Reich Gottes – Raum der Lebenslust
Was ist das Reich Gottes? (Teil 1)
Klaus Straßburg | 07/06/2023
Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße [= kehrt um] und glaubt an die Frohe Botschaft [= das Evangelium]!
Mit diesen Worten begann Jesus sein öffentliches Auftreten (Mk 1,15). Er verkündigte die Nähe des Gottesreiches und erzählte viele Gleichnisse von diesem Reich. Manchmal ist auch vom "Himmelreich" die Rede. Man kann auch "Gottesherrschaft" oder "Königsherrschaft Gottes" übersetzen. Das griechische Wort, das an diesen Stellen steht, lässt mehrere Übersetzungen zu.
Aber was ist eigentlich das Reich Gottes?
Es wäre toll, wenn wir jetzt eine Gesprächsrunde eröffnen könnten und jeder seine Gedanken zum Reich Gottes einbringen könnte. Es kämen sicher viele unterschiedliche Aspekte des Reiches Gottes zusammen, und alle könnten etwas zum Verstehen beitragen.
Nun können wir leider keine Gesprächsrunde einrichten. Aber wir können jemanden befragen, der sich zeitlebens mit dem Reich Gottes beschäftigt hat. Es ist der evangelische Theologie Jürgen Moltmann, der viele Jahrzehnte in Tübingen lehrte und im April seinen 97. Geburtstag gefeiert hat. In seinem Buch "Wer ist Christus für uns heute?"* beschreibt der Theologe unter anderem sein Verständnis des Reiches Gottes. Dieses Buch lege ich einer kleinen Reihe über das Reich Gottes zugrunde, die mit diesem Beitrag beginnt.
Moltmann bezieht sich zum einen auf die Gleichnisse vom säenden Bauern, von der Saat, die von selber wächst, und vom kleinen Senfkorn, aus dem ein großer Strauch hervorgeht (Markusevangelium Kapitel 4). Der Same wird gesät, damit er Frucht bringt, und aus einem kleinen Anfang entstehen ohne menschliches Zutun große und wunderbare Wirkungen. In Mk 13,28f wird die ganze frühlingshafte Natur zum Gleichnis des Reiches Gottes: Alles wächst und blüht, neues Leben entsteht in reicher Fülle.
Zum andern bezieht sich Moltmann auf die Gleichnisse, die von einem Verlieren und Wiederfinden reden (Lukasevangelium Kapitel 15). Ein Schäfer verliert eins von seinen Schafen, verlässt die 99 anderen, um das eine zu suchen und ist voller Freude, als er es wiedergefunden und gerettet hat. Ebenso wird eine Frau von großer Freude erfüllt, die ihren verlorenen Silbergroschen wiederfindet. Und Jesus deutet beide Gleichnisse folgendermaßen: So, wie beide voller Freude über das Wiedergefundene sind, so bricht im Himmel eine riesige Freude aus über nur einen einzigen Sünder, der Buße tut.
Schließlich folgt das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Als dieser nach Hause zurückkehrt, ist die Freude des Vaters so groß, dass er ausruft (Lk 15,24):
Dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden worden.
Und der Sohn bekommt das beste Kleid angezogen und einen Ring an die Hand, das gemästete Kalb wird geschlachtet und ein riesiges Freudenfest wird gefeiert.
Und nun hören wir, wie Jürgen Moltmann diese Gleichnisse deutet:
Was also heißt nach diesen Gleichnissen "Reich Gottes"? Es ist nichts anderes als die Freude Gottes über das Wiederfinden seiner verlorenen Geschöpfe. Und was ist die "Buße, die der Sünder tut"? Sie ist nichts anderes als "Gefundenwerden" und "Heimkehren" aus der Entfremdung, als "Wieder lebendig werden" und Einstimmen in die Freude Gottes. Das Reich Gottes wird erfahren, wo so etwas mit uns geschieht, wo wir blühen und grünen wie die Blumen und Bäume im Frühling und wieder lebendig werden, weil wir die große, unerschöpfliche Liebe spüren, aus der alles Leben hervorgeht. Wo wir die Lebenslust Gottes in seiner Freude über uns erfahren und unsere Lebensgeister wieder erwachen, da ist das "Reich Gottes" keine fremde Herrschaft, sondern die Lebensquelle. Da ist das Reich Gottes der weite Raum, in dem wir uns entfalten können, weil es in ihm keine Bedrängnis mehr gibt. Erfahren wir das Reich Gottes so, dann nehmen wir die Fülle unserer Lebensmöglichkeiten wieder wahr. *
Das Reich Gottes ist ein Raum der Freude und Lebenslust Gottes. In diesen Raum werden wir Menschen hineingenommen, wenn Gott uns findet und wir uns von ihm finden lassen und zu ihm heimkehren. "Buße tun" heißt (wörtlich übersetzt) nicht eine Strafe abbüßen, sondern umkehren – heimkehren zu Gott und einstimmen in die Freude Gottes über das Leben und unser eigenes Lebendigwerden.
