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Wie kommuniziert Gott mit uns?

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Wie kommuniziert Gott mit uns?
Michael Kröger und Klaus Straßburg | 17/02/2022

Die Frage, wie Gott mit uns kommuniziert, scheint ungewöhnlich zu sein. Doch eigentlich geht es um etwas für den christlichen Glauben sehr Wichtiges: Wie kommt es dazu, dass wir von Gott wissen? Was bedeutet es eigentlich, dass Gott mit uns "redet"? Und welche Rolle spielt in Gottes Kommunikation mit uns, dass er auch das hört, was wir zu ihm reden?

Unsere Gedanken entstehen im Dialog mit den Gedanken Anderer. Das gilt auch für unsere Gedanken über Gott. Ich habe deshalb einen schriftlichen Dialog mit dem Kunsthistoriker Michael Kröger geführt, der sich auch viel mit soziologischen Fragen beschäftigt hat. Der folgende Gedankengang ist daraus entstanden:

Klaus:
In unserer modernen Welt wird ja viel von "Kommunikation" gesprochen. Als christlicher Begriff ist das Wort heute eher ungewöhnlich. Es klingt für uns sehr technisch, und wir denken wahrscheinlich zuerst an Telekommunikation oder ähnliches. Dennoch gibt es das, was das Wort "Kommunikation" meint, auch in der Beziehung Gottes zum Menschen. Das Wort kommt ja aus dem Lateinischen. Ich habe deshalb mal in meinem Latein-Lexikon nachgeschlagen. Dort finde ich zum Verb communicare folgende Bedeutungen: „gemeinsam machen, vereinigen; teilen, mitteilen, besprechen mit; verkehren mit; geben, gewähren". Im mittelalterlichen Latein bedeutet das Wort dann auch "die Eucharistie/das Abendmahl empfangen" oder "die Eucharistie/das Abendmahl reichen". Das ist ja schon mal ein ganzes Bündel von Bedeutungen. Du hast dich ja viel mit der Kommunikation in der modernen Gesellschaft beschäftigt. Passen die Bedeutungen, die ich zu dem lateinischen Wort gefunden habe, eigentlich damit zusammen?

Michael:
Ja, die Bedeutungen sind alle für den Prozess des Kommunizierens sinnvoll und zutreffend. Je nach Kontext und Funktion muss ich, um angemessen zu kommunizieren, das entsprechende Verb auswählen: ich teile mich Anderen mit oder ich empfange das Abendmahl. Das Entscheidende einer eher soziologischen Sicht auf die Kommunikation ist dabei, dass sie eine Innenperspektive und eine Außenperspektive miteinander kombiniert. Im Gebet versuche ich beispielsweise, etwa als gläubiger Mensch, der ich bin, in ein Gespräch mit Gott zu gelangen. Ob dieses Gespräch gelingt, ist eine andere Sache. Jeder Akt einer laufenden Kommunikation kommuniziert einen Inhalt und meine aktuelle Sichtweise, meine Beziehung zu dem, was und wie ich hier und jetzt gerade kommuniziere. So gesehen ist meine Vorstellung von Kommunikation immer doppelwertig: Ich weiß und beschreibe ja gerade, dass ich kommuniziere, aber ich weiß nicht genau, wie dieses Kommunizieren bei meinem Gegenüber – in diesem Fall bei Dir – gerade ankommt. Das macht menschliche Kommunikation im Allgemeinen tendenziell unsicher und fehleranfällig, aber auch lebendig und anspruchsvoll.

Klaus:
Ich will mal versuchen, das auf unseren Glauben zu beziehen: Wenn Gott mit uns kommuniziert, dann sind wir ja erstmal die Empfangenden. Wir empfangen das, was Gott uns mitteilt. Oder besser gesagt: Wir empfangen, wie Gott sich uns mitteilt. Denn wenn Gott mit uns kommuniziert, übermittelt er uns ja nicht nur eine Information, sondern er teilt uns auch sich selbst mit. Ich würde mal vermuten, dass das auch in jeder zwischenmenschlichen Kommunikation der Fall ist: Wenn ich kommuniziere, teile ich dem Anderen nicht nur etwas, sondern immer auch mich selbst mit – die Situation, in der ich gerade bin, die Gefühle, die ich gerade habe, meine Beziehung zum Gesprächspartner und so weiter.

