„So wahr mir Gott helfe"
Klaus Straßburg | 08/12/2021
Deutschland hat eine neue Regierung. Der Bundeskanzler und die Ministerinnen und Minister wurden heute mit folgender Formel nach Artikel 56 des Grundgesetzes vereidigt:
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Die religiöse Beteuerung am Schluss kann weggelassen werden. Davon wurde ausgiebig Gebrauch gemacht. Der Bundeskanzler und 7 der 16 Ministerinnen und Minister sprachen ihren Eid ohne die religiöse Formel.
Auf die religiöse Formel verzichteten von den Grünen Annalena Baerbock, Robert Habeck, Steffi Lemke, Cem Özdemir und Anne Spiegel sowie von der SPD Bundeskanzler Olaf Scholz, Wolfgang Schmidt und Svenja Schulze.
Überraschend ist dabei, dass der Minister Christian Lindner die religiöse Formel sprach, obwohl er keiner Konfession angehört, und umgekehrt einige Ministerinnen und Minister die Formel wegließen, obwohl sie einer Religionsgemeinschaft angehören.
Keiner Konfession gehören laut TAGESSPIEGEL an: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne), Karl Lauterbach (SPD), Steffi Lemke (Grüne), Christian Lindner (FDP), Svenja Schulze (SPD) und Anne Spiegel (Grüne).
Warum spricht man die religiöse Formel, obwohl man keiner Religionsgemeinschaft angehört? Und warum spricht man sie nicht, obwohl man konfessionell gebunden ist?
Die religiöse Beteuerung „So wahr mir Gott helfe" ist ein öffentliches Bekenntnis und eine Bedingung. Wer diese Worte spricht, bekennt sich dazu, dass es einen Gott gibt, der helfend in unserer Welt wirkt. Und er schwört, dem deutschen Volk zu dienen, unter der Bedingung, dass Gott ihm dabei helfe. Man kann wohl auch sagen, dass damit die Bitte um Gottes Hilfe verbunden ist. „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen [...] werde. So wahr [es geschehen möge, dass] mir Gott helfe."
Die Einsicht hinter diesen Worten ist: Ich bin ein begrenzter und fehlbarer Mensch. All mein Handeln, und geschehe es in bester Absicht, kann fehlgehen und im politischen Kampf untergehen. Wenn mir etwas gelingen, wenn mein politisches Handeln Bestand haben und dem Wohle der Bevölkerung dienen soll, dann muss Gott mir dabei helfend zur Seite stehen, besser noch: dann muss er seinen Segen dazu geben. Gott ist nicht mein Helferlein, sondern ich bin der seine.
Von den 17 heute Vereidigten haben 9 Personen die religiöse Formel gesprochen und 8 nicht. Das ist ein Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit in unserem Land. Nur noch ca. 56 Prozent der Deutschen gehören einer Kirche an. Einige davon sagen, sie könnten ihren Glauben auch ohne Kirche leben. Andere sind zwar Mitglied einer Kirche, praktizieren den christlichen Glauben aber nicht.
Lässt jemand die religiöse Beteuerung weg, dann spricht das nicht dafür, dass er oder sie im christlichen Glauben lebt. Andererseits bedeutet das Sprechen der Beteuerung nicht, den christlichen Glauben zu praktizieren – ebenso wenig, wie eine Kirchenmitgliedschaft bedeutet, dass man im christlichen Glauben lebt.
Umgekehrt bedeutet der Verzicht auf die religiöse Formel aber auch nicht, dass man keine an der christlichen Nächstenliebe orientierte Politik betreibt.
So beteuert Bundeskanzler Olaf Scholz, der erste konfessionslose Kanzler unseres Landes, er sei stark von Glaube und Kirche geprägt worden, vertrete die protestantischen Werte und richte seine politischen Entscheidungen danach aus. Ob man von „Solidarität" oder „christlicher Nächstenliebe" spreche, mache für ihn keinen Unterschied (siehe TAGESSPIEGEL und DERWESTEN).
Ich bezweifle das. Christliche Nächstenliebe ist nicht identisch mit Solidarität. Gottes Wille ist nicht gleichzusetzen mit dem, was Menschen für gut und richtig halten. Darum ist es entscheidend, dass Politikerinnen und Politiker ihr Handeln am Willen Gottes ausrichten.
Doch auch wenn Menschen sich nicht am Willen Gottes orientieren, kann Gott seinen Willen durch sie zum Zuge kommen lassen. Gott kann Menschen, die sich nicht zu ihm bekennen, dazu bringen, seinen Willen durchzusetzen. Ich denke, dass Gott dies täglich in der Welt tut. Ohne dieses Wirken Gottes sähe es sehr viel finsterer in der Welt aus.
Darum ist es nicht unmöglich, dass die neue Regierung eine Politik betreibt, die für unser Land und für die Welt Gutes bringt. Es kann sein, dass Gott die politischen Entscheidungen der neuen Regierung segnet – unabhängig davon, wie sehr die Regierungsmitglieder im christlichen Glauben verankert sind.
