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Im Leiden leben (Teil 1)

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Veröffentlicht von in Lebenshilfe · 5 November 2020
Tags: LeidTodHoffnungBetenSchöpfungParadiesLebenEwigkeit

Im Leiden leben (Teil 1)
Klaus Straßburg | 05/11/2020

Leid gehört zu unserer Welt. Alle Menschen leiden, in verschiedensten Formen und aus unterschiedlichsten Gründen. Schon die natürliche Begrenztheit des Menschen kann als Leid empfunden werden, von Verlusten ganz zu schweigen.

Wir sind begrenzt durch den Raum und die Zeit, die wir durchschreiten, durch unsere Geschichte und unsere Beziehungen; begrenzt in unseren körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie in dem, was wir erleben. Wir erleben den Verlust von Gesundheit, Ansehen, Erfolg, Macht und von Menschen. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Kurzum: Wir sind als Menschen allseitig begrenzt und dem Leiden ausgesetzt.

Ich beantworte hier nicht die Frage, warum Gott eine Welt erschaffen hat, in der es Leid gibt. Ich setze vielmehr voraus, dass es Leid gibt, und versuche die Frage zu beantworten: Welche Möglichkeiten, mit Leid umzugehen, eröffnen sich einem glaubenden Menschen von den biblischen Schriften her?

Wegen der Länge des Artikels habe ich ihn in zwei Teile aufgeteilt. Ich beginne mit einigen Gedanken dazu, dass das Leiden zu den Grundgegebenheiten unserer Welt gehört.


1. Die Erschaffung einer begrenzten Welt

Die Welt, in der wir leben, existiert offensichtlich nicht ewig, sondern hat ein Ende. Alles ist dem Werden und Vergehen unterworfen. Weder das Atom noch das Universum sind endlos. Kein Ding und kein Lebewesen ist endlos, sondern jedes Werden von Neuem setzt ein Vergehen von Altem voraus. Das Vergehen von Lebewesen bedeutet aber immer deren Leiden. Paulus kann sogar einmal sagen, dass alles Geschaffene sich nach dem Ende seines Leidens sehne (Röm 8,19-22).

Schon in den Schöpfungsgeschichten am Anfang der Bibel wird die Welt so beschrieben, dass Endlichkeit, Werden und Vergehen zu ihr gehören. Als Gott Tag und Nacht erschuf, war damit das Vergehen der Zeiten gegeben. Sonne und Mond zeigen „Zeiten, Tage und Jahre" an (1Mo/Gen 1,14-16). Pflanzen, Tiere und Menschen können nicht leben, wenn nicht zuvor andere Pflanzen, Tiere und Menschen vergangen sind. Denn der Platz auf unserer Welt ist begrenzt. Wer das leugnet, spricht nicht von dieser Welt.

Die Schöpfungsgeschichten aber sprechen von dieser Welt und keiner anderen. Mit keinem Wort wird erwähnt, dass das Leben in der ursprünglichen Schöpfung ewig war, also ohne Werden und Vergehen. So, wie die Welt ist, also ihre Vergänglichkeit inbegriffen, ist sie „sehr gut" (1Mo/Gen 1,31).

Nach der zweiten Schöpfungsgeschichte, die vom Garten Eden erzählt (1Mo/Gen 2,8), war es nicht anders. Denn der Mensch hat die Aufgabe, den Garten zu bebauen (1Mo/Gen 2,5.15). Was aber tut ein Mensch, der den Garten bebaut? Er reißt aus und pflanzt, pflanzt und reißt aus. Anders ist ein Bebauen in unserer Welt nicht möglich.

Der Mensch darf die Früchte von den Bäumen des Gartens essen (1Mo/Gen 2,16). Was aber heißt das anderes, als dass er ausreißt, damit Neues wachsen kann?

Viele Theologen führen noch etwas anderes an: Nirgends steht, dass Adam und Eva unsterblich geschaffen wurden. Gott droht ihnen nur an, dass sie, wenn sie von den Früchten des einen verbotenen Baumes essen, sterben müssen (1Mo/Gen 2,17). Er droht nicht an, dass sie sterblich werden. Auch später ist immer nur davon die Rede, dass Adam und Eva, wenn sie das Verbot übertreten, sterben müssen, nicht davon, dass sie ihre Unsterblichkeit verlieren (1Mo/Gen 3,3f).

