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Drei Engel für Rolf

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Veröffentlicht von in Personen · 17 Dezember 2023
Tags: EngelEthikNächstenliebeKrankheitHoffnung

Drei Engel für Rolf
Wie mein Freund Rolf von Engeln gerettet wurde
Klaus Straßburg | 17/12/2023

Mit dieser Geschichte möchte ich zeigen, dass es trotz des abgrundtiefen Hasses und der rücksichtslosen Zerstörung, welche die Welt immer stärker zu erfassen scheinen, auch die rettende und Leben bewahrende Liebe gibt.

Wir werden ja gegenwärtig von Nachrichten des Todes und der Zerstörung geradezu überhäuft. Gewalt, Krieg, politische Halbwahrheiten und globale Gefahren scheinen allgegenwärtig. Eine todbringende Lieblosigkeit und eine menschenverachtende Gewalt blähen sich dermaßen auf, dass die Liebe keinen Ort mehr in dieser Welt zu haben scheint. Aber der Schein trügt.

Ich habe einen Freund aus meiner Jugendzeit, nennen wir ihn Rolf. Mit Rolf habe ich viel erlebt. Wir haben in unserer Jugend unsere Probleme diskutiert, und wir haben herzlich miteinander gelacht. Ich erinnere mich an eine wahre Lachorgie, die ich mit ihm erlebte. Rolf ist kein oberflächlicher Mensch, sondern einer, der sich immer schon viele Gedanken über das Leben und den Glauben machte.

Trotzdem haben unsere Lebensläufe ganz unterschiedliche Wege genommen. Während ich relativ geradlinig einen bestimmten Weg verfolgte, gab es bei Rolf immer wieder neue Wendungen, Abbrüche und Neuanfänge. Ein geradliniger Weg wie meiner wäre ihm wahrscheinlich zu langweilig gewesen.

In den letzten Jahren hielt sich Rolf oft in Kenia auf. Während eines Urlaubs dort hatte er eine Afrikanerin kennengelernt, und sie haben sich ineinander verliebt. Seitdem lebte Rolf jeweils ein halbes Jahr in Deutschland, wo er arbeitete, und die andere Hälfte des Jahres in Kenia, wo er die Zeit mit seiner Freundin verbrachte.

Als Rolf das Rentenalter erreicht hatte, entschloss er sich, endgültig nach Kenia überzusiedeln. Er brach alle Zelte in Deutschland ab und wanderte nach Kenia aus. Ich erinnere mich noch an unser letztes Gespräch in Deutschland. Es tat mir weh, dass ich Rolf nun nicht mehr treffen konnte. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, ihn dennoch wiederzusehen. Ich hoffte auf eine Wendung auch in diesem Punkt seines Lebens.


Rolf war schwer verletzt und landete
in einem afrikanischen Krankenhaus

Wir blieben in Kontakt miteinander. Nachdem Rolf ungefähr zwei Jahre in Kenia war, teilte er mir mit, dass seine Freundin und er sich getrennt hatten. Sie standen noch in Kontakt miteinander, sahen sich auch hin und wieder, aber er hatte nun seine eigene Wohnung. Er wollte in Kenia bleiben.

Doch dann hatte er einen schweren Verkehrsunfall. Er muss von hinten von einem Tucktuck (ein offenes Dreirad-Taxi) oder Motorrad angefahren und möglicherweise sogar überrollt worden sein. So genau weiß niemand, was eigentlich passiert ist. Rolf war jedenfalls schwer verletzt und landete in einem afrikanischen Krankenhaus.

Jetzt war seine frühere Freundin wieder zur Stelle und pflegte ihn. In diesem Krankenhaus ging es anders zu als in unseren Krankenhäusern: Angehörige mussten einen Teil der Pflege übernehmen, die Betten standen in riesigen Räumen und waren nur durch Vorhänge voneinander getrennt, und Geschrei von Babys und Kindern war überall zu hören. Es gab kaum Ruhe. Für Rolf war das schlimm, aber er konnte das Krankenhaus nicht verlassen: Er hatte eitrige, kaum heilende Wunden am ganzen Körper, konnte nicht laufen und hatte keine Kraft und Beweglichkeit in den Fingern. Er konnte nicht einmal sein Handy selber halten.

