Christen, wo seid ihr?
Klaus Straßburg | 30/05/2020
Warnung:
Dieser Beitrag macht keine gute Laune.
Du solltest ihn nur lesen, wenn du bereit bist, Schmerzen zu ertragen.
Es ist unehrlich, Pfingsten zu feiern ohne die Bereitschaft, sich radikal verändern zu lassen. Denn so darf es nicht weitergehen. Noch immer gibt es in unserer Welt keinen Frieden, keine Gerechtigkeit und keine Bewahrung von Gottes Schöpfung. Ich will mich nicht damit abfinden. Ich will nicht mein bisschen Glück genießen und die Augen vor dem Unglück verschließen, das der Mensch über die Geschöpfe Gottes bringt.
1. Was würde Jesus dazu sagen?
Jeder halbwegs einsichtige Mensch wird wohl das Problem sehen: den Mangel an Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Man kann an den globalen Frieden und die globale Gerechtigkeit denken oder an den Frieden in den Häusern und die Gerechtigkeit am Arbeitsplatz. Die Bewahrung der Schöpfung oder ihre Zerstörung ist immer global. Das Positive ist, dass wohl die meisten Menschen (wenngleich längst nicht alle) das Problem sehen.
Das Negative ist, dass von den Einsichtigen die Wenigsten etwas dagegen tun. Man hat sich damit eingerichtet. Es lebt sich gut, solange der Krieg anderswo stattfindet, das Unrecht einen nicht selber trifft und man den „Naturkatastrophen" noch halbwegs entrinnen kann.
Außerdem kann man sich mit den kosmetischen Korrekturen beruhigen, die von politischer Seite angebracht wurden. Man kann sich darauf berufen, dass ja etwas getan werde.
Doch ich frage mich: Was hat sich wirklich verändert? Gerade zeigt sich die Kurzlebigkeit von Rüstungskontrollverträgen. Weltweit steigen die Rüstungsausgaben. Noch immer lagern in Deutschland amerikanische Atomsprengköpfe, die dazu da sind, im „Ernstfall" von Deutschland aus millionenfachen Tod zu bringen. Diese Atombomben muss man auch einsetzen wollen. Eine Abschreckung, die einzusetzen man nicht bereit ist, schreckt niemanden ab.
Was würde Jesus wohl dazu sagen?
Die moderne Sklaverei blüht. Vor einigen Jahren schon fragte jemand in einem Print-Medium: Wie viele Sklaven hältst du dir? Ich finde die Frage sehr berechtigt. Mit jedem Einkauf besteht die Gefahr, die Sklavenhalter zu bereichern und die Sklaven auszubeuten. Je billiger die Ware für uns, desto größer die Gefahr.
Was, meinst du, würde Jesus dazu sagen?
Über die globale Zerstörung unserer Lebensgrundlagen brauche ich wohl nicht aufzuklären. Menschen im globalen Süden sterben schon jetzt an den Folgen des Klimawandels, den vor allem Menschen im globalen Norden verursacht haben. Zu Letzteren gehören wir. Wir sind nicht unschuldig, sondern mitschuldig am Tod von Menschen.
Doch nach dem Lockdown geht alles weiter wie zuvor. Bald werden die Flieger wieder voll besetzt die Urlaubsgebiete anfliegen, um uns zwei Wochen etwas mehr Sonne zu ermöglichen. Oder auch nur ein Wochenende auf Malle.
Ob Jesus damit einverstanden wäre?
Die Menschheit des globalen Nordens hält sich für ethisch hochstehend, fortschrittlich. In diesem Bewusstsein eigener ethischer Überlegenheit kann man gut die Augen verschließen vor den Überlebensnöten von Milliarden von Menschen.
Natürlich gibt es positive Veränderungen gegenüber früheren Jahrhunderten. Aber es gibt eben auch negative Veränderungen, die vielleicht ebenso bedrohlich oder sogar bedrohlicher sind als das, was wir früheren Bedrohungen gegenüber erreicht haben.
2. Gesucht: Der neue Mensch
Hören wir auf, uns etwas vorzumachen! Ich weigere mich, den Schmerz und den Tod von Milliarden von Menschen zu ignorieren oder mit der Pille der Gleichgültigkeit abzuschalten. Ich weigere mich, nach dem Augenblick der Betroffenheit, den Fernsehbilder manchmal in denen auslösen, die noch nicht ganz abgestumpft sind, zur Tagesordnung überzugehen.
Wo ist der Wille zur umfassenden Veränderung? Wo ist die Kraft, die bereit ist, zugunsten des Lebens Anderer den eigenen Lebensstandard herunterzufahren? Wo ist der Mensch, der die Probleme anpackt? Wo die Vision grundlegend erneuerter Verhältnisse?