Ich bin nicht sicher, ob diese Auslegung haltbar ist. Darum will ich sie nur erwähnen. Immerhin scheint es einen Zusammenhang zwischen Sünde und Tod zu geben, wie immer der auch zu verstehen ist. Paulus jedenfalls meint, dass erst mit der Sünde der Tod in die Welt gekommen ist (Röm 5,12).

Man muss sich auch klarmachen, dass die Schöpfungsgeschichten kein geschichtliches Nacheinander ausdrücken wollen. Sie wollen nicht sagen: Zuerst gab es eine Schöpfung ohne Sünde, dann den Sündenfall, und danach wurde der Mensch in eine andere Welt versetzt, in der die Sünde regierte. Die Schöpfungsgeschichten sprechen nicht von geschichtlichen Abläufen, sondern von Grundwahrheiten über den Menschen: Er ist von Gott in eine sehr gute Welt gesetzt. Er kann in Gemeinschaft mit Gott existieren (wir würden sagen: im Glauben), aber er kann auch die Gemeinschaft mit Gott aufkündigen und damit sich selbst des „Paradieses" berauben. Beide Wege gibt es bis heute. Wählt der Mensch den zweiten Weg, dann verliert er die Geborgenheit bei Gott und ist der Begrenztheit und Vergänglichkeit des Lebens ohne Trost ausgesetzt.

Wenn man also von der Erschaffung der Welt spricht, in der wir leben, kann man schlecht daran festhalten, dass sie unvergänglich geschaffen ist. Eine unvergängliche Welt wäre eine andere Welt. Die Schöpfungsgeschichten aber sprechen von keiner anderen Welt. Das Universum ist vergänglich. Unser Planet ist vergänglich. Werden und Vergehen gehören zwangsläufig zum Leben auf unserem Planeten.

Wenn das stimmt, dann ist das Vergehen und damit auch das Leiden schon Bestandteil der sehr guten Schöpfung. Das ist nicht unwichtig für die Frage, wie wir mit dem Leid in der Schöpfung zurechtkommen; wie wir mit dem Vergehen, dem Tod und allem Leid umgehen.

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich mich noch kurz der Frage widmen, warum wir leiden müssen. Denn diese Frage drängt sich dem leidenden Menschen geradezu zwingend auf – wie auch die biblischen Autoren wussten.


2. Die Warum-Frage

Leiden und Sterben sind also eine Realität. Das wird in der Bibel von Beginn an weder verschwiegen noch schöngefärbt. Dazu kommt, dass der Schöpfer nach biblischem Verständnis derjenige ist, der Tod und Leben, Glück und Unglück in seiner Hand hat und dem Menschen zuteilt (1Sam 2,6-8; Ps 104,29f; Am 3,6b). Das wirft die Frage auf: Warum muss der eine Mensch leiden, während es dem anderen gut geht?

Die Frage wird in der Bibel immer wieder gestellt – nicht als theoretische Frage, sondern als eine, die der leidende Mensch Gott verzweifelt entgegenschleudert. Wer mag, sollte die Bibelstellen (samt ihrem Kontext) ruhig einmal nachlesen, um die Dramatik dieses Fragens nachzuempfinden. Es ist kein distanziertes Fragen, sondern ein Schreien aus tiefster Seele: Ps 10,1.13; 22,2; 42,10; 44,24f; Jer 15,18; Hi 3,20; Mt 27,46; Mk 15,34.

Die Frage nach dem „Warum?" wird gestellt, aber sie wird nicht beantwortet. Warum trifft mich so schweres Leid? Warum nimmt es kein Ende? Warum hat Gott überhaupt eine begrenzte Welt erschaffen, in der Leiden zum Leben gehört? Warum hat er uns nicht gleich in sein ewiges Reich versetzt, in dem kein Leid und Geschrei mehr sein wird? Wir wissen es nicht. Es bleibt nur, trotz der offenen Frage an dem Gott festzuhalten, der auch im tiefsten Leid uns festhält und schließlich aus allem Leid erretten wird (Ps 73,23f).

Dass die Warum-Fragen unbeantwortet bleiben, heißt nicht, dass wir im Leid der Sinnlosigkeit preisgegeben sind. Die Leidenden, von denen die Bibel erzählt, wehren sich dagegen, dass ihr leidvolles Leben sinnlos sein soll. Stattdessen suchen sie immer wieder danach, ihrem Leiden einen Sinn abzugewinnen. Sie suchen diesen Sinn mit dem Blick auf den Gott, der sie in dieses Leid geführt oder sie zumindest nicht davor bewahrt hat.


