Was Pfingsten nicht geschah
Klaus Straßburg | 23/05/2021
Da steh ich heute früh gut gelaunt mit der Zahnbürste zwischen den Lippen im Bad, hab das Radio an und höre die 9 Uhr-Nachrichten in meinem Leib- und Magensender, dem Deutschlandfunk. Der bietet eigentlich immer fundierte Informationen.
Doch was ich diesmal im Radio höre, hätte mich fast die Zahnbürste zerbeißen lassen.
Aber der Reihe nach. Der Sprecher spult wie gewohnt das Tagesgeschehen ab. Heute ist Tag des Grundgesetzes (wusste ich noch gar nicht), denn heute vor 72 Jahren wurde das Grundgesetz unterzeichnet. Politiker sagen, was sie an so einem Tag eben sagen müssen. Weitere Meldungen: Demonstrationen in Berlin, Gauck fordert mehr Toleranz, Spahn sagt irgendwas zu Corona, Friedensdemonstration in Israel. Irgendwie das Übliche.
Dann geht es um Pfingsten: Der Papst ruft zur Einheit auf und kritisiert Egoismus, Gier und die Ausbeutung der Natur. Das freut mich, bewegt sich aber noch im normalen Rahmen.
Aber dann kommt's! Das hatte ich nicht erwartet: Die Nachrichten im Deutschlandfunk versuchen zu erklären, was eigentlich Pfingsten ist. Wahnsinn! Ist aber auch nötig in einer entkirchlichten Gesellschaft, wie wir es sind.
Ich habe die Nachrichtensendung später als Podcast nachgehört und den Text mitgeschrieben. Er lautete wörtlich so:
[Pfingsten] geht auf den Glauben an die Dreieinigkeit zurück. Demnach tritt Gott als Vater, als Sohn in Gestalt von Jesu Christi und als heiliger Geist in Erscheinung. Dem Glauben nach fuhr Jesus 40 Tage nach seiner österlichen Auferstehung von den Toten in den Himmel auf. Daraufhin sandte Gott den heiligen Geist zu den Gläubigen. Das Ereignis, bei dem die ersten Menschen vom heiligen Geist erfüllt wurden – es waren die Jünger Jesu –, wird heute als Pfingsten gefeiert. Damit nahm die Ausbreitung des christlichen Glaubens ihren Ausgang. Die Jünger konnten plötzlich alle Sprachen der Welt sprechen und verstehen. Pfingsten gilt daher auch als Geburtsstunde der Kirche.
Den ersten Satz habe ich als lässliche Sünde empfunden. Natürlich geht das Wirken des heiligen Geistes nicht auf den Glauben an die Dreieinigkeit zurück. Der ist erst später entstanden. Andersrum wird's richtig: Der Glaube an die Dreieinigkeit geht unter anderem darauf zurück, wie die Christinnen und Christen das Wirken des heiligen Geistes erlebten. Aber was soll's ...
Doch dann drehte sich etwas in meinem Magen um bei der Formulierung „in Gestalt von Jesu Christi". Ich habe ähnliche Formulierungen schon öfter gehört, aber nicht im Deutschlandfunk. Der müsste eigentlich Genitiv und Dativ unterscheiden können. Aber bei Jesus Christus wird es halt schwierig. Da sind selbst die Nachrichten-Schreiber unsicher.
Aber „Jesu Christi" ist auch totales Kirchensprech und klingt, als würde man sich auskennen. Gott ist der Vater Jesu Christi. Also tritt Gott in Gestalt von Jesu Christi auf. Klingt irgendwie, als wüsste man Bescheid. Wahrscheinlich haben auch viele den Fehler gar nicht bemerkt.
Deshalb hier mal zum Mitschreiben: „Jesu Christi" ist Genitiv. Also bitte beim nächsten Mal: „in Gestalt Jesu Christi" sagen. Oder „in Gestalt von Jesus Christus". Das wäre dann der Dativ.
Den nächsten Nachrichten-Satz hatte ich beim Zähneputzen glatt überhört, weil ich in Gedanken noch mit der „Gestalt von Jesu Christi" beschäftigt war. Er ist mir erst beim Nachhören aufgefallen. Also Jesus fuhr 40 Tage nach seiner Auferstehung in den Himmel auf.