Michael:
Deine Aussage "Gott teilt sich uns selbst mit" klingt für mich fast so, als würde ein Beobachter von Außen objektiv protokollieren, wer hier kommuniziert. Zu Recht schreibst du aber auch weiter:  "Wenn ich kommuniziere, teile ich dem Anderen nicht nur etwas, sondern immer auch mich selbst mit." Beide Aussagen erscheinen mir insofern zutreffend, auch deshalb, weil sie Kommunikation im Modell zwischen Sender und Empfängern entstehen lässt. Gott spielt in diesem Fall eindeutig die Rolle des Senders, wir Menschen die Rolle derjenigen, die etwas von diesem Sender namens Gott empfangen.

Die Frage ist hier sogleich: wollen, können oder dürfen wir etwas empfangen? Wie ist unser Empfang durch die Sendung Gottes vorbereitet worden? Und eine weitere, deutlich weiter gehende Frage ergibt sich, wenn wir einmal das abstrakte Empfänger / Senderschema verwandeln würden. Können wir uns Situationen vorstellen, indem Menschen zu Sendern und Gott zum Empfänger wird (ist nicht ein Gebet nach diesem Modell strukturiert?). Und wenn ja, wie würde eigentlich aus unserer Perspektive Gott als Empfänger auf uns reagieren? Und welche Folgen ergeben sich für uns eigentlich aus diesen Perspektivwechseln, die ja doch recht soziologisch daher kommen?

Klaus:
Das sind ja eine Menge Fragen, die du da stellst. Ich will aber zuerst nochmal auf meine Aussage zurückkommen, dass Gott uns sich selbst mitteilt. Wichtig ist hier die Geschichte, in der Mose Gott nach seinem Namen fragt, und Gott antwortet: "Ich werde sein, der ich sein werde" (2Mo/Ex 3,14). Wichtig ist auch die Einleitung zu den 10 Geboten, wo es heißt: "Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten, aus der Sklaverei, herausgeführt hat" (2Mo/Ex 20,2). Und für den christlichen Glauben ist natürlich die Person Jesu besonders wichtig, der ja nach dem Neuen Testament nicht nur Informationen über Gott überbracht hat, sondern in dem Gott selbst gegenwärtig war. Aus alldem geht hervor, dass Gott uns nicht nur etwas über sich mitteilt, sich selbst aber vornehm verborgen hält, sondern dass er uns sich selbst vorstellt, sich selbst zugänglich macht. Und Mose oder Jesu Jünger haben das so erlebt, und später wurde es aufgeschrieben und liegt uns heute in der Bibel vor – wenn man so will als Zeugnis dessen, was Mose und Jesu Jünger erlebt haben.

Jetzt zu deiner Frage, ob wir etwas empfangen können, dürfen oder wollen, wenn Gott uns eine Botschaft sendet. Ich denke, wenn Gott uns etwas sendet, dann will er auch, dass wir es empfangen. Wir sind also offensichtlich mit einem Empfangsgerät ausgestattet, das uns ermöglicht, Gottes Botschaft zu empfangen. So wie Jesu Jünger Augen und Ohren hatten, mit denen sie Jesus hören und sehen konnten. Wenn Gott will, dass wir seine Botschaft empfangen, dann dürfen wir sie auch empfangen. Eine andere Frage ist aber, ob wir seine Botschaft auch empfangen wollen. Und da muss man wohl sehr skeptisch sein. Ich würde mal behaupten, dass wir nicht gerade begeistert sind, wenn jemand zu uns sagt "Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus deiner Sklaverei, deiner Gebundenheit an alle möglichen Mächte, befreit hat", sondern dass wir viel lieber unser eigener Gott sein wollen, der sich selbst aus allem befreit und dazu keinen Gott braucht. Soviel erstmal zu deiner ersten Frage.

