"Großer Gott, wir loben dich"
Klaus Straßburg | 03/12/2021
Gestern wurde die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel mit einem „Großen Zapfenstreich" geehrt. Die militärische Zeremonie wirkte auf mich vor allem belustigend, und hinter den Begriff der „militärischen Ehren" würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Aber darum geht es mir heute gar nicht.
Mir geht es um die Liedauswahl der Bundeskanzlerin. „Du hast den Farbfilm vergessen", gesungen von Nina Hagen, klingt heute wie eine verklausulierte Kritik am DDR-Regime, in dem eine Schwarzweiß-Ideologie herrschte und dem Leben manche Farben genommen wurden.
Das Lied „Für mich soll's rote Rosen regnen" von Hildegard Knef beschreibt einen Lebensweg: Von der Sehnsucht nach eigener Größe, bahnbrechenden Veränderungen und der Erwartung „sämtlicher Wunder" hin zum Sich-Fügen, Sich-Begnügen und dennoch Kämpfen um Veränderungen, jetzt aber in der Erwartung „ganz neuer Wunder".
Und dann das dritte Lied: „Großer Gott, wir loben dich", aus dem Evangelischen Gesangbuch die Nr. 331 und aus dem katholischen Gotteslob die Nr. 380. Ich weiß nicht, ob sich jemals schon ein Bundeskanzler unseres Landes zum Abschied ein Kirchenlied gewünscht hat. Auch hier setzt Angela Merkel ein Zeichen.
Das Lied beginnt so:
Großer Gott, wir loben dich;
Herr, wir preisen deine Stärke.
Am Ende ihrer Amtszeit, als sie von allen Seiten Lob erfährt, preist die Regierungschefin, die lange Zeit als die mächtigste Frau der Welt bezeichnet wurde, die Stärke Gottes. Was für ein stilles Bekenntnis in einer rein weltlichen Zeremonie! Es geht, auch dann, wenn Menschen Macht haben, nicht um unsere Stärke, sondern um die Stärke dessen, der allein unsere Macht dazu führt, dass sie Gutes bewirkt.
Eine Konsequenz dieses Glaubens sind die Verse, mit denen das Lied endet:
Auf dich hoffen wir allein:
lass uns nicht verloren sein.
Wie sehr gilt das, gerade auch in unserer von Krisen geschüttelten Zeit! Was aus uns wird, liegt nicht an uns, sondern an dem, der uns aus der Verlorenheit retten kann. Beeindruckende Worte, an die uns die ehemals mächtigste Frau der Welt erinnert.
Diese Wort setzen voraus: Unser Handeln, so gut es auch gemeint sein mag, wird niemals vollkommen sein. Wir machen Fehler, auch schwere. Angela Merkel hat auch Fehler gemacht. Und ich setze voraus, dass sie das weiß. Sie hat manches liegen lassen, was hätte bearbeitet werden müssen. Sie hat Entscheidungen getroffen, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen haben. Sie hat mitunter falsche Akzente gesetzt. So, wie wir alle es tun, nur meist nicht mit so weitreichenden Konsequenzen, wie es bei einer Bundeskanzlerin der Fall ist.
Doch welche Fehler wir auch machen: Wie oft mag Gott sie ausgebügelt haben? Wie oft mag er gewirkt haben in der Amtszeit Angela Merkels? Wie oft mag er auch heute in der Welt wirken?
Oft wird beklagt, Gott tue ja nichts gegen das Elend in der Welt. Aber woher wissen wir das eigentlich?
Ich bin überzeugt davon, dass er täglich mehr gegen das Elend tut, als wir uns träumen lassen. Wir sehen es nur nicht. Denn Gott wirkt für uns unsichtbar, still und leise, auf unscheinbare Weise. Er wirkt nicht wie ein magisches Spektakel, wie eine beeindruckende Zaubershow, der die Massen zujubeln. Er wirkt in den unzähligen Gesprächen, Telefonaten, Gesten und gegenseitigen Beeinflussungen, in denen sich menschliche Beziehungen gestalten und Entscheidungen aufbauen. Und er wirkt darin immer zum Guten.
„Lass uns nicht verloren sein": Wie oft mag Angela Merkel das in ihrer Amtszeit gedacht, nein: gebetet haben? Das wird ihr Geheimnis bleiben.
Zu ihrer Auswahl des Kirchenliedes fällt übrigens den meisten Medien nichts anderes ein, als auf ihre Herkunft aus einem Pfarrhaus zu verweisen. Dass sie im christlichen Glauben gegründet sein könnte, übersteigt offenbar die Vorstellungskraft unserer Medienlandschaft.
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