Warum der christliche Glaube befreit
Klaus Straßburg | 16/07/2021
Der Glaube an die Dreieinigkeit Gottes trifft oft auf großes Unverständnis. Das hängt auch damit zusammen, dass die kirchliche Lehre von der Dreieinigkeit (Trinitätslehre) nur schwer verständlich zu machen ist – zumal alles menschliche Denken hier an seine Grenzen kommt.
Einfacher ist es dagegen, deutlich zu machen, warum die Trinitätslehre bedeutsam für den Glauben aller Christinnen und Christen ist. Anders gesagt: Man kann ganz gut erklären, wie wichtig die Trinitätslehre für den Glauben ist.
Ich will das hier versuchen zu erklären.
1. An Gott den Vater glauben
Dass wir an Gott den Vater glauben, heißt: Wir glauben, dass Gott der Schöpfer aller Dinge ist. Er hat auch uns Menschen geschaffen. Gott ist also Gott, und wir sind Menschen.
Diese Unterscheidung ist nicht so trivial, so überflüssig, wie sie scheint. Dass wir Menschen sind und nicht Gott, heißt nämlich: Wir sind begrenzte Wesen. Unser Leben und alles, was wir schaffen, ist begrenzt. Unser Leben wird ein Fragment bleiben, ein Stückwerk (1Kor 13,12). Es wird immer etwas offen bleiben. Wir werden unser Leben nicht vollenden, keine vollendet runde Sache aus ihm machen.
Und so darf es sein. So sind wir geschaffen, dazu sind wir bestimmt. Wir sind begrenzte Geschöpfe, eben Menschen und nicht Götter, und so soll es auch sein. Als diese begrenzten Wesen sind wir von Gott dem Vater geliebt, angenommen, respektiert. Als begrenzte Wesen können wir die Vollkommenheit erlangen, zu der wir bestimmt sind (Mt 5,48).
Es ist befreiend zu wissen, dass wir begrenzte Wesen sind und bleiben werden. Wir müssen nicht mehr aus uns machen, als wir sind. Wir müssen nicht danach streben, unsere Grenzen zu überschreiten. Wir müssen nicht um unser Ansehen kämpfen, weil wir bei Gott schon angesehen sind. Wir müssen das Fragmentarische unseres Lebens nicht überwinden. Mit einem Wort: Wir müssen keine Götter aus uns machen.
Wer dazu steht, dass er Mensch ist und nicht Gott, ist befreit davon, sich zum Gott aufschwingen zu müssen.
2. An Gott den Sohn glauben
Dass wir an Gott den Sohn glauben, heißt: Wir glauben, dass Gott der Versöhner ist. Er hat uns Menschen und die ganze Welt mit Gott versöhnt (2Kor 5,19). Er hat dazu die Gestalt des Menschen Jesus Christus angenommen. In ihm hat nicht einfach ein Mensch gelitten, sondern Gott selbst. Gott selbst trug die Kosten der Versöhnung.
Auch diese Aussage hat große Bedeutung für unser Leben. Denn diese Aussage meint: Wir können die Beziehung zu Gott nicht reparieren. Wir schaffen es nicht, uns selbst mit Gott zu versöhnen. Wir sind nicht eins mit Gott, sondern sind mit ihm entzweit. Und wir werden es bleiben, wenn wir versuchen, die Versöhnung aus eigener Kraft zu bewerkstelligen.
Wir brauchen die Beziehung zu Gott aber auch nicht aus eigener Kraft zu reparieren. Und zwar deshalb nicht, weil sie bereits repariert ist. Gott fordert nichts Unmögliches von uns. Er springt für uns ein und hat das erledigt, was wir nicht schaffen.
Er hat es ganz allein erledigt. Das ist damit gemeint, dass Jesus Gott war. Er war nicht einfach ein menschlicher Helfer für das, was wir selbst zur Versöhnung beitragen können, einer, der unser eigenes Tun ergänzt hätte. Sondern Jesus war der versöhnende Gott selbst.
