Einfach nur Mensch sein
Klaus Straßburg | 09/06/2021
In den 70er und 80er Jahren pilgerten viele Europäer in den Ashram des indischen Bhagwan Shree Raineesh nach Puna/Indien und später in die USA. Sie suchten dort Erfüllung und Erleuchtung durch Meditation und andere Maßnahmen. In Deutschland bildeten sich Kommunen, die nach den Vorstellungen des Bhagwan lebten.
Bhagwan ist in Indien der Ausdruck für Gesegneter, Erhabener, Gott, Herr, Glücklicher, Verehrungswürdiger, Liebenswerter (Wikipedia).
In den 80er Jahren löste sich die Bewegung aufgrund mehrerer schwerer Verbrechen von Mitarbeitenden des Bhagwan auf. Seine Anhänger, die Sannyasin, waren zutiefst enttäuscht.
Eine ehemalige Sannyasin bekannte in einer WDR 5-Radiosendung mit dem Titel Ekstase statt Askese – Bhagwan in Köln (Teil 3) am vergangenen Samstag:
Gelernt habe ich, dass die Erleuchtung eine Chimäre [ein Mischwesen] ist,
eine Sehnsucht, die missbraucht und ausgebeutet werden kann.
Mir reicht es inzwischen, ein Mensch zu sein – ganz einfach ein Mensch.
Besonders der letzte Satz ist mir nachgegangen. Es ist ein wahrhaft christlicher Satz. Denn Christen wissen: Es ist wunderbar, einfach ein Mensch zu sein.
Furchtbar hingegen ist es, dass wir immer mehr sein wollen als ein Mensch: ein bedeutender Mensch, ein außerordentlicher Mensch, ein Erleuchteter, ein Wissender, ein Verehrungswürdiger, ein Vollkommener – ein Gott.
Wir müssen das alles nicht sein. Wir müssen vor allem nicht versuchen, es aus uns zu machen. Wir dürfen und sollen nichts weiter sein als ein Mensch. Denn als Menschen hat uns Gott geschaffen.
Das einzige, wonach wir als Menschen streben sollen, ist, uns von Gott erneuern zu lassen: Erneuerung zuzulassen; geschehen zu lassen, was durch Gott an uns geschieht. Ohne Druck, ohne Zwang. Wenn scheinbar nichts geschieht oder nicht das, was wir uns wünschen, ist es auch gut. Es wird aber etwas geschehen, wenn wir Gott wirken lassen.
Und es wird uns dann alles, dessen wir sonst noch zu einem guten Leben bedürfen, dazugegeben werden (Mt 6,33; Lk 12,31) – ohne dass wir uns darum gesorgt und etwas aus uns gemacht haben.
Wir sollen Menschen sein und nicht göttliche Wesen. Diese Wahrheit ist wunderbar befreiend.
* * * * *
Kurz darauf habe ich auch etwas mehr über die Sannyasin gehört. Manche waren ganz begeistert davon. Für mich war ein Schlüsselerlebnis der Besuch in einem indischen Imbiss in Berlin, der zum Bhagwan-Imperium gehörte. Eine Mitarbeiterin (ganz in rot) war offensichtlich überfordert mit dem, was sie tun sollte. Ein dynamischer Jungmanager (rote Hose, weißes Hemd) saute sie daraufhin gehörig ab, in Gegenwart von ein paar Gästen, und hinterließ sie am Boden zerstört und weinend.
Alles klar, nur oder vor allem Geschäft, und zwar von der rücksichtsloseren Sorte. Damit war das Thema Bhagwan für mich abgehakt. Das Buch habe ich irgendwann auch aussortiert.
meinen Kommentar bekomme ich leider nicht eingefügt,
weil mir permanent mitgeteilt wird, ich solle hier keine
Wörter klauen, denn die seien alle dein Besitz :-)
Will ich auch nicht, sondern ein paar hinzu fügen.
Was ist zu tun?
