Freude am Alltäglichen
Klaus Straßburg | 22/10/2022
Es ist eine Kunst, sich an immer denselben Dingen zu erfreuen. Denn sie erscheinen uns jeden Tag gleich und werden uns deshalb langweilig. Wir haben es verlernt, die Dinge wie ein Kind zu sehen, das sie zum ersten Mal erblickt. Darum gehen wir oftmals achtlos an ihnen vorüber.
Aber es ist ein Trug, dass die Dinge immer die gleichen und uns wohlbekannt seien. In Wirklichkeit sind sie jedesmal anders, immer wieder neu. Und es liegt an uns, dass wir an ihnen vorbeihasten und die zarten Veränderungen gar nicht mehr wahrnehmen. Die grelle Werbewelt, die aufdringlichen Eindrücke, das wachsende Bedürfnis nach überschwänglichen Emotionen haben uns den Blick geraubt für das Kleine, Zarte, Unaufdringliche, das immer neu von uns entdeckt werden will.
Das Unbekannte und Ferne scheint uns reizvoll; doch das, was wir täglich um uns haben, wirkt uninteressant. Wer am Meer lebt, geht kaum noch an den Strand. Wer an den Bergen lebt, den langweilt der Blick aufs Gebirge. Wer in der Ebene wohnt, sucht die Hügel, und wer in den Hügeln lebt, sehnt sich nach der Ebene. Darum fahren wir im Urlaub dorthin, wo es anders ist als daheim.
Am schlimmsten ist, dass auch unsere liebsten Menschen ihren Reiz für uns verlieren. Wir meinen, dass wir sie durch und durch kennen. Aber sie verändern sich. Vielleicht nehmen wir vor allem das Negative an ihnen wahr. Aber sie werden nicht schlechter, sondern anders. Sie entwickeln sich weiter. Dann heißt es, den Weg mit ihnen zu gehen und nicht ihr vergangenes Bild zu suchen. Und vor allem: Neues an ihnen zu entdecken und es schätzen zu lernen.
Natürlich kann sich jemand auch nachteilig entwickeln. Gerade dann heißt es, ihn nicht abzuschreiben, sondern das weiterhin Positive an ihm wahrzunehmen. Und zu versuchen, ihn auf einen guten Weg zurückzuführen. Vielleicht gelingt es.
Denn der große Kreative hat weder eine schlechte noch eine langweilige Welt für uns erschaffen. Er langweilt sich nicht und ist kein Langweiler. In seiner Schöpfung verändern sich die Dinge mit jedem Lichteinfall, mit jeder Jahreszeit, mit jedem Wetterwechsel, mit dem Zeitablauf, mit einem Wandel des Umfelds. Darum braucht es den genauen Blick, der sich Zeit nimmt, um das jeweils Neue zu erkennen.
Ich möchte den unerschöpflichen Reichtum der Kreaturen besser wahrnehmen können und Freude auch am Nahen und Alltäglichen finden. Es ist aus Liebe erschaffen und darum schön. Wenn ich es gleich dem Schöpfer lieben lerne, werde ich seine Schönheit erkennen, und wenn ich seine Schönheit erkenne, werde ich der Freude daran nicht satt werden – wie der Psalmist sang (Ps 104,31.33):
Die Herrlichkeit des Herrn währe ewiglich,der Herr freue sich seiner Werke!Ich will singen dem Herrn mein Leben lang,ich will aufspielen meinem Gott, solange ich bin.
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Foto: Klaus Straßburg.
Vorab erstmal herzlichen Dank, dass Sie Ihre Gedanken schriftlich und mündlich mitteilen, für Menschen die sich, z.B. wegen krankheitsbedingter Konzentrationsschwierigkeiten, mit dem Lesen schwerer tun, ein unschätzbarer Dienst.
Ihr Text hat mich sehr betroffen gemacht, weil ich festgestellt habe, wie sehr ich mich am "Alltäglichen" freuen kann und mich gefragt habe was infolge mit mir nicht stimmt.
Gemäß Ihrer Definition bin ich ein Künstler, da ich die Kunst beherrsche mich immer wieder an den selben Dingen zu erfreuen.
Seit ungefähr 14 Tagen "nerve" ich beispielsweise meine engeren WhatsApp-Kontakte mit dem aktuellen Blütenstand an meinem Gliederkaktus auf der Küchenfensterbank. Aber auch die morgendliche Tasse Kaffee auf dem Ergometer, schmeckt mir Morgen für Morgen so unfassbar gut und hilft mir nach unruhiger Nacht den Weg in den Tag zu finden.
Gestern war ich, wie schon so oft in diesem Jahr im Friedhofswald und jedes Mal wenn ich ihn betrete, tauchte ich erneut in seine friedvolle und versöhnliche Atmosphäre ein. Unabhängig von Jahreszeit und Wetter, erleben ich diesen Ort jedesmal neu so wohltuend, wie sonst nur einen Spaziergang am Meer oder in einem schönen Park oder ähnlichem.
Ihren Worten zufolge kann ich, obwohl ich in diesem Jahr schon zum zweiten Mal Großvater geworden bin, tatsächlich vieles in meinem Alltag wie ein Kind erleben.
