Der Teufel wird 80
Mick Jaggers Sympathie für den Teufel
Klaus Straßburg | 27/07/2023
Von Jugend an hörte ich die Rolling Stones. Sie waren für mich zwar nicht die größte, aber eine der größten Rockbands.
Zu ihrem Frontman Mick Jagger hatte ich immer eine gespaltene Beziehung. Einerseits beeindruckten mich seine Songs und wie er sie rüberbrachte. Andererseits war er mir mit seinen Frauengeschichten und Drogenexzessen nicht ganz geheuer.
Gestern Morgen hörte ich beim Zähneputzen im Deutschlandfunk, dass Jagger gestern 80 Jahre alt wurde. Und er springt immer noch auf der Bühne herum fast wie mit 30. Kaum zu glauben!
Früher begeisterte mich vor allem die Musik der Stones. Erst später wurde ich auf die Texte aufmerksam. Und ich entdeckte, dass Jagger nicht nur ein guter Frontman und Sänger war, sondern auch ein begabter Songschreiber.
Dabei erweckte ein Song meine besondere Aufmerksamkeit: Sympathy for the Devil. Das konnte doch nur ein antichristlicher Song sein, dachte ich.
Tatsächlich ist der Song von Beginn an umstritten gewesen. Man unterstellte den Stones satanistische Tendenzen. Jagger hatte wohl wirklich als junger Mann eine Zeit lang Interesse an okkulten Praktiken.
1. Wie begegnet uns der Teufel?
Irgendwann sah ich mir den Text von Sympathy for the Devil einmal genauer an. Und ich stellte fest, dass man den Song absolut nicht antichristlich interpretieren muss.
Der Song beginnt so:
Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle
Ich bin ein Mann mit Reichtum und Geschmack
Ich gehe hier schon viele, viele Jahre um
Raubte vielen die Seele und den Glauben
Ich war dabei als Jesus Christus
Seinen Augenblick des Zweifels und des Schmerzes hatte
Stellte sicher, dass Pilatus
Sich die Hände wusch und sein Schicksal besiegelte
Man ahnt, dass mit all dem der Teufel gemeint ist. Er wird aber nicht als grauenvolle Gestalt mit einer furchterregenden Fratze und Pferdefuß beschrieben, sondern als wohlhabender Mensch mit Manieren und Stil – einer, der es geschafft hat, der Ansehen erlangt hat und vielleicht sogar beneidet und bewundert wird.
Zugleich wird die Schattenseite seines Daseins deutlich: Er raubte vielen Menschen die Seele und den Glauben. Er war es, der Jesus versuchte und ihm Schmerzen zufügte und der Pilatus dazu trieb, seine Hände in Unschuld zu waschen (Mt 27,24).
2. Das Doppelgesicht des Teufels
Das Janusgesicht, das widersprüchliche Wesen des Teufels, wird im Song weiter beschrieben:
Ich hing rum in St. Petersburg
Als ich entschied, die Zeit für einen Wechsel sei da
Ich tötete den Zaren und seine Minister
Anastasia schrie vergebens
Ich fuhr 'nen Panzer
War ein General
Als der Blitzkrieg tobte
Und die Leichen stanken
Ich sah mit Genuss zu
Während eure Könige und Königinnen
Zehn Jahrzehnte lang kämpften
Für die Götter, die sie sich erschaffen hatten
Ich rief
"Wer tötete die Kennedys?"
Letztendlich
Waren es du und ich
Das ist das Zerstörungswerk des Teufels – des Mannes von Welt, von Ansehen und Erfolg, der sich selbstbewusst und gekonnt in der Gesellschaft der Reichen und Mächtigen bewegt. Es ist einer, den niemand, wirklich niemand mit dem Teufel in Verbindung bringen würde.
Aber warum spricht Jagger hier in der Ich-Form? Warum sagt er: "Ich habe das alles getan?" Ist das nur ein lyrischer Kniff oder meint er das ernst?
Ich denke, dass er es ernst meint. Denn auch Mick Jagger ist einer, der es geschafft hat. Als der Song 1968 erschien, waren die Rolling Stones und ihr Sänger schon weltberühmt.
Aber ist denn jeder ein Teufel, der Ansehen und Erfolg hat? Jagger hat doch keinen getötet, war nicht im Krieg und hat natürlich auch keinen der Kennedys erschossen.
Ich denke, hier zeigt sich eine tiefe Selbsterkenntnis des Songschreibers. Jagger ist offensichtlich der Ansicht, dass sich niemand von der Gewalt freisprechen kann – auch dann nicht, wenn er niemanden von eigener Hand umgelegt hat.