Die Aufgabe aller Christinnen und Christen in unserem Land besteht deshalb darin, für die neue Regierung zu beten. Denn jede Regierung braucht – wie wir alle – den Segen Gottes und darum das Gebet um diesen Segen.
* * * * *
schon vor längerem schrieb ich aus ähnlichem Anlass etwas, das Du oben anklicken kannst.
Viele Grüße
Hans-Jürgen
danke für die Verlinkung zu deiner Seite. Ich sehe deutliche Unterschiede zwischen christlichem und muslimischem Glauben. Zu dem Thema habe ich mich schon geäußert in folgenden Artikeln: Ein menschliches Buch (siehe Themenseite unter "Bibelverständnis"), Warum ich an Jesus Christus glaube (Themenseite unter "Sohn Gottes") und "Tägliche Verkündigung per Lautsprecher" (Themenseite unter "Islam").
Wir können dort gern über das Verhältnis der Religionen zueinander diskutieren.
Viele Grüße
Klaus
auch ich sehe deutliche Unterschiede zwischen christlichem und muslimischem Glauben, halte aber daran fest, dass es keinen christlichen und muslimischen Gott gibt (übrigens auch keinen jüdischen, um die dritte, mit Abraham verbundene Religion zu nennen). Mehr wollte ich nicht zum Ausdruck bringen.
Viele Grüße
Hans-Jürgen
ja, es gibt nur einen Gott. Aber nicht alle Religionen bezeugen diesen Gott, und nicht alle Menschen (egal welcher Religion sie angehören) glauben an diesen Gott. Dieser eine Gott, so sehe ich es, ist der an Israel handelnde (wovon das Alte Testament erzählt) und der in Jesus Christus Mensch gewordene (wovon das Neue Testament erzählt). Der Koran knüpft zwar historisch an das Alte und Neue Testament an, beschreibt Gott aber in anderer Weise, als es Altes und Neues Testament tun.
Viele Grüße
Klaus
dass es nur einen Gott gibt (ja, dass es Ihn überhaupt gibt), ist weit verbreiteter Glaube und lässt sich nicht beweisen. Es wird lediglich behauptet und oft genug auch bestritten. Welche Religion die richtige, wahre ist, steht ebenfalls nicht fest. Hinzu kommt, dass man sich auch innerhalb einzelner Glaubenssysteme nicht immer einig ist. So kam es (und kommt es immer wieder) zu Spaltungen und innerreligiösen Kämpfen. Welchen Ansichten über das Wesen Gottes oder, wenn an mehrere geglaubt wird, der Götter man sich anschließt, beruht auf eigener persönlicher Entscheidung. Mitbestimmt wird sie durch Umgebung, Tradition und Erziehung, die auch unvollständig sein oder gänzlich fehlen kann. Schlecht sind in Glaubensdingen Überheblichkeit, Unduldsamkeit und Fanatismus. Bescheidenheit und, nicht leicht zu realisieren, Liebe gegenüber Anders- und Nichtgläubigen als unseren "Nächsten" strebe ich an.
Viele Grüße
Hans-Jürgen
da sagst du viel Wahres: Ob es Gott gibt und ob es nur einen Gott gibt, lässt sich nicht beweisen. Was wäre es auch für eine "Gott", dessen Existenz man mit bestimmten Methoden beweisen könnte? Ein solcher "Gott" wäre ein Stück Welt und nichts anderes. Und weil sich an Gott überhaupt nichts beweisen lässt, gibt es zwischen den Religionen und auch innerhalb der verschiedenen Glaubenssysteme Unterschiede, Spaltungen und Glaubenskämpfe, wie du feststellst. Was der einzelne Mensch glaubt oder nicht glaubt, ist also immer eine persönliche Entscheidung, die sich auf nichts Beweisbares gründen kann und durch vielerlei geschichtliche Gegebenheiten mitbestimmt ist.
Aber was bedeuten nun alle diese Einsichten? Bedeuten sie, dass wir nicht genau wissen, ob es Gott gibt oder ob es nur einen Gott gibt? Bedeuten sie, dass wir im ständigen Schwanken und Zweifeln leben, ob der Gott, an den wir glauben, wirklich existiert? Bedeuten sie, dass wir der Wahrheit unseres Glaubens niemals gewiss werden können, sondern letztlich im Ungewissen bleiben, wer und wie Gott eigentlich ist? Heißt das alles, dass wir uns zwar irgendwann für irgendeinen Gott entscheiden, ohne wirklich zu wissen, ob wir nicht einem Fehlglauben aufgesessen sind und die anderen Religionen oder Glaubensrichtungen vielleicht doch den "wahren" Glauben haben? Oder heißt das, dass es den "wahren" Glauben gar nicht gibt?
