Des vielen Büchermachens ist kein Ende
Klaus Straßburg | 29/01/2022
Heute war ich in einer Buchhandlung. Eine der großen Buchhandlungs-Ketten. Dort gab es eine Abteilung „Spiritualität". Das waren zuerst vier bis fünf Regale Esoterik, jedes Regal etwa einen Meter breit. Dann, schon fast ganz unten, kamen ungefähr vier Bibelausgaben, gefolgt von etwa 30 Zentimetern Weltreligionen. Danach noch ein halber Meter Christentum, und schließlich ein Meter Philosophie. Das war's.
Daneben befand sich übrigens die Abteilung „Ratgeber". Mehrere Meter. Ich frage mich bei solchen Gelegenheiten immer: Wird das eigentlich alles auch gelesen? Gekauft wird es ja offensichtlich, sonst würden es die Läden nicht anbieten. Aber gelesen? Gut, die Bibel gibt es auch in fast jedem Haushalt, sie wird aber in den wenigsten gelesen. Ergeht es den anderen Büchern ebenso?
Die Frage, ob das alles auch gelesen wird, kommt mir aber auch bei der Fülle von Romanen, die angeboten werden, oder in Zeitschriftenläden. Worüber es alles Zeitschriften gibt! Da gibt es Themen, von denen ich gar nicht wusste, dass man sich dafür interessieren kann. Und nicht etwa nur eine Zeitschrift zu einem Thema, sondern gleich einen ganzen Haufen! Die müssen doch alle verkauft werden, sonst wären die Verlage in Nullkommanichts pleite.
Mir fällt dann auch immer das Wort aus dem Buch Prediger, auch Kohelet genannt, ein (das hebräische Wort kohélet bezeichnet wahrscheinlich den Prediger in einer Versammlung). Kapitel 12 Verse 12 und 13 lauten so:
Mein Sohn, lass dich warnen! Des vielen Büchermachens ist kein Ende, und das viele Studieren ermüdet den Leib. Höre das Endergebnis des Ganzen: Fürchte Gott und halte seine Gebote! Denn das ist der ganze Mensch [das macht das Zentrum des ganzen Menschen aus].
Die Verse 12-14 sind, folgt man der alttestamentlichen Forschung, das Nachwort des zweiten Herausgebers des Buches. Er will das Ganze offenbar nochmal auf den Punkt bringen, vielleicht auch etwas uminterpretieren. Man sieht daran: Die Bibel enthält durchaus unterschiedliche Perspektiven. Altes wird durch Neues ergänzt, ohne das Alte auszulöschen. Und das ist auch gut so.
Der „Prediger" ist ja ein sehr skeptischer Denker. Er zieht den Tun-Ergehen-Zusammenhang in Zweifel, wonach der Täter des Guten Gutes erwarten kann und der Täter des Schlechten Schlechtes erwarten muss. Außerdem scheint er ein früher Existentialist gewesen zu sein. Denn einer seiner Lieblingssätze ist: „Es ist alles nichtig, letztlich sinnlos, ein vergänglicher Windhauch." Luther übersetzte: „Es ist alles eitel" – hier hat „eitel" die alte Bedeutung von „bedeutungslos, oberflächlich", wie in dem Satz „Das ist eitles Geschwätz".
Albert Camus, ein existentialistischer Autor des 20. Jahrhunderts, schrieb in seinem Roman „Die Pest" den zentralen Satz: „Es ist alles absurd" – also widersinnig, sinnlos. Alles. Ohne Ausnahme. Ich erinnere mich an meine Schulzeit, als unser Französischlehrer diesen Satz „Es ist alles absurd" mit großer Emphase vortrug, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Ich saß schockiert da und dachte: Was redet der da? Wie kann der sagen, alles ist sinnlos, und dabei noch Begeisterung für diesen Satz ausstrahlen?
Heute denke ich: Er wusste nicht, wovon er redete.