Michael:
Deine Formulierung "dass er uns sich selbst vorstellt, sich selbst zugänglich macht", finde ich einerseits faszinierend, weil diese komplexe Art der Formulierung uns zeigt, was Gott in uns bewirkt und für uns möglich macht, und andererseits, weil deine Formulierung für alle anderen bezeugt, wie ernst und ernsthaft du dich mit den Erwartungen Gottes an uns auseinandersetzt.  Faszinierend finde ich jedoch auch, dass man auch so sich immer wieder neu vergegenwärtigen kann, wie Gott in uns (nach-)wirkt: nicht mehr wie in vorchristlichen Zeiten magisch-mythisch, sondern kommunikativ, und das heißt hier: an uns und unseren Glauben glaubend. Das ist für mich eine geradezu tröstliche Perspektive. In seinem letzten Buch "Einzeln sein" schreibt Rüdiger Safranski zu Martin Luther, dass dieser das Gefühl habe:  "Gott handelt in ihm. Es ist so, schreibt er, das Werk Gottes, das Gott in uns tut." (Rüdiger Safranski, Einzeln sein. München 2021, S.36) Aber auch das verschweigt Safranski uns nicht: es entstehe eine "abgründige Paradoxie." Denn der Glaube, dass das Werk Gottes in uns wirkt, entstehe, so Safranski, aus dem hier und jetzt Geglaubten. Ich vermute, du würdest hier formulieren, dass wir das Geglaubte glauben und annehmen dürfen – aus freien Stücken und ganz sicher aus und mit der Gnade Gottes.

Klaus:
Ich finde deinen Vergleich des Wirkens Gottes mit Magie und Mythos sehr interessant. Tatsächlich hat Gottes Wirken mit Magie nichts zu tun, weil es nicht um irgendetwas geht, was der Mensch tut, sondern allein um Gottes Tun. Und mit einem Mythos verbindet Gottes Wirken auch nichts, weil es in den biblischen Schriften nicht um Vorgänge zwischen Göttern, Halbgöttern und Dämonen geht wie bei den alten Griechen, sondern von Anfang an um Gottes Beziehung zu uns Menschen – um seine Kommunikation mit uns. Wenn wir also glauben, dass Gott in der Welt und in Menschen wirkt, dann kann man das eine "Paradoxie" nennen, weil dieser Glaube darin gründet, dass Gott in der Welt und in Menschen wirkt. Martin Luther hätte sogar gesagt: Dieser Glaube kommt nicht aus uns selbst, sondern er wird durch Gottes Geist gewirkt, den er uns schenkt. Wenn wir glauben, dass Gott wirkt, glauben wir das nur, weil er wirkt. Diese "Paradoxie" sagt aber eigentlich nur: Wir haben keine Beweise dafür, dass Gott wirkt. Wir können es nicht schwarz auf weiß belegen. Es ist wie mit der Liebe: Wir können nicht beweisen, dass ein anderer Mensch uns liebt, aber wir vertrauen darauf. Im Glauben kann man aber eine tiefe Gewissheit erlangen, dass Gott Gutes in der Welt und für uns wirkt – eine Gewissheit, die tiefer geht als jeder angeblich "objektive Beweis".

Eigentlich haben wir damit schon eine Antwort auf eine weitere Frage gegeben, die du oben gestellt hast: Wenn Gott mit uns kommuniziert, redet, wie ist unser Empfangen oder Hören seines Redens dann durch Gottes Reden vorbereitet? Ich würde sagen: Gott lässt uns sein Reden vernehmen, er pflanzt vielleicht einen Gedanken oder ein Gefühl in uns ein oder er lässt uns etwas erleben oder lesen, was uns beeindruckt – und dann liegt es an uns, ob wir diesen Gedanken, dieses Gefühl, dieses Erlebnis oder gelesene Wort weiter verfolgen oder ob wir denken: Ich will mich damit nicht beschäftigen, es gibt ja sowieso keinen Gott. Eine interessante Frage wäre allerdings: Woher weiß ich denn eigentlich, dass mir ein Gedanke, Gefühl oder etwas, was mich gerade beeindruckt hat, von Gott geschenkt ist und nicht einfach aus mir selber kommt? Wie unterscheide ich Gottes Reden mit mir von einem Selbstgespräch?

