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Gottes Wegweiser gegen das Verirren

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Veröffentlicht von in Ethik · 12 Oktober 2021
Tags: GeboteEthikLebenKulturEntscheidungenSünde

Gottes Wegweiser gegen das Verirren
Klaus Straßburg | 12/10/2021

In den letzten Wochen bin ich öfter mal mit Wanderschuhen oder mit meinem E-Bike im waldreichen Mittelgebirge unterwegs gewesen. Das waren sehr schöne Erfahrungen, und auf den Wegen habe immer etwas Unerwartetes erlebt.

Ich habe aber auch festgestellt, dass es mit den Markierungen der Wanderwege so eine Sache ist. Nicht überall sind die Wege gut ausgeschildert. Und wenn auch nur eine einzige Markierung fehlt, kann das üble Folgen haben: Der arme Wanderer verliert die Orientierung.

Der allgegenwärtige Baumschlag hat viele Markierungen beseitigt, die an den gefällten Bäumen angebracht waren. Die riesigen Maschinen, welche die Fichtenplantagen beseitigen, durchwühlen nicht nur den Boden, sondern brauchen auch so viel Platz, dass manch ein Baum und Wegweiser weichen musste.

Aber nicht nur fehlende Markierungen führen zur Orientierungslosigkeit: Manche Markierungen sind zwar da, aber nicht mehr deutlich erkennbar. Sie sind durch die Witterung verblasst oder von Blättern überwuchert.

Zudem gibt es auch richtig böse Menschen, die einen Wegweiser verdrehen, so dass der ortsunkundige Wanderer zwangsläufig in die falsche Richtung läuft.

Auch der Wanderer selbst muss aufpassen: So ganz in Gedanken versunken und die Natur genießend ist es vorgekommen, dass ich eine Markierung übersehen habe. Dann ging ich kilometerweit in die falsche Richtung. Als ich es bemerkte, musste ich umkehren oder hatte den Wanderweg verloren.

Man muss also Ausschau nach der nächsten Markierung halten. Und wenn man das nicht tut, hat man die unangenehmen Folgen zu tragen.

Eigentlich ist es so wie auf dem Lebensweg. Auch auf dem Lebensweg gibt es Wegweiser und Markierungen. Einem Christenmenschen fallen dabei wohl als erstes die zehn Gebote ein.


1. Die zehn Gebote und der Alte Orient

In der Tat sind die zehn Gebote die Weisungen Gottes für ein gutes Leben. Wie die Wegweiser und Markierungen im Wald weisen sie uns den Weg. Sie geben zwar nicht an, wie wir uns in jeder denkbaren Situation verhalten sollen. Aber sie bilden eine Grundlage, an der wir uns orientieren können. Manche sagen auch: Die zehn Gebote sind eine Art Geländer, das uns nicht jeden Schritt vorgibt, aber vor dem Abstürzen bewahrt.

Schon oft habe ich gehört, dass es solche Gebote ja auch in anderen Religionen gäbe und die zehn Gebote des Alten Testaments deshalb gar nichts Besonderes seien. Aber das stimmt nicht. Zwar gibt es ähnliche Reihen im Alten Orient tatsächlich auch in anderen Religionen. Aber sie unterscheiden sich in Anzahl, Form und Zielsetzung deutlich von den zehn Geboten des Alten Testaments.

Als Beispiel zitiere ich aus dem ägyptischen Totenbuch, das in den Jahren 1.600 bis 1.100 vor Christus in Ägypten einem Verstorbenen ins Grab gelegt wurde. Dort stehen Sprüche wie:

Ich habe nicht Unrecht getan. Ich habe nicht geraubt. Ich bin nicht habgierig gewesen. Ich habe nicht gestohlen. Ich habe nicht Menschen getötet. Ich habe das Kornmaß nicht verringert. [...] Ich habe nicht Lüge geredet.
(Zitiert nach Herbert Haag (Hg.): Bibellexikon, Spalte 321)

Man sieht sofort, dass dies keine Gebote sind, sondern Rechtfertigungen: Der Tote sollte diese Worte vor dem Richterstuhl des Gottes Osiris aussprechen. Osiris galt als der Gott des Jenseits, der Wiedergeburt und des Nils. Der Verstorbene konnte mit den genannten Sätzen bezeugen, dass er ein guter Mensch gewesen ist.

Ganz anders die zehn Gebote des Alten Testaments. Mit ihnen sollen wir uns nicht nach dem Tod vor Gott rechtfertigen, sondern sie wollen uns während des Lebens den rechten Weg weisen. Uns wird gesagt, was wir im Leben tun sollen oder nicht tun sollen. Die hebräische Wortwahl beim Verbot „Du sollst nicht ..." bietet die stärkste Form der Verneinung, die es im Hebräischen gibt. Sie gibt an, was auf keinen Fall geschehen darf. Wir würden heute sagen: „Das geht gar nicht ...".