3. Hat Leiden Sinn?

Jedes Leid ist anders. Darum gibt es kein System, in das man alles Leid einordnen könnte. Es gibt keinen einheitlichen Sinn, den man wie eine Schablone über alles Leid legen könnte und der allem Leid eine Bedeutung gibt. Die Suche nach dem Sinn bleibt immer eine Suche. Vielleicht denke ich manchmal, einen Sinn gefunden zu haben. Doch dann wird er mir wieder zweifelhaft. Vielleicht müssen wir es schließlich dabei belassen, dass Gott den Sinn kennt – auch dann, wenn wir keinen erkennen können. Es mag auch sein, dass man im Rückblick den Sinn eines Ereignisses vermuten kann. Aber das, was Menschen einander antun – hat das einen Sinn? Es gibt wohl Vieles, was auch in Gottes Augen sinnlos ist – wenngleich er den Seinen auch Sinnloses zum Guten gedeihen lassen kann (Röm 8,28).

Eine einfache Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Leids wäre „Gott will es so"; Jesus musste leiden, und wer an ihn glaubt, muss es eben auch. Aber diese Antwort ist in ihrer Pauschalität falsch. Sie kann den Eindruck erwecken, Gottes Wille sei es, dass alle seine Geschöpfe oder zumindest alle, die an ihn glauben, leiden. Das Neue Testament weiß zwar darum, dass die an Jesus Glaubenden „durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssen" (Apg 14,22). Aber es weiß auch darum, dass Leid von „teuflischen" Mächten verursacht werden kann, die Gottes Willen widersprechen (Offb 2,10). Man kann also nicht sagen, jedes Leid sei eben von Gott gewollt und gutgeheißen. Das meiste Leid wird vielmehr von Menschen oder anderen Gewalten erzeugt, die gegen Gottes Willen handeln.

Das Leid, wie die Bibel es beschreibt, kann nicht auf einen einfachen Nenner gebracht werden. Es bleibt immer mehrdeutig und spannungsvoll. Das macht es so schwierig, gültige Aussagen über das Leid zu machen. Darum kann ich auch im Folgenden nur Aspekte aufzeigen, die vielleicht manchmal widersprüchlich erscheinen. Das liegt in der Natur der Sache. Leid lässt sich ebenso wenig wie Gott in ein fertiges System pressen.

Doch auch wenn uns die Bibel keinen eindeutigen Sinn des Leidens zeigt, hält sie daran fest, dass der leidende Mensch niemals aus Gottes Händen herausfällt. Gott bleibt der Herr alles Geschehens; nichts geschieht, was er nicht zugelassen hat. Und auch wenn das Leid noch so groß ist, so ist es doch Gott, der die Größe des Leids begrenzt (Hi 1,12; 2Kor 12,7-9; Offb 13,7).

Wenn wir leiden müssen, sind wir also nicht dem blinden Schicksal oder gar einer teuflischen Macht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wir bleiben vielmehr in der Hand des Gottes, der uns liebt und Gutes für uns will (Ps 23,4; Röm 8,28.35-39). Nur darum wenden sich die Leidenden der Bibel immer wieder an Gott mit ihren Klagen und mit der Bitte um ein Ende des Leids. Hilfe wird allein von dem Gott erwartet, der durch Menschen und Ereignisse aus dem Leid befreien kann.

Wenn ich nun versuche, die vielfältigen biblischen Deutungen des Leids zu benennen, dann heißt das nicht, dass damit das Rätsel des Leids beseitigt wäre. Es bedeutet nur, mögliche Wege aufzuzeigen, wie man mit Leid umgehen kann. Letztlich muss aber jeder leidende Mensch seinen eigenen Weg finden, mit dem ihn treffenden Leid zu leben.


4. Vor dem Leid fliehen und Freuden suchen

Die Autoren der biblischen Schriften vertraten keineswegs die Auffassung, man müsse sich tatenlos in sein Leid ergeben. Sie riefen vielmehr dazu auf, wenn möglich vor dem Leid die Flucht zu ergreifen (z.B. Jer 4,6; 50,8; Mt 2,13; 24,16). Auch Jesus fleht vor seiner Gefangennahme zu Gott, das Leid doch, wenn es möglich sei, an ihm vorübergehen zu lassen (Mt 26,39).