Versteht man Jesus nur als einen Menschen, dann wird er zum Helferlein für uns degradiert. Nicht Gott versöhnte dann die Welt mit sich selbst, sondern wir mit Jesu Hilfe. Wir sind dann diejenigen, die das Wesentliche tun und nur hier und da noch etwas Support brauchen. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf.
Es ist auch nicht befreiend, sondern setzt uns unter Druck. Befreiend ist es zu wissen, dass wir bereits mit Gott versöhnt sind, bevor wir irgendetwas getan haben. Befreiend ist es zu wissen: Ich muss zur Bereinigung meines Verhältnisses zu Gott absolut nichts beitragen. Ich muss nicht einmal etwas anstreben, was mir dann mit Gottes Hilfe gelingen wird. Gott ist nicht der Helfer, der Notnagel, der den Teil erledigt, den ich nicht schaffe. Sondern Gott erledigt das alles allein. Mir bleibt nur, das, was Gott allein erledigt, zu akzeptieren, zuzulassen (2Kor 5,18.20).
Wer glaubt, dass Gott unsere Beziehung zu sich ein für allemal in Ordnung gebracht hat (Röm 6,10; Hebr 10,10), ist ein für allemal davon befreit, es selber tun zu müssen.
3. An Gott den Geist glauben
Dass wir an Gott den Geist glauben, heißt: Wir glauben, dass Gott der Erlöser ist. Er löst die Fesseln, in denen wir leben. Er befreit uns von unserem Kleinglauben, unseren Zweifeln, unserer Lieblosigkeit. Er befreit uns von unseren bösartigen Gefühlen, Gedanken und Taten. Gott tut das alles in der Gestalt seines Geistes, mit dem er uns von innen her radikal verwandelt, wenn wir es zulassen.
Das hat immens große Auswirkungen auf unser Leben. Wenn wir das glauben, erkennen wir nämlich: Wir können uns nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Unser Unglaube, unsere Lieblosigkeit, unsere Verdorbenheit sind nicht so etwas wie Schwächen, die man mit etwas Konsequenz ausmerzen kann. Es geht nicht um ein paar missliche Charaktereigenschaften, an denen wir, wenn wir uns nur ernsthaft bemühen, arbeiten können. Es geht vielmehr um Abgründe, denen wir nicht entkommen können.
Damit sind nicht nur schlechte Taten gemeint. Unsere Verkommenheit setzt viel früher an. Vor allem zum Glauben sind wir unfähig. Wir wissen nicht, was die Wahrheit ist und was wir glauben sollen. Wir wissen nicht einmal, wie wir beten sollen (Röm 8,26). Wir stochern im Heuhaufen. Wir wissen nichts über Gott, und wir sollten uns das eingestehen. Wenn wir etwas wissen, wenn wir etwas von der Wahrheit erkannt haben, dann hat Gott dieses Wissen, diese Wahrheit in uns eingepflanzt (Joh 16,13a). Nicht wir haben uns die Wahrheit erworben, sondern Gott hat sie uns geschenkt, indem er uns seinen Geist gab, das heißt: sich selbst.
Es ist ein Geschenk, zu dem wir nichts beitragen müssen. Wir sind nicht aufgerufen, das Unsrige zu tun, und dann wird Gott uns auch helfen nach der Devise: „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!" So machen wir Gott zum Lückenbüßer für das, was wir selbst nicht schaffen. Gott ist aber keiner, der die Lücken unseres Unvermögens ausfüllt, sondern er ist der, der uns zu neuen Menschen macht. Er ergänzt nicht unser eigenes Bemühen, sondern er verwandelt uns von Grund auf. Danach können wir uns überhaupt erst bemühen (2Kor 5,17).
Darum ist Gottes Geist keine Kraft, die einspringt, wenn unsere Kraft am Ende ist. Sondern Gottes Geist ist Gott selbst: der, der alles geschaffen hat, und der, der alles neu schafft. Wenn wir Gottes Geist auf eine Kraft reduzieren, setzen wir sie neben unsere eigene Kraft. Unsere Kraft und Gottes Kraft können sich dann schön ergänzen. Gott ergänzt uns aber nicht, sondern erneuert uns radikal. Uns bleibt nur, es dankbar anzunehmen und geschehen zu lassen, wenn Gott uns zu neuen Menschen macht (1Thess 5,19).
