Eine Hochzeit und ihre Folgen
Warum die Kirche ungnädig ist, wenn sie die Gnade billig macht
Klaus Straßburg | 31/07/2022
Eine Hochzeit ist eigentlich eine schöne Sache. Gerade macht eine Hochzeit aber viel Wirbel. Der Streit über sie ist vor allem im Internet entbrannt. Die evangelische Kirche ist in diesen Streit verwickelt, denn es geht um eine kirchliche Trauung. Und zwar eine ganz besondere.
Bundesfinanzminister Christian Lindner und seine Partnerin Franca Lehfeldt haben sich in Keitum auf Sylt kirchlich trauen lassen. Die Kritik entzündet sich unter anderem daran, dass keiner der beiden Mitglied der Kirche ist. Dann ist eine kirchliche Trauung eigentlich nicht möglich, jedenfalls nur in besonderen Ausnahmefällen.
Der evangelische Bischof von Schleswig und Holstein, Gothart Magaard, hat die kirchliche Trauung des Paares verteidigt:
Wir sollten mit dem Segen nicht knauserig umgehen. Gott ist ein großzügiger Gott.
Mit dieser Ausnahme setzen wir ein Zeichen der Gastfreundschaft und der Großzügigkeit.
Gastfreundschaft und Großzügigkeit sind etwas Wunderbares und stehen der Kirche gut zu Gesicht. Es fragt sich aber, ob der Segen und die Gnade Gottes auch über jene großzügig ausgeteilt werden sollten, die der Kirche den Rücken gekehrt haben und nicht gerade den Eindruck erwecken, dass sie besonders interessiert sind am christlichen Glauben, an Gottes guten Weisungen und an einer Lebenswende, die sie in die Gemeinschaft der Glaubenden zurückführen müsste.
Jedenfalls hat schon Dietrich Bonhoeffer eine Kirche kritisiert, die allen Menschen ohne Unterschied Gottes Gnade zubilligt, egal, ob ihnen wirklich an dieser Gnade gelegen ist und ob sie von Sünde, Reue und Vergebung wissen:
Billige Gnade ist der Todfeind der Kirche. Unser Kampf heute geht um die teure Gnade. Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware, verschleuderte Vergebung, verschleuderter Trost, verschleudertes Sakrament; [...] Gnade ohne Preis, ohne Kosten. [...] In dieser Kirche findet die Welt billige Bedeckung ihrer Sünden, die sie nicht bereut und von denen frei zu werden sie erst recht nicht wünscht.
Was verschleudert wird, ist nichts wert. Was folgenlos bleibt, nützt auch dem nichts, der es bekommt. Darum ist die verschleuderte billige Gnade ungnädig. Eine solche "Gnade" ist nicht im Sinne Gottes, dem es um unser Glück geht, um ein gutes, erfülltes Leben, um unser Heil. Eine Kirche, die den Menschen dieses Glück, diese Lebensfülle versagt, ist ungnädig. Und wer billige Gnade will, wer nicht gewillt ist, seine Schuld zu bekennen, sein Leben umgestalten zu lassen und Jesus Christus nachzufolgen, lehnt den gnädigen Gott ab und hat nichts von seiner Gnade.
Gnade ist umsonst, bedingungslos – aber keine Schleuderware zum Nulltarif. Denn Gnade hat Folgen. Ja, sie ist in gewissem Sinne teuer:
Teure Gnade ist der verborgene Schatz im Acker, um dessentwillen der Mensch hingeht und mit Freuden alles verkauft, was er hatte [Mt 13,44] [...]. Teuer ist sie, weil sie in die Nachfolge ruft, Gnade ist sie, weil sie in die Nachfolge Jesu Christi ruft; teuer ist sie, weil sie dem Menschen das Leben kostet, Gnade ist sie, weil sie ihm so das Leben erst schenkt [...]. Teuer ist die Gnade vor allem darum, weil sie Gott teuer gewesen ist, weil sie Gott das Leben seines Sohnes gekostet hat – "ihr seid teuer erkauft" [1Kor 6,20] –, und weil uns nicht billig sein kann, was Gott teuer ist.
Die teure Gnade kostet das Leben und schenkt zugleich das Leben. Damit meint Bonhoeffer, dass der begnadigte Mensch zu einem neuen Leben gerufen ist; zu einer Lebenswende. Er kann fortan nicht mehr so weiterleben wie bisher, und er kann nicht so leben, wie es die Masse tut. Es wird ihm mit der Gnade ein neues Leben geschenkt, so dass sein altes Leben sterben kann. Wer dieses Geschenk ablehnt, lehnt die Gnade ab, und es bleibt alles beim Alten.
Diese Ablehnung ist in uns allen. Gerade darum sind wir alle gerufen, die Gnade immer wieder neu anzunehmen. Jesus hat Gottes Gnade gelebt und dafür einen hohen Preis bezahlt. Darum sollte uns Gottes Gnade nicht gleichgültig, nicht billig sein. Wenn sie es doch ist, dann leben wir in einem Raum der Gnadenlosigkeit.
Das Problem betrifft also nicht nur die Lindner-Hochzeit. Es ist eine grundsätzliche Frage an die Kirche, ob sie eine Glaubensgemeinschaft oder ein Dienstleistungsunternehmen sein will.
Dietrich Bonhoeffer dient der evangelischen Kirche als christliches Vorbild und wird gern als solches präsentiert. Er ist sozusagen ihr bekanntester "Heiliger". Manches von ihm wird jedoch gern verschwiegen, weil es nicht in das eigene Weltbild passt.
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Quellennachweis
Alle Bonhoeffer-Zitate aus: Dietrich Bonhoeffer: Nachfolge. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Peter Zimmerling. Brunnen Verlag. 3. Aufl. Gießen 2020. S. 40-42.
Foto: Frank Winkler auf Pixabay.
Aber mich fragt ja keiner. ;-)
kann es sein, dass wir in der reformierten Kirche der wohlhabenden Länder eine massive Entwicklung sehen zur billigen und inflationären Gnade, da ja Gott scheinbar jeden annimmt, egal wie jemand ist, da ja jeder von Gott geliebt wird, wie er gerade ist. Ich fürchte, um die Gnade und noch mehr, um die wahre Liebe zu Heiligem (Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden, Loyalität, ...) dahinter.
die Entwicklung ist zumindest in der deutschen evangelischen Kirche unverkennbar. Eine Differenzierung würde ich noch gern anbringen: Gott liebt jeden Menschen bedingungslos, aber diese Liebe hat auf Seiten des Menschen Konsequenzen, wenn er sie für sich gelten lässt. Es muss dem Menschen allerdings gesagt werden, dass er Gottes Liebe/Gnade für sich gelten lassen sollte und dass es Konsequenzen für sein Leben hat, wenn er sie für sich gelten lässt. Wenn ihm dies verschwiegen wird, enthält man ihm die lebenspraktische Dimension der Liebe/Gnade Gottes vor und verhindert möglicherweise, dass er sich auf sie einlässt und eine Lebenswende vollzieht, weil er die Notwendigkeit dazu gar nicht sieht. Doch auch wenn er sich nicht auf Gottes Liebe einlässt, hat diese kein Ende: Der Mensch bleibt Gottes geliebtes Geschöpf. Er hat noch viele Chancen.