Das spricht dagegen, als Christ oder Christin fraglos die Rolle eines Opfers einzunehmen. Wir sind nicht zum Leiden geboren. Auch einem anderen leidenden Menschen sollte man nicht mit Sätzen begegnen wie „Wenn Gott es will, dann musst du eben deine Last tragen." Das ist keine Seelsorge, sondern eine Festlegung des leidenden Menschen auf sein Leid, ohne einen Ausweg aufzuzeigen und an seiner Last mitzutragen (Gal 6,2).

Es gibt auch die christliche Auffassung, die Welt sei sowieso ein Jammertal, in dem es eigentlich keinen Grund zur Freude gebe. Diese Auffassung kann sich äußern als Resignation angesichts der Sinnlosigkeit des Lebens und angesichts der Vergänglichkeit alles dessen, was wir erleben. Im philosophischen Existenzialismus wurde die Absurdität alles Seins massiv erlebt, reflektiert und als menschliches Geworfensein in diese Welt akzeptiert.

Dem setzt der christliche Glaube die Auffassung entgegen, Gottes Schöpfung sei sehr gut, und zwar allem Leid und aller Vergänglichkeit zum Trotz (siehe oben Abschnitt 1). Sogar das alttestamentliche Buch des Predigers, in dem die Sinnlosigkeit des Lebens stark betont wird (Pred 1,2-11), bleibt nicht in der Resignation hängen, sondern ruft dazu auf, das Leben nach Kräften zu genießen (Pred 3,12f.22a; 5,17-19; 9,7-10).

Die Wahrnehmung von Sinnlosigkeit und das Erleben von Leid sollte also nicht dazu führen, in Melancholie und Resignation zu verfallen. Im Gegenteil: Auch angesichts aller Begrenztheiten unseres Lebens sollen wir die Freuden des Lebens wo immer möglich genießen. Dass wir im „Land und Schatten des Todes" leben (Mt 4,16), bedeutet nicht, dass wir zum Leiden verurteilt sind und alle Freude fahren lassen sollen.

Konkret kann das bedeuten, das Leid, das uns befällt, nicht zu hoch zu bewerten. Wir sollen nicht wie das Kaninchen auf die Schlange blicken und angesichts des Unglücks erstarren. Wir sollen uns vielmehr auf den Weg machen, gegen das Leid – wenn wir ihm schon nicht entfliehen können – anzugehen: versuchen, dem Leben Gutes abzugewinnen; im Vertrauen auf Gottes Hilfe nach erträglichen Lebensmöglichkeiten suchen; die Hoffnung niemals aufgeben, dass Gott auch dem leidenden Menschen ungeahnte Freuden schenken kann. Das mag manchmal schwer sein, aber es ist besser, als sich taten- und hoffnungslos dem Leid hinzugeben.


5. Zeitliche und ewige Überwindung des Leids erhoffen

Es hilft nichts, sich im Leid in sich selbst zu vergraben und verbittert nichts Gutes mehr zu erwarten. Hilfreich ist es vielmehr, den Blick nach außen und in die Zukunft zu richten. Der glaubende Mensch geht davon aus, dass sein Geschick trotz allen unverstandenen Leids in Gottes Hand liegt. Das Sprichwort „Der Mensch denkt und Gott lenkt" entspricht biblischem Glauben (Spr 16,9; 19,21; Jer 10,23). Zwar wissen auch die biblischen Autoren darum, dass uns oft verschlossen bleibt, wohin Gott unsere Wege lenken wird (Joh 21,18). Aber sie halten dennoch daran fest, dass ihre Wege von Gott geleitet werden und nicht von einem blinden Schicksal oder von namenlosen Mächten und Gewalten (Ps 31,16).

Wer im Leid nicht nur auf sich selbst und sein schweres Leben blickt, sondern auch auf Gott, der gibt seinem Leben einen neuen Rahmen. Er zieht sich sozusagen nicht in das abgeschlossene Haus seines Leids zurück, sondern blickt durch ein geöffnetes Fenster auf das Leben – auch auf sein eigenes Leben. Dann kann es geschehen, dass er es mit neuen Augen zu sehen beginnt. Er wendet sich an Gott mit seinen Klagen und Bitten, mit seiner Verzweiflung und Sehnsucht. Die Klagepsalmen des Alten Testaments wissen davon viel zu sagen (z.B. Ps 6; 13; 22; 69; 77; 130).