Michael:
Deine zuletzt formulierte Frage wiegt für mich sehr schwer. Ich merke, dass ich mich mit einer Antwort auch schwer tue. Vielleicht fehlt mir (noch) das Vertrauen zu dem, wenn Du beschreibst, wie Gott in uns wirkt. Ich würde, anstatt auf deine Frage direkt und explizit zu antworten, einen anderen Weg einschlagen und einen erweiterten Aspekt ins Spiel bringen:  meine Frage nach meinem Zugang zu Gott:

Wenn uns ein Zugang zu leicht gemacht wird, sind wir unzufrieden und können uns sogar unterfordert fühlen; wenn uns ein Zugang erschwert oder verwehrt wird, fühlt man sich schnell sozial ausgeschlossen und ungerecht behandelt. Auch als Gläubiger kenne ich dieses Problem. Das Problem entsteht, wenn ich, ungeduldig, nach einem Zugang frage. Vor allem nach meinem Zugang zu Gott. Und vielleicht hat ja Gott ein ähnliches Problem mit mir. Wann finde ich einen Zugang zu Gott? Oder findet Gott nicht vielmehr einen Zugang zu mir? Welche Ansprüche weckt eigentlich dieser Begriff – ZUGANG – und welche hohen Erwartungen werden hier – unausgesprochen – ausgesprochen? Gott und die Menschen kommunizieren beide – aber offenbar nicht oder zumindest nicht immer auf Augenhöhe. Gott ist in Sachen Kommunikation kein Experte – oder vielleicht doch? Er kümmert sich vermutlich nicht um ein zu hohes Anspruchsniveau oder um einen ungewissen Erwartungshorizont. Er ist einfach anwesend und handelt einfach – in Beziehung zu uns. Und er findet – häufig wie aus heiterem Himmel – vielleicht nicht gleich einen Zugang, aber so etwas wie einen Umweg zu uns – auch wenn ich kaum ahne, wie und wodurch. Vermutlich durch eben jenes Vertrauen, das er mir und anderen einfach schenkt. Auf jeden Fall völlig gratis, ganz ohne Vorbedingungen. Vielleicht liegt das Problem des Zugangs ja darin, dass wir es uns zu bequem machen. Der Begriff suggeriert, dass wir nur den Schlüssel zum Schloss umdrehen müssen und dann alles wie sonst funktionieren wird. Doch wie ist Gott jemand, der mir wirklich einfach etwas schenkt? Und dazu noch etwas, das so wertvoll ist wie ein grenzenloses Vertrauen? Soweit ich mich heute zurück erinnern kann: Mein größtes Geschenk habe ich erhalten, seitdem ich auf der Welt bin: ich darf diese Welt seit 65 Jahren kennenlernen und darin vor allem auch mein gegenwärtiges Leben, das mir umso kostbarer erscheint, je älter ich werde. Max Frisch hat einmal geschrieben: "Ich mache Erfahrungen eigentlich nur noch beim Schreiben." Ob er dabei auch an Gott gedacht hat? Ich vermute es!

Soziologen haben herausgefunden, dass man sich mit seiner eigenen Meinung dann von einer großen Masse absetzt, wenn man sich eine eigene Meinung erlaubt, nicht alles, was populär erscheint, auch gut findet, sondern auch Mut findet, etwas als nicht gelungen zu bezeichnen. Bezogen auf das Thema "Zugang zu Gott" könnte das heißen: ist nicht vielleicht die Frage nach dem Zugang doch etwas zu einseitig gestellt? Kann man nicht auch davon ausgehen, in seinem Leben vielleicht lange Zeit keinen Zugang zu Gott zu finden (oder gefunden zu haben)? Und kann es dann nicht wie ein Wunder erscheinen, wenn wir plötzlich doch noch so etwas wie einen "Zugang"  finden? Joseph Beuys prägte die Formel des erweiterten Kunstbegriffs – und hat damit die Frage nach dem Sinn von Kunst neu gestellt. Vielleicht gibt es ja auch einen erweiterten Begriff meines Zugangs zu Gott – vielleicht eine Form, die meinem eigenen und unserem Leben eine neue Annäherung (und nicht unbedingt gleich einen vollständigen Zugang) an Gott vermittelt? Insoweit ist dieser Text nun wohl ein Selbstgespräch  – aber eines, bei dem ich doch sicher von Gott unterstützt wurde ...

