerung. Bei der Ausübung von Gegengewalt wird er aber auch schuldig an seiner Bevölkerung und außerdem an den angreifenden Soldatinnen und Soldaten. Das einmal auszudrücken anstatt nur von einem Recht zu sprechen, das einer Erlaubnis zum Töten gleichkommt, war das Anliegen meines Artikels.

Viele Grüße
Klaus
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