Im Krankenhaus konnte ihm nur wenig geholfen werden. Dennoch verbesserte sich sein Zustand, wenn auch sehr langsam. Nach einigen Monaten konnte Rolf das Krankenhaus verlassen und zog wieder mit seiner früheren Freundin zusammen. Sie pflegte ihn nun mit viel Liebe zu Hause. Rolf machte, so gut es ging, Lauf- und Fingerübungen, um wieder längere Strecken laufen zu können und Kraft und Beweglichkeit in seine Finger zu bekommen. Sehr langsam machte sein Zustand Fortschritte.

Trotz der liebevollen Pflege wurden Rolf und seine frühere Freundin kein Paar mehr. Der dauernde Aufenthalt in ihrer Wohnung, fast nur im Bett der großen Hitze und zeitweise viel Lärm ausgesetzt, ohne seine gewohnten Spaziergänge am Meer – all das zehrte an seinen Nerven. So fasste Rolf, als er sich stark genug dafür fühlte, den Entschluss, zurück nach Deutschland zu kommen, um sich von hiesigen Ärzten behandeln zu lassen.


Bis zuletzt war nicht klar, ob Rolf mutterseelenallein
und ohne Hilfe im Frankfurter Flughafen stehen würde,
unfähig, irgendwohin zu gehen

Das war eine weitreichende Entscheidung. Denn Rolf hatte nichts mehr in Deutschland: keine Wohnung, keine Krankenversicherung, kein Auto. Und er war nicht in der Lage, selbstständig seinen ablaufenden Reisepass zu verlängern, einen Flug zu buchen oder zum Flughafen in Mombasa zu gelangen. Auch seine frühere Freundin konnte ihm dabei nicht helfen. Und die Deutsche Botschaft in Nairobi war weit entfernt. Von ihr war offensichtlich keine Hilfe zu erwarten.

Was sollte Rolf tun? Er benötigte dringend eine bessere medizinische Versorgung. Ansonsten bestand die Gefahr, dass er niemals wieder richtig würde gehen und seine Hände gebrauchen können, und das heißt: Er würde ein Pflegefall bleiben.

Durch einen Bekannten bekam Rolf einen Tipp: Es gab in Kenia einen Deutschen, der schon lange in Kenia lebte und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Rückführung erkrankter deutscher Staatsbürger nach Deutschland zu organisieren. Rolf nahm zu ihm Kontakt auf. Kurz gesagt: Der Helfer besuchte Rolf, um sich ein Bild von ihm zu machen. Er verlängerte Rolfs Reisepass und buchte einen Flug nach Deutschland. Er holte Rolf ab, nahm ihn drei Tage bei sich zu Hause auf und brachte ihn schließlich zum Flughafen nach Mombasa. Dort wurde Rolf in einen Rollstuhl gesetzt und in den Flieger gebracht. Auch das hatte der Helfer organisiert.

Offen blieb, was nach seiner Landung in Frankfurt mit Rolf passieren würde. Der Helfer versuchte, von Kenia aus einen Rollstuhltransport und eine Unterkunft in Frankfurt für Rolf zu organisieren. Er schaltete mehrere Hilfsorganisationen und das Frankfurter Sozialamt ein. Bis zuletzt war aber nicht klar, ob alle Beteiligten mitspielen würden oder ob Rolf mutterseelenallein und ohne Hilfe im Frankfurter Flughafen stehen würde, unfähig, irgendwohin zu gehen.

Wer meint, ein deutscher Staatsbürger, der ausgewandert war, würde in Deutschland mit offenen Armen empfangen und erhielte jede Hilfestellung, irrt sich sehr. Im Gegenteil: Bei manchen Behörden und Organisationen gewann man das Gefühl, so ein Rückkehrer würde nur stören.

Dann kam der Tag des Abschieds aus Kenia und der Ankunft in Deutschland. Keiner wusste, was in Frankfurt geschehen würde. Ich zitterte mit Rolf.


Es funktionierte alles wie am Schnürchen,
besser, als wir es jemals erwartet hatten

Und kaum zu glauben: Es funktionierte alles wie am Schnürchen, besser, als wir es jemals erwartet hatten. Nachdem Rolf in Frankfurt gelandet war, wurde er mit Rollstuhl abgeholt, zum Taxi gebracht und zu einer Notunterkunft des Arbeiter Samariter Bundes gefahren, der bereits ein Zimmer in einem ehemaligen Hotel für ihn reserviert hatte, das nun von der Hilfsorganisation verwaltet wurde. Dort waren auch viele ukrainische Flüchtlinge untergebracht. Rolf bekam ein Einzelzimmer mit Dusche und WC sowie Vollverpflegung. Für ihn war es nach der schweren Zeit in Kenia wie die Ankunft im Paradies.

