Gott müsste doch ...
Klaus Straßburg | 30/03/2022
Wieder einmal stellt sich die Frage: Wie kann ein Gott, der Liebe ist, den Krieg zulassen? Entweder er ist in all seiner Liebe ein machtloser Gott, der dann den Namen "Gott" nicht verdient hätte. Oder er ist mächtig, aber nicht Liebe, sondern so etwas wie eine Mischung aus Freundlichkeit und Grausamkeit, ein wankelmütiger oder gar zynischer Gott. Auch solch ein Gott hätte den Namen "Gott" nicht verdient. Daraus könnte man schließen, dass es jedenfalls den Gott, den die Bibel bezeugt, nicht gibt. Ein mächtiger, liebevoller Gott und der Krieg – das passt einfach nicht zusammen.
Der Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti hat schon vor vielen Jahren folgende Sätze geschrieben:
Im Blick auf die von Menschen produzierten Weltzustände erscheint die Aussage, dass Gott Liebe ist, als absurd. Vielleicht hinterlässt sie als Stachel aber die Frage, ob nicht eher die Weltzustände absurd, nämlich vernunft- und lebenswidrig seien? Impliziert jene Aussage beispielsweise nicht auch eine radikale Kritik an liebesfernen, deshalb lebensfeindlichen religiösen (auch biblischen, auch christlichen!) Überlieferungen? Allerdings: Was Liebe ist, welches Handeln ihr entspricht, weiß zuverlässig nur Er, der Liebe ist. Unverzichtbar deshalb SEINE Weisung!
(Quelle: Friedrich Schorlemmer (Hg.): Was protestantisch ist. Große Texte aus 500 Jahren. Herder Verlag Freiburg u.a. 2010. S. 93. Dort zitiert nach Kurt Marti: Von der Weltleidenschaft Gottes. Denkskizzen. Radius-Verlag Stuttgart 1998)
Kurt Marti lenkt den Blick auf die von Menschen produzierten Weltzustände, zu denen auch der Ukraine-Krieg gehört. Für den Krieg ist nun mal nicht Gott verantwortlich. Darum ist nicht Kritik an Gott angebracht, sondern an den Menschen, die diesen Krieg führen. Aber auch an christlichen Kirchen, die diesen Krieg rechtfertigen und andere Kriege gerechtfertigt, ja selber Kriege geführt haben.
Und die Kritik kann auch vor manchen biblischen Texten nicht Halt machen, die Gott selbst als Kriegsherrn schildern oder beschreiben, dass Gott brutale Gewalt von Menschen fordert. Solche Texte dürfen nicht einfach als Sprechen Gottes verstanden werden. Sie müssen gemäß ihres historischen Kontextes und gemäß der Intention ihrer Verfasser interpretiert und gegebenenfalls auch relativiert werden.
Doch bleibt die Frage: Wenn Gott schon so grausame Weltzustände wie den Krieg nicht produziert, müsste er sie dann nicht wenigstens unmöglich machen? Der Vorwurf ist schnell gemacht: Ein mächtiger und liebevoller Gott müsste Kriege verhindern.
Nehmen wir einmal an, er täte es.
Dann würden wir sagen, dass ein mächtiger und liebevoller Gott doch bitteschön auch Hungersnöte und ungerechte wirtschaftliche Verhältnisse beseitigen müsste.
Täte er auch das, dann würden wir fordern, Gott müsste doch auch alle politische Unterdrückung und Beschneidung von Freiheiten auf Erden beenden.
Wenn Gott auch das täte, würden wir sagen, ein mächtiger und liebevoller Gott müsste auch in unseren persönlichen Beziehungen Unrecht, Hinterlist, Intrigen, Lieblosigkeit, Mord usw. verhindern.
Ließe sich Gott auch darauf ein, dann würden wir sagen, dass ein Gott, der diesen Namen verdient hat, doch auch all den unendlichen Qualen und Schmerzen der Menschen und all ihren körperlichen und seelischen Leiden ein Ende bereiten müsste.
Wenn Gott auch das täte, würden wir fordern, dass Gott, wenn er doch mächtig und liebevoll ist, all die Qualen des Alterns und Sterbens verhindern müsste.
Würde Gott auch uns diesen Wunsch erfüllen, dann würden wir sagen, dass er doch auch den Tod abschaffen müsste.
Würde Gott auch das tun, dann wären wir genau bei dem Zustand angekommen, den Gott tatsächlich verwirklichen will und der uns verheißen ist: ein ewiges Leben ohne Leid, Geschrei und Schmerz, ohne Tränen und Tod (Offb 21,4).
Was wir von Gott fordern, ist also genau das, was er für uns vorgesehen hat. Er hat es aber noch nicht jetzt vorgesehen. Unsere Forderung betrifft also eigentlich nur den Zeitpunkt, an denen unsere Wünsche verwirklicht werden: Wie wollen sie sofort verwirklicht haben; Gott will sie später verwirklichen.
Die nächste Frage (und der Vorwurf) an Gott wäre also: Warum schafft er nicht sofort ein Leben ohne Leid und Tod?
Mir fallen dazu zwei Antworten ein:
Zum einen hat Gott der biblischen Urgeschichte nach den Menschen so geschaffen, dass er zwischen Gut und Böse wählen konnte (1Mo/Gen 2,16f). Der Mensch hat sich für das Böse entschieden und gegen das Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Als Folge davon hat er den leidfreien Idealzustand verloren (1Mo/Gen 3,6.23f). Die Urgeschichte will aber nicht einfach ein Ereignis aus grauer Vorzeit erzählen, sondern etwas ausdrücken, was für alle Zeiten und Menschen gilt: Wir entscheiden uns täglich neu gegen Gott und für das Böse und verlieren in Folge davon täglich aufs Neue das leidfreie Leben.