Das ist befreiend für uns. Denn wir müssen uns nun nicht mehr anstrengen, die Wahrheit zu erkennen und ein gottgemäßes Leben zu führen. Wir müssen nur noch das tun, was in uns ist, was Gott in uns geschaffen hat. Wie eine Pflanze, die wächst, weil das Wachsen in ihr angelegt ist, so leben wir das, was Gott in uns hineingelegt hat. Auch das mag manchmal anstrengend sein, wie alles in dieser Welt. Aber es ist nicht die Anstrengung, das verwirklichen zu müssen, was noch nicht da ist, sondern das verwirklichen zu dürfen, was schon in uns ist.
Wer glaubt, dass Gott einen neuen Menschen aus ihm macht, ist befreit davon, sich selbst optimieren zu müssen.
4. Die christliche Umkehrung der Reihenfolge
Es ist auch für Christinnen und Christen nicht leicht, die befreiende Kraft des christlichen Glaubens zu verstehen und konsequent zu praktizieren. In unserem Glauben drängt sich nämlich schnell etwas in den Vordergrund, was auch sonst eine entscheidende Rolle in unserem Leben spielt: unser Ich.
Dieses Ich prägt dann auch unsere Vorstellung von der Versöhnung mit Gott: Ich muss an Gott glauben, ihm vertrauen, dann wird er sich mir zuwenden und dann gilt die Versöhnung, die durch Jesus Christus geschehen ist. Weil das Ich so stark ist, bemerken wir gar nicht, wie hier die Reihenfolge der Ereignisse vertauscht ist: Zuerst müssen wir an Jesus glauben, damit dann die Versöhnung, die Jesus bewirkt hat, für uns gültig ist.
In Wahrheit ist es umgekehrt: Jesu Heilswirken ist bereits für uns gültig, damit wir dann auch an ihn glauben. Die Versöhnung geht unserem Glauben voran und gilt unabhängig von unserem Glauben. Unser Glaube kann diese Versöhnung nur dankbar annehmen.
Eine ähnliche Sicht wird oft bezüglich des ethischen Verhaltens vertreten: Wir müssen uns darum bemühen, im Sinne Gottes zu leben, müssen die alten menschenfeindlichen Strukturen hinter uns lassen und neue Menschen werden. Wenn wir das tun, wird der Geist Gottes diese Welt verändern.
Auch hier ist die Reihenfolge der Ereignisse vertauscht. In Wahrheit macht Gottes Geist neue Menschen aus uns, und erst dadurch werden wir in die Lage versetzt, im Sinne Gottes zu leben. Nicht wir sind der Weinstock und der Geist ist die Rebe, sondern Gott ist der Weinstock und wir sind die Reben (Joh 15,5). Oder anders gesagt: Nicht die guten Früchte machen den Baum gut, sondern der gute Baum bringt gute Früchte (Mt 7,17f; Lk 6,43-45).
5. Die jüdische Umkehrung der Reihenfolge
Auch im Judentum und Islam, welche die Trinitätslehre ablehnen, wird die beschriebene Umkehrung der Reihenfolge oft vertreten. Zwar sind beide Religionen vielfältig wie das Christentum. Aber sie betonen stark den menschlichen Anteil an einer intakten Gottesbeziehung.