In Buch- oder Zeitschriftenläden denke ich oft: Des vielen Büchermachens ist wirklich kein Ende. Und ich liebe Bücher. Aber ist das alles wirklich so wichtig, was da geschrieben wird? Und wenn nicht, warum wird es dann gekauft? Unterliegen wir alle der Täuschung, dass etwas, wenn es schwarz auf weiß gedruckt ist und hoch aufgestapelt in der Buchhandlung liegt, bedeutsam sein muss? Womöglich noch mit dem Siegel „Spiegel-Bestseller". Da kommt man sich ja schon uninformiert vor, wenn man es nicht gelesen hat. So werden wir verführt.
Das gilt durchaus auch für christliche und theologische Literatur. Auch da wird viel geschrieben und gekauft, was man sich hätte sparen können.
Insofern muss ich dem „Prediger" recht geben: Das viele Studieren ermüdet tatsächlich den Leib – jedenfalls, wenn man das Falsche studiert.
Den Auslagen in den Buchhandlungen zufolge gibt es einen immensen Bedarf an Spiritualität und Lebenshilfe. Beides wird aber nicht unbedingt im Christentum gesucht. Und der Bedarf wird ja, trotz der vielen Bücher dazu, nicht geringer. Auch die massenhafte Esoterik- und Ratgeber-Literatur führt also offensichtlich nicht dazu, dass die Bedürfnisse der Menschen gedeckt werden. Wird hier vielleicht am falschen Platz gesucht?
Bei allem eigenen Lesen und Studieren finde ich, dass letztlich der „Prediger" recht hat: „Fürchte Gott und halte seine Gebote!" Gemeint ist die Hochachtung Gott gegenüber und das Bemühen, nach seinen guten Weisungen zu leben. Darauf kommt es doch an, oder? Sollte das nicht wirklich das „Endergebnis" sein – das Resultat, die Summe der vielen Einzelposten unseres Lebens?
Ich möchte am Ende meines Lebens nicht sagen: „Ich habe viel gelesen und bin dadurch klug geworden." Sondern das wäre für mich ein erfülltes Leben, wenn ich am Ende sagen könnte: „Ich habe mich ernsthaft bemüht, Gott hoch zu schätzen und in seinem Sinne zu leben. Und wo ich es nicht geschafft habe, vertraue ich auf seine Gnade."
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wir leben in einem Universum von Informationen, die von ausgehen und uns prägen wollen oder sollen. Letztendlich ist es wirklich, wie der Prediger schreibt: Fürchte Gott und halte Seine Gebote. Dadurch können wir Liebe zeigen! Denn wir sind hier nur im Kindergarten und werden im nächsten Leben eingeschult für Aufgaben, deren Grundlage wir hier und heute gelegt haben. Und da geht es nun mal, um weit mehr als nur um Bildung, Intelligenz, Geschick und Erfolg in den menschlichen Realitäten. Da geht es um heilige Dinge: Wahrheit, Liebe, Glaube, Hoffnung, Demut, Gnade, uvm, die wie Universal-Werkzeuge in allen endlichen Realitäten und Strukturen funktionieren, weil sie selbstorganisierende Informationen und Strukturen sind. Wer Gott kennen lernt, hält selbst auferlegte Einschränkungen gerne eine für eine maximale Freiheit aller auf unserer Reise.
Daher möchte ich die Worte des Predigers mit den Worten Jesu in Mat 5:1-20 umkleiden. Darin verbirgt sich der Sinn und die Grundlage des Lebens mit einer tiefen Freude, als Gute Botschaft.
die Bergpredigt Jesu (Mt 5-7) ist sicher eine gute Grundlage für unser Leben. Sie zeigt auch, dass all das, was du nennst - Bildung, Intelligenz, Geschick, Erfolg -, nicht an sich schon den Sinn unseres Lebens ausmachen, sondern eben Wahrheit, Liebe, Glaube, Hoffnung, Demut, Gnade. Wenn wir in diesen Dingen gebildet und geschickt sind, unseren Verstand für sie einsetzen und uns Erfolg darin geschenkt wird, dann mag Gott unserem Leben - trotz aller Unvollkommenheit, die wir in diesen Dingen nie loswerden - einen Sinn gewähren.