Wer zu klagen beginnt, bleibt nicht bei sich selbst, sondern schreit seinen Schmerz hinaus. Wer sich dabei an Gott wendet, den er vielleicht absolut nicht versteht, fleht um Kraft und ein Ende oder zumindest eine Besserung seines Leids. Die Klage ist der erste Schritt zur Hoffnung. Im Klagen selbst kann schon eine emotionale Entlastung eintreten, bis hin zu einem Gefühl des Vertrauens und des Gotteslobs. Das erklärt die Gefühlsschwankungen, die in manchen Psalmen zu beobachten sind: Sie reichen von tiefster Verzweiflung über die Gewissheit, erhört zu werden, bis hin zum Lobpreis der Güte Gottes (z.B. Ps 13; 22; 69).

Dennoch verspricht das Gebet nicht sofortige Besserung. Der Glaube muss – möglicherweise lange Zeit – auf eine Antwort Gottes warten (Ps 69,4). Das Warten gehört immer zum Glauben, ja es ist geradezu sein Kennzeichen (Ps 33,18f; 104,27; 145,15; Röm 8,19). Denn das Gebet ist kein Mittel der Wunscherfüllung. Vertrauen zu Gott gibt es nur im Warten auf ihn, der zu seiner Zeit und auf seine Art unsere Gebete erhören wird.

Darauf kommt es an: dass Gott die Gebete erhört (Ps 3,5) und dass er aus der Not erretten wird (Ps 50,15). Wie die Rettung aussehen und wann sie geschehen wird, bleibt allerdings ihm überlassen. Es kann sein, dass die notvolle Situation sich wandelt, aber es kann auch sein, dass sie bestehen bleibt und dass Gott „nur" die Kraft zum Ertragen gibt (Ps 138,3). Allerdings können schwer leidende Menschen mit einer Lebenskraft und sogar Lebensfreude beschenkt werden, die sich ein Gesunder kaum vorstellen kann.

Und doch bleiben manche Leiden bis zum Lebensende bestehen. Aber selbst dann ist der leidende Mensch nicht zur Hoffnungslosigkeit verurteilt. Denn allen Glaubenden steht die himmlische Erlösung von ihren Leiden vor Augen: Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen, es wird kein Leid, kein Geschrei und keinen Tod mehr geben (Jes 25,8; 65,17-25; Offb 21,1-5), und das, was sie auf Erden leiden, wird gar nicht mehr ins Gewicht fallen angesichts des herrlichen Lebens, das ihnen geschenkt werden wird (Röm 8,18).

Diese Zukunftsaussicht ist keine billige Vertröstung auf ein fernes Jenseits. Sie wäre es, wenn das gegenwärtige Leben von ihr gar nicht betroffen wäre. Aber die Aussicht auf das himmlische Sein verändert das Leben schon jetzt: Ein Mensch, der sich nicht nur auf sein Leid konzentriert, sondern auch auf dessen endgültige Überwindung blickt, ist seiner Not nicht hilflos ausgeliefert. Er lebt vielmehr schon jetzt in einer hoffnungsvollen Perspektive, die ihm Kraft gibt, auch die schwere Gegenwart besser zu bewältigen.

Diese hoffnungsvolle Perspektive wird – wie jede christliche Hoffnung – immer eine Hoffnung gegen den Augenschein sein: eine Hoffnung, die auch dann hofft, wenn es keinen Grund zur Hoffnung zu geben scheint. Nach dem Hebräerbrief ist der hoffende Glaube ein „Erweis von Dingen, die man nicht sehen kann" (Hebr 11,1). Von dieser Gewissheit, dass es mehr gibt als das in der Welt Sichtbare und Erlebbare, lebt der leidende Mensch, der sich nicht in sein leidvolles gegenwärtiges Leben vergräbt.