Klaus:
Ich finde, da bist du sehr tief in die Materie eingedrungen. Im Grunde hast du die Fragen auch schon selbst beantwortet. Ich erlebe es genauso: Es gibt Zeiten, da habe ich das Gefühl, keinen Zugang zu Gott zu haben. Ich zweifle, er scheint mir fremd, meine Gebete scheinen nur bis an die Zimmerdecke zu reichen. Da finde ich deine Frage sehr berechtigt: "Welche Ansprüche und Erwartungen erweckt der Begriff 'Zugang'?" Stellen wir den Anspruch, dass uns Gott immer und überall zugänglich und verfügbar ist? Wollen wir das sichere Gefühl haben, dass wir ihm nah sind oder er uns nah ist? Haben wir die Erwartung, ihn und sein Wirken komplett zu verstehen? Beanspruchen wir, auf ihn einwirken zu können? Solchen Ansprüchen und Erwartungen entzieht sich Gott – zu Recht. Wir würden es auch tun, wenn jemand versuchen würde, uns für seine Zwecke verfügbar zu machen. Der Begriff "Zugang" wird missverstanden, wenn wir denken, wie du schreibst, "dass wir nur den Schlüssel zum Schloss umdrehen müssen und dann alles wie sonst funktionieren wird." Gott funktioniert nicht, sondern liebt. Ich finde, du hast es treffend ausgedrückt: Gott "ist einfach anwesend und handelt einfach – in Beziehung zu uns." Ich würde ergänzen: in Liebe zu uns. Liebe ist eben einfach da, ohne verfügbar zu sein, und sie handelt einfach liebevoll, ohne sich irgendwelchen Ansprüchen zu beugen. Und auch diese Sätze finde ich sehr gut: "Kann man nicht einfach davon ausgehen, in seinem Leben vielleicht lange Zeit keinen Zugang zu Gott zu finden (oder gefunden zu haben)? Und kann es dann nicht wie ein Wunder erscheinen, wenn wir plötzlich doch noch so etwas wie einen 'Zugang' finden?" So sehe ich es auch: Es ist ein Wunder, wenn ein Mensch Zugang zu Gott findet. Es ist nichts, was wir machen können, sondern was uns geschenkt wird. Wir können dieses Geschenk nur annehmen.

Gott kann sich uns also entziehen und vor uns verbergen. Dennoch vergisst er uns nicht. Er weicht nicht von unserer Seite, auch wenn er für uns nicht greifbar und begreifbar ist. Er hört unsere Gebete, auch wenn sie so schwach sind. Er steht zu uns, auch wenn wir zweifeln. Er wirkt Gutes, auch wenn er uns fremd erscheint. In Jes 54,8 heißt es: "Ich habe mein Angesicht im Augenblick meines Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser." Auch wenn er sich vor uns verbirgt, bedeutet das nicht das Ende seiner Gnade. Aber Gott ist kein Wunscherfüllungs-Automat. Manchmal müssen wir auf sein Wirken warten. Manchmal erscheint er unendlich fern von uns. Oft verstehen wir ihn nicht. Das sind Zeiten der Anfechtung, die wir durchhalten müssen.

Aber warum entzieht sich Gott uns, warum lässt er uns warten? Du gibst darauf eine sehr schöne Antwort: "Wenn uns ein Zugang zu leicht gemacht wird, sind wir unzufrieden und können uns sogar unterfordert fühlen." In der Tat: Wenn uns etwas immer zur Verfügung steht, erfüllt uns das nicht. Erfüllen kann uns nur etwas, was uns aus dem Unverfügbaren her anredet – was ein Geheimnis bleibt. Im Verfügbaren, im Bekannten, Entblößten und Entzauberten, begegnen wir immer wieder nur uns selbst. Im Unverfügbaren aber, im Unbekannten, im Geheimnis der Welt, wird es möglich, dass Gott uns begegnet.

Um zu unserer Ausgangsfrage zurückzukehren: "Wie kommuniziert Gott mit uns?" Ich glaube, er kommuniziert auch dann mit uns, wenn er sich uns entzieht. Denn er will uns damit nichts Böses. Er will uns davor bewahren, dass wir meinen, wir hätten ihn im Griff – im Zugriff. Denn das wäre das Ende davon, dass wir uns von ihm lieben lassen.