Für das Judentum zitiere ich hier den bekannten Rabbiner Leo Baeck (1873-1956), der zu seiner Zeit einer der bedeutendsten Vertreter des liberalen Judentums war. Er schreibt:
Der eine Gott, den die Propheten verkündet haben, ist der eine, nicht etwa weil er allein das ist, was die Götter der Heiden zusammen sind, sondern er ist der eine, weil er anders ist als sie, weil das eine Gute in ihm seine Wirklichkeit und Gewißheit hat. Neben dem einen sittlichen Gott können keine andern Götter sein, weil die eine Sittlichkeit nichts andres neben sich duldet. [...] Gott erkennen bedeutet hier nicht, sein Wesen verstehen, sondern sein Walten begreifen, den Weg des Rechten sehen und gehen, den Gott gewiesen hat [...] Je mehr wir wahre sittliche Menschen sein wollen, desto näher sind wir Gott, desto näher ist er uns. Wir können ihn immer finden, wenn unser ganzes Herz sich seinem Gebote zukehrt. [...] Dieses Gute, dieses Sittliche vermag der Mensch zu schaffen, er vermag es zu verwirklichen. Darin bildet er sein Leben, er wird ein Schöpfer des Guten, das Ebenbild des einen Gottes. [...] Das Gute und das Böse ist vor ihn hingestellt, damit er wähle. Auch die Freiheit ist eine sittliche Aufgabe, die Gott in das Menschenleben hineingelegt hat, damit sie erfüllt werde. Der Wille zum Guten ist der Wille zur Freiheit und der Wille zum Leben. [...] Sein [des Menschen] Ziel ist ihm gegeben, zu dem seine Freiheit ihn hinführt. Er vermag, wenn er von ihm [Gott] sich abgewendet hatte, umzukehren, um jetzt den Weg zu gehen, auf dem er Gott findet. Er kann sich versöhnen, sich reinigen. Seine Tat, die sittliche Tat, ist es, die die Versöhnung schafft. Nicht das Wunder und nicht ein Sakrament bringt sie, sondern die Freiheit, die in ihn gelegt ist.
(Walter Homolka (Hg.): Die Lehren des Judentums nach den Quellen. Band I. Neuausgabe. Knesebeck Verlag, München 1999. S. 13f)
Ich lasse diese Sätze so stehen. Die Unterschiede zu meiner oben skizzierten Position sind deutlich. Ich schließe damit keinesfalls aus, dass es Jüdinnen und Juden gibt, die in ihrer Lebens- und Glaubenspraxis von einer Gnade Gottes leben, die all unserem menschlichen Handeln zuvorkommt.
6. Die muslimische Umkehrung der Reihenfolge
Dem Koran zufolge verzeiht Gott alle Sünden, auch die schwersten – wenn der Mensch seine Schuld im Glauben aufrichtig bereut, um Vergebung bittet und sich nach Kräften darum bemüht, die Sünde künftig zu vermeiden.
Sure 4:110
Wenn einer Böses tut oder (indem er sündigt) gegen sich selber frevelt und hierauf Gott um Vergebung bittet, wird er finden, dass Gott barmherzig ist und bereit zu vergeben.
(Alle Koranübersetzungen nach Rudi Paret: Der Koran. Verlag W. Kohlhammer. 6. Aufl. Stuttgart u.a. 1993)
Sure 6:54
Heil sei über euch! Euer Herr hat sich (den Gläubigen gegenüber?) zur Barmherzigkeit verpflichtet. Wenn (demnach) einer von euch in Unwissenheit Böses tut und dann später umkehrt und sich bessert (findet er Gnade). Gott (w. [= wörtlich] Er) ist barmherzig und bereit zu vergeben.
Gottes Barmherzigkeit und Gnade spielen im Koran eine wichtige Rolle. Sie sind aber gebunden an den Glauben des Menschen, seine Reue und Umkehr. Den Ungläubigen vergibt Gott nicht.
Sure 4:17f
Nur diejenigen haben bei Gott Vergebung zu erwarten, die in Unwissenheit Böses tun und hierauf beizeiten umkehren. Diesen wendet sich Gott (gnädig) wieder zu. Gott weiß Bescheid und ist weise. Diejenigen aber haben keine Vergebung zu erwarten, die schlechte Taten begehen (und darin verharren), so dass einer erst, wenn er zum Sterben kommt, sagt: „Jetzt kehre ich um". Auch diejenigen nicht, die als Ungläubige sterben. Für sie haben wir (im Jenseits) eine schmerzhafte Strafe bereit.
Sure 4:168f
Denen, die ungläubig sind und (überdies) Unrecht tun, kann Gott unmöglich vergeben, und er kann sie unmöglich einen rechten Weg führen. Vielmehr (führt er sie) den Weg zur Hölle, damit sie ewig darin weilen. Dies (wahr zu machen) ist Gott ein leichtes.
Natürlich geht es bei alldem nicht nur um eine Reihenfolge dessen, was Gott tut, und dessen, was wir Menschen tun. Es geht vielmehr um das, was Gottes Liebe und Versöhnung auszeichnet.