Zum anderen ist unser Leben auf Erden eine Zeit, in der wir die Chance haben, uns neu auf Gott einzulassen statt auf das Böse. Unsere Lebenszeit gibt uns die Chance, uns Gott anzunähern, uns seine Liebe gefallen zu lassen und selber Liebe zu üben. Es ist eine Zeit, in der wir zeigen können, ob wir das verheißene leidfreie Leben bei Gott wirklich wollen und wie ernst es uns damit ist. Zu diesem Ernst gehört das Vertrauen auf Gottes Verheißungen und auf sein liebevolles Geleit. Dazu gehört auch, dass wir für alle leben, die schwere Zeiten durchmachen müssen, und dass wir selber in schweren Zeiten an Gott festhalten. Und schließlich gehört zu dem Ernst auch die Geduld, die bis zu dem Tage warten kann, an dem das ewige Leben für uns ganz persönlich beginnt.
Man kann natürlich fragen, ob den Menschen in der Ukraine, die jetzt unter Leid und Tod leiden, damit geholfen ist. Ich denke schon. Denn sie können gewiss sein, dass sie nicht einfach sinnlosen brutalen Gewalttätern ausgeliefert sind. Sie sind vielmehr trotz allem in der Hand des Gottes, der auch für sie ein leidfreies ewiges Leben vorgesehen hat. Auch in ihrem Leid ist eine Annäherung an diesen Gott möglich. Ihre Herausforderung und ihre Chance ist es, in diesen schweren Zeiten an Gott festzuhalten und ihre Hoffnung geduldig auf den Tag zu richten, an dem nicht nur der Krieg, sondern alles Leiden und Sterben ein Ende haben wird.
* * * * *
für mich führen Theodizee-Probleme, wie sie formuliert sind, nicht Gott ad absurdum, wohl aber unsere menschlichen Begriffe von Gott. Formulierungen wie "Gott ist die Liebe" oder "Gott ist ein liebender Vater" sind gut gemeint, aber letztlich nicht mehr als Bilder und Projektionen, auf denen man demensprechend keine weiteren Schlussfolgerungen aufbauen kann und auch nicht sollte. Auch die sehr verbreiteten Versuche, alles, was gut ist, auf Gott zurückzuführen und alles Schlechte auf den Menschen, wirken auf mich ebenso durchsichtig wie anspruchs- und hilflos. Irgendetwas zu reden scheint halt wohl nur besser zu wirken als gleich zu schweigen.
Was mir hilft, ist ein grundsätzliches Schema: Gott ist wie X, aber anders als X und mehr als X. Als X können dann z. B. eingesetzt werden "die Liebe", "ein liebender Vater", "ein alter weißer Mann mit Bart im Himmel", "ein unbestechlicher und objektiver Richter", "eine reine Projektion", "eine Person" usw.. Das verhindert das Entstehen falscher Schlussfolgerungen, aber auch das Gegeneinander-Ausspielen solcher falschen Schlussfolgerungen wie im Theodizee-Problem.
Viele Grüße
Thomas
danke für deinen weiterführenden Beitrag. Ich sehe auch, dass unsere Theodizee-Fragen unsere menschlichen Begriffe von Gott in Frage stellen. Natürlich ist es zu einfach, alles Gute auf Gott zurückzuführen und alles Schlechte auf den Menschen. Dagegen sprechen schon Naturkatastrophen, die nicht auf den Menschen zurückzuführen sind (Erdbeben, Vulkanausbrüche, ...). Es werden also immer Fragen an Gott bzw. unsere Gottesvorstellungen bleiben. Das Schema „Gott ist wie X, aber anders als X und mehr als X" kann wirklich hilfreich sein. Man kann es auch so ausdrücken: Wir können nur in Analogien von Gott reden, wobei Analogien Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten enthalten. Dennoch können diese Analogien „brauchbare" Aussagen über Gott enthalten. Insofern ist Gott nicht das große unbekannte X, wie manche meinen, was du aber ablehnst, indem du für X bestimmte Aussagen einsetzt. Warum man aus den von dir genannten Aussagen über Gott keine Schlussfolgerungen ableiten sollte, leuchtet mir nicht ganz ein. Wenn ich sage „Gott ist ein liebender Vater", muss ich das ja noch konkret für unsere Lebenswirklichkeit füllen – evtl. auch für eine Situation unverstandenen Leidens. Oder meinst du damit etwas anderes?
Viele Grüße
Klaus
wenn ich sage "Gott ist ein liebender Vater" und es anschließend noch konkret für meine Lebenswirklichkeit füllen muss, dann hat das nichts mit einer Schlussfolgerung zu tun. Eher schon mit einer selbsterfüllenden Prophezeiung, wenn es gut läuft.
Und den zweiten Punkt mit dem unverstandenen Leiden finde ich heikel. Würde ein liebender und allmächtiger Vater zulassen, dass sein Sohn zu Tode gefoltert und dabei öffentlich zur Schau gestellt wird. Das hat noch nicht einmal Jesus verstanden: Mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Viele Grüße
Thomas
der liebende Vater, der seinen Sohn und uns, seine Kinder, leiden lässt, ist wirklich für uns heikel. Aber immerhin wendet sich Jesus ja gerade im Nicht-Verstehen an diesen liebenden Vater. Etwas anderes wird auch uns manches Mal nicht bleiben. Und das Nicht-Verstehen gründet ja gerade darin, dass der, den wir als liebenden Vater verstehen, plötzlich ganz anders begegnet, als wir es von ihm erwarten. Er ist eben, wie du sagtest, das X, das anders und mehr ist als X. Und dennoch ist und bleibt er der liebende Vater.
Viele Grüße
Klaus