Der kreative Maskenbildner
Klaus Straßburg | 24/05/2020
Meine Frau und ich teilen uns das wöchentliche Einkaufen: Sie fährt in einen der beiden Supermärkte, in denen wir einkaufen, und ich in den anderen. So läuft es normalerweise. Aber vor einigen Tagen hatte ich eine grandiose Idee: Meine Frau nimmt mich mit zu dem Markt, für den ich zuständig bin, setzt mich dort ab, fährt zu ihrem Markt und holt mich danach wieder bei meinem Markt ab. So sparen wir uns einen Fahrtweg.
Okay, so grandios ist die Idee auch wieder nicht. Aber für uns ziemlich ungewöhnlich.
Gesagt, getan. Wir fahren los, sprechen noch ab, dass wir uns in 40 Minuten wieder am Markteingang treffen. Vor dem Supermarkt hält meine Frau, ich steige aus, meine Frau fährt los, ich gehe Richtung Eingang und denke: Jetzt gleich den Einkaufswagen desinfizieren und die Maske aufset ... – die Maske! Ich habe meine Maske vergessen! Auf der Stelle drehe ich um die eigene Achse, sehe den Wagen zehn Meter vor mir, laufe noch hinterher – zu spät! Meine Frau ist weg ...
Neiiiiin! Vor mir läuft ein Film ab: Jetzt 40 Minuten warten, dann ohne Einkauf zurück nach Hause und allein nochmal losfahren – was für ein Zeitverlust! Das kann doch nicht sein! Ich untersuche meinen Rucksack, ob sich nicht doch noch eine Maske findet. Das kann eigentlich gar nicht sein, denn ich weiß genau, dass die Masken zu Hause liegen. Trotzdem untersuche ich den Rucksack zweimal. Alles Mögliche ist drin, aber keine Maske.
Ich bewege mich vom Supermarkt weg. Die Gedanken kreisen. Was tun? Es muss doch eine Lösung geben! Ich habe absolut keine Lust, hier 40 Minuten rumzustehen und danach nochmal loszufahren. Mein Blick fällt auf ein kleines Modegeschäft. Schnellen Schrittes bewege ich mich zum Eingang, will hinein, da fällt mir ein, das geht ja ohne Maske nicht. Wie angewurzelt bleibe ich im Eingang stehen, da kommt auch schon eine freundliche Verkäuferin auf mich zu und wirft mich raus, obwohl ich noch gar nicht drin bin: Nein, ohne Maske kein Einlass. „Ich weiß", sage ich, „verkaufen Sie Masken?" „Nein", sagt sie lächelnd und zerstört alle Hoffnungen in mir.
Ich untersuche ein drittes Mal meinen Rucksack. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ich setze mich frustriert auf eine verfallene Eingangstreppe. Ich muss mir eine Maske basteln, schießt es mir durch den Kopf. Ein Schal oder ein Tuch geht ja auch. Hab ich aber nicht dabei, es ist schließlich sommerlich warm. Ich untersuche den Rucksack nach brauchbarem Material und finde nur eine kleine Einkaufstasche aus Stoff. Die falte ich hin und her. Ich muss sie als Schal falten und an den Henkeln zusammenbinden, denke ich. Aber es ist zu eng, ich kann sie nicht über den Kopf ziehen. Doch ich gebe nicht auf. Diese Einkaufstasche ist meine letzte Chance. Schließlich binde ich die Henkel hinter meinem Hals zusammen, mit nur einem halben Knoten, weil die Henkel so kurz sind, und ziehe die gefaltete Tasche dann vorne hoch über die Nase – passt! Der halbe Knoten hält!
Jetzt schnell ab in den Laden. Ich habe schon zu viel Zeit verloren. Egal, was die Leute denken.
War ich nicht echt kreativ? Ja, Not macht erfinderisch. Aber nicht nur Not. Ist es nicht toll, was wir Menschen alles erfinden können? Dass wir Tüftler, Bastler, Ingenieure und Künstler sein können? Jeder ist in seiner Weise ein kreativer Mensch – wenn ihm die Kreativität nicht ausgetrieben oder unmöglich gemacht wird.