Abendgrüße von Nirmalo
das tut mir sehr leid, das macht das Programm automatisch. Vielleicht liegt das daran, dass du zu viele Wörter aus meinem Artikel in deinen Kommentar übernommen hast. Ich würde deinen Kommentar aber gerne lesen. Du kannst ihn mir ja per E-Mail zusenden an info@ChristseinVerstehen.de oder über die Kontaktseite. Ich würde ihn dann mit dem Namen "Nirmalo" und deiner E-Mail-Adresse einfügen - wenn das Programm mir nicht auch einen Strich durch die Rechnung macht :-|.
Du suchst dir wohl eine Ausrede, um nicht
weiter wachsen zu brauchen, scheint mir. 😎
Warum wird der Mensch als „Krone der Schöpfung“ bezeichnet?
• Weil er noch viel vom Tier hat?
• Weil er Wälder roden und im Boden schürfen kann?
• Weil er die die ganze Erde verstrahlen kann?
Um 300 vor Chr. soll Diogenes von Sinope am helllichten Tag mit einer brennenden Lampe durch das Gewühl der Stadt gelaufen sein, um... einen Menschen zu suchen.
Er hatte wohl eine andere als die gängige Vorstellung, was einen Menschen ausmacht.
Wir können das jederzeit beobachten: Die meisten Leute laufen wie in einem eigenem Film, also unbewußt durch die Gegend. Es muß erst etwas Unvorhergesehenes eintreffen, damit mal jemand in den Moment kommt.
Jesus nannte sich manchmal Sohn des
Menschen und manchmal Sohn Gottes.
„Folgt mir nach!“ heißt, beides zu erkennen.
Die Menschlichkeit und... die Göttlichkeit.
🌼
Klaus: „Es ist ein wahrhaft christlicher Satz. Denn Christen wissen: Es ist wunderbar, einfach ein Mensch zu sein.“
Andere wissen das auch.
So zeigt sich der „christliche“ Chauvinismus immer mal wieder. 😇
Die „Anderen“ (Heiden, Ungläubige, Nichtchristen...) sind nicht dümmer oder schlechter als diejenigen, die dem (Christ-) kirchlichen Glauben anhängen. Wenn du genau genug hinsiehst, wirst du wohl nichts finden, was „rein christlich“ ist. Die Sprachen unterscheiden sich etwas, die Texte, die Rituale, die Gottesvorstellungen, die Kleidung, die Tradition und damit die Konditionierung, aber...
Das alles sind doch bloß Äußerlichkeiten.
Der Göttliche Kern ist der selbe. Kein Unterschied.
Dem Menschen Klaus
einen heiteren Sommerabend!
Deva Nirmalo
vielen Dank für deine Stellungnahme. Der erste Satz ist zwar irrtümlich als Zitat gekennzeichnet, aber die Frage ist trotzdem höchst interessant: Warum müssen wir nichts aus uns machen? Wir können natürlich viel aus uns machen oder aus uns zu machen versuchen. Das tun wir wohl auch unser Leben lang. Aber darin liegt schon der Fehler. Wir sind nicht geschaffen, um dies und das aus uns zu machen, sondern um Menschen zu sein und als Menschen Kinder Gottes.
Wenn wir Kinder beobachten, sehen wir: Das Glück von Kindern besteht darin, nichts aus sich machen zu wollen. Sie sind einfach das, was sie sind: Kinder. Jedenfalls dann, wenn sie nicht über sich hinauswachsen wollen. Im selbstverlorenen Spiel sind Kinder einfach nur Kinder und leben im Urvertrauen, dass alles gut ist. Darum müssen sie sich um nichts sorgen, nicht an sich arbeiten und nichts verändern. Sie müssen nicht einmal wachsen. Denn das tun sie von selbst.
Auch Jesus hat offensichtlich die Kinder beobachtet. Als seine Jünger Großes aus sich machen wollten, nämlich den „Größten im Himmelreich", zeigte er ihnen ein Kind und sagte: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer nun sich selbst erniedrigt wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich" (Mt 18,1-5).
Das Himmelreich ist demnach dort, wo jemand frei von Sorge und Optimierungsbemühungen das lebt, was er in Gottes Augen nicht erst werden muss, sondern schon ist: ein Kind Gottes. Und ein Kind Gottes ist jeder Mensch, ob groß oder klein.
