Was ist Freiheit?
Klaus Straßburg | 11/04/2021
Wir fühlen uns gemeinhin frei, wenn es uns möglich ist, ohne Zwang, Einmischung und Beschränkungen Entscheidungen treffen zu können. Und dann auch so zu handeln, wie wir uns entschieden haben. Kurz gesagt: Wir fühlen uns frei, wenn wir tun und lassen können, was wir wollen.
Wir wissen zwar, dass unsere Freiheit begrenzt ist. Wir dürfen niemanden schädigen. Wir sind an Gesetze gebunden, die das Zusammenleben regeln.
Wir wissen auch, dass wir im praktischen Leben in Verhältnisse eingebunden sind, die unsere Freiheit begrenzen. Wir können zum Beispiel unsere Verpflichtungen in der Familie, in der Schule und im Beruf nicht einfach vernachlässigen.
Dennoch ist es ein hohes, vielleicht das höchste Ideal des modernen Menschen, möglichst frei leben zu können. Ich will mein eigener Herr und meines Glückes Schmied sein. Darum lasse ich mir nicht gern in meine Entscheidungen hineinreden.
Aber könnte Freiheit nicht auch etwas ganz anderes sein? Könnte Freiheit nicht bedeuten, dass ich bedingungslos akzeptiert, anerkannt, ernst genommen, geliebt bin? Ist nicht das die höchste Freiheit, dass ich geliebt bin als der Mensch, der ich bin – mit meinen Ecken und Kanten, Fehlern und Aggressionen, mit meinen Krankheiten und Leiden, mit meinen Verletzungen und Traurigkeiten, mit meinem Egoismus und den Verletzungen, die ich anderen zufüge?
Ich fühle mich dann frei, wenn jemand zu mir sagt: „Es ist gut, dass es dich gibt – so, wie du bist, mit alldem, was nicht gut an dir ist, was du selbst an dir nicht magst und was andere zu Recht an dir nicht mögen; mit alldem, was falsch gelaufen ist in deinem Leben und was du selbst falsch gemacht hast – es ist gut, dass es dich mit alldem gibt!"
Es wird nur wenige Menschen geben, die das von uns sagen. Aber gerade diese Menschen brauchen wir. Und nun sagt auch Gott genau dies zu dir: „Es ist gut, dass es dich gibt!" Der Gott, vor dem wir vielleicht ein schlechtes Gewissen haben oder an den wir gar nicht glauben. Der Gott, der alles Recht hätte, uns zu verurteilen und nichts mit uns zu tun haben zu wollen – dieser Gott findet es gut, dass es dich gibt. Er sucht dich, deine Nähe, und er will ein gutes Leben für dich.
Und weil dieser Gott das Beste für dich will, weil er dein Leben in gute Bahnen lenken will, darum macht es dich frei von Ängsten, ganz seinem guten Willen für dich zu vertrauen und das zu tun, was ER will – denn es ist nur Gutes. Dieser Gott macht keine sinnlosen Vorschriften. Alles, was er von dir will, dient der Welt und dir selbst, dem geliebten Kind, das DU bist.
Unsere Freiheit besteht also gar nicht darin, tun und lassen zu können, was wir wollen. Das ist der große Irrtum des modernen Menschen. Unsere Freiheit besteht vielmehr darin, zu wissen, dass Gott es gut findet, dass es uns gibt, und dann im Einvernehmen mit Gottes Willen zu leben, weil dieser Wille nur das Beste für die Welt und uns selbst will.
Weil ich das weiß, folge ich gern und freiwillig Gottes Willen. Ich muss mich nicht dazu zwingen, denn sein Wille soll mein Wille sein. Ich fühle mich frei, wenn ich seinem Willen, der auch mein Wille ist, folge.
In Unfreiheit begibt sich, wer das Gute für sich selbst und die Welt unabhängig von Gottes Willen sucht; denn er versucht, sein Leben darauf zu gründen, dass er selbst und andere es gut finden, dass es ihn gibt.
Frei fühlt sich derjenige, der sein Leben darauf gründet, dass Gott es immer schon gut findet, dass es ihn gibt. Er braucht deshalb nicht mehr dafür zu sorgen, dass es gut ist, dass es ihn gibt. Er kann ganz mit Gottes Willen einverstanden sein und in Gottes Willen das Gute für sich selbst und die Welt finden.
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mit dem von dir skizzierten Alternativverständnis von Freiheit kann ich nichts anfangen. Bedingungslos akzeptiert, anerkannt, ernst genommen und geliebt beschreibt z. B. die Situation eines Kinds im Mutterleib (im Normalfall), aber mit Freiheit hat diese Situation für mich nichts zu tun.
