Freedom Day
Klaus Straßburg | 06/04/2022
Vorgestern war Freedom Day. Oder sowas Ähnliches. Jedenfalls sind alle Masken gefallen. Und ich war einkaufen.
Im Supermarkt waren nur Leute mit Maske. Ehrlich gesagt: Ich gehörte auch zu ihnen.
Die Maske, die so viel Ärger machte, die uns unsere Freiheit raubte – endlich dürfen wir sie ablegen. Und was geschieht? Sie bleibt auf der Nase.
Kaum zu glauben. Und ich wollte sie auch aus irgendeinem unerfindlichen Grund auf der Nase haben. Die hohen Inzidenzen ... All die Aerosole ... All die unbekannten Menschen ... Wer weiß, was die für Viren ...
Darum fordere ich die Freiheit zum Masketragen! Und zwar eine Freiheit, ohne von irgend jemandem schief angeguckt oder ausgelacht zu werden.
An der Kasse im Supermarkt: Plötzlich steht einer ohne Maske vor mir, dafür mit Dutt, Piercings und Ohrring. Ich halte Abstand. Wer weiß ...
Dann entdecke ich noch zwei Frauen ohne Maske. Ansonsten unauffällig. Aber alle Maskenverweigerer an der Kasse. Unheimlich ...
Vor Kurzem sagte mir jemand, er würde die Maske aufbehalten. Man könne sich dahinter so gut verstecken.
Recht so! Freiheit zur Maskerade!
Aber was ist jetzt mit der Freiheit von der Maske? Ob diese Freiheit, die uns angeblich von der Maskenpflicht geraubt wurde, etwa gar nicht so wichtig war?
Doch, die Freiheit war ja schon der Bibel höchst wichtig. Paulus schrieb zum Beispiel: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit" (Gal 5,1). Und: "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2Kor 3,17).
Ähh – das klingt anders als Maskenfreiheit. Offensichtlich meinte Paulus eine andere Art von Freiheit. Eine Freiheit unter der Maske oder auch ohne Maske. Egal, ob unter oder ohne. Eine Freiheit unabhängig von jeder Maske.
Könnte es sein, dass es eine Freiheit gibt, die von weltlichen Gesetzen und Gegebenheiten und Maskenpflichten unabhängig ist?
Kann nicht sein! Ich bin doch erst frei, wenn ich machen kann, was ich will! Maske tragen oder nicht tragen: Ich entscheide! Das ist meine Freiheit.
Oder nicht? Ist Freiheit vielleicht – – – ein Leben als unendlich Geliebter? Als einer, der machen kann, was er will, und trotzdem geliebt wird? Oder als einer, der nicht durch seine Taten, sondern in sich den Geist der Freiheit hat – den Geist Jesu Christi, der so frei war, dass er unter römischer Fremdherrschaft der freieste Mensch der Welt war? (So nannte ihn einmal die Theologin Dorothee Sölle, die ich sonst nicht so sehr schätze.)
Jesus, der freieste Mensch der Welt. Wie das? Er konnte nicht machen, was er wollte, sondern musste sich den römischen Besatzern unterordnen. Er durfte wahrscheinlich keine Maske tragen. Er durfte keinen römischen Soldaten oder Beamten beschimpfen. Im schlimmsten Fall musste mit einem Soldaten oder Beamten eine Meile weit mitgehen, um ihm zu dienen – und war so frei, ihm gleich zwei Meilen anzubieten (Mt 5,41).
Es kam sogar noch schlimmer: Er musste sein eigenes Kreuz zum Ort der Hinrichtung tragen. Daran sei in der Passionszeit noch erinnert. Wie kann er ein freier Mensch gewesen sein?
Gründete seine Freiheit etwa – nicht in seiner freien Entscheidung, das zu tun, was er wollte? Sondern in seiner – Gottesbeziehung?
Au, das tut weh! So was darf man doch gar nicht denken! Dann wären ja alle Menschen ohne Gottesbeziehung ... Nee, das sag ich jetzt nicht.
Aber irgendwie scheint der christliche Freedom Day ja mehr zu sein als ein Tag, von dem an ich über mein Leben selbst bestimmen kann. Oder vielleicht ist er sogar – etwas ganz anderes?
* * * * *
Danke für diesen inmal ganz persönlichen Erfahrungsbericht im Umgang mit aktuellen Freiheiten.
Vielleicht entsteht ja Freiheit heute in der Freiheit selbst über die Unfreiheiten, die heute in der Gesellschaft eher zunehmen, nicht mehr frei entscheiden zu können, sondern jeweils neu, von Moment zu Moment und manchmal anders als erwartet zu handeln. Das ist anstrengend, macht uns aber nicht völlig unfrei.
"die Freiheit, über Unfreiheiten nicht mehr frei entscheiden zu können" bzw. zu müssen: das ist eine gute Formulierung. Das hieße, mit Unfreiheiten leben zu können und sich dennoch frei zu fühlen.
Der Gedanke der Freiheit von allen Unfreiheiten ist eine Illusion. Schon unsere Endlichkeit ist doch eine der größten Unfreiheiten, von alltäglichen Begrenztheiten und Abhängigkeiten einmal ganz abgesehen. Ist vielleicht die überaus starke Betonung der Freiheit als Selbstbestimmung in der Moderne ein verzweifeltes Aufbegehren gegen die fehlende Selbstbestimmung, die mit der Endlichkeit, Begrenztheit und Abhängigkeit unseres Lebens unwiderruflich gegeben ist?
erscheint dabei als maximale Paradoxie: zwischen beispielsweise einer unternehmerischen Freiheit der Gegenwart und dem Geschenk der zeitlosen Freiheit Gottes liegen vermutlich Welten. Freiheit wäre so gesehen immer abhängig vom Kontext, in dem diese gefördert oder spezifisch eingeschränkt wird.