(zur Fortsetzung in Teil 2)


* * * * *




10 Kommentare
pneumatheou
2020-11-06 07:50:27
Lieber Klaus,
ich werde meine Kommentare ebenfalls stückeln, da ich deine Gedanken gerne etwas wirken lassen möchte, um zu sehen welche Früchte sie hervorbringen. Vorab erst einmal "Ein großes Danke" für das Thema!!! Daher möchte ich mich erst einmal nur auf den Punkt 1 beziehen.
Will uns der Schöpfungsbericht nicht gerade zeigen, dass durch die (sündige=verfehlte) Entscheidung gegen Gott sich das Leid erst in der endlichen Struktur ausbreiten konnte? Denn der weibliche Schmerz und die männliche Mühe waren vorher nicht leidige Realität, erst ausgelöst durch eine Bewusstseins- und Wahrnehmensveränderung (=unheiligen Geist) aufgrund ihrer eigenen gottlosen Entscheidung. Daraus folgt, die idrische Schöpfung war anfangs sehr gut, also sündenfrei und damit leidfrei. Mit der Loslösung von Gott und auf eigene Erkenntnis angewiesen, wurde die Struktur dieser Realität sündiger und leidvoller. So dass in Noahs Zeiten eine demonstrative Bereinigung notwendig war. Daher komme ich zu dem Schluss, dass eine endliche Struktur nicht automatisch Leiden beinhaltet, aber ohne Gott unvermeidlich wird und ist.
2020-11-06 10:39:45
Hallo Pneuma,

meine Antwort auf deine sehr berechtigte Frage ist: Ja und Nein. Einerseits sehe ich es auch so, dass die Lösung der Gottesbeziehung das Leiden an der Endlichkeit vergrößern kann. Andererseits sind aber z.B. Schmerzen auch in der Gottesbeziehung nichts Angenehmes, also mit Leid verbunden. Mühsal, Schmerz und Tod lassen sich im Glauben, wenn es gut geht, besser ertragen als ohne Glauben. Aber sie bedeuten doch auch im Glauben, dass der Mensch leidet. Der Glaube ist ein Trost und hilft, über die Endlichkeit unseres Lebens hinauszublicken. Aber auch im Glauben bleibt der Tod ein "Feind", wie Paulus 1Kor 15,26 schreibt.

Mich würde noch interessieren, was du mit "Bewusstseins- und Wahrnehmungsveränderung" meinst. Ich verstehe es als die im Glauben gewonnene neue Sicht auf das Leben und seine Endlichkeit, aber vielleicht hast du ja etwas anderes im Blick.

Ein wichtiger Punkt ist auch, dass ich 1Mo/Gen 2 und 3 nicht vorrangig als geschichtliches Nacheinander verstehe, sondern eher als Ineinander menschlicher Zustände, als Ausdruck von Grundwahrheiten über das menschliche Leben: Leben in Gemeinschaft mit Gott, Bruch dieser Gemeinschaft durch den Menschen, Folgen dieses Bruches für den Menschen. Das ist sicher eine ungewöhnliche Sichtweise, weil wir dieses Nacheinander sehr verinnerlicht haben. Ich glaube aber, man kann diese Kapitel auch gut verstehen, ohne sie als Bericht über einen geschichtlichen Ablauf zu deuten. Damit will ich niemandem seine Sicht eines Nacheinanders nehmen, sondern nur auf eine andere Möglichkeit der Interpretation hinweisen.
2020-11-06 10:44:43
Liebe Klaus,
zu Punkt 2 dem Warum fällt mir folgender Gedanke ein:
Eine infizierte endliche Struktur als gottlose Realität, die von der Sünde infiziert wurde, verliert an allen Ecken und Enden ihr Gleichgewicht. Dann ist es wie auf der Titanic. Als die Sünde namens Eisberg betroffen wurde, wurde alle Menschen an Bord davon betroffen, auch die die nicht direkt Teil der Entscheidung des Kapitäns waren. Es geht dann nicht mehr nur um die Un-Gerechtigkeit des Einzelnen, sondern nun auch noch um die Un-Gerechtigkeit einer Gemeinschaft von Menschen, die Ungerechten gefolgt sind.
Es kommt zur Kollektiv-Verantwortung, die kann auch mal wie im Fall Hiobs grausam sein, aber im Leid die Möglichkeit bieten eine Antwort auf das Vorteilsdenken abzugeben, nämlich ein solche Behauptung zu widerlegen oder zu beweisen. Warum leiden wir, weil diese gottlosen Ungleichgewichte uns mal direkt oder indirekt treffen können. Entweder sind es also unsere eigenverantwortlichen Sünden die das Leid auslösen, oder die Sünden aller Menschen. Im Falle Jesus als Gerechter hat er die ganze Ungerechtigkeit des gesamten infizierten Systems getragen, obwohl er keine eigene Sünden beginn. Unglaublich was der Gerechte, dem man alle Gerechtigkeit der Welt wünscht, ertragen muss. Wenn man sich in einer krankhaften Welt bewegt bleibt es somit unwahrscheinlich als unvollkommener Mensch sich nicht zu infizieren und leidlos davon zu kommen.
pneumatheou
2020-11-06 11:02:04
Mit Bewusstseins- und Wahrnehmungsveränderung bezog ich auf Adam und Eva, die Nacktheit war vorher nie ein Problem. Und das war nur der Anfang von vielen Gedanken, die plötzlich anders bewertet wurden. Die gedankliche Bewertung von Dingen hatte sich bei Ihnen zunehmend verändert, in eine nicht mehr göttliche Richtung. Das kann man ohne weiteres auch Glauben nennen. Insofern stimme ich dir gerne zu.
Was den entscheidenden Beziehungsaspekt zum hilfreichen Chronologieaspekt betrifft, da kann man schon froh sein das Gott, die Menschen sich nicht selbst überlassen hat - was schon sehr mitfühlend ist. Aber so sind halt nun mal liebevolle Väter, auch wenn die Kinder nun Gehorsam und Vertrauen lernen müssen.
2020-11-06 19:29:02
Hallo Pneuma,