Das Problem liegt darin, dass wir uns damit nicht zufriedengeben. Wir wollen mehr sein als ein Kind Gottes. Das Märchen vom Fischer und seiner Frau erzählt es sehr anschaulich: Letztlich wollen wir Götter sein – nein, der einzige Gott.
Wie aussichtslos dieses Unterfangen ist, zeigt die Weltgeschichte und doch wohl auch jede persönliche Lebensgeschichte. Die ehemalige Sannyasin hat das erkannt. Für sie war es befreiend, nicht mehr mehr sein zu wollen als einfach ein Mensch. Ich würde ergänzen: ein von Gott bedingungslos geliebter Mensch.
Vielleicht suchte auch Diogenes einen Menschen, der nicht mehr aus sich zu machen trachtet, als er ist.
Ich würde den Menschen nicht als „Krone der Schöpfung" bezeichnen. Will man das aber tun, dann ist er das nicht aufgrund seines Wachstums und seiner Optimierungen, sondern aufgrund der Liebe seines Schöpfers.
Ich denke, Jesus war solch ein Mensch, der ganz davon lebte, bedingungslos geliebt zu sein. Man kann ihn wohl als den freiesten Menschen bezeichnen, der jemals lebte. Und das gerade deshalb, weil er nicht Gott gleich sein wollte, sondern ein Kind Gottes – der Sohn.
Leider wissen auch christliche Menschen oft nicht viel von dieser Freiheit oder sogar nichts. Andererseits kann es sein, dass nichtchristlichen Menschen diese Freiheit geschenkt wurde. Wer gäbe uns das Recht, einem Muslim, Buddhisten, Hinduisten oder gar nicht religiösen Menschen abzusprechen, dass er die Sorglosigkeit und das Vertrauen eines Kindes Gottes erfahren hat? Dass er von Gott mit dieser Freiheit beschenkt wurde, auch wenn er Gott mit einem anderen Wort benennt? Vermag doch Gott, dem Abraham aus Steinen Kinder zu erwecken! (Mt 3,9) Kind Gottes zu sein und als ein solches Kind zu leben, ist ein Geschenk. Auch das können wir nicht „machen". Was wir machen können, ist nur, uns mit offenen Händen beschenken zu lassen – eben wie ein Kind.
Das ist keine Gleichmacherei menschlicher Glaubensaussagen. Die Religionen drücken ihren Glauben unterschiedlich aus, weil ihr jeweiliger Glaube Unterschiede aufweist. Den Glauben an Götter oder einen Gott gibt es überall, den Glauben an Jesus Christus aber nur im christlichen Glauben. Und das macht einen entscheidenden Unterschied. Dazu habe ich etwas in meinem Beitrag „Warum ich an Jesus Christus glaube" geschrieben (https://christseinverstehen.de/blog/index.php?warum-ich-an-jesus-christus-glaube oder über die Themenseite, Stichwort „Gottesbild").
Also: „Warum müssen wir nichts aus uns machen, sondern können ganz einfach nur Menschen sein?" Weil wir als Menschen geliebte Kinder Gottes sind. Weil wir nicht erst Liebenswürdige, Gute, Gläubige, Erleuchtete, Weise sein müssen, damit wir dann auch von Gott geliebt werden.
Umgekehrt: Wer sich von Gott geliebt erfährt, für den verändert sich alles. Er kann dann eigentlich gar nicht anders, als umzukehren vom Weg der Selbstoptimierung, weil er die Freiheit, für die er geschaffen ist, auf einem anderen Weg gefunden hat: auf dem Weg des Vertrauens zu dem Gott, der nicht nach gut und böse, hoch und tief, weise und töricht, gläubig und ungläubig fragt, sondern „seine Sonne aufgehen lässt über Böse und Gute und regnen lässt über Gerechte (= Gläubige) und Ungerechte (= Ungläubige)" (Mt 5,45) – freilich, damit zu ihrem eigenen Wohl und Heil aus Bösen Gute, aus Törichten Weise und aus Ungläubigen Gläubige werden mögen.
In diesem Sinn befreiende Grüße
Klaus