3. Alle in einer Reihe
Die Aufteilung in Gute und Böse, die wir uns so gern einbilden, funktioniert eben nicht. Das wird drastisch in folgender Strophe deutlich:
So wie jeder Polizist auch ein Verbrecher ist
Und alle Sünder Heilige sind
So wie Kopf und Zahl [beim Münzwurf] dasselbe sind
Nennt mich einfach Luzifer
Denn ich muss mich ein wenig zusammenreißen
Das klingt hart: Der Gute, der Polizist, ist zugleich ein Verbrecher, und der Böse, der Sünder, ist zugleich ein Heiliger. Das ist sicher sehr pointiert formuliert. Aber es weist darauf hin, dass die einfache Rechnung "Hier die Guten – dort die Bösen" nicht aufgeht. Christlich gesprochen: Vor Gott stehen wir alle in einer Reihe. Auch der Polizist ist nicht immer gut, und der Sünder ist nicht nur schlecht.
Sicher gibt es Unterschiede: Ein Mörder ist kein Dieb, ein Dieb kein Choleriker und ein Choleriker keiner, der schlecht über andere denkt. Aber wenn wir der Sache auf den Grund gehen, dann merken wir, dass – bei allen Unterschieden – Gewalt und Unrecht in allen ist. Wir selbst sind davon nicht ausgenommen.
Jesus hat die Ethik des Alten Testaments radikal interpretiert. Zum Beispiel so: Nicht nur, wer seinen Nächsten tötet, ist vor Gott schuldig, sondern auch, wer ihm zürnt und ihn verachtet (Mt 5,21f). Und ein Ehebruch beginnt nicht erst bei einem Seitensprung, sondern schon beim Begehren der Frau eines anderen (Mt 5,27f).
4. Die Abschiebung des Bösen
Von vielen Christinnen und Christen wird der Teufel als nichtmenschliche Figur verstanden. Man kann das so sehen. Es birgt aber eine Gefahr in sich: die Gefahr, das Böse außerhalb seiner selbst zu verorten. Wenn der Teufel eine Art böser Geist ist, schieben wir das Böse weit von uns weg. So, wie wir den Bösen weit von uns wegschieben. Der Böse ist dann kein Mensch, sondern eben der Teufel, der Menschen verführt. Oder der Böse ist vielleicht auch ein Mensch, aber der andere – wir selbst sind es jedenfalls nicht.
Mick Jagger hat offensichtlich erkannt, dass er selber auch zu den Bösen gehört. Dass er selber Anteil hat am Leid und Tod anderer. Dass er, ob er will oder nicht, auf Kosten anderer lebt. Dass er, wie wir alle, in die ungerechten Strukturen dieser Welt verstrickt ist und von ihnen profitiert, ohne dass wir uns das in der Regel vor Augen halten. Wir wissen, dass unter diesen Strukturen, von denen wir profitieren, andere Menschen leiden, aber wir wollen es nicht wissen, um uns nicht schlecht zu fühlen.
Stattdessen verhalten wir uns so, wenn wir dem Bösen begegnen:
Also, wenn Sie mir begegnen sollten
Zeigen Sie gute Manieren
Zeigen Sie Sympathie und Geschmack
Benutzen Sie alle Höflichkeit, die man Ihnen beigebracht hat
Sonst werde ich Ihre Seele zerstören
Freut mich, Sie kennen zu lernen
Hoffe, Sie haben meinen Namen erraten
Aber was Sie verwirrt
Ist, worin mein Spiel eigentlich besteht, ich mein's Ernst, auf die Knie!
Oh ja, auf die Knie!
Die Angesehenen, die sich benehmen und gut reden können, faszinieren uns. Wir orientieren uns gern an ihnen. Wir haben Sinn für das scheinbar Gute, das uns auf ansprechende und sympathische Weise begegnet. Und wir wollen selbst ungern Anstoß erwecken, sondern entgegenkommend und höflich sein. Dagegen ist prinzipiell nichts zu sagen. Schlecht wird es aber dann, wenn wir das Teuflische hinter dem Strahlenden, Erfolgreichen und Weltgewandten nicht mehr sehen. Dann haben wir, ohne es zu wollen, Sympathie für den Teufel.
5. Das Verwirrspiel des Teufels
Jesus wusste, dass sich der Satan als Engel des Lichts verkleidet (2Kor 11,14). Er wusste um die Wölfe im Schafspelz (Mt 7,15). Er nannte seinen Jünger Petrus Satan (Mt 16,23; Mk 8,33) – den Jünger, dem er nach dem Matthäusevangelium noch kurz zuvor sagte, dass er auf ihn seine Gemeinde bauen wolle (Mt 16,18).
Das sollte uns genug Anhalt dafür sein, dass der Teufel nicht einfach eine außermenschliche Gestalt ist. Er ist eine Macht, die uns ergreift und uns selbst teuflisch macht – so wie die Sünde eine Macht ist und keine harmlose Verfehlung, die uns manchmal widerfährt.