Michael:
"Ich habe mein Angesicht im Augenblick meines Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen." Ich staune immer wieder über die Weisheit, die wir in der Bibel und durch Gottes Wort hindurch erfahren können. Wenn ich diesen Satz richtig lese, kann ich ihn auf mich beziehen. Buchstäblich. In meiner Erinnerung konnte ich mich in jungen Jahren nie wirklich streiten, kann mich sogar noch erinnern, dass ich lernen wollte, endlich streiten zu können. In deinem Bibelzitat lerne ich hier am Beispiel Gottes, der bewusst seinen Zorn vor uns versteckt, was eben auch möglich ist. Man kann – bildlich gesagt – im Angesicht dieses Satzes auch lebensklug werden: indem ich nicht nur permanent mich selbst beobachte (oder nicht selten auch kontrolliere), sondern im Gegenteil eine erweiterte Wahrnehmung praktiziere. Wenn Gott seinen Zorn vor uns verbirgt, zürnt er uns nicht – jedenfalls nicht direkt. Wir aber können ihn – gerade deswegen? – finden.

Wäre er offen zornig gewesen, hätten wir uns dann noch in ihm erkennen können? Vielleicht erkennen wir hier auch, was geschieht, wenn Gott uns begegnet. Wir bekommen die Chance, von ihm und durch ihn hindurch auch etwas von uns und über uns zu lernen. Das klingt jetzt etwas vermessen – gerade so als wollten wir seine "Leistungen" imitieren. Aber intuitiv wissen wir Menschen, dass wir immer auch Lernende sind (und Lernende bleiben werden!) und zum Glück nicht nur Kommunizierende sind, die täglich neu Funktionales bewältigen müssen. Wir sind erweiterungsfähige Wesen – aber auch: angewiesen auf die Liebe eines Gottes, der zu uns hält und dem wir vertrauen können, auch wenn er uns seinen Zorn nicht zeigt. Vielleicht kann ich auch jetzt erst – mit etwas Abstand zu mir selbst – sagen: Ich versuche, so gut es geht als Mensch zu kommunizieren, mich und damit andere zu verstehen – aber ich will mich gleichzeitig davor hüten, wie Gott zu sein, berauscht von meinen Fähigkeiten, kommunizieren zu wollen, als ob ich allmächtig geworden wäre. Kommunizieren lernen heißt für mich auch, darüber zu staunen, was alles schon in meinem Leben in der Freiheit und mit der Gnade Gottes bereits möglich geworden ist und mit anderen zusammen noch möglich wird ... Und ja, du hast sicher sehr recht: Gott will uns auch vor uns  selbst bewahren – und gerade dann, wenn wir uns noch nicht wirklich als Menschen, die wir sind, kennen.

Klaus:
Ja, ich denke auch, dass wir unser Leben lang in der Beziehung zu Gott dazulernen müssen, man könnte auch sagen: im Glauben wachsen. Wohl dem Menschen, der dazu bereit ist und sich auch in schweren Zeiten nicht von Gott verabschiedet, sondern darauf wartet, dass Gott ihm neu begegnet. Ich glaube, in solchem Warten wachsen wir im Glauben.

Vielleicht wenden wir uns am Ende unseres Gesprächs noch dem Thema "Gebet" zu. Du hast es oben schon mehrmals angesprochen. Und das Gebet gehört ja wahrlich zum Thema "Wie kommuniziert Gott mit uns?" hinzu. Man könnte zwar denken, dass im Gebet doch der Mensch spricht, also kommuniziert, aber nicht Gott. Aber das ist wohl nur die halbe Wahrheit. Ich verstehe das Gebet als ein Gespräch: Zwar spricht der Mensch mit Gott, aber ich gehe davon aus, dass Gott hört und auf das Gebet reagiert. Wäre es nicht so, dann hätte das Gebet keinen Sinn und wäre ein Selbstgespräch. Die Bibel sagt uns immer wieder, dass Gott Gebete erhört und dass wir deshalb alles, was in uns ist, im Gebet kommunizieren können: Wir können weinen, klagen, bitten, danken und Gott loben. Wir können reden, schweigen und hören. Wir können einfach nur vor Gott da sein. Beten ist vielfältig. Wir müssen gar nicht viel reden. Wir können fühlen, was in uns ist, und Gott unsere Gefühle darbringen. Wir können gewiss sein, dass er sie aufnimmt, dass keine Träne bei ihm verloren geht und keine Freude von ihm übersehen wird. Wir müssen keine besonderen Worte benutzen oder uns gewählt ausdrücken. Wir können mit Gott reden, wie uns "der Schnabel gewachsen ist". Beten, das ist für mich auch: reden wie mit einem guten Freund oder einer guten Freundin.