Denn im Reich Gottes gibt es keine Entfremdung mehr: weder zwischen Mensch und Gott noch zwischen Mensch und Mensch; aber auch keine Entfremdung des Menschen von sich selbst und von der Schöpfung Gottes. Dann blüht und grünt das Leben wie im Frühling, wenn alles zu neuem Leben erwacht und die Lebensgeister sich regen.
Das ist eine, wie ich finde, geradezu poetische Beschreibung des Reiches Gottes. Sie ist ungewohnt für mich, weil ich mir das Reich Gottes noch nie mit Hilfe der Natur und der in ihr sichtbaren "Lust auf Leben" vorgestellt habe – obwohl Jesus doch so viele Naturgleichnisse erzählt hat. Und auch der Gedanke an die Freude und Lebenslust Gottes war mir nicht besonders wichtig. Ich finde es sehr ansprechend, dass Gott Lust am Leben hat, am eigenen und am Leben seiner Geschöpfe, an dem er sich über alles freut.
Und weil es um solche Lebensfreude geht, handelt es sich beim Reich Gottes auch nicht um ein unterdrückendes und bedrängendes Herrschen Gottes – wie man beim Wort "Gottesherrschaft" denken könnte. Es gibt Menschen, die so intensiv von anderen beherrscht wurden, dass sie von einem Herrschen Gottes verständlicherweise nichts wissen wollen.
Ihnen möchte ich sagen: Gottes Reich ist die Quelle des Lebens, kein Zwang und keine Fremdherrschaft. In Gottes Reich wird niemand bedrängt und unterdrückt. Im Gegenteil: Dort können wir uns entfalten, dort treten wir aus unserem engen und eingeschränkten Lebensraum heraus in den weiten Raum unendlicher Lebensmöglichkeiten, in einen Raum, in dem wir endlich die Lebensfülle auskosten können, die uns so oft verwehrt geblieben ist.
Im Reich Gottes sind wir ein Teil des blühenden und grünenden göttlichen Lebens, von dem jeder Frühling ein Gleichnis und Vorschein ist.
* * * * *
* Jürgen Moltmann: Wer ist Christus für uns heute? Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1994. Das Zitat aus diesem Buch findet sich auf Seite 15. – Das Taschenbuch ist gut verständlich geschrieben und erscheint mir als eine Kurzfassung der Theologie des weltweit bekannten Theologen Jürgen Moltmann. Es ist bereits in 7. Auflage erschienen und für 18 Euro im Buchhandel erhältlich (128 Seiten).
Weitere Teile der Reihe zum Reich Gottes:
Teil 4: Reich Gottes – geheilte Lebendigkeit.
Teil 5: Reich Gottes – Glück der Armut.
Foto: Klaus Straßburg.
an einer Umfrage über ein "Reich Gottes" würde ich mich nicht beteiligen. Bereits die Existenz Gottes ist eine spekulative Annahme. Das habe ich immer im Hinterkopf, auch als Gläubiger. Warum sollte ich da noch weitere Ebenen draufsetzen? Reich-Gottes-Vorstellungen gibt es fünf Kilo für den Groschen. Überprüfbar ist nichts davon.
Aus dem Stichwort Entfremdung des Menschen von sich selbst höre ich Karl Marx sprechen. Mit der Schaffung des neuen Menschen der Kommunisten ist es bisher nichts geworden, ebenso wenig wie mit der Naherwartung des Reichs Gottes bei den frühen Christen.