Warum gibt es so wenige Menschen, die anders zu leben beginnen? Warum leben die Massen immer noch nach dem Gesetz des Haben-Wollens statt in der Freiheit des Geben-Könnens (ich meine nicht das Geben aus dem Überfluss, das mir nicht wehtut, sondern das Geben, das ich spüre, das mich etwas kostet)? Warum sind so viele Menschen begierig nach einem dicken, spritfressenden Auto und nach einem Urlaubsflug? Warum ist da keiner, der sagt: STOPP!
Es braucht einen anderen Menschen. Einen, der sich das Leben der Mitmenschen und Mitgeschöpfe etwas kosten lässt. Der bereit ist, etwas aufzugeben von seinem Lebensstandard und seinem materiellen Wohlbefinden. Der zurücktreten kann und bereit ist, nicht mehr sich selber zu dienen, sondern den Anderen.
Der neue Mensch des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844-1900), „Übermensch" genannt, ist der Mensch der Stärke und Lebenskraft. Mit Dienen hat er nichts am Hut.
Der neue Mensch, den der Kommunismus verheißen hat, ist bis heute nicht aufgetaucht.
Der Humanismus meint, der Mensch könne sich selbst verwandeln, wenn er nur wolle. Warum aber will er offensichtlich nicht?
Die Religionen weisen den Weg zu einem erneuerten Menschsein. Aber am Ende erscheint doch immer wieder der alte Mensch.
3. Gefunden: Eine unergründliche Kraft
Hilft also nur Gott? Der deus ex machina, also der Heldengott, der plötzlich und unvermittelt immer dann auftaucht, wenn wir mit unserem Latein am Ende sind? Das wäre der Gott, den wir als „Lückenbüßer" (Bonhoeffer) missbrauchen: Wo wir nicht mehr weiter wissen, setzen wir mal eben Gott ein, und – schwupps – sind wir aller Probleme entledigt.
Aber Gott lässt sich nicht einsetzen. Nur er selber setzt sich ein – dort, wo er es will. Und er entzieht sich ebenfalls dort, wo er es will.
Die biblischen Schriften, über 1.000 Jahre hin aufgeschrieben, sprechen von keinem göttlichen Helden, der in der Not wie Superman auftaucht. Sie sprechen von einem göttlichen Geist, der so wenig greifbar ist wie der Wind, weder berechenbar noch festzuhalten. Er „weht, wo er will" (Joh 3,8). „Du weißt nicht, woher er kommt", er ist also gar nicht als Gottes Geist identifizierbar. Und „du weißt nicht, wohin er fährt", sein Ziel ist also nicht auszurechnen. „So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist." Der Mensch, den Gottes Geist treibt, ist also genauso unergründlich wie der Geist selbst: Es gibt für ihn selber und für seine Mitmenschen keinen Beweis dafür, woher er eigentlich seine Kraft bekommt. Und es gibt für ihn selber und für seine Mitmenschen keine Sicherheit darüber, wohin das Ganze führen wird.
Man sieht die Kraft Gottes also nicht. Man sieht nur, was sie aus einem Menschen macht. Wir müssen jeden Beweis für ihre Wirksamkeit und jede Sicherheit bezüglich ihres Erfolgs fahren lassen. Wir müssen uns jedes Zugriffs auf das Gute, Richtige, auf das Gott entsprechende, also ethisch hochstehende Leben entledigen. Nur so kann es geschehen – unergründlich, warum es geschieht, darum nur unter unserem blanken Erstaunen.
Manchmal bewundern wir diese veränderten Menschen. Zu ihnen gehören Maximilian Kolbe, Dietrich Bonhoeffer, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Mutter Theresa. Ich würde auch Michail Gorbatschow zu ihnen zählen. Es gibt noch viele andere. Auch solche, die nie Berühmtheit erlangen werden, sondern im Stillen Gutes bewirkt haben und täglich bewirken. Die Helden des Alltags, von denen niemand spricht. Menschen, die an ihrer Stelle gegen das Zerstörerische kämpfen, und sei es nur im engsten Kreis der Familie. Sie alle sind fehlbare Menschen wie du und ich, die dennoch Großes tun.
Es sind keine überlegenen Helden wie in unseren Spielfilmen; denn sie lassen es sich etwas kosten oder müssen sogar mit ihrem Leben bezahlen.
Was sogar die Berühmten unter ihnen nicht konnten: die Menschheit auf Dauer in eine andere Richtung lenken. Auch über sie ging die Geschichte hinweg.
