Jesus und das entspannte (Katzen-)Leben
Was wir von Tieren lernen können
Klaus Straßburg | 17/03/2023
Katzen sind höchst autonome Wesen. Sie bestimmen selbst, wie und wo sie leben. Sie sind hartnäckig und eigenwillig. Wenn sie etwas wollen, kann man sie kaum davon abhalten.
Durch diese Autonomie sind meine Frau und ich zu Pflegeeltern einer Katze geworden. Genauer gesagt eines Katers. Er hat sich uns als Pflegeeltern ausgesucht. Wir hatten keine Chance, das abzulehnen.
Im letzten Frühjahr fing es an. Er war wohl ein paar Monate alt und kam immer wieder. Nichts konnte ihn davon abhalten. Wir ließen ihn nicht ins Haus – er machte es sich auf einem Gartenstuhl bequem. Nachts machten wir die Schotten dicht – am nächsten Morgen war er wieder da. Wir fuhren in den Urlaub – keine Frage, wer uns nach unserer Rückkehr erwartete ...
Meist ist er morgens längst da, wenn wir die Jalousien hochziehen. Irgendwann fingen wir an, ihn mit Futter zu versorgen. Als es im Sommer schön warm war, verbrachte er den Tag auf der Terrasse. Die meiste Zeit hat er geschlafen. Als es dann im Winter richtig kalt wurde, haben wir uns seiner erbarmt und ihn reingelassen. Seitdem hat er einen warmen Platz an der Heizung.
Weil wir ihn nicht bei uns übernachten ließen, haben wir ihn abends rausgesetzt. Natürlich war er am nächsten Morgen wieder da. Wir waren ja schließlich sein Pflegeeltern. Doch er wurde älter. Irgendwann kam er in die Pubertät. Seitdem zieht es ihn gegen Mittag oder spätestens am frühen Nachmittag unwiderstehlich nach draußen – sogar bei Schnee und Regen! Schnee und Regen – das ist für Katzen wirklich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Aber er muss dann raus. Vielleicht hat er eine Freundin. Oder er ist auf Brautschau. Wir wissen es nicht. Wir wissen überhaupt nicht, wo er sich so rumtreibt.
Das einzige, was wir wissen, ist, dass er auch zur Nachbarschaft Kontakte hat. Er ist also nicht auf uns allein fixiert. Autonom eben. Manchmal bleibt er auch ein paar Tage weg. Zuerst machten wir uns Sorgen - jetzt nicht mehr. Das gehört offenbar zu seiner Lebensphase: Kinder in der Pubertät gehen auch ihre eigenen Wege. Manchmal bleiben sie sogar fort, ohne dass die Eltern wissen, wo sie sind.
Der Kater – weil wir seinen Namen nicht kennen, nenne ich ihn abwechselnd "Alter", "Gauner", "Räuber" oder "Penner", alles liebevoll gemeint – der "Räuber" also ist absolut pflegeleicht. Er beißt oder kratzt nicht. Er lässt sich überall hintragen. Er lässt sich vor die Tür setzen, ohne aufzumucken. Irgendwie beneidenswert ...
Überhaupt beneide ich den "Penner" manchmal. Er ist nie aufgeregt, schlendert immer ganz gelassen durch die Gegend, ist nie in Eile, wirkt immer ganz entspannt. Okay, das Wetter in den letzten Wochen sagte ihm nicht so ganz zu. Aber das hinderte ihn nicht daran, sich nach einigem Maulen doch wieder auf den Weg zu machen – auch durch tiefen Schnee hindurch. Ansonsten lässt er sich gerne kraulen, schläft einen seligen Schlaf und macht sich danach wieder auf zu neuen Abenteuern – wie gesagt, immer entspannt und ohne Eile.
Wenn man sieht, wie er da so vollkommen entspannt liegt und schläft, dann kann man selbst ganz entspannt werden. Warum haben wir eigentlich immer so viel zu tun? Warum hetzen wir von Termin zu Termin? Müssen wir uns um so Vieles Sorgen machen? Müssen wir immer irgendeiner Sache nachjagen? Warum nehme ich mir so wenig Zeit zum Nichtstun? Wäre es nicht schön, öfter einfach mal da zu sein – ohne ein Ziel zu verfolgen?
