Die Größe, füreinander da zu sein
Ein Gastartikel von Reinhard Häußler | 28/02/2023
Unter den Jüngern Jesu gab es zwei Brüder, Andreas und Johannes. Ihre Mutter kam zu Jesus mit einem verständlichen Anliegen: "Jesus, wenn du in deinem Reich regierst, lass doch meine Kinder Johannes und Andreas rechts und links neben dir sitzen. Gib ihnen die Ehre."
Verständlich! Eltern aller Zeiten wünschen sich, dass ihre Kinder in gesellschaftlich und beruflich angesehenen, vielleicht sogar einflussreichen Positionen einmal landen.
Die anderen Jünger Jesu haben das mitgehört und haben sich massiv darüber geärgert. Die Reaktion Jesu: Enttäuschend für die Mutter und verblüffend für die Jünger. Er rief sie näher herbei und sagte (Mt 20,25f):
Ihr wisst: Die Herrscher der Völker unterdrücken die Menschen, über die sie herrschen. Und die Machthaber missbrauchen ihre Macht. Aber bei euch darf das nicht so sein: Sondern wer von euch groß sein will, soll den anderen dienen.
Entscheidend ist für Jesus offenbar nicht die Position, die jemand in der Gesellschaft einnimmt. Die kann dazu verleiten, Macht zu missbrauchen. Es geht Jesus um eine andere Haltung, die des Dienens. Dazu fällt mir die Geschichte von einem Rabbi und seiner Gemeinde ein.
Die Menschen in seiner Gemeinde waren verunsichert. An machen Tagen war ihr Rabbi nicht zu sehen, weder im Bethaus noch zu Hause noch auf der Straße oder sonstwo. Manche glaubten, er sei an diesen Tagen wohl im Himmel. Andere waren skeptisch und fingen an zu recherchieren. Schließlich fanden sie ihn. Er war bei einer armen, alten Frau. Er half ihr bei der Bewältigung ihres Alltags. Er sorgte für Brennholz und Feuer im Ofen, las ihr aus Psalmen vor, betete mit ihr.
Die Gemeinde war sicherlich genauso überrascht wie du und ich. Ein Gemeindeleiter unterstützt einen bedürftigen Menschen bei der Bewältigung des Alltags. Das passte so gar nicht in das Bild, das sie von einem Pastor hatten. Und dann auch noch ohne Absprache, ohne Ankündigung, einfach so, statt vieler Worte einfach handeln, wo Not ist. "Wer unter euch groß sein will…". Das war gar nicht das Ziel des Rabbis. Er wurde doch schon wahrgenommen, wurde sogar vermisst. Er hatte schon Ansehen und Wertschätzung.
Dieses wortlose Verschwinden des Rabbi, diese diakonische Seite des Gemeindeleiters, hat alle überrascht. Sie sagten: "Hättest du nur ein Wort gesagt, dann hätten wir der Frau geholfen." Darauf antwortete der Rabbi: "Schön, dass ihr fast selbst zu dieser Erkenntnis gekommen seid."
Denn sie beschlossen, in Zukunft achtsamer miteinander umzugehen. Und mit der Zeit merkten sie: Mit gegenseitiger Wertschätzung fällt es leichter zu dienen, denn Wertschätzung macht stark.
Ein Gastartikel von Reinhard Häußler.
* * * * *
Foto: Constance Kowalik auf Pixabay.