Ich frage mich bei solchen Sätzen immer: Was denkt sich jetzt eigentlich der entkirchlichte Normalbürger? Er wird sich vielleicht fragen: Was heißt das, dass Jesus in den Himmel auffuhr? Gab es einen Fahrstuhl, sozusagen einen Highway to Heaven? Oder hatte Jesus einen Düsenantrieb auf den Rücken geschnallt? Blödsinn, Jesus war wahrscheinlich ein Superheld, wie wir ihn aus Filmen kennen: Spiderman, Batman oder Superman. Oder so was ähnliches.
Und dann denkt der Entkirchlichte: Und das glauben die Christen, dass das wirklich passiert ist? Oh Mann ...
Weil man heute so schnell missverstanden wird, füge ich hier kurz ein: Ich gebe dem Entkirchlichten nicht die Schuld daran, dass er so denkt, sondern eher der Kirche, die nicht daran denkt, wie sie es vermeiden könnte, dass er so denkt.
Aber es kam noch schlimmer in den Nachrichten: Als die Jünger vom heiligen Geist erfüllt waren, konnten sie plötzlich alle Sprachen der Welt sprechen und verstehen.
Fast wäre mir spontan eine ärgerliche Bemerkung entfahren – ging aber nicht wegen der Zahnbürste im Mund.
Was denkt sich jetzt der normal entkirchlichte westliche Mensch? Er denkt: Also nicht nur von Jesu Christi kann man Superfähigkeiten behaupten, sondern auch von seinen Jüngern. Die konnten, als der heilige Geist in ihnen war, urplötzlich, also von einer Sekunde auf die andere, alle Sprachen der Welt sprechen und verstehen.
Wow! Heute war der Deutschlandfunk echt lehrreich. Also der heilige Geist hilft enorm beim Sprachenlernen. Schlecht für Langenscheidt, gut für alle Schüler und Schülerinnen. Diesen Geist hätte ich in der Schule gut gebrauchen können.
Etwas ernstere Zeitgenossen denken vielleicht: Ist schon schräg, was die Christen so glauben. Wenn ich das als Christ glauben muss, dass die Jünger Jesu Christi (Genitiv!) urplötzlich alle Sprachen sprechen und verstehen konnten, dann kann ich wirklich kein Christ sein.
Irgendwie kann ich das nachvollziehen. Leider ist die Kirche dafür mitverantwortlich. Denn sie konnte den Menschen offensichtlich bis heute nicht klarzumachen, dass es bei dieser Geschichte gar nicht darum geht, dass Menschen im Supertempo übernatürliche Sprachfähigkeiten erlangten.
Wie so oft hilft auch hier: genauer hingucken. Die Pfingstgeschichte steht in der Apostelgeschichte, Kapitel 2,1-13. Da heißt es (Verse 4-6):
[Die Jünger] wurden alle mit heiligem Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen auszusprechen gab. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, gottesfürchtige Männer aus jedem Volk unter dem Himmel. [...] Die Menge war in Erregung geraten, weil jeder sie in seiner eigenen Sprache reden hörte.
1. Blöd, dass in Jerusalem nur Männer wohnten. Aber so war das eben damals ... (jedenfalls wenn man die Geschichte für einen historischen Bericht hält).
2. Von plötzlichem Sprachenlernen ist nicht die Rede.
3. Von allen Sprachen der Welt auch nicht.
4. Es geht nicht darum, dass die Jünger übernatürliche Fähigkeiten erlangten, also Superhelden aus Science Fiction-Filmen wurden, sondern darum, dass das Zeugnis von Jesus Christus (Dativ!) die ganze Welt erreicht, wenn der heilige Geist wirkt.
5. Es geht nicht nur um das Bezeugen des Evangeliums in allen Sprachen, sondern auch um das Hören dieses Evangeliums in der ganzen Welt, das ebenso vom heiligen Geist bewirkt wird.
Ich will gar nicht in Frage stellen, dass Wunder geschehen. Die Frage ist nur, worin das Wunder eigentlich besteht:
a) in übernatürlichen Fähigkeiten à la Superman oder der Fantastischen Vier oder
b) darin, dass das Evangelium von einer Handvoll relativ ungebildeter und völlig unbekannter Jüdinnen und Juden (ja, Frauen waren auch dabei) ausging und von ihnen aus seinen Weg durch die ganze Welt machte und überall in der Welt Aufnahme fand?
Was ist wohl das größere Wunder? Ich bin für b).
Wer sich auf das Übernatürliche konzentriert, macht die Jünger Jesu zu Superhelden oder Zauberern und vergisst dabei das eigentlich Wunderbare.