eine Antwort auf die Warum-Frage finde ich schwierig, denn die Frage fragt ja danach, warum Gott nicht eine leidfreie oder wenigstens von schwerem Leid bewahrte Welt geschaffen hat oder eine, die auch durch Gottlosigkeit nicht ins Leid gestürzt wird. Man kann auch fragen: Warum hat er uns nicht gleich in die himmlische Herrlichkeit versetzt? Dass alles Leben von Leid und vom Bösen, Lebensfeindlichen durchdrungen ist, ist zwar richtig, aber für mich keine Antwort auf die Warum-Frage.

Ich finde, "Bewusstseins- und Wahrnehmungsveränderung" ist ein guter Ausdruck. In der Trennung von Gott erscheint alles in einem anderen Licht, auch das eigene Ich. Der bloßgestellte ("nackte") Mensch erkennt die Widersprüchlichkeit der eigenen Existenz, den Riss, der durch ihn selbst geht, die Störung, die sein ganzes Sein durchzieht, und schämt sich dafür. In der Gemeinschaft mit Gott, d.h. in der Geborgenheit seiner Liebe, war das nicht so; außerhalb dieser Geborgenheit aber erleben wir das alle.
2020-11-07 10:13:08
Zu Punkt 3 fällt mir ein: Die Sinnfrage ist immer eine Frage nach der Ursache und dem zugehörigen Zweck. Leid entsteht meist durch eine Abweichung vom Vollkommenen, vom Heiligen, vom Gesunden, vom Guten, vom Liebevollen, usw. Ein Mangel und Übermaß schadet immer einem selbst und immer auch anderen, direkt und indirekt. Wie leben in einer Welt voll dieser Ungleichgewichte und müssen nun diese Spannung des Leides aushalten, Gerechte wie Ungerechte, Heilige wie Unheilige, bis der Tag kommt, dass die Heilige nur noch unter sich sein werden und das Leiden der Vergangenheit angehört, weil in ihnen die Liebe alles durchdringt und das Leiden auslöscht. Hat das Leiden einen Sinn? Ich würde sagen, Ja. Weil die Leiden immer mit dem Finger auf die Liebe zeigen. Und da Gott Liebe ist, beantwortet sich dich die Frage auf mahnende und eindringliche Weise, wem sie dienen sollen. Aber so ist es mit dem Freien Willen und der Endlichkeit, als Geschöpf gegenüber einem moralisch vollkommenen Schöpfer.
2020-11-07 18:17:30
Die „Abweichung vom Vollkommenen" ist sicher eine Ursache des Leids. Ich denke auch, dass beides, Mangel oder Überfluss, Leid erzeugen können. Eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn oder Zweck des Leids finde ich da schon schwieriger. Was sagt man einem jungen an Krebs erkrankten Menschen? Ich könnte ihm nicht sagen: „Deine Leiden sollen Gott dienen." Oder auch nur, dass die Leiden den Menschen zu Gott führen sollen. Ich kann mir kein Urteil darüber erlauben. Ich weiß auch nicht, ob Gott das Leid dieses Menschen will. Wenn das Neue Testament davon spricht, dass Kranke von Dämonen besessen sind, dann meint es damit, dass die Krankheit durch gottwidrige Mächte hervorgerufen ist. Jesus hat diese Kranken geheilt, weil ihre Krankheit eben nicht von Gott gewollt war.
2020-11-07 23:04:41
Ich würde das als Gotteingeplant, genauer gesagt als Gottzugelassen betrachten.
Dem Kind würde ich vielleicht sagen: Gott liebt dich, aber leider verursachen die Menschen durch die vielen Lieblosigkeiten Krebs und das trifft dann leider - wie eine ansteckende Krankheit - andere. Wir sitzen alle im selben Boot. Aber alles wird Gut, ER liebt dich wirklich sehr, deshalb hat er für so jemanden wie dich auch seinen Sohn persönlich gesandt, und du darfst ihm gerne glauben und vertrauen. Das hofft und wünscht er sich nämlich von Dir.
Er macht alles wieder neu. Es gibt keinen Grund um sich Sorgen zu machen oder Angst zu haben. Er ist der beste Vater als unser Gott, den man sich wünschen kann, mitfühlend gnädig und doch konsequent gerecht. Vertraue ihm und überlasse dich ihm. Und du gehst nur voraus und wir folgen dir schon bald.
Vielleicht hätte ich so etwas gesagt, da unsere Körper wie Kleidungsstücke sind. Nicht mehr und nicht weniger. Wir sind nicht unsere Körper und unsere Körper sind nicht wir. Auch wenn das täuschen mag, weil es unserer Erster ist und weil wir uns allzugerne und dazu neigen uns damit zu identifizieren.
2020-11-08 13:48:18
Zu Punkt 5: Wundervoll geknüpfte Gedanken der Ermunterung und des Trostes. Wer Glaubt sieht mit den Augen des Herzen was den Augen des Kopfes verborgen bleibt. Denn sie sehen über das Hier-und-Jetzt hinaus. So bleiben auch im Leid: Der Glaube, die Hoffnung und alles durchdrungen von der göttlichen Liebe. Herrlich. Einfach nur herrlich. Herrlich liebenswert.
2020-11-08 17:54:09
Vielen Dank für die Zustimmung. Dass Gott ein Krebsleiden zugelassen hat, finde ich angemessener zu sagen, als dass er es geplant hat. Wenn er etwas geplant hat, heißt das nach meinem Verständnis, dass er es gewollt hat; wenn er es zugelassen hat, heißt das, dass er es nicht gewollt, aber auch nichts dagegen unternommen hat. Warum er, wenn er es nicht gewollt hat, nichts dagegen unternommen hat, bleibt wieder die offene Frage. Ich glaube auch nicht, dass alle Krebserkrankungen durch menschliche Lieblosigkeiten verursacht werden. Ich denke, es gibt zwar viel Leid, das Menschen verursachen, aber es gibt auch viel Leid, das in den schöpfungsmäßigen Abläufen, in den "natürlichen Gegebenheiten" begründet ist. Der Glaube, dass die Schöpfung dennoch "sehr gut" ist, ist gerade die Herausforderung. Jedenfalls zeigt das Buch Hiob, dass nicht Gott das Leid Hiobs gewollt und verursacht hat, sondern die Gottes Willen entgegenstehende Macht (Hi 1,12; 2,6). Gerade die Unbegreiflichkeit schweren Leids wird ja im Hiob-Buch deutlich. Die Warum-Frage bleibt also offen. Das ändert nichts daran, dass nach Röm 8,28 auch das schwerste Leid „für die, die Gott lieben, zum Guten beiträgt." Das dies so ist, lässt sich aber nicht, wie du auch sagst, mit den Augen des Kopfes erkennen, es liegt nicht offen zutage, sondern nur die Augen des von Gott erneuerten Herzens (Jer 24,7; 31,33; Hes/Ez 11,19) können es glauben, können darauf vertrauen, obwohl es nicht offen zutage liegt, vielmehr alles zutage Liegende dagegen spricht. Und weil wir diese Erneuerung des Herzens nicht selber schaffen können, bleibt sie beständige Herausforderung für den Glauben und Gegenstand unseres Betens, Flehens und Kämpfens.
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