Ich glaube, dass Freiheit für den Erfolg des Christentums eine große Rolle gespielt hat. Sklaven waren in der Antike (von privilegierten Ausnahmen abgesehen) sehr unfrei, was Freiheit im Sinne von Autonomie anging. Selbst über ihr Leben konnte der Sklavenhalter verfügen. Das Christentum mit seinem Versprechen von Auferstehung und ewigem Leben, verdeutlicht durch einen Religionsstifter, der nach weltlichen Maßstäben genau so unter die Räder gekommen war wie viele Sklaven, aber anschließend als Auferstandener zurückgekommen war, zeigte eine Dimension und einen Weg innerer und zukunftsbezogener Freiheit auf, der für Sklaven sehr attraktiv gewesen sein muss.
Modernere Formulierungen eines christlichen Freiheitsverständnisses, das sich sich für mich mit dem urchristlichen in gewisser Weise deckt, habe ich von D. Bonhoeffer in Erinnerung, z. B. „die Herren dieser Welt kommen und gehen; unser Herr kommt“ oder sein Gedicht „Stationen auf dem Wege zur Freiheit“.
Viele Grüße
Thomas
ein Mensch ist für mich dann frei, wenn er weiß, dass er geliebt ist und diese Liebe nicht mehr verlieren kann. Er kann scheitern, sich verfehlen oder sterben, er weiß, dass er geliebt ist. Die Befreiung besteht darin, dass er für seine Anerkennung, Achtung, Akzeptanz, Würde, sein Angenommensein, seinen Lebenssinn und ethischen Wert nicht mehr sorgen muss, weil für all das schon unverlierbar gesorgt ist; und darin, dass er um sein Leben nicht mehr verzweifelt kämpfen muss, weil ihm auch dies unverlierbar verheißen ist. Diese Freiheit steht auf einem anderen Blatt als dem der Autonomie. Du deutest es selbst an, als du von "einer Dimension und einem Weg innerer und zukunftsbezogener Freiheit" sprichst.
Bonhoeffer meinte mit seinem Gedicht nichts anderes. Oder kurz gefasst: "Die Befreiung liegt im Leiden darin, dass man seine Sache ganz aus den eigenen Händen geben und in die Hände Gottes legen darf" (Brief vom 28.7.1944, in: Widerstand und Ergebung, S. 407). Gerade diese Freiheit setzt verantwortliches Handeln aus sich heraus, weil sie zum Leiden bereit ist. Es ist die Freiheit von der Angst, verfolgt, verspottet, verklagt und vernichtet zu werden. Jesus lebte in dieser Freiheit. Bonhoeffer hat sie in seinem Gedicht beschrieben.
Viele Grüße
Klaus
ich hätte in dem Zusammenhang eine Frage: Weshalb schreibt Johannes "Allen, die ihn aufnahmen, gab er Macht (Autorität), Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben" (Joh. 1,12). Und nicht etwa ".. gab er die Freiheit, Kinder Gottes zu sein" oder gar umgekehrt "alle sind Kinder Gottes und somit frei"?
Auf Freiheit im christlichen Sinn stieß ich 2017 mit Merkels Rede beim Reformationstag. Damals wunderte ich mich sehr, dass man in den Medien hörte, zentral für Merkels Religionsverständnis sei der Begriff der Freiheit. Denn eigentlich kommt Freiheit im Neuen Testament eher wenig direkt vor, z. B. gibt es m. E. keine Seligpreisung, die sich direkt auf die Freiheit bezieht. Auch spricht Jesus von einem "Joch", das zwar leicht ist (Mt. 11,30), aber dennoch ein Joch ist - und nicht Freiheit. Was ich damit sagen will: ein noch halbwegs wertkonservativer Atheist, der sich heute über christliche Freiheit informieren will, würde im NT nicht unbedingt fündig werden. Nicht einfacher wird es auch dadurch, dass in unserer Zeit nahezu alle Begriffe dekonstruiert sind. In meinem Studium hatte ich auch einige Philosophie-Vorlesungen belegt. In Philosophie der Aufklärung zeigte uns der gutmeinende Professor, wie selbst die Bedeutung des Wortes "Liebe" bereits im 18. Jh. ins Wanken geraten ist. Die Gott-Mensch-Beziehung, mit der Du im Beitrag die Liebe Gottes charakterisierst, entspricht ungefähr der Beziehung moderner Eltern zu ihren antiautoritär erzogenen Kindern (wäre vor 500 Jahren sicher anders gewesen). Auch Eltern wollen normalerweise das Beste für ihre Kinder, doch die Kinder werden nur dann davon profitieren, wenn es eine tiefe emotionale Rückbindung an die Eltern gibt, die gerade sehr modern denkende Menschen wiederum eher als Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit empfinden könnten. Mindestens wird dem modernen Menschen in den Medien Ungebundenheit als das höhere Gut angepriesen, obwohl ich vermute, dass die meisten das letztlich anders sehen.