4. Christen, wo seid ihr?
Warum fehlen uns heute solche Menschen? Warum ist da keiner, der aufsteht gegen die Verhältnisse und die Massen begeistert? Warum ist kein Politiker willens oder in der Lage, etwas Entscheidendes an den unfriedlichen, ungerechten und zerstörerischen Strukturen zu verändern?
Warum gießt Gott nicht heute, wo es so nötig wäre, seinen Geist aus? Warum tut die Christenheit sich so schwer, aufzustehen gegen Waffenexporte, versklavende Wirtschaftsstrukturen und Klimawandel? Warum sind hauptsächlich die auf die Straße gegangen, die sich selbst nicht als Christen bezeichnen? Warum geht kein Aufschrei durch die weltweite Christenheit – ein Aufschrei, der sich den Schrei der Leidenden zu eigen macht? Christen, wo seid ihr? Warum seid ihr in diesen Dingen unsichtbar?
Eine Antwort habe ich nicht. Ist es die Selbstzufriedenheit derer, die sich ihres Heils gewiss sind? Oder ist es pure Bequemlichkeit, die nur das eigene Wohlsein sucht? Ist es das Verschließen der Augen, weil es „uns" ja so gut geht? Oder ist es gar die Gleichgültigkeit gegenüber der Not der fernen Nächsten, weil einem nur die Not in der eigenen Gemeinde wichtig ist?
Was auch immer es ist: Es ist in meinen Augen ein Unterdrücken des Geistes Gottes (1Thess 5,19), so dass dieser nicht wirken kann. Es ist ein Betrüben dieses Geistes (Jes 63,10; Eph 4,30), also ein Betrüben Gottes selbst; kein Leben zu seiner Freude und ihm zur Ehre. Mit anderen Worten: Es ist die Verweigerung des Sinns und Ziels christlichen Lebens, mit dem biblischen Wort: Sünde.
Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Gott uns nicht unserer verwerflichen Gesinnung überlässt (Röm 1,28-32), sondern dass er sich doch noch erbarmt. Aber Gott taucht nicht überall wie der rettende Held auf, wo wir ihn brauchen, wo wir den Karren in den Dreck gefahren haben. Er kann auch anders.
Seid euch also nicht zu sicher, dass es schon wieder werden wird. Seid euch nicht zu sicher, dass es euch nicht treffen wird. „Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht verspotten! Denn was der Mensch sät, das wird er auch ernten" (Gal 6,7).
Könnte es sein, dass ihr am Ende dasteht wie jene, denen Jesus sagt (Mt 25,42f): „Ich war hungrig, und ihr habt mir nicht zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mich nicht getränkt; ich war fremd, und ihr habt mich nicht beherbergt; nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet; krank und im Gefängnis, und ihr habt mich nicht besucht"? Was er ihnen androhte, will ich lieber nicht zitieren. Jedenfalls wird dann niemand mehr die Wahrheit wegdrücken können.
5. Anfänge brauchen Fortsetzungen
Man kann angesichts des fehlenden Aufschreis der Christenheit und des tödlichen Zustands der Welt der Ansicht sein, dass alle christliche Verkündigung vom göttlichen Geist nur eine Illusion sei. Den Weg dieses Glaubens will ich nicht gehen. Ich will weiterhin darauf vertrauen, dass Gott wirkt – trotz des fehlenden Aufschreis und des Zustands der Welt. Auch wenn es manchmal schwerfällt, an das Wirken des Geistes zu glauben. Ich weiß, ich bin ungeduldig. Doch kann man geduldig sein, wenn Menschen im globalen Süden sterben und wir im globalen Norden so tun, als wäre nichts gewesen? Kann man dann noch geduldig sein??
Ich will hoffen und die kleinen Anfänge nicht aus den Augen verlieren. Ich will aber auch die kleinen Anfänge nicht schon zum großen Wurf umdeuten. Anfänge bleiben nur Anfänge. Sie verlangen nach Fortsetzungen. Ich denke, dass Gottes Geist noch viel bewirken will. Es liegt auch an uns, ob wir ihn wirken lassen.
Wie kein anderes beschreibt das Doppelgleichnis vom Senfkorn und vom Sauerteig den Wert der kleinen Anfänge (Mt 13,31-33; Lk 13,18-21; in Mk 4,30-32 nur vom Senfkorn). Das Senfkorn ist nur ein kleines Samenkorn, und doch wird aus ihm ein riesiger Strauch. So ist es auch mit Gottes Herrschen auf Erden. Es erscheint uns klein und unscheinbar und trägt doch schon die Merkmale einer großen Zukunft in sich. Ebenso verhält es sich mit ein wenig Sauerteig, der den ganzen Teig durchsäuert.
