Beten macht stark
Ein Gastartikel von Reinhard Häußler | 11/03/2023
Die Bedeutung des Gebets auf den Punkt gebracht hat Martin Luther mit dem Satz:
Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, in Dank und Anbetung.
Gebete können Momente der Ruhe und des Innehaltens schaffen. Da zündet jemand in einer Kirche eine Kerze an und fühlt sich für einen Moment in der Stille mit Gott verbunden. Manch einer spricht im Stillen ein bestimmtes Wort, einen Satz aus der Bibel. Manche summen oder singen leise, zum Beispiel einen vielen bekannten Kanon aus Psalm 113:
Vom Aufgang der Sonnebis zu ihrem Niedergangsei gelobet der Name des Herrn.
Mit einem solchen Herzensgebet findet sich ein Ruhepunkt in den Anforderungen des Alltags. In manchen Kirchen schreiben Besucher ihre Gebetsanliegen in ein ausgelegtes Buch. Viele Menschen aber beten nur in persönlichen Krisenzeiten, wenn sie nicht mehr weiter wissen. Anderen fehlt es schlicht an Worten, um das Herz vor Gott zum Reden zu bringen. Leichter fällt ihnen da, gemeinsam im Gottesdienst vertraute Texte zu beten, zum Beispiel das Vaterunser, das Menschen weltweit miteinander verbindet.
Das Vaterunser ist "eine einzige große Bitte; denn es besteht aus sieben Bittgebeten, einer Selbstverpflichtung und einem abschließenden Segenswort", meint Pfarrer und Liedermacher Clemens Bittlinger. "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern!" Diese fünfte Bitte ist für Bittlinger bedeutsam, weil sie eine Selbstverpflichtung enthält:
Wenn wir diese fünfte Bitte gemeinsam mit anderen am Sonntag beten, dann nehmen wir uns selbst 'ins Gebet' und behaupten, wir würden den anderen vergeben. Das sollten wir dann auch tun. Ohne Vergebung können wir nicht leben.*
Beten entfaltet eine gute Perspektive für einen selbst und für das Zusammenleben mit anderen. Das gilt zunächst für das Dankgebet. Bittlinger konstatiert:
Das Danke-Sagen haben wir verlernt. Dabei ist es so wichtig, dass wir einander wertschätzen. [...] Das Wort 'Danke' ist ein Machtwort, weil es die Liebe ins Spiel bringt und so von innen heraus mein Denken verändert.**
Die alttestamentlichen Psalmen sind vielfach Dankgebete. Ein sehr persönliches Dankgebet findet sich in Psalm 139, Vers 14:
Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast!
Darüber kommt dieser Psalmbeter zum Lobpreis Gottes:
Großartig ist alles, was du geschaffen hast – das erkenne ich an.
Ins Gebet gehört für den Psalmbeter auch die Klage vor Gott. In Psalm 88 finden wir hoch emotionale Sätze (Verse 4a.9b.10a.18.19a):
Schweres Leid drückt mich nieder. Ich bin gefangen und weiß keinen Ausweg mehr. Die Angst bedrängt mich von allen Seiten. Vor dieser tödlichen Flut gibt es kein Entrinnen. Freunde und Nachbarn gehen mir aus dem Weg.
Gott selbst anzuklagen, scheut sich der Psalmbeter nicht (Verse 7 und 9):
Du hast mich in den tiefsten Abgrund gestoßen. Alle meine Freunde hast du mir genommen, voller Abscheu wandten sie sich von mir ab.
Im Blick auf unsere Fürbitten und Friedensgebete fällt auf: Selbst eine aussichtslos erscheinende Krise hält den Psalmbeter nicht davon ab, auf Gottes Hilfe zu hoffen und zu beten (Verse 2a und 3):
Herr, mein Gott, du allein kannst mir noch helfen! Lass mein Gebet zu dir dringen, verschließ deine Ohren nicht vor meinem Flehen!
* * * * *
* Clemens Bittlinger: Machtworte. Was uns bestimmt, ermutigt und befreit. Verlag Herder, Freiburg u.a. 2022. S. 74.
** Clemens Bittlinger: Machtworte. S. 68 ff.
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