Somit würde ich mit Interesse bei Dir lesen, was die ev. Theologie neben Freiheit zu Begriffen wie "Bund" zu sagen hat.
vielen Dank für deine Fragen. Sie geben mir die Gelegenheit, mein Verständnis noch einmal deutlicher zu machen.
Zunächst möchte ich auf einen Punkt hinweisen, den ich anders sehe als du. Ich bin nicht der Meinung, dass „Freiheit" in der Bibel nur eine untergeordnete Rolle spielt. Immerhin kommen „Freiheit" und „befreien" in der Bibel 25mal vor. Nun kann man sagen: Das ist nicht viel. Man muss aber alle Wörter hinzunehmen, die mit „erlösen" / „lösen" zusammenhängen, z.B. „Lösepreis" für das erlösende Leiden und Sterben Jesu. Das „Lösen" oder „Auslösen" eines Menschen war damals z.B. auch das Freikaufen eines Sklaven. Wenn Jesus als Erlöser bezeichnet wird, weist das also auf seine befreiende Wirkung hin. Die biblischen Belege der Wurzel „erlös-" sind so zahlreich, dass ich sie jetzt nicht gezählt habe. Liest man den Galaterbrief, so erkennt man leicht, dass die Freiheit des Glaubens für Paulus zentral ist.
Aber der lexikalische Beleg ist nicht das Ausschlaggebende. Interessanter ist schon dein Hinweis auf Joh 1,12. Während Paulus in Röm 8,21 von der „Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes" (so wörtlich) spricht, redet Joh von der „Macht (der Glaubenden), Kinder Gottes zu werden". Ich schließe daraus, dass Macht und Freiheit einander nicht ausschließen, jedenfalls nicht im christlichen Verständnis. Im Verständnis des neuzeitlichen Menschen ist das sicher anders: Da ist jede Machtausübung eine Einschränkung der Freiheit eines anderen. Von diesem Verständnis möchte ich mich aber gerade absetzen: Wenn Gott Macht ausübt, ist das befreiend; ebenso wenn die Glaubenden (in rechter Weise) Macht ausüben. Wenn die Glaubenden nach Joh 1,12 Macht haben, Kinder Gottes zu werden, ist das ja nicht so gemeint, dass sie Macht über Gott hätten und sich eigenmächtig zu Gottes Kindern machen könnten. Sie haben diese Macht vielmehr von Gott erhalten (V 13!); sie sind befreit dazu, als Kinder Gottes zu leben, was den nicht Glaubenden nicht möglich ist (V 11: „die Seinen nahmen ihn nicht auf"). Hier fallen Macht und Freiheit also geradezu zusammen: Wir sind zur Macht befreit und haben eine machtvolle Freiheit.
Das möchte ich nun noch im Blick auf das Verhältnis zwischen Freiheit und Autorität, Liebe und Bund konkretisieren. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich sehe darin keine Gegensätze. Der Gegensatz ist ein neuzeitlicher und entsteht dadurch, dass der neuzeitliche Mensch sich gemeinhin eben keine Freiheit vorstellen kann, die einer Autorität unterliegt, und keine Liebe, die gebunden ist. Ich verstehe die christliche Freiheit aber so, dass sie von der Autorität Gottes lebt. Seine Autorität besteht in seiner absoluten Treue, Zuverlässigkeit, Barmherzigkeit und Liebe. Es ist nicht die Autorität eines weltlichen Herrschers, der aufgrund seiner Macht- und Zwangsmittel regiert. Gott regiert vielmehr aufgrund dessen, dass er sich seinem Geschöpf in Treue und Vergebung zuwendet und sich davon durch nichts abbringen lässt. Gott nimmt lieber selber Leiden und Sterben auf sich, als seinem Geschöpf die Zuwendung zu versagen. Gott lässt sich immer wieder von seinem Volk Israel ablehnen und enttäuschen, und er wendet sich diesem Volk immer wieder gnädig zu. Das Fremdwort „Autorität" meint ja auch gar nicht nur die Macht, die auf der Möglichkeit von Gewaltanwendung beruht, sondern auch die überzeugende Macht einer angesehenen Persönlichkeit: Jemand hat Autorität aufgrund seines Wissens, seiner Weisheit und seiner wohltuenden Zuwendung. Dafür gibt es ja auch im menschlichen Bereich viele Beispiele.