Und was die Entfremdung von der Natur angeht: auch die Naturvölker, die so naturnah und naturverbunden leben, wie es nur geht, haben ähnliche menschliche Themen wie wir auch. So jedenfalls die Berichte von Menschen, die sie besucht oder bei und mit ihnen gelebt haben.
Ich werde jedenfalls mein Leben leben, das tun, was mir vor die Hand kommt, und versuchen, diese Welt ein wenig besser zu machen. Anstatt jetzt über das Reich Gottes zu sinnieren und vielleicht später, wenn es doch so etwas gibt, zu bereuen, im Hier und Jetzt nicht das getan zu haben, was jetzt dran ist.
Viele Grüße
Thomas
vielen Dank für deine Stellungnahme. Ich kann allem, was du schreibst, zustimmen. Das alles sagt aber nichts darüber aus, ob es ein Reich Gottes gibt oder nicht. Sicher haben wir es mit dem christlichen Glauben nicht immer leicht. Es gibt genügend Anlässe, ihn für eine Illusion zu halten. Es gibt ausreichend Erfahrungen, Zweifel anzumelden. Dennoch glaube ich, dass Gott uns im Glauben Gewissheit schenken möchte und dass wir darum bitten können. Wir wissen zwar nach Paulus nicht, was wir beten sollen, aber dabei "vertritt uns der Geist selbst mit unaussprechlichem Seufzen" (Röm 8,26).
Ich denke auch, dass wir alle nur das tun können, was uns "vor die Hand kommt". Und dann zu versuchen, "die Welt ein wenig besser zu machen", kann schon sehr viel sein. Für mich schließt das aber nicht aus, sondern ein, über das Reich Gottes nachzudenken, weil es mich nicht davon abhält, "die Welt ein wenig besser zu machen", sondern gerade dazu motiviert.
Das Reich Gottes ist für mich übrigens nicht nur eine zukünftige Größe, sondern ist uns schon jetzt nahegekommen, wie Jesus sagte. Es ist schon ansatzweise da. Aber dazu komme ich noch in einem späteren Teil der Reihe zum Reich Gottes.
Viele Grüße
Klaus
Das Wort "Lebenslust" erscheint mir sehr beschränkt und unangebracht in einer endlichen Struktur, wie in unserer dramatischen weltweiten Lebensumgebungen und ihren weltweiten Lebensbedingungen. Ich kann mit dem Begriff herzlich wenig anfangen. Passender finde ich den Begriff "Lernlust", "Heiligkeitslust", uvm. Mir wäre das erfüllende Glück und die tiefe Zufriedenheit wichtiger als das Leben selbst. Final muss man immer die Lust am Leben loslassen können, damit der Egoismus oder das Egozentrische das Böse nicht fördern kann.
ich kann mir vorstellen, dass das Wort "Lebenslust" Anstoß erweckt, weil es egoistisch missverstanden werden kann. Ich meine damit aber nichts anderes als das, was du mit anderen Begriffen beschreibst. Ist das erfüllende Glück und die tiefe Zufriedenheit nicht Lust am Leben? Auch die Ausrichtung auf den Nächsten, die Nächsten- und Feindesliebe, fördert doch Lebenslust auf allen Seiten.
Ich verstehe Lebenslust nicht als egoistische Lust am eigenen Leben, sondern als Lust an Gott, seinem Willen und seinem Reich und darum auch am Leben aller seiner Geschöpfe und an der Förderung und Bewahrung dieses Lebens. Ps 1,1f: "Wohl dem Manne, ... der sein Gefallen (seine Lust) hat an der Weisung Jahwes." Zur Lebenslust gehört für mich also auch Lernlust und "Heiligkeitslust".
Ich hätte auch "Lebensfreude" schreiben können, aber "Lebenslust" schien mir etwas pointierter, weil der Glaube den ganzen Menschen ergreift und "Lust auf mehr Reich Gottes" macht und weil der Glaube ja oft genug ein lustfeindliches Bild abgegeben hat. Dem wollte ich entgegenwirken, weil der Glaube genau das Gegenteil ist, nämlich eine Lust am Leben und auf das Leben (was nichdt heißt, dass es in diesem Leben auch viel Leid gibt). Ich hoffe, du weißt, was ich meine.