Was du oben über die zwischenmenschliche Kommunikation geschrieben hast, nämlich dass sie tendenziell unsicher und fehleranfällig ist, das trifft wohl auf das Gebet nicht zu. Denn Gott versteht uns, noch bevor wir unser Gebet überhaupt begonnen haben (Mt 6,8). Zwar ist es so, dass wir nicht wissen, was wir beten sollen. Aber Gottes Geist, also Gott selbst, tritt für uns ein (Röm 8,26). Insofern kann die Kommunikation mit Gott im Gebet, wenn es ernst gemeint ist, gar nicht misslingen. Denn Gott ist selbst an dieser Kommunikation beteiligt: Er hilft uns, in rechter Weise zu beten.

Michael:
Hört Gott auf unser Gebet? Sicher bin ich mir da nicht – aber ich bete trotzdem (oder auch deswegen?). Beten war und ist für mich ein Ausdruck von inständiger (manchmal auch ängstlicher) Hoffnung, die einfach nicht vergehen will. Auf dass "keine Träne bei ihm verloren geht", wie du so schön schreibst. So wie mein Schreiben, Leben und Lesen ist für mich Beten eine Art und Weise, um in dieser konkreten Welt zu sein und – manchmal – auch die Anwesenheit und Liebe Gottes zu entdecken und zu spüren. Dass ich und wohl auch viele andere das Gefühl haben, im Gebet nicht erhört zu werden, kann ich mit einer soziologischen Formel von Paul Watzlawick zum Glück entkräften. Dieser prägte ein grundlegendes Axiom, auf das ich im Leben immer wieder zurück gekommen bin: "Man kann nicht nicht kommunizieren." Oder anders: wir dürfen immer, wohl bis an unser Lebensende, hoffen. Und hoffen heißt hier auch: im Gespräch mit Gott und den Menschen zu bleiben – darauf zu vertrauen, dass mein Leben im Angesicht Gottes ein Sinn erfüllt, wohl auch, weil es mir einst geschenkt wurde. "Denn Gott ist selbst an dieser Kommunikation beteiligt" – vielleicht, nein ziemlich sicher ist unser gemeinsamer Dialog von Gottes Gnade berührt ...

Klaus:
Beten als "Ausdruck von inständiger Hoffnung, die einfach nicht vergehen will" – das ist, finde ich, ein schöner Gedanke. Wer betet, der will nicht alles beim Alten belassen und auch nicht nur die Welt, die wir täglich erfahren, für die einzige Wirklichkeit halten. Sondern er will über den Horizont unserer Welt hinausblicken und hofft, dass auch diese Welt täglich anders werden kann, als sie ist. Und manchmal können wir im Gebet etwas von Gottes Anwesenheit und Liebe spüren – aber auch das ist ein Geschenk. Ich spüre das längst nicht immer, und ich denke, wir haben auch keinen Anspruch darauf. Aber ich glaube, dass Gott unsere Gebete erhört, auch wenn er mitunter ganz anders darauf reagiert, als wir es uns vorgestellt haben. Dass die Hoffnung trotz aller Enttäuschungen, die es im Glauben auch gibt, "einfach nicht vergehen will" – ich würde sagen, das ist ein Zeichen dafür, dass Gott in uns am Werk ist; dass da etwas ist, das wir nicht geschaffen haben und das auch nicht so leicht von uns ausgelöscht werden kann: Es will einfach nicht vergehen. Es ist eine gute Macht, die uns bestimmt. Es ist der Geist Gottes, der uns dazu treibt, zu rufen: "Abba, lieber Vater!" (Röm 8,15) Schon diese drei Wörter sind ein Gebet. Und dass wir sie aussprechen – trotz allem –, das ist wirklich eine Gnade Gottes.

Michael, ich danke dir für dieses Gespräch, mit dem wir vielleicht einige Denkanstöße geben konnten zu der im Christentum doch etwas ungewöhnlichen Frage "Wie kommuniziert Gott mit uns?"


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