Der Segen des grauen Tages
Klaus Straßburg | 30/10/2023
Ich sitze am Fenster. Eine tiefe Dunstglocke liegt über dem Ort. Aus der Flussniederung steigt dichter Nebel auf. Immer wieder bilden sich neue Nebelschwaden und tauchen alles in ein undurchdringliches Grau. Die Häuser, die Wiesen, die Berge entschwinden dem Blick.
Was für ein Tag, denke ich und sehne mich nach einem kleinen Stück blauen Himmels. Doch das wird es heute nicht geben. Meine Stimmung entspricht dem alles vereinheitlichenden Grau des Fensterblicks. Der Tag liegt grau vor mir, undurchdringlich, farblos, ohne Kontur. Wo ist das Licht, das Leben, die Freude, der Sinn?
Der Regen prasselt unaufhörlich. Mein Drang, mich zu bewegen, frische Luft zu atmen, wird heute kaum befriedigt werden. Ich weiß nicht, warum ich diesen Bewegungsdrang in mir habe. Wenn ich nur laufen kann, fühle ich mich lebendig. Leben ist Bewegung, Stillstand ist der Tod. Vielleicht bin ich darum glücklich, wenn meine Beine mich einfach forttragen, egal wohin. Der Weg ist das Ziel.
Vor ein paar Tagen habe ich etwas von Wasserknappheit gehört, auch in Deutschland. Es wird immer trockener, Wasser fehlt, wurde schon in manchen Gegenden rationiert. So gesehen sollte ich dankbar sein für den Regen und den aufsteigenden Nebel. Wasser ist Leben, Trockenheit ist der Tod. Wir selbst sind zu 60 bis 80 Prozent Wasser. Wenn wir sterben, trocknen wir aus, habe ich in einer Ausstellung erfahren. "Es regnet, Gott segnet, die Erde wird nass" sangen wir als Kinder. Da wussten wir noch etwas vom Segen.
Heute muss ich es mir erst bewusst machen: Der Regen ist Segen Gottes. Gott lässt die Sonne scheinen und lässt regnen über Gute und Böse (Mt 5,45). Also sollte ich diesen Tag als einen gesegneten Tag verstehen. Im undurchdringlichen Grau dieses Tages ruht Segen. Merkwürdig, dass ich dafür blind geworden bin. Ich habe nur das Grau gesehen, diese deprimierende Farblosigkeit, und war blind für den Segen, der in diesem Grau wohnt.
So geht es wohl oft im Leben: Wir sehen etwas, das wir für schlecht halten, und sind blind für das Gute, das darin wohnt. Wir lassen uns gefühlsmäßig herunterziehen, weil wir nur das Negative sehen, und ahnen nichts vom Positiven, das uns gerade widerfährt. Die Freude über Gottes Segen erreicht uns nicht, weil wir uns von einer oberflächlichen Sicht der Dinge täuschen lassen.
Ich möchte die göttliche Liebe in dem erkennen, was der Lebensfreude zu widerstreiten scheint. Ich möchte immer aufs Neue Gottes Segen entdecken, den er auch im täglichen Grau über mich spricht.
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Foto: Klaus Straßburg.