Sure 3:31f
Wenn ihr Gott liebt, dann folgt mir [Mohammed], damit (auch) Gott euch liebt und euch eure Schuld vergibt! Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben. [...] Gehorchet Gott und dem Gesandten [Mohammed]! Wenn ihr euch abwendet (seid ihr eben ungläubig). Gott liebt die Ungläubigen nicht.
Ich erinnere daran, dass dem Alten Testament zufolge Gottes Liebe zu seinem Volk Israel und zur gesamten Menschheit trotz des menschlichen Abfalls von Gott Bestand hat (Gen 8,21f; Ps 103,8-14). Israels Liebe zu Gott ist das Gelten-lassen der befreienden Liebe Gottes zu Israel. Und das Neue Testament macht deutlich, dass die Versöhnung mit Gott nicht nur denen gilt, die sich zu ihm bekennen, sondern auch seinen Feinden, den Gottlosen (Röm 5,6.10).
Ich schließe auch hier überhaupt nicht aus, dass Muslime in der Gewissheit einer solchen bedingungslosen Liebe Gottes leben, auch wenn sie nicht ausdrücklich an einen dreieinigen Gott glauben.
7. Befreiender Glaube an den dreieinigen Gott
Die Trinitätslehre bezeugt, dass Gott (was seine Beziehung zu uns angeht) alles für uns erledigt, ohne von unserem Beitrag abhängig zu sein. Sie bezeugt also die Freiheit Gottes.
Die Trinitätslehre bezeugt, dass es (was unsere Beziehung zu Gott angeht) nichts gibt, was wir aus eigener Kraft erledigen müssen. Sie bezeugt also unsere Freiheit.
Der dreieinige Gott ist der Grund der Freiheit, die wir so sehr suchen, aber außerhalb einer dem christlichen Glauben entsprechenden Lebenshaltung nicht finden.
Der christliche Glaube befreit uns erstens davon, den fragmentarischen Charakter unseres Lebens überwinden zu müssen. Er befreit uns zweitens davon, unsere Beziehung zu Gott in Ordnung bringen zu müssen. Er befreit uns drittens davon, unsere Erkenntnis und unser Leben perfektionieren zu müssen.
Es ist unerklärlich, dass wir uns diese dreifache Befreiung nicht gefallen lassen wollen.
* * * * *
nachdem ich den Titel dieses Beitrags gelesen hatte, war ich überrascht, dass danach eine Abhandlung über die Trinitätslehre kommt. Ich halte die Trinitätslehre für eine theologische Kopfgeburt, die bereits in sich unlogisch ist, und die unplausibel ist, weil Jesus und die frühen Apostel weit überwiegend Juden waren, die meiner Meinung nach an den einen Gott und nichts anderes geglaubt haben. Nicht von ungefähr hat es über die Trinitätslehre einigen Streit gegeben. Die Trinitätslehre befreit meiner Meinung nach schon deshalb nicht und bewirkt auch sonst nicht viel, weil kaum jemand sie wirklich versteht und verstehen kann.
Was am Christentum meiner Meinung nach befreit, ist die Botschaft vom auferstandenen Christus, der dem Tode die Macht genommen hat. Das hat gezündet in der damaligen Sklavenhaltergesellschaft, wo der Herr den Knecht ohne weiteres töten konnte, ohne dafür bestraft zu werden. Das hat dafür gesorgt, dass die Botschaft von Jesus sich über die Lebenszeit der unmittelbaren Augenzeugen hinaus so stark und dauerhaft verbreiten konnte, und das ist auch heute noch eines seiner stärksten und befreiendsten Versprechen.