Was haben entkirchlichte Menschen durch diese Nachrichtensendung gelernt? Dass die Christen und Christinnen sich auf dem Niveau von Science Fiction-Filmen bewegen, die ja vielleicht ganz spannend anzugucken sind, die man aber nicht für bare Münze nehmen kann – ist eben Fiktion.
Wir Christen sind daran leider nicht unschuldig. Wir müssten endlich mal deutlich sagen: Leute, es gibt in der Bibel Stellen, die nicht einfach wie historische Reportagen zu verstehen sind. Es geht ihnen nicht um historische Einzelheiten, sondern um theologische Aussagen. Und die theologische Aussage der Pfingstgeschichte ist: Gottes Geist macht es möglich, dass „ungebildete" Leute (einige Jünger waren Fischer) anfangen, Jesus Christus zu verkünden, und Menschen aller Sprachen und Kulturen diese Botschaft zu hören bekommen.
Das sollten wir den Menschen endlich sagen. Aber nicht im Kirchensprech, sondern im Weltsprech. Also: Raus aus der Sprechblase, rein in die Welt, den Leuten aufs Maul schauen, wie schon Luther es tat. Der hatte damit ziemlich großen Erfolg. Oder besser gesagt: Der heilige Geist hat ihn erfolgreich gemacht. Denn der braucht uns zwar nicht, um Leute anzusprechen, aber er würde sich sicher freuen, wenn wir es ihm etwas leichter machen würden.
Aber jetzt noch etwas Positives (schließlich ist Pfingsten): Nach meiner Enttäuschung um 9 Uhr hörte ich heute morgen um 10 Uhr auf WDR 5 einen Radiogottesdienst. An dem kann man zwar auch dies und das aussetzen, aber ich finde, es war auf jeden Fall ein gutes Beispiel für den Versuch, den heiligen Geist zu erfreuen. Durchaus musikalisch, sprachlich und konzeptionell hörenswert.
Ach ja, zum Schluss habe ich noch eine Bitte an den Deutschlandfunk:
Lieber Deutschlandfunk,
bitte, bitte in Zukunft keine theologischen Aussagen machen, die auf Erinnerungen aus dem Konfirmandenunterricht beruhen. Und auch nicht aus fragwürdigen christlichen Büchern abschreiben. Dann schon lieber gar nichts zu christlichen Festen sagen. Wenn aber doch, dann bitte ein bisschen besser informieren oder beim Pastor nachfragen. Der müsste es eigentlich besser wissen. Sicher sein kann man sich aber nicht ...
* * * * *
nur eine kleine Pedanterie von mir: der Dativ von "Christus" ist "Christo", wenn man sich schon des Lateinischen bedienen möchte. "Christus" ist (im Deutschen) sowohl Nominativ wie Akkusativ. Bei Dir ist sozusagen "der Akkusativ dem Dativ sein Feind" - in Anlehnung an einen bekannten, amüsanten Buchtitel. :-)
Viele Grüße
Hans-Jürgen
ja, das Deklinieren der lateinischen Wörter ist lange her: Christus, Christi, Christo, Christum, Christe (Vokativ). Oje oje. Wenn ich damals gewusst hätte, dass ich einmal Theologie studieren würde, hätte ich mich vielleicht etwas mehr angestrengt. Obwohl ich da nicht so sicher bin, denn damals war ich 12ff, und in dem Alter war ich ziemlich verpeilt.
Nun hat sich im Deutschen zum Glück alles vereinfacht, Nominativ, Dativ, Akkusativ und Vokativ lateinischer Wörter sind eins geworden: alles Jesus Christus. Sonst müssten wir solch merkwürdige Sätze sagen wie "Wir beten zu Jesu Christo" oder "Im Namen von Jesu Christo." Oder auch "Wir glauben an Jesum Christum." Das möchte ich keiner Gemeinde zumuten und auch meinen Leserinnen und Lesern nicht.
Also halten wir im Deutschen wenigstens den Genitiv hoch: "Im Namen Jesu Christi." Aber dass der Genitiv nun den im Deutschen an den Nominativ angeglichenen Dativ ersetzt, wie in den DLF-Nachrichten, das geht ja nun wirklich nicht. Sonst ersetzt der Genitiv bald auch den Nominativ und wir müssen sagen "Der Sohn Jesu Christi ist Gott". Aber wer ist der Sohn Jesu Christi? 😕
Viele Grüße
Klaus
danke für Deine Ergänzungen, über die ich mich freue. Seit der Schulzeit liebe ich Latein.
Über Fälle im Lateinischen und Deutschen geht es auch auf der oben anklickbaren Seite.
Viele Grüße
Hans-Jürgen