Natürlich hat der "Alte" scheinbar einen großen Vorteil uns gegenüber: Er wird gut versorgt. Er hat offenbar seine Ernährer gefunden, muss also nicht für seinen Lebensunterhalt arbeiten. Er vollbringt auch keine kulturellen Leistungen wie wir Menschen. Er baut keine "Zivilisation" auf (in Anführungsstrichen gesetzt, weil unsere Zivilisation oft so unzivilisiert daherkommt). Er macht sich wahrscheinlich keine Sorgen um das, was morgen ist. Dieser beneidenswerte "Penner" lebt einfach so in den Tag hinein.
Manchmal hat er aber doch Stress – Sozialstress. Das sehen wir daran, dass er eine Wunde am Ohr oder anderswo in seinem Pelz hat. Da hat dann wohl jemand zugebissen. Es gibt also offensichtlich Revierkämpfe – Kämpfe um Besitz und Einflussbereiche. Ja, das Böse in der Schöpfung hat sich bis ins Tierreich ausgebreitet. Aber wir haben keinen Grund, das Böse im Tierreich zu kritisieren. Denn im Vergleich zu dem, was Menschen einander antun, sind das wirklich Peanuts – Kleinigkeiten. So brutal es auch manchmal im Tierreich zugeht – niemals tun sich Tiere das an, was Menschen einander antun. Sie sind gar nicht dazu in der Lage.
Unser "alter Gauner" erinnert mich manchmal an ein Wort von Jesus (Mt 6,26):
Seht die Vögel des Himmels an! Sie säen nicht und ernten nicht und sammeln nicht in Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?
Vielleicht hat Jesus bei diesen Worten gelächelt. Denn zuvor hat er sich zum Thema "Sorge und Besitz" geäußert. Er beschreibt, wie sehr wir uns um unseren Lebensunterhalt sorgen und dass die Seele sich erst beruhigt, wenn wie über ausreichende Besitztümer verfügen (Mt 6,19.24; Lk 12,13-21). Leider vergessen wir dabei, dass unsere Besitztümer uns nicht vor dem plötzlichen Tod bewahren können. Außerdem legen wir unser Leben dann nicht mehr in Gottes Hände, sondern in die eigenen, mit Geld gefüllten. Eigentlich ziemlich albern: als ob uns nicht von heute auf morgen alles genommen werden könnte, einschließlich unseres Lebens.
Unsere Sorge ist also groß. Jesus lächelt und zeigt auf – die Vögel: Die streben nicht nach Besitz und machen sich auch keine Sorgen. Und sie werden trotzdem vom himmlischen Vater ernährt. Da haben Jesu Jünger vielleicht dumm geguckt. Zum Lachen war ihnen wohl nicht zumute. Uns auch nicht. Denn wir fühlen uns ertappt. Mache ich mir nicht auch viel Stress, um etwas zu besitzen: Ansehen, Erfolg, Geld, einen hohen Status, Sicherheit?
Es täte uns gut, uns manchmal mehr an den Vögeln zu orientieren – oder eben an den Katzen. Die bekommen von Gott alles, was sie brauchen. Naja, die Hauskatzen bekommen's natürlich von den Menschen. Aber irgendwie hat Gott uns und sie doch so geschaffen, dass wir uns an ihnen freuen und ihnen deshalb auch gern Futter geben. Jedenfalls dann, wenn wir noch halbwegs menschlich sind.
Wenn wir den Tieren den natürlichen Raum lassen, den der Schöpfer ihnen gegeben hat, dann müssen sie sich meistens keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen. Sie müssen nicht durchs Leben hetzen und ruhelos irgendwelchen Zielen nachjagen. Natürlich gibt es auch schwierige Situationen für Tiere. Auch ihr Leben ist kein Paradies auf Erden. Aber von einem gehetzten, ruhelosen, von Krisen und Sorgen geplagten Leben sind sie meilenweit entfernt (es sei denn, dass wir sie in ein solches Leben treiben).