Der erste und größte Kreative ist Gott selbst, der alles erschaffen hat: Welch eine wunderbare Vielfalt und Schönheit – unfassbar! Aber er hat seine Kreativität nicht für sich behalten, sondern mit seinen Geschöpfen geteilt: Die Erde soll selbstständig Pflanzen und Landtiere hervorbringen (Gen/1Mo 1,11f.24). Fische und Vögel sollen fruchtbar sein und sich mehren, ebenso die Menschen (Gen/1Mo 1,22.28). Sie sollen das von Gott Geschaffene bebauen und bewahren, und sie sollen Landtieren und Vögeln einen Namen geben (Gen/1Mo 2,15.19f). Das alles sind kreative Tätigkeiten. Kreativität gehört somit zum Menschen wesentlich hinzu! Und man nimmt ihm Wesentliches, wenn man ihm seine Kreativität nimmt.
Alle Verhältnisse, die uns die Möglichkeit zur Kreativität rauben, sind falsch. Alle Arbeitsbedingungen, die den Menschen zum bloßen Befehlsempfänger degradieren oder zur stumpfen Wiederholung immer derselben Handlungen zwingen, sind unmenschlich.
Gott hat uns fast unbegrenzten Handlungsspielraum gegeben. Grenzen findet dieser Spielraum nur dort, wo wir uns selbst oder anderen ein Bein stellen. Dann verletzen wir nicht nur die Würde des Geschöpfs, sondern gerade damit auch die Ehre des Schöpfers.
Du darfst alles, was dir selbst oder anderen Geschöpfen keinen Schaden zufügt. Darum hab' keine Angst vor deiner Kreativität! Lass die Gedanken spielen, lass deiner Phantasie freien Lauf, mach' verrückte Sachen, lass dir keine Gedanken oder Taten verbieten! Und begehre auf, wenn es dir unmöglich gemacht wird, kreativ zu sein!
Aber bleibe auch kritisch deiner eigenen Kreativität gegenüber! Denn sie kann, wie alles andere auch, zum Guten wie zum Schlechten benutzt werden. Bald nachdem der Mensch den Tieren ihren Namen geben durfte, begann die menschliche Sündengeschichte (Gen/1Mo 3f.6-9). Darum bedenke immer, wozu deine Kreativität dient! Auch wenn sie ohne Zweck, rein spielerisch ist, ist sie etwas Gutes. Du hast deine Kreativität bekommen, um Schönes und Gutes damit zu schaffen. Setze sie dazu ein!
Ich eile mit meiner außerordentlich kreativen Maske durch den Supermarkt. Mit dieser Maske füge ich niemandem Schaden zu. Mund und Nase sind vollkommen bedeckt. So erledige ich schnell meine Einkäufe. Lieber nicht die anderen angucken, um nicht zu sehen, wie die mich angucken. Es scheint kaum jemandem aufzufallen. Alle sind mit sich selbst und ihren Einkäufen beschäftigt.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, nein, ich vermute eher, dass manche mich wohl länger angucken als normal. Keine Ahnung, was in ihnen vorgeht. Ist mir aber auch total egal. Manchmal trage ich gern zur Belustigung meiner Mitmenschen bei. Ist auch ein gutes Werk.
In einem Schrank mit Kunststofftüren, aus der ich Käse hole, spiegelt sich mein Gesicht. Ich muss lachen, gehe weiter, lache laut über dieses Gesicht, aber immer so, dass mich keiner hört. Bloß nicht auffallen.
In 20 Minuten ist alles erledigt. Die Frau an der Kasse guckt etwas irritiert, dann schaut sie wieder weg. Ob aus Höflichkeit oder Entsetzen, weiß ich nicht.
Wenige Meter vor dem Ausgang kommt mir ein Bekannter entgegen. Auch das noch, aber inzwischen ist mir alles egal. Leider erkennt er mich trotz meiner Maskierung, kneift die Augen zusammen, grüßt etwas verunsichert, ich grüße zurück, grinse ihn an und hoffe, dass er das an meinen Augen sieht.
Kaum draußen, reiße ich mir die Tasche vom Gesicht. Endlich wieder normal aussehen!
Gottes Gabe der Kreativität hat mich gerettet (naja, nur vor ein bisschen Zeitverlust – aber es ist ja wertvolle Lebenszeit). Meine Frau ist noch nicht da. Ich warte vor dem Supermarkt und kann mir in aller Ruhe und ohne aufzufallen die Leute ansehen, die hineingehen und herauskommen.
Die Masken, die sie tragen, sind sehr unterschiedlich. Aber keine ist so kreativ und so hässlich wie meine.
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Viele Grüsse aus Irmgarteichen von Regina Wagner
ja, ich denke auch, dass Gott uns gerne lachen sieht und dass er sich mit uns freut, so wie er auch mit uns leidet.
Viele Grüße
Klaus Straßburg