Das alles ist schnell aufgeschrieben und gelesen, aber es war für den Helfer, der aus Kenia alles organisiert hatte, mit viel Arbeit verbunden. Bis zuletzt wusste auch er trotz aller Bemühungen nicht, ob im deutschen Institutionendschungel von Flughafenhilfe (Rollstuhl), Arbeiter Samariter Bund (Unterkunft) und Sozialamt (Rückkehrerhilfe) alle ihren Part übernehmen würden und alle Rädchen ineinandergreifen würden.

Ich hatte gehofft, dass Rolf gleich in Frankfurt ärztliche Hilfe erfahren könnte. Aber das war unmöglich, weil er keine Postanschrift hatte und deswegen keinen Zugang zu einer Krankenkasse erhielt. Und wer keine Krankenkasse hat, wird kaum ärztlich behandelt, wenn nicht akute Todesgefahr besteht.

Nachdem er etwa zehn Tage im "Hotel" des Arbeiter Samariter Bunds versorgt worden war, bekam er ein Bahnticket in seinen Heimatort und trat die Heimreise an. Das Problem war nur, dass er dort keine Bleibe hatte. Das Sozialamt im Heimatort war über seine Ankunft informiert, und so musste Rolf sich direkt vom Bahnhof zum Sozialamt begeben. Wieder war unsicher, wie es mit ihm weitergehen würde.


Kurz entschlossen nahm ihn Claudia
für eine Woche bei sich auf

Eine langjährige Freundin, nennen wir sie Claudia, war so freundlich, sich von ihrer Arbeit frei zu nehmen und Rolf zum Sozialamt zu fahren. Das Sozialamt hatte kein Zimmer zur Verfügung, es gibt ja auch gerade sehr viele Flüchtlinge. Das einzige, was ihm angeboten wurde, war eine Notunterkunft in einem heruntergekommenen Haus: eine Pritsche in der Küche, die von einem Ukrainer benutzt wurde, der im Nebenzimmer lebte. "Ein dunkles Loch", wie Rolf das nannte. Als er es besichtigte, brach eine Etage höher ein lauter Streit zwischen dem Hausmeister und einem weiteren Bewohner aus. Rolf war noch nicht bei Kräften, und diese Unterkunft überforderte ihn.

Da geschah etwas Unerwartetes: Kurz entschlossen nahm ihn Claudia, die ihn zum Sozialamt und zur Notunterkunft gefahren hatte, für eine Woche bei sich auf. Rolf war gerettet.

Aber nun ging es durch den Behördendschungel: Sozialamt, Krankenkasse, Rentenversicherung. Tausend Dinge mussten unterschrieben, beantragt, nachgefragt werden. Claudia erwies sich als fit im Umgang mit Ämtern. Sie fuhr Rolf hier- und dahin und erledigte für ihn die Formalitäten. Rolf gestand mir: Ohne ihre Hilfe hätte ich das niemals geschafft.

Aus der Woche, die er bei Claudia bleiben sollte, wurden zwei. Rolf besichtigte mehrere Wohnungen, und es zeigte sich, dass er trotz eines defekten Knies kilometerweit laufen konnte. Mit der ärztlichen Behandlung ging es nicht sofort los, denn es fehlte noch die Aufnahmebestätigung der Krankenkasse.

Eines Tages wurde Rolfs Bein dick und rot und schmerzte. Drei Tage später brachte ihn Claudia an einem Sonntag in die Notaufnahme des Krankenhauses. Das behielt ihn gleich da. Diagnose: Thrombophlebitis, eine akute Thrombose der oberflächlichen Venen. Rolf musste zehn Tage in der Klinik bleiben und kam dann zurück zu Claudia.

Dort ist er noch heute. Aus einer Woche Aufenthalt bei ihr sind inzwischen vier geworden. Und Rolf kann weiterhin bei ihr bleiben. Jetzt sagt er, er würde auch in das "dunkle Loch" ziehen, wenn es bei Claudia nicht mehr ginge. Aber er ist natürlich heilfroh, dass sie ihm Asyl gewährt und darüber hinaus tatkräftig unterstützt. Ohne diesen Engel wäre er im "dunklen Loch" und im Behördendschungel untergegangen.