Viele Grüße
Thomas
ich finde auch, dass die Botschaft, der auferstandene Christus habe dem Tode die Macht genommen, ein wichtiger Bestandteil des christlichen Glaubens ist. Diese Botschaft wirkt auch, wie du sagst, befreiend. Sie "funktioniert" aber meiner Meinung nach nur, wenn Christus nicht ein Mensch wie jeder andere oder auch ein außergewöhnlicher Mensch oder gesegneter Prophet war, sondern wenn er den einen Gott repräsentiert. Denn nur Gott kann dem Tode die Macht nehmen. Ebenso ist der heilige Geist nicht einfach eine göttliche Kraft unter anderen Kräften, sondern er repräsentiert Gott selbst, der machtvoll in der Welt wirkt. So gesehen ist die Trinitätslehre gar nicht so unverständlich: Als Vater, Sohn und heiliger Geist wirkte und wirkt der eine und derselbe Gott auf Erden. Oder umgekehrt ausgedrückt: Der Sohn war nicht einfach ein Prophet unter Propheten und der heilige Geist nicht einfach eine gute Macht unter guten Mächten , sondern beide waren eins mit dem Vater, wenn auch nicht identisch mit ihm.
Man muss (und kann auch gar nicht) die Trinität (also Gott) vollkommen verstehen, wenn man an Jesus Christus (als der, der unter anderem dem Tode die Macht genommen hat) und an den heiligen Geist (als die Leben schaffende Kraft des Wirkens Gottes auf Erden) glaubt.
Viele Grüße
Klaus
dass Jesus entscheidend mehr war als ein Prophet, nämlich als Jesus der Christus Teil der göttlichen Trinität, ist ein Alleinstellungsmerkmal des Christentums und insofern im Wettbewerb mit anderen Religionen sehr wünschenswert; das ist mir schon klar.
Was mich aber viel mehr interessiert, ist die Wahrheitsfrage: Stimmt das auch?
Hier stelle ich fest, dass wir über Gott nicht wirklich etwas wissen. Genau betrachtet wissen wir noch nicht einmal, ob es Gott überhaupt gibt. Vor diesem Ausgangspunkt halte ich es für weder sinnvoll noch vertretbar, weiter zu detaillieren, z. B. in Form einer Trinitätslehre.
Jemanden oder etwas zu repräsentieren, ist für mich übrigens etwas völlig anders, als mit ihm identisch zu sein. Der deutsche Botschafter in Tokio z. B. repräsentiert die Bundesrepublik Deutschland, ist aber keineswegs mit ihr identisch.
Viele Grüße
Thomas
die rein intellektuelle Frage, ob das alles auch stimme, stellt sich auch mir immer wieder. Dennoch lebe ich aus dem Vertrauen, dass es stimmt. Ich lebe aus einer Gewissheit, die ich erlangt oder besser empfangen habe, auch wenn diese Gewissheit intellektuell immer wieder hinterfragt werden kann und hinterfragt wird. Sie ist kein Wissen im Sinne von intellektueller "Sicherheit" (was immer das sei) oder von "belastbaren Belegen", wie du das gerne nennst. Darum unterscheide ich Wissen und Gewissheit. Und die Gewissheit des Glaubens ist mir, wenngleich von Zeit zu Zeit angefochten, zu einer Gewissheit geworden, die alles intellektuelle Wissen übersteigt. Das ist der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft und den wir uns nicht selber schaffen können, sondern der uns geschenkt werden muss. Zu diesem Geschenk gehört auch ein - wenn auch bruchstückhaftes (1Kor 13,12) - Wissen um Gottes Gnade, Vergebung, Liebe, Fürsorge, Gericht etc. "Belastbare Belege" im säkularen Sinn gibt es aber für dieses Wissen nicht. Es gibt also offenbar verschiedene Arten von Wissen bzw. Gewissheit: solche, die auf intellektueller Sicherheit / belastbaren Belegen beruhen und solche, die auf innerer Überzeugung / persönlichem Vertrauen beruhen.
Dass trinitarische Einheit nicht gleich Identität ist, habe ich bereits oben geschrieben.
Viele Grüße
Klaus
vielen Dank für Deinen wieder einmal guten und inhaltsreichen Aufsatz, auch für die Kommentare von Thomas und Dir! Vieles hast Du wieder so formuliert, wie ich es „glaube und fühle“.
Erläutert hätte ich gerne Deine Aussage im zweitletzten Absatz:
„Er befreit uns zweitens davon, unsere Beziehung zu Gott in Ordnung bringen zu müssen.“
Gruß
Friedo
vielen Dank für deinen netten Kommentar! Ich freue mich über die Übereinstimmungen zwischen uns.
