Es gibt ihn – es gibt ihn nicht – es gibt ihn ...
Klaus Straßburg | 18/02/2020
Manchmal denke ich: Eigentlich spricht alles dagegen, dass es Gott gibt – einen Gott, der die Welt regiert, der mich durch mein Leben geleitet, der die Menschen liebt und die Seinen dazu befähigt, ihrerseits zu lieben, ein Gott, der an unserer Seite ist und uns schützend umgibt. Das kann doch alles nicht sein.
Ich sehe die Kreuzzüge der Christen, unglaublich frommer Leute, Mönche unter den Anführern, aber von allen guten Geistern verlassen. Ich sehe das Wirrwarr der Geschichte, das undurchdringliche Dickicht von Gut und Böse, das unfassbare Verhalten intelligenter Menschen, siehe Thüringen in unseren Tagen. Ich sehe das unvorstellbare Leid, das Menschen über die Welt bringen, auch wohlmeinende, und dass wir es nicht schaffen, wenigstens das Leiden zu beenden, das zu beenden wir die Möglichkeit hätten. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Und ich sehe die Unsichtbarkeit und Unspürbarkeit Gottes, der sich uns nicht zeigt, uns im Ungewissen zu lassen scheint, der sich entzieht in eine Ferne, in der er schon nicht mehr wahr ist.
Ist also alles nur eine Illusion, ein verständlicher Wunschtraum, eine Spiegelung meines Bedürfnisses nach Liebe, Halt und Geborgenheit in einer Welt, die dies nur sehr begrenzt bieten kann?
Ich stelle diese Fragen, und zugleich kann ich von diesem Gott nicht lassen, kann den Glauben an ihn nicht töten. Ich müsste den, der ich bin, töten, wollte ich den Glauben in mir töten. Er ist zu fest in mir verwurzelt, ist mir in die Seele eingegraben, ist ein Teil von mir geworden. Würde ich den Glauben töten, so würde ich mich selbst töten.
Es gibt auch andere Tage. An denen denke ich: Es kann doch eigentlich gar nicht anders sein, als dass es Gott gibt. Dann staune ich, dass die Welt bei all ihrem geschichtlichen Wirrwarr überhaupt noch existiert und dass überhaupt noch etwas zwischen den Menschen funktioniert. Ich sehe die bis ins Kleinste aufeinander abgestimmten Naturkonstanten, ohne die es Leben und uns alle auf diesem Planeten gar nicht gäbe, und ich denke, dass diese Feinabstimmung doch kein Zufall sein kann. Ich sehe viele beeindruckende Menschen, sehe echte Liebe und Zuwendung, die mich zutiefst anrühren, sehe das Gute, das von Menschen ausgeht und das Leid ein wenig eindämmt. Ich sehe den Glauben, die „Wolke der Zeugen" (Hebr 12,1), den Trost und die Stärkung, den Halt und die Orientierung, die diese Zeugen ausstrahlen, und dass auch ich selbst mit meinem Glauben von ihnen lebe.
Ich sehe das alles und glaube an Gott und weiß doch, dass das alles kein Beweis für ihn ist und dass auch wieder andere Tage kommen werden, an denen mir dies alles zweifelhaft sein wird.
Im Alten und Neuen Testament ist Gott unsichtbar und dann auch wieder sichtbar für manche Menschen. Und nach den Texten des Neuen Testaments ist er sichtbar geworden in dem Menschen Jesus von Nazareth, dem „Bild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15). Eine seltsame, absonderliche, geradezu bizarre Sichtbarkeit: ein Gott sichtbar in einem ärmlichen Wanderprediger, der kläglich scheitert und grausam hingerichtet wird! Hätte es nicht etwas deutlicher sein können, Gott?
Und dann wieder möchte ich es ernst nehmen und Gott finden in diesem Menschen, ja gerade in diesem Menschen, in diesem verfluchten Wanderprediger (Gal 3,13), der nichts wollte als lieben und dessen Liebe sie nicht ertragen konnten, so dass sie ihren eigenen Fluch auf ihm abladen und ihn aus der Welt schaffen mussten.
Ist das also unser Gott? Einer, der nichts will als lieben, dessen Liebe wir aber nicht haben wollen und den wir deshalb einen guten Mann sein lassen, ein höchstes Wesen irgendwo in den unendlichen Weiten des Alls, fern von uns, so halten wir ihn uns vom Leib, diesen Gott mit seiner Liebe, die wir nicht brauchen, weil wir selbst viel besser lieben können ...
Wir armen, verirrten Menschen!
Dann wird mir dieser Gott groß mit seiner Liebe zu seinen verirrten Geschöpfen, mit seiner Liebe, in der er sich vertreiben lässt aus dieser Welt, in der er sich verachten und ausgrenzen lässt, und er lässt sich das alles gefallen und liebt trotzdem, dieser Gott, groß und mächtig in seiner Liebe und in seinem Leiden. Er macht unserem Dasein kein Ende, sondern er leidet unter uns, weil er uns so sehr liebt.
Tausend Dank, Gott, dass deine Liebe so groß ist!
Und manchmal denke ich: Eigentlich spricht alles dagegen ...
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