Es könnte sein, dass ein himmlischer Engel
in einem Menschen eine Zeit lang
Menschengestalt annimmt

Der Bibel zufolge sind Engel himmlische Wesen, die Gott umgeben, ihn preisen und ihm dienen. Sie haben aber auch eine Beziehung zur Welt und zu einzelnen Menschen – wie ja Gott selber auch: Der thront nicht einfach im Himmel und ist sich selbst genug, sondern er hat zu jedem von uns eine liebevolle Beziehung, ob wir das wissen oder nicht. Ich habe darüber ausführlich im Artikel Party im Himmel geschrieben.

Am bekanntesten ist der Engel aus der Weihnachtsgeschichte. Der Evangelist Lukas berichtet, dass er den Hirten die Geburt des Retters ankündigt und plötzlich von einem ganzen Heer von Engeln umgeben ist, die miteinander Gott preisen (Lk 2,10-14). Man muss das nicht unbedingt für ein historisches Ereignis halten, aber den Sinn dieser Erzählung sollte man schon ernst nehmen.

Aber Engel können auch in Menschengestalt auftreten. Ich denke an die drei unbekannten Besucher, die Abraham die Botschaft Gottes überbringen, dass er noch im hohen Alter einen Sohn bekommen wird. Abraham erweist sich als gastfreundlich gegenüber den Fremden und bekommt dadurch Gottes Verheißung zu hören (1Mo/Gen 18,1-16). Obwohl im Bibeltext nicht von Engeln die Rede ist, werden sie in der Theologie oft so gesehen.

Gastfreundschaft ist sowieso angebracht. Es könnte nämlich sein, dass man damit Engel beherbergt, meinte der Hebräerbrief (Hebr 13,2):

Vergesst die Gastfreundschaft nicht! Denn durch diese haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.

Wenn Gäste Engel sein können, dann sicher auch Gastgeber. Ich will nicht behaupten, dass Claudia, der Helfer aus Kenia und Rolfs frühere Freundin in Kenia Engel aus der Umgebung Gottes sind. Sie sind vor allem Menschen mit ihren Fehlern und Macken – wie wir alle. Aber ich möchte doch behaupten, dass Gott solche fehlbaren Menschen zu irdischen "Engeln" machen kann – zumindest Engeln auf Zeit. Engel, die eine Zeit lang im Dienst Gottes stehen, auch wenn sie selbst gar nicht darum wissen. Engel, die eine Botschaft Gottes verkünden oder Gottes Liebe in die Welt bringen.

Gerade in unserer Zeit braucht die Welt nichts nötiger als solche Engel, durch die Gott in der Welt wirkt. Sie zeigen, dass nicht Gewalt und Zerstörung die Alleinherrschaft haben, sondern dass es Gegenmächte gibt, die der Gewalt und Zerstörung widerstehen. Sie retten und ermöglichen Leben auch in einem lebensfeindlichen Umfeld. Sie nehmen etwas auf sich, tragen mit am Leid des Nächsten und tun ihr Werk, ohne viel Aufhebens davon zu machen – ganz anders als der ohrenbetäubende Lärm, der mit Gewalt und Zerstörung einhergeht.

Diese Engel sind keine himmlischen Wesen, die Gott umgeben. Aber es könnte sein, dass ein himmlischer Engel in einem Menschen eine Zeit lang sozusagen Menschengestalt annimmt. Dann tut ein ganz normaler Mensch im Dienst Gottes das, was Gottes Engel durch ihn tut.

Denn die Engel sind zwar im Himmel. Aber sie können auf die Erde kommen und in die Welt hineinwirken. Und vielleicht ist Rolf ohne sein Wissen in der größten Not von mindestens zwei Engeln umgeben gewesen – und ist bei einem dritten jetzt gerade zu Gast.


Lies oder höre jetzt auch zum Thema "Engel": Party im Himmel!


* * * * *


Foto: Paul Davies auf Pixabay.




2 Kommentare
2023-12-18 22:05:03
Wie sagte schon ein Freund ... Warum fragen die Menschen: Wo ist Gott?
Die Antwort lautet: Wo sind die Menschen?
Es liegt an uns, ob wir den heiligen Geist in unserem Herzen das Gute mehreren lassen, so daß wir immer etwas zu geben haben.
2023-12-19 10:08:46
Gute Antwort auf die Frage "Wo ist Gott?": "Wo sind die Menschen?" Passt sicher nicht immer, aber doch in den meisten Fällen. Denn auch großes Leid wäre erträglicher, wenn andere Menschen es mittragen und erleichtern würden.
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