Danke auch für deine Frage. Der Satz, den du erläutert haben möchtest, ist so isoliert, wie er dort steht, wirklich missverständlich. Im zweitletzten Absatz habe ich versucht, die vorangehenden Abschnitte 1 bis 3 meines Artikels zusammenzufassen. Der von dir genannte Satz soll den Abschnitt 2 zusammenfassen, der mit "An Gott den Sohn glauben" überschrieben ist. Ich wollte mit einem einzigen Satz zusammenfassen, was ich unter Punkt 2 so ausgeführt habe: Wir brauchen die Beziehung zu Gott nicht aus eigener Kraft zu reparieren. Wir müssen zur Bereinigung unseres Verhältnisses zu Gott nichts beitragen. Wir müssen die Versöhnung mit Gott nicht erledigen, weil er sich bereits mit uns versöhnt hat.
Bei solchen Aussagen stellt sich immer die Frage, welchen Anteil denn nun der Mensch an der Versöhnung habe. Ich würde darauf antworten: An der Versöhnung hat er keinen Anteil. Sein Anteil besteht darin, auf die geschehene Versöhnung zu antworten. Aber auch diese Antwort ist nichts, was der Mensch aus eigener Kraft zuwege bringen kann. Sondern "Gott wirkt in euch beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen" (Phil 2,13). Wenn wir die Versöhnung annehmen wollen und das auch tatsächlich tun (jeden Tag aufs Neue!), dann ist das ein Werk Gottes, das er in uns wirkt. Und wir tun nur das, was in uns ist. Wir tun das Selbstverständliche, so wie ein verhungernder Bettler das Brot annimmt, das ihm das Leben rettet. Das ist nach meinem Verständnis keine "Entscheidung", also eine Abwägung ("Soll ich das Brot nun annehmen oder nicht?"), sondern es ist das Selbstverständliche, eigentlich das einzig Mögliche. Dass es dennoch geschieht, dass Menschen dieses Brot NICHT annehmen, ist das Unbegreifliche, das eigentlich Undenkbare, Unmögliche, es ist eine Entscheidung, die man nur als krank bezeichnen kann und die aus der Unfreiheit heraus getroffen wurde, sich nicht lieben lassen zu wollen oder zu können. Der Mensch, der sich nicht lieben lassen will, der sich nicht mit Gott versöhnen lassen will, ist der Mensch, der so sehr in sich selbst verschlossen ist, dass man ihn nur als zuhöchst krank bezeichnen kann, gefangen in seiner Verirrung, in seiner Zerstörungswut, die sich auch gegen ihn selbst richtet (man denke eben an einen Verhungernden, der die ihm hingehaltene rettende Nahrung nicht annimmt: Was würden wir über den sagen? Wir würden sagen, er brauche dringend ärztliche Hilfe, man könne sein Verhalten nicht ernst nehmen, weil er sich selbst zerstöre).
Ich habe das mit anderen Worten im vorletzten Absatz des Punktes 3 "An Gott den Geist glauben" so ausgedrückt:
"Das ist befreiend für uns. Denn wir müssen uns nun nicht mehr anstrengen, die Wahrheit zu erkennen und ein gottgemäßes Leben zu führen. Wir müssen nur noch das tun, was in uns ist, was Gott in uns geschaffen hat. Wie eine Pflanze, die wächst, weil das Wachsen in ihr angelegt ist, so leben wir das, was Gott in uns hineingelegt hat. Auch das mag manchmal anstrengend sein, wie alles in dieser Welt. Aber es ist nicht die Anstrengung, das verwirklichen zu müssen, was noch nicht da ist, sondern das verwirklichen zu dürfen, was schon in uns ist."
Das Annehmen der in Christus geschehenen Versöhnung gehört also in den Abschnitt über den heiligen Geist, weil er dieses Annehmen in uns wirkt, wobei wir uns aber diesem Wirken verweigern können.
Ich hoffe, es ist damit deutlich geworden, was ich mit dem von dir genannten Satz sagen wollte.
Viele Grüße
Klaus