Würden wir in dieser Weise glauben, dann wäre unser Glaube eine höchste Ungewissheit, eine letzte Orientierungslosigkeit, ein beständiges Nicht-Wissen um die Wahrheit. So mag es ja für viele Menschen heute wirklich sein, und es ist auch völlig verständlich, dass Menschen bei der Vielfalt von Glaubensangeboten in der pluralistischen Gesellschaft verunsichert, zweifelnd, schwankend sind. Was können wir schon wissen über Gott? Wie sollten wir uns denn sicher sein, dass er so und so ist und nicht ganz anders? Wie sollten wir fehlbare, begrenzte Menschen denn behaupten können, die ewige Wahrheit Gottes zu kennen?
Wir können das alles sicher nicht. Wir sind immer im Zaudern, Zweifeln und Schwanken begriffen. Es bedarf schon Gottes selbst, dass ein Mensch aus seinem Zaudern und Zweifeln herausgerissen wird. So sagt das Neue Testament, dass nicht wir selbst, sondern der heilige Geist Gottes uns "in alle Wahrheit leiten wird". Und nur so geschieht es dann, dass ein Mensch vom Zaudernden und Zweifelnden zum Glaubenden wird. Nur so wird es möglich, dass einem Menschen das vollkommen Unbeweisbare, überall Bestrittene, immer in Frage Gestellte zu einer Gewissheit wird, nein, zum Gewissesten überhaupt - gewisser als alle rationale, "wissenschaftliche" oder "beweisbare" Erkenntnis. Und das ist nun das Wunder des Glaubens, dass ein Mensch der Wahrheit Gottes so gewiss wird, dass alles andere ihm demgegenüber als ungewiss erscheint.
Der christliche Glaube ist kein ungewisser Glaube, weil er durch Gott selbst bewirkt wird, der in uns "Wohnung nimmt". Darum kann der christliche Glaube auch kein "Werk", keine Tat des Menschen sein, sondern er ist ein Geschenk Gottes. Darum ist es auch nicht Sache des Menschen, "zum Glauben zu kommen" oder "sich für Gott zu entscheiden", sondern vielmehr entscheidet sich Gott für den Menschen, und so kommt der Glaube zum Menschen. Uns bleibt daher nur das Gebet um den Geist, um die Kraft zum Glauben, um die Gewissheit, die sich durch nichts irritieren lässt. Unsere Sache ist nicht die Glaubensgewissheit, sondern das Bitten um den täglichen Glauben, so wie um das tägliche Brot.
Dann, wenn Gott sich unser erbarmt und uns mit dieser Gewissheit beschenkt, dann wird unser Glaube sich durch andere Glaubensweisen und andere Religionen nicht irritieren lassen. Dann wird er ihnen gelassen gegenüberstehen, frei von aller Überheblichkeit, aller Unduldsamkeit und allem Fanatismus. Denn überheblich, unduldsam und fanatisch ist doch nur der, der sich seiner Sache im tiefsten Inneren nicht sicher ist. Wer sich aber seines Glaubens gewiss geworden ist, der wird den Anders- und Nichtglaubenden mit Liebe begegnen, der wird sich nicht über sie erheben und sich für etwas Besseres halten; denn er weiß ja, dass er seinen Glauben nicht sich selbst verdankt, sondern dass er ein Geschenk Gottes ist. Gerade der so Beschenkte wird sein Gegenüber als jemanden sehen, den Gott ebenso beschenken möchte, er wird ihn als potentielles Kind Gottes sehen und nicht als jemanden, der ihm seinen Glauben bestreitet. Mag er das auch tun, er bleibt doch ein Kind Gottes, dem es vielleicht nur fehlt, diese seine Kindschaft anzuerkennen. Und ein Kind Gottes hat keinen Grund, einem andere Kind Gottes gegenüber überheblich zu sein.
Nun bleibt es dabei, dass Gott nicht beweisbar ist und auch nicht, ob es nur einen Gott gibt. Und es bleibt dabei, dass es viele Religionen und Glaubensweisen gibt, die alle behaupten, die Wahrheit erkannt zu haben. Und dennoch kann dem von Gott beschenkten Menschen niemand das Maß an Gewissheit nehmen, mit dem Gott ihn beschenkt hat. Gott allein teilt das Maß zu. Er mag dem einen mehr, dem anderen weniger Gewissheit gegeben haben. Alle aber hängen davon ab, von Gott beschenkt zu werden - jeden Tag aufs Neue. Und alle sind aufgerufen, um diese Gewissheit zu bitten - unter der Verheißung, dass Gott denen, die ihn bitten, auch geben wird.
Herzliche Grüße
Klaus
vielen Dank für Deine ausführliche Antwort. Sie gefällt mir sehr.
Interessant finde ich unter anderem Deine Feststellung, dass derjenige, der überheblich, unduldsam und fanatisch ist, im tiefsten Innern seiner Sache nicht sicher ist. Zu Glaubensstreitern vergangener Zeiten mit diesen Eigenschaften gehörte auch der heilige Nikolaus.
Dass der Glaube ein Geschenk Gottes ist und dass Er jedem Menschen das ihm zukommende Maß an Glauben erteilt, denke ich schon lange.
Viele Grüße
Hans-Jürgen
danke für deine Zustimmung, und einen besinnlichen 3. Advent!
Klaus