Jesus will uns ermuntern, ein bisschen von den Vögeln zu lernen (Mt 6,31-33):
Darum sollt ihr euch nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, oder was werden wir trinken, oder womit werden wir uns kleiden? Denn nach allen diesen Dingen trachten die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß ja, dass ihr all dieser Dinge bedürft. Sucht vielmehr zuerst sein Reich und sein Heil! Dann werden euch alle diese Dinge hinzugefügt werden.
Worum geht es im Leben? Nicht in erster Linie um Einfluss, Macht, Konkurrenz, Großes schaffen, andere übertreffen, sich durchsetzen, sich nichts gefallen lassen, sich fordern und überfordern, um seine Zukunft kämpfen. Einiges davon spielt manchmal auch eine Rolle, aber nicht die Hauptrolle. Die Hauptrolle in unserem Leben sollte etwas ganz anderes spielen: eine Beziehung zu Gott suchen, in seinem Einflussbereich (seinem "Reich") leben, ihm unser Leben anvertrauen, sich nach seinem Heil ausstrecken.
Leben heißt dann, darauf zu vertrauen, dass unser himmlischer Vater weiß, was wir wirklich zum Leben brauchen: viel weniger, als wir meinen. Und Leben heißt auch, darauf zu vertrauen, dass unser himmlischer Vater uns alles, was wir wirklich brauchen, ganz gewiss geben wird. So gewiss, wie er es den Vögeln des Himmels gibt – und unserem Pflegekater.
Die Evangelisten überliefern uns nicht, ob Jesu Jünger sich noch irgendwie dazu geäußert haben. Vielleicht waren sie so platt, dass ihnen nichts mehr einfiel. Vielleicht haben sie aber auch etwas irritiert gefragt: "Ja, aber müssen wir nicht Vorsorge für schlechte Zeiten treffen?" Jesus lächelt wieder: "Ja, natürlich. Ihr wisst doch, dass das auch viele Tiere tun. Aber ihr sollt nicht meinen, dass ihr damit sicher seid. Ihr sollt nicht euer Herz daran hängen."
Wir blicken also wieder auf die Tiere: Angemessene Vorsorge ist durchaus sinnvoll. Nicht sinnvoll ist die Anhäufung von Besitztümern, die über das Lebensnotwendige hinausgehen. Oder die Anhäufung von Besitz um des Ansehens, des Status, des Vorzeigens willen. Oder weil wir meinen, wir könnten uns nur dann wohlfühlen, wenn wir das alles haben, was wir so um uns herum aufstellen.
Wir sollen ja Gottes Reich und Heil suchen. Die sind aber nicht nur für uns da. Wir können sein Reich und sein Heil nur zusammen mit anderen haben. Darum heißt, in seinem Reich und mit seinem Heil leben, immer auch: es mit anderen teilen.
Wie wir dahin kommen, lehrt mich unser Pflegekater. Dieser "Räuber" hat sich in seiner großen Katzenautonomie seine Pflegeeltern ausgesucht. Die versorgen ihn nun. Wir brauchen uns keinen Pflegevater auszusuchen, weil wir einen himmlischen Vater haben, der sich uns als seine Kinder in seiner göttlichen Autonomie schon längst ausgesucht hat.
Wir haben also auch einen, der uns versorgt. Nur dass wir ihn nicht mit unseren leiblichen Augen vor uns sehen. Aber wer mit den Augen des Herzens sieht, kann gewiss werden, dass er da ist und uns versorgt.
Ich freue mich sehr über den alten Gauner, der sich uns als Pflegeeltern auserwählt hat – auch weil er so gelassen lebt. Dadurch erinnert er mich daran, dass ich einen himmlischen Vater habe, dem ich mein Leben anvertrauen kann. Ich kann darauf setzen, dass er mir alles gibt, was ich zum Leben wirklich brauche – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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Foto: KAVOWO auf Pixabay.
was für eine schöne Erfahrung hast du hier festgehalten! Möge euch der " Penner" noch lange Freude machen ...
herzliche Grüsse
Michael
danke für den guten Wunsch, der genau unser Empfinden trifft!
Viele Grüße
Klaus