Persönliche Gedanken über das christliche Schreiben
Klaus Straßburg | 21/07/2021
Alles, was ich hier schreibe, ist Stammeln und Stückwerk.
Gott ist größer als alle meine Vorstellungen von ihm. Mein Verstand kann ihn nicht fassen.
Ich habe keine Beweise dafür, dass es wahr ist, was ich schreibe. Ich habe für die Wahrheit keine Anhaltspunkte, die nicht bestreitbar wären.
Ich habe die Wahrheit nicht. Denn die Wahrheit ist eine Person: Jesus Christus (Joh 14,6). Und diese Person entzieht sich – mehr noch als alle anderen Personen – dem Gehabt-Werden.
Was ich habe und woran ich mich halte, sind die biblischen Schriften. Aber auch sie sind nichts als Stückwerk, wie der Apostel selbst schreibt (1Kor 13,12).
All unsere menschlichen Gedanken über Gott werden dem nicht gerecht, von dem sie reden. Sie wollen das Unsagbare sagen.
Warum schreibe ich trotzdem?
Weil ich eine Hoffnung habe: die Hoffnung, dass Gott gnädig ist und durch mein Stammeln spricht; dass er selbst sagt, was ich nicht sagen kann.
Ich glaube, dass der Geist Gottes mich dann, wenn er es will, in die Wahrheit leitet (Joh 16,13). Ich habe dann nicht die Wahrheit, sondern ich bin aus ihr (Joh 18,37b). Das heißt: Ich lebe aus der Wahrheit, sie ist mein Lebensgrund, die Wahrheit hat mich.
Mit dem, was ich schreibe, kann ich nur die Wahrheit bezeugen, und zwar nach meiner Über-Zeugung in dem Moment, in dem ich es schreibe.
Je länger ich über Gott nachdenke und je mehr ich