Auch Paulus spricht einmal vom Sauerteig, aber in anderem Sinn (1Kor 5,6-8). Das Brot ist ihm ein Gleichnis für die Christ*innen. Er ruft dazu auf, den alten Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit wegzuschaffen und ein ungesäuertes Brot zu werden, ein „Brot der Reinheit und Wahrheit." Zur Wahrheit gehört nicht nur, dass uns das Heil geschenkt wurde, sondern auch, dass wir so leben, wie es diesem Heil entspricht: ethisch gereinigt. Und zwar nicht nur im persönlichen Bereich, sondern auch im politischen.
Wer nur das eigene Heil feiert und nicht zugleich alles daran setzt, diesem Heil entsprechend zu leben, der lebt nicht als Christ.
Ich schätze die kleinen Anfänge, die es gibt. Aber ich strecke mich zugleich aus nach den Fortsetzungen. Ich bin dankbar für kleine politische Richtungsänderungen. Aber ich ersehne den Paradigmenwechsel, den Wechsel weg von dem Muster „ich zuerst, dann die anderen", weg vom Anhäufen von Reichtum auf Kosten Anderer, weg vom persönlichen Wohlbefinden auf Kosten der Schöpfung. Der Paradigmenwechsel muss die ganze Gesellschaft und das Wirtschaftsleben umfassen.
Du hältst das für einen naiven Traum, eine Illusion? Dann hältst du Gottes Geist für eine Illusion.
Denn das Reich Gottes liegt nicht in unserer Hand. Er schafft das, was, wenn wir es aus eigener Kraft schaffen sollen, tatsächlich eine Illusion ist. Du hast recht: Die Vollendung erfolgt erst am Jüngsten Tag. Doch ich finde es zynisch, diese Vollendung zu erwarten und bis dahin die Hände in den Schoß zu legen.
Täten wir das, was würde Jesus dazu sagen?
Jesus hat immer konkret zu den Menschen gesprochen. Darum geht es im Glauben nicht um abstraktes Theologisieren, sondern um konkretes Retten von Menschenleben. Die Wahrheit ist immer konkret. Abstraktes kann man leicht wegdrücken, Konkretes nicht.
Wenn du eine andere Überzeugung hast, gib unten deinen Kommentar ab. So können wir ins Gespräch miteinander kommen.
Ich schließe diesmal nicht mit einem tröstlichen Zuspruch. Oder vielleicht doch, aber mit einem, zu dem die Mahnung gehört. Ein Zuspruch ohne Mahnung würde alles Gesagte mit Gottes Liebe zukleistern. Ja, Gottes Liebe ist da. Aber zu ihr gehört auch, diese Liebe weiterzugeben. Wer Gottes Liebe nur für sich und die Seinen will, lebt nicht in ihr.
Darum gilt es, sich vom Geist Gottes verändern zu lassen. Wir können uns nicht selbst radikal verändern. Man kann sich nicht selber neu erschaffen oder selber neu gebären (2Kor 5,17; Gal 6,15; Joh 3,3-7). Wir brauchen es auch nicht, denn Gottes Kraft ist dazu da. Gott kann sie über uns ausgießen; denn er will, dass alle Menschen gerettet werden (1Tim 2,4) – auch vor ihrem falschen Lebenswandel. Das ist die Frohe Botschaft von Pfingsten: Gottes Kraft kann und will dich zu einem neuen Menschen machen. Du musst nichts tun – außer es geschehen zu lassen.
Lass dich also vom Geist bewegen zu einem neuen Wollen und neuen Handeln. Die Alternative wäre: wollen, dass die Welt so bleibt, wie sie ist. Was das bedeutet, hat Erich Fried in seinem Gedicht „Status Quo" ausgedrückt:
Wer willdaß die Weltso bleibtwie sie istder will nichtdaß sie bleibt
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unter dem Stichwort Pfingsten habe ich nach einem Jahr diesen Beitrag wiedergefunden. In der ganzen Zeit hat niemand kommentiert. Im Grunde wundert es mich nicht. Ich habe damals auch die Enden zwischen deiner ausführlichen, modernen Problembeschreibung mit den Aspekten Frieden, Gerechtigkeit und globale Ökologie und der Leitfrage „Was würde Jesus dazu sagen?“ nicht zusammenbekommen und schaffe das bis heute nicht.