Das bedeutet für einen Menschen, der sich der Autorität Gottes unterwirft, dass er sich diese treue und unverlierbare Zuwendung Gottes gefallen lässt und Gott gerade deshalb für ihn Autorität hat. So wird er sich frohen Herzens und freiwillig dem Willen Gottes unterordnen, weil er weiß, dass dieser Gott nur das Beste für ihn will (Röm 8,28). Diese Unterordnung entspricht der Unterordnung Jesu unter Gott: Er wusste sich von seinem Vater geliebt, und es war daher kein Problem für ihn, sich der Liebe an ihn hinzugeben. Das heißt nicht, dass das Leben für ihn eine Leichtigkeit war, im Gegenteil. Aber er lebte in der Gewissheit, geliebt zu sein und diese Liebe auch niemals verlieren zu können. Dasselbe gilt von unserer Beziehung zu Gott.
Diese Beziehung ist für mich nichts Antiautoritäres, so dass ich machen kann, was ich will (das wäre wieder das neuzeitliche Freiheitsverständnis, das allerdings inzwischen auch philosophisch und sogar neurobiologisch radikal in Frage gestellt wird). Sondern es ist für mich die Autorität der Liebe, die sich an mich bindet und an die ich mich dann auch gern binde. Der Bund Gottes mit Israel war ein Bund, den Gott aus Liebe zu dem Volk, das er sich frei erwählt hat, eingegangen ist, und den Israel als befreienden Bund erlebt hat (Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, das Zentralereignis der Begründung des Volkes Israel), in den einzutreten es aufgefordert war (Dtn 7,6-11!). Das Leben in einer Liebesbeziehung bedeutet eben einerseits, sich frei zu fühlen, wie ich es im Artikel beschrieben habe, aber andererseits auch, sich an den Liebenden zu binden, weil man sonst von seiner Liebe nichts hat und sich auch nicht befreit fühlen kann. So gehören Freiheit und Autorität, Liebe und Bund untrennbar zusammen. Der Irrtum unserer Zeit ist, dass viele Menschen frei sein wollen, ohne sich einer Autorität unterzuordnen, und geliebt sein wollen, ohne sich selbst zu binden. Das funktioniert aber nicht und erzeugt immer wieder a) ein Streben nach absoluter Handlungsfreiheit (Autonomie), die ohne Orientierung ist und darum chaotisch und zerstörerisch wird, und b) die Erfahrung, nicht geliebt zu werden, eben weil man sich keiner dauerhaften Bindung hingeben will, die den Liebenden ernst nimmt und den Wegen seiner Liebe folgt, weil man dann die eigene Autonomie aufgeben müsste.
Ich hoffe, deine Fragen und Einwände damit beantwortet zu haben. Wenn noch etwas unklar geblieben ist oder du weitere Einwände hast, lass es mich wissen.
Viele Grüße
Klaus
vielen Dank für Deine erklärende Antwort. Ich für meinen Teil finde die Verwendung des Begriffspaars Freiheit - Bund dennoch iregendwie einleuchtender. Befreiung=Erlösung, ja, aber Vergebung ist in der Freiheit noch nicht ganz enthalten, oder? (Mt. 26,28) Gott befreit Israel aus der Sklaverei, danach schließt er mit ihnen einen Bund etc.
nur um kurz deine Frage zu beantworten: Gottes Vergebung ist für mich geradezu der Grund meiner Freiheit. Denn dass Gott mir vergibt und vergeben wird - treu zu seinem Bund steht -, befreit mich davon, mir das Heil aus eigener Kraft verdienen zu müssen. Der Bund ist insofern ein Vergebungs- oder Gnadenbund - Israel hat ihn immer wieder gebrochen, Gott hat ihn immer wieder erneuert. Und so wirkt Jesu Leiden und Sterben Vergebung und damit Freiheit für alle, die sich vergeben lassen. Paulus würde von der Freiheit vom Gesetz sprechen, die aber keine ethische Gleichgültigkeit bedeutet, sondern im Gegenteil das ethische Handeln begründet. Das ethische Handeln kommt aber jetzt nicht mehr aus Angst vor dem Verlust der Zuwendung Gottes, sondern aus Gewissheit der Vergebung, d.h. bleibender Zuwendung Gottes.