Das teuflische Spiel des Satans besteht darin, uns mit schmeichelnder Höflichkeit und guten Manieren zu betören und gerade so Macht über uns zu gewinnen. Das ist das dämonische Verwirrspiel, von dem Mick Jagger spricht. Am Ende des Spiels steht dann der Kniefall vor dem Bösen.
Zugleich zeigt das Petrus-Beispiel, dass Jesus auch den Satan in Dienst nehmen kann. Jesu Gnade gilt auch denen, die unter der Macht des Satans stehen. Dazu gleich mehr. Zunächst aber möchte ich noch einen Blick auf die musikalische Seite des Songs werfen.
6. Der Strudel des Bösen
Die Musik steigert sich von Beginn an. Der Rhythmus ist schon am Anfang da, wird aber heftiger und turbulenter. Er treibt nach vorwärts, unaufhaltsam. Es ist wie ein Strudel, in den man hineingerissen wird. Zugleich wird die Stimmung durch den Hintergrundchor immer unheimlicher. Wer sich hineinbegibt in die Welt dieses Songs, wer sich von ihm treiben lässt, kann sich dem berauschenden Taumel nicht mehr entziehen. Beglückt von den vorwärts treibenden Rhythmen und dem sich immer wiederholenden Chor stürzt man in eine Welt, die keinen Ausgang und kein Ende zu haben scheint.
Das hat etwas von scheinbarer Lebendigkeit und Zukunftsorientierung. Es geht immer weiter, die berauschende Stimmung, wenn auch etwas unheimlich, lässt einen nicht mehr los. Man ist schließlich ganz vereinnahmt, hingerissen, überwältigt.
So kann man in den Strudel des Bösen geraten. Ich meine nicht, dass der Song böse ist. Aber er transportiert auf grandiose Weise eine Atmosphäre, die eine in das Böse verstrickte, vom Bösen aufgesogene und im Strudel des Bösen untergehende Welt spiegelt. "Auf die Knie!" ruft der Teufel im Song. Sein Verwirrspiel besteht darin, dass er uns das Leben suggeriert und den Tod bringt.
7. Die Erlösung vom Bösen
Es bedarf einer größeren Macht als der des Bösen, um dem Bösen zu entkommen. Es bedarf einer Lebendigkeit, die in das Leben mündet und nicht in den Tod. Es bedarf einer Botschaft, Musik und Kultur, die den Teufel austreibt.
Im Jakobusbrief steht, dass selbst die Dämonen an Gott glauben – und vor ihm zittern (Jak 2,19). Sie wissen, dass sie es mit einer stärkeren Macht zu tun haben. Sie fürchten die Erlösung der Menschheit, weil sie dann ihre Existenzgrundlage verlieren. Jesus hat das Ende des Satans schon vor Augen gehabt (Lk 10,18). Der Satan tobt zwar noch, aber er hat keine entscheidende Macht mehr. Er zieht uns in den Abgrund, aber der Abgrund ist nicht das Letzte. Er hat ein Ende und einen Ausgang zum Leben in der Gemeinschaft mit Gott. Ein Leben ohne Verführung, Verstrickungen und Todesnot. Darum sieht die Johannesoffenbarung schon das Ende des Teufels vor sich (Offb 20,10).
Dieses positive Ende kennt der Song nicht. Er hat uns das Böse in seiner dämonischen Zwiespältigkeit vor Augen gestellt. Wir leben, als ob wir gut wären. Manche Menschen fragen sich, wovon sie denn eigentlich erlöst werden müssten. So macht sich der Teufel unsichtbar. Gerade darin besteht das Dämonische.
Jesus hat die Dämonen massenhaft ausgetrieben. Er hat auf den Dämon Petrus seine Kirche gebaut. Darum müssen uns Dämonen keine Angst mehr machen. Angst machen sollte es uns aber, wenn wir sie weit von uns wegschieben. Denn dann haben sie uns schon im Griff.
Mick Jagger hat es geschafft, sich selbst auf der Seite des abgrundtief Bösen zu sehen. Wie immer man zu ihm stehen mag: Es tut uns Christinnen und Christen gut, ihm in dieser Selbsterkenntnis nicht nachzustehen.
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Der Text des Songs und die von mir verwendete Übersetzung ist zu finden auf: https://lyricstranslate.com/de/sympathy-devil-mitgef%C3%BChl-mit-dem-teufel.html.
Eine lesenswerte Interpretation des Songs, die in eine ähnliche Richtung geht wie meine, hat der damalige Bischof der Nordkirche, Gerhard Ulrich, im Jahr 2017 vorgelegt: https://www.nordkirche.de/nachrichten/nachrichten-detail/nachricht/sympathy-for-the-devil-und-auf-der-buehne-ist-der-teufel-los.
Foto: StockSnap auf Pixabay.
https://god.fish/2023/02/20/sympathy-for-the-devil-rolling-stones/