Es gibt den Jesus, der „Liebet eure Feinde“ sagt und der damit einen bis heute starken Impuls setzt, es gibt den Jesus, der dem reichen Jüngling rät, seine gesamte Habe zu verschenken, wenn er ihm nachfolgen will, woraufhin dieser lieber auf die Nachfolge verzichtet. Und es gibt andererseits den Jesus, der zur Unzeit Feigen von einem Baum essen möchte, und den Baum verflucht, als der nicht gehorcht, was kaum kompatibel mit modernen ökologischen Vorstellungen erscheint. Ganz davon abgesehen gibt es den Jesus, der sagt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Eine harte Nuss für direktes politisches Christentum.
Von einer Kirche, die politisch meistens hinter der Musik hergelaufen ist, die aktiv an der Kolonisierung der Welt durch europäische Mächte mitgewirkt hat, die Waffen gesegnet hat und bis heute überwiegend die konservativen Kräfte stärkt, habe ich da noch gar nicht angefangen.
In der Zeit um den Kirchentag 1981 und auch danach noch war ich in der christlichen Friedensbewegung aktiv. Ich finde bis heute, dass Jesus einen unübertroffenen Gegenpol zu der üblichen Gewalt-und-Macht-Logik darstellt. Aber die Erwartung, dass aus dem Christentum die Lösung der sehr weltlichen Probleme materieller Gerechtigkeit und Ökologie in der einer multireligiösen, technisch-geprägten und machttechnisch im Umbruch befindlichen Welt kommt, habe ich nicht mehr.
Viele Grüße
Thomas
Jesu Reich ist nicht VON dieser Welt, aber IN dieser Welt. Darum hat es Konsequenzen in dieser Welt. Ich denke, darüber könnten wir einig werden. Ich war in den 1980er Jahren ebenfalls in der christlichen Friedensbewegung aktiv, damals in der ESG in Göttingen und Tübingen, wo ich studierte. Jesus ist auch für mich ein „Gegenpol zu der üblichen Gewalt-und-Macht-Logik" dieser Welt. Gerade darum verstehe ich nicht, dass die, die seinen Namen tragen, diesen Gegenpol nicht abbilden (wollen). Als „Leib Christi" müssten sie das eigentlich tun.
Es gibt zwar hier und da Christinnen und Christen, die sich stark im ethisch-politischen Bereich engagieren. Aber es ist nicht die Masse. Und selbst das, was die Engagierten tun, ist wahrscheinlich zu wenig. Als Angehöriger einer wohlhabenden Mittelklasse kann man gut mal ein paar Almosen abwerfen. Die arme Witwe in der biblischen Geschichte tat etwas anderes: Sie gab alles, was sie hatte. Ich meine damit, dass viel mehr von uns getan werden müsste. Man könnte es ein „einfaches Leben" nennen (ein Begriff schon aus den 80ern), was nicht bedeutet, in eine Hütte im Wald umzuziehen wie Öfföff, aber auch nicht, dem allgemein üblichen materiellen Mittelstandswohlstand nachzujagen.
Die offizielle Kirche, an der ich nicht wenig zu kritisieren habe, ist nun gerade in diesen Punkten relativ deutlich. Man muss nur mal die offiziellen Verlautbarungen zu den genannten ethischen Fragen lesen. Selbst der Papst äußert sich immer wieder sehr kritisch gegenüber Umweltzerstörung, Gier und ungerechte Verteilung der Nahrungsmittel. Dennoch scheint mir auch das alles nicht genug zu sein. Es sind halt nur Worte. Eine überzeugende Kirche müsste selbst vorangehen bei der Vermeidung von Umweltzerstörung, müsste zu einer armen Kirche werden und ihre Machtstrukturen aufbrechen. Wer nur redet, aber nicht entsprechend handelt, wird nicht gehört.
Der Artikel ist zu Pfingsten erschienen, weil ich von Gott Veränderungen erwarte. Ich denke, dass er auch heute Menschen verändert und durch Menschen Gutes bewirkt und dass er es gern noch durch viel mehr Menschen tun möchte. Aber wir können uns dem widersetzen. Wir können den Geist dämpfen und betrüben. Veränderung kommt eben nicht von der Welt, auch nicht vom Christentum in der Welt, sondern von Jesus, der nicht von dieser Welt ist. Wir müssen aber das, was von Gott her in uns ist, zum Zuge kommen lassen. Daran hapert es.
Über die prophetische Zeichenhandlung mit dem Feigenbaum haben wir uns schon andernorts ausgetauscht, das möchte ich jetzt nicht wiederholen. Es geht darin nicht um eine ökologische Problematik, sondern um den Unglauben Israels, veranschaulicht am Feigenbaum.
Viele Grüße
Klaus