Demnach haben die vielen Verluste und Lebensbrüche der letzten Jahre, mich zwar in meinem Handlungsspielraum stark eingeschränkt, offensichtlich aber in meiner Wahrnehmungsfähigkeit bereichert.
Das nenne ich "einen wahren Geniestreich meines Schöpfers", mich "im Verarmen so zu bereichern".
Für den Impuls, den Reichtum in meinen Händen noch einmal deutlicher zu sehen, möchte ich mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken.
vielen Dank für Ihre freundliche und sehr persönliche Rückmeldung. Sie scheinen wirklich ein Künstler zu sein, denn Sie erfreuen sich offensichtlich täglich neu am Blütenstand des Kaktus, an der Tasse Kaffee und an immer demselben Friedhofswald (der ja niemals derselbe ist). Ich tue mich da vielleicht etwas schwerer und würde diese Freude gern noch besser lernen, auch wenn mir meine Umgebung und besonders Gottes Schöpfung durchaus immer wieder Grund zur Freude wird.
Dass Gott uns "im Verarmen bereichern" kann, wie Sie schreiben, ist wohl nicht nur Ihre Erfahrung. Wahrscheinlich brauchen wir deshalb gar nicht so viel Angst zu haben vor dem Verarmen, die das Leben unweigerlich mit sich bringt. So reihen Sie sich ein in viele Menschen, die mir in großer Verarmung (nicht materiell gemeint) bezeugt haben, wie viel Schönes sie erleben, also wie reich sie sind.
Darum danke ich Ihnen sehr für Ihre Schilderung.
außer im direkten und persönlichen Kontakt, war ich bis zu Ihrem Blog, wegen dem vielen Hass und all der Hitze kein Freund davon, sich online zu äußern.
Aber ich merke, auch hier ist so wie sonst im Leben, dass es schon entscheidend ist, "wessen Geistes Kind man ist", den Ihre Anmerkung zu meinem Kommentar, hat mich, wie schon Ihr Beitrag selbst, sehr angesprochen.
Wenn Sie in Bezug auf die "Bereicherung der man in der Verarmung erfährt" schreiben: "So reihen Sie sich ein in viele ..., die mir bezeugt haben ...", so gibt mir das eine neue Sicht bzw. einen hilfreichen Impuls.
Wenn wir viele sind, die diese Erfahrung gemacht haben, welch wunderbare Möglichkeit oder auch Wahrscheinlichkeit sich darüber auszutauschen und sich auch in dieser Erfahrung zu bestärken.
Vielleicht sogar daraus für sich und andere neue und mutmachende Perspektiven zu entwickeln.
Gerade in diesen Tagen, wo sich dass "Krisenhafte" auch außerhalb des privaten und persönlichen Lebens, so verdichtet.
Der arbeitende Mensch des Mittelalters legte, aufgrund seiner trostlosen Lebensumstände, all seine Hoffnungen in das von der Kirche "in schillernden Farben verheißene Jenseits".
Nach Jahren des im äußern stets gesteigerten Wohlstands, kommen jetzt zu persönlichen Nöten, noch die Sorgen um ganz grundsätzliche, zum Teil auch existentielle, Aspekte der Versorgung und Sicherheit dazu.
Aspekte, die meine Generation, nur aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern kennt, die inzwischen alle verstorben sind.
Ausnahme hierbei bildet natürlich der Erfahrungshorizont, den man im Reisen und Engagement auf der südlichen Halbkugel unserer Erde, zu jeder Zeit gewinnen konnte.
Jetzt aber dringen diese ganz basalen Fragen der Versorgung bis in unsere alltägliche Haushaltsführung und Planung.
Vielleicht ist es deshalb eine gute Zeit der Renaissance für immaterielle Werte und Perspektiven, aber auch für die Wertschätzung des Alltäglichen, die ja in ihrem Beitrag zu bedenken gegeben wird.
Und wenn wir "viele" sind, ermutigt uns das vielleicht nochmal mehr über die Möglichkeiten im Miteinander und im Teilen von Erfahrungen und Gütern.
Erstaunlich, wie Ihr Blog und das was Sie darin schreiben, mich ermutigt und zuversichtlich stimmt.
Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass wir ja grundsätzlich schon "im gemeinsamen Fudus" eine oder auch die "frohe Botschaft" haben.
Für heute erstmal herzlichen Dank für Ihre Ermutigung und die Denkanstöße ...
vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme. Sie sprechen das Krisenhafte unserer Zeit an. Ich denke auch, dass die Wertschätzung des Alltäglichen den Blick auf das Gute und Schöne lenken kann, das es trotz aller Krisen auch noch gibt. Und wer Augen hat zu sehen, möge daran dann auch einen Hinweis auf den Gott erblicken, der selber nur Gutes will und selber schön ist - mit einem biblischen Wort: herrlich. Ich denke, das ist die frohe Botschaft, die sich trotz des Krisenhaften unserer Zeit in unserem Leben und in der Schöpfung spiegelt.
so wie Sie es zusammen fassen, erinnert es mich an einen Vers aus dem Brief des Jakobus (1,17) wo Gott als "der Geber aller guten Gaben" beschrieben wird.
Da stimme ich Ihnen auch zu, dass sich dies häufig in unserem Leben und der Schöpfung widerspiegelt. Ein tröstender und schöner Gedanke. Herzlichen Dank.