Reich Gottes – Einladung zur Freundschaft
Was ist das Reich Gottes? (Teil 2)
Klaus Straßburg | 17/06/2023
Wir leben von der Gemeinschaft mit anderen Menschen. Nichts ist schöner, als mit Freunden zusammen zu sein, von denen man verstanden wird, bei denen man anerkannt ist, bei denen man Fehler machen darf und dennoch respektiert wird.
Man muss nicht immer mit Freunden zusammen sein. Es gibt auch Menschen, die gern allein sind. Aber ganz ohne Freunde wird niemand glücklich werden.
Jesus hat die Gemeinschaft mit Menschen gesucht – besonders mit denen, die allgemein einen schweren Stand hatten: die abgelehnt, verachtet und links liegengelassen wurden.
Zum einen sind da die "Zöllner und Sünder". Das sind Menschen, die als Verbrecher und Gottlose galten. Von ihnen hielt man Abstand, denn mit ihnen wollte man nicht in einen Topf geworfen werden.
Jesus hat es anders gemacht. Er hat den Kontakt zu den zweifelhaften Typen, die angeblich von Gott und von Moral nichts wissen wollten, geradezu gesucht. Er hat sie in seine Gemeinschaft aufgenommen und mit ihnen gegessen (Lk 15,2). Im Lukasevangelium wird erstaunlich oft von Jesu Mahlzeiten zusammen mit anderen berichtet. Jesus schätzte offensichtlich gutes Essen. Und er speiste vorzugsweise mit denen, die als Sünder gemobbt wurden und vom sozialen Leben ausgeschlossenen waren. Sie lagen ihm besonders am Herzen.
Beim Essen und Reden mit Jesus haben diese Leute gespürt, dass sie, was immer sie getan hatten, angenommen waren. Gemeinsam mit Jesus haben sie das Essen genossen und sich den Wein schmecken lassen. Sie werden nicht nur ernst miteinander geredet haben, sondern auch geflachst, so wie wir es mit Freunden tun. Sie haben einander zugehört und ihre Probleme besprochen. Jesus war ein einfühlsamer Zuhörer. Er hat die Sünder nicht verurteilt, sondern zum Gottvertrauen aufgerufen. Jeder hat die Chance, noch einmal neu zu beginnen. Natürlich hat Jesus den Sündern auch ein Leben im Glauben und in der Nächstenliebe vor Augen gemalt und ihnen klargemacht, wie befreiend und sinngebend solch ein Leben ist.
So haben diese Leute das Reich Gottes erlebt. Denn mit dieser Tischgemeinschaft hat Jesus die zukünftige Gemeinschaft mit Gott vorweggenommen. So wie Jesus auf Erden die Sünder an seinen Tisch bat, so werden die Sünder und Zweifler, die Außenseiter und Ausgeschlossenen einst von Gott eingeladen werden. Und alle, die diese Einladung annehmen, werden die Freude im Zusammensein mit Gott erleben (Lk 14,15-24).
Es ist eine Wohltat für die Seele, wenn man sich in einer Gemeinschaft aufgenommen fühlt. Wenn man weiß: Dort werde ich nicht schief angeguckt, dort werde ich nicht bewertet und dort fragt mich niemand, wie stark mein Glaube ist. Dort habe ich Freunde, die zu mir halten, auch wenn ich aufs Neue Mist bauen werde. Sie werden mich auch dann wieder in ihren Kreis aufnehmen. Ich bin nicht allein.
Jesus eröffnet den glaubensschwachen und moralisch unvollkommenen Menschen das ewige Heil bei Gott, indem er sie spüren lässt, dass Gott sie liebt. Und zugleich eröffnet er ihnen die Heilung ihrer sozialen Außenseiterposition. Wenn sie zum Freundeskreis Jesu gehören wollen, gehören sie auch zu Gott und zum Freundeskreis der Glaubenden. Darum wird Jesus auch Freund genannt – "Freund der Zöllner und Sünder" (Lk 7,34; 12,4; Joh 15,13-15).
Die bedingungslose Liebe, mit denen Jesus den Menschen begegnete, gab ihnen die Kraft, eine Lebenswende zu vollziehen. Wer sich geliebt weiß, muss nicht stark sein. Er kann seine Schwächen erkennen und bereuen. In der Nähe Jesu lernten die Menschen, was Leben bedeutet: in die Gottesgemeinschaft gerufen zu sein und der Menschengemeinschaft zu dienen. Paradebeispiel dafür ist der Betrüger Zachäus, der sein Leben änderte, nachdem er Jesu Zuwendung erfahren hat (Lk 19,1-10).
Für die, die sich selbst für gut halten, ist Jesu Gemeinschaft mit Zöllnern und Sündern ein Skandal. Jesus ist ein Unruhestifter, der die gesellschaftliche Wertordnung durcheinanderbringt (Lk 15,2; 19,7). Doch die gesellschaftliche Wertordnung ist nicht identisch mit dem, was im Reich Gottes gilt.
Indem Jesus die Wertordnung der Mächtigen in Frage stellt, macht er ihnen ihre eigene Fehlbarkeit und Selbstgerechtigkeit bewusst. Er hält ihnen einen Spiegel vor (Lk 11,37-53). So richtet er sie, um sie zu retten. Er richtet also sowohl die Kriminellen, die gegen die gesellschaftliche Ordnung verstoßen, als auch die Autoritäten, die ihre Hände in Unschuld waschen und selbstgerecht über andere urteilen. Er richtet sie aber nicht, indem er sie vernichtet, sondern indem er sie so, wie sie sind, annimmt, ihnen den Spiegel vorhält und zu einem neuen Leben im Reich Gottes einlädt.
Nur die Liebe heilt alle Wunden. Wenn die Sünder angenommen werden, beginnen sie, ihren Selbsthass aufzugeben und sich wieder in einem positiven Licht zu sehen. Wenn die Übeltäter Liebe erfahren, wird es ihnen möglich, ihr Leben zu verändern, weil sie erfahren, dass das gute Leben nicht im Besitz vieler Dinge besteht, sondern in vertrauensvoller und verlässlicher Gemeinschaft. Wenn den Selbstgerechten ihre eigene Fehlbarkeit deutlich wird, hören sie auf, sich über andere zu erheben. Sie werden demütig und gemeinschaftsfähig.
So kommen im Reich Gottes alle zusammen, die die Einladung annehmen. Niemand hält sich mehr für besser als die anderen, und niemand muss sich für schlechter halten als die Masse.
Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, Freunde zu haben, auf die du dich verlassen kannst und die für dich da sind. Du bist endlich zu Hause. Denn im Reich Gottes gibt es einen Platz für alle. Wo dieses Reich schon heute Wirklichkeit wird, ist das Leben Genuss und Freude pur.
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Weitere Teile der Reihe zum Reich Gottes:
Benutzte Literatur: Jürgen Moltmann: Wer ist Christus für uns heute? Chr. Kaiser / Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1994. S. 18f.
Foto: Klaus Straßburg.