2. Das erste Gebot und unsere Freiheit

Aber die zehn Gebote sind nicht nur ethische Verhaltensregeln. Sie beginnen ja mit dem ersten Gebot, das so lautet:

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus dem Land Ägypten, aus der Sklaverei, herausgeführt habe; du sollst keine anderen Götter neben mir haben.
(2Mo/Ex 20,2f; 5Mo/Dtn 5,6f)

Das erste Gebot steht sozusagen als Überschrift über allen anderen. Es beginnt auch gar nicht mit einem Gebot, sondern damit, dass Gott sich selber vorstellt: Er ist der Gott, der Israel aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat. Diese Freiheit kann sich Israel nur dadurch bewahren, dass es sich an den Befreier bindet und ihm folgt. Das Folgen geschieht auch im Befolgen der Gebote. Folgt Israel ihnen nicht, dann kommt es wieder dazu, dass es durch böse, lebensfeindliche Mächte versklavt wird. Diesmal ist die lebensfeindliche Macht kein fremdes Volk, sondern das eigene Ich: Es lehnt Gott ab und konzentriert sich vor allem auf sich selbst und seine eigenen Interessen. Weil dies in die Gefangenschaft führt, ist vor jedem einzelnen Gebot mitzudenken, wer da etwas gebietet: Der Gott, der aus der Gefangenschaft befreit hat.

Uns hat Gott nicht aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Aber er hat als der Gott, der in Jesus Christus Mensch geworden ist, die ganze Welt befreit: nämlich davon, in der Feindschaft gegen Gott, den Mitmenschen und die ganze Schöpfung gefangen zu sein. Er hat uns zum Leben befreit, das uns auch der Tod nicht nehmen kann.

Dennoch entscheidet sich der Mensch gern für die Gefangenschaft anstatt für die Freiheit. Er bleibt im Gefängnis, obwohl die Türen weit offen stehen. Darum erinnert uns das erste Gebot an die Befreiungstat Gottes: Er hat uns alle von gottlosen und lebensfeindlichen Bindungen befreit. Und wir können die Freiheit dadurch bewähren, dass wir uns an den Befreier binden und ihm folgen. Gebunden an Gott bleiben wir frei.

Wenn wir ein Gebot übertreten, verlieren wir unsere Freiheit. Wir geben uns unserer Großmannssucht, unserer Gier, unseren Trieben hin. So werden wir deren Sklaven. Und dadurch zerstören wir das gute Miteinander mit Gott, den Mitmenschen und den anderen Geschöpfen. Die Freiheit ist dann verloren.

Das erste Gebot sagt auch: Es ist nicht egal, welchen Gott man verehrt, welchen Glauben man hat. Du sollst den Gott verehren, der dich befreit hat.


3. Gottes Wegzeichen und unsere Kultur

Wir brauchen die Gebote als Wegmarkierungen. Ohne sie verirren wir uns. Sie nicht zu befolgen, schadet nicht nur den anderen, sondern auch uns selbst: Der Weg wird beschwerlicher. Wir werden orientierungslos und irren umher. Im Miteinander gibt es Verwirrung, Täuschung und Enttäuschung. „Jesus bekam Mitleid mit den Menschen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben" (Mk 6,34). Das ist kein Wort für vergangene Zeiten. Es gilt auch heute, vielleicht mehr denn je.

Als Wanderer auf dem Lebensweg tut es also gut, Ausschau zu halten nach den Wegzeichen Gottes. Das kostet etwas Mühe. Ausschau halten heißt in diesem Fall: Sich interessieren, sich informieren, sich Gedanken machen. Die Haltung „Gottes Wegweiser interessieren mich nicht" führt jedenfalls nicht zum Ziel.

Probleme entstehen auch dadurch, dass manche Wegzeichen Gottes nicht gepflegt wurden. So sind sie überwuchert worden durch andere Denkweisen. Dass ungeborenes Leben beim Schwangerschaftsabbruch getötet wird, wird heute kaum mehr als Tötung wahrgenommen. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau hat das Tötungsverbot überwuchert. Auch das Töten im Krieg scheint geradezu selbstverständlich geworden zu sein, wenn auch als ein notwendiges Übel.

Viele Gebote sind verblasst oder weichgespült worden, indem man sie nicht mehr wirklich ernst nahm. Unsere Gesellschaft und wir selbst gehen davon aus, dass wir niemandem etwas stehlen oder das Eigentum des anderen begehren. Dass die Güter der Erde allen Menschen gehören, auch den Hungernden, und dass es ein Stehlen ist, wenn man ihnen das, was ihnen zusteht, nicht gibt, das ist nur für wenige Menschen ein wichtiger Gedanke.

Dazu kommt, dass unsere Lebensweise und Kultur manche Wegzeichen Gottes zunichte gemacht hat. Das Ich und sein Anspruch, autonom entscheiden zu können, was richtig und falsch ist, hat in der westlichen Kultur einen großen Siegeszug angetreten. Alle Vorgaben, auch die Vorgaben Gottes, werden da nur als störend empfunden.

Im Extremfall können Gottes Wegzeichen bewusst verdreht werden. Als im Zweiten Weltkrieg auf den Gürtelschlössern der Soldaten die Worte „Gott mit uns" stand, wurden die Menschen in die falsche Richtung gewiesen und konnten sich nur hoffnungslos verirren.


4. Die Grundorientierung und der Einzelfall

Ich nutze, wenn ich im Wald unterwegs bin, immer eine gute Wanderkarte, Maßstab 1 : 25.000. Eine solche Karte hat mich schon oft vor dem totalen Verirren gerettet. Sie ist letztlich auch nur ein Behelf; denn sie kann den Weg nicht 1 : 1 abbilden. Aber sie bietet eine Grundorientierung.

Die Grundorientierung für das Leben sind für mich die zehn Gebote und ihre Zusammenfassung im Alten Testament. Jesus hat diese Zusammenfassung aufgegriffen, als er die Frage nach dem größten Gebot so beantwortete:

Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist allein Herr; und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen und mit ganzer Seele und mit deinem ganzem Denken und mit deiner ganzen Kraft. Und das zweite ist dieses: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Größer als diese beiden ist kein anderes Gebot.
(Mk 12,29-31; eine Zusammenstellung aus 5Mo/Dtn 6,4f und 3Mo/Lev 19,18b)

Die zehn Gebote und diese Zusammenfassung Jesu bieten nur eine Grundorientierung. Im Einzelfall ist immer neu zu entscheiden, was aus diesen Wegzeichen folgt. Aber sie sollten die Grundlage darstellen für alles, was wir tun. Nur so bleiben wir die Freien, die zu sein Gott uns erschaffen hat. Und nur so verirren wir uns nicht hoffnungslos im Labyrinth des Lebens.


Literatur
  • Haag, Herbert (Hg.): Bibellexikon. Benziger Verlag Zürich u.a. 3.Aufl. 1982.
  • Köckert, Matthias: Dekalog / Zehn Gebote. In: WiBiLex. Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet.


* * * * *



2 Kommentare
Hans-Jürgen Caspar
2021-10-14 13:20:18
Hallo Klaus,

Du hast recht, wenn Du die Zehn Gebote als Grundorientierung und nicht als etwas Starres, hundertprozentig zu Befolgendes ansiehst. Ursprünglich galten sie den Juden/Israeliten, und die Christen hielten sie nur teilweise ein. Das sah man im Laufe der Jahrhunderte (und sieht es noch heute) beim Bilderverbot. Die gesamte christliche bildende Kunst steht im Gegensatz dazu. Marien- und Heiligenbilder und -figuren werden verehrt, und man betet zu ihnen. In vielen Kirchen, aber auch an markanten Stellen in der freien Natur, ist der gekreuzigte Jesus dargestellt. Und wenn wir das biblische Bilderverbot befolgen wollten, dürften wir weder zeichnen und malen noch fotografieren und Bilder im Internet veröffentlichen.

Im übrigen denke ich bei allem, was Du vorstehend schreibst, wie Du.

Danke und viele Grüße
Hans-Jürgen
2021-10-14 21:51:05
Hallo Hans-Jürgen,

vielen Dank für deine Stellungnahme. Ich freue mich, dass du immer wieder Rückmeldungen gibst, derweil manche andere, die früher viel geschrieben haben, jetzt zurückhaltender sind.

Die zehn Gebote regeln nicht jeden denkbaren Einzelfall, was ja auch gar nicht möglich wäre. Selbst unsere vielen Gesetze mit tausenden von Paragraphen können nicht jeden denkbaren Einzelfall regeln, so dass die Gerichte dann "im Sinne des Getzgebers" oder "im Geiste des Gesetzes" entscheiden müssen. Vielleicht kann man die Gebote dem Grundgesetz vergleichen, das einen Rahmen für alle anderen Gesetze und die Rechtsprechung angibt. So könnte ich auch die Gebote verstehen.

Zum Bilderverbot ließe sich viel sagen. Es wurde zur Zeit der Reformation tatsächlich auf religiöse Gemälde bezogen. Heute bezieht man es eher auf unsere gedanklichen Vorstellungen von Gott, auf die wir Gott nicht festlegen sollen, sondern die wir vielmehr von ihm her immer wieder in Frage stellen müssen. Das ist eine echte Herausforderung: Wir sollen uns kein festes Bild von Gott machen, weil er alle unsere Bilder übersteigt. Das führt zur Bescheidenheit und Demut im Denken des Glaubens, bis hin zu einem Gefühl, das mich manchmal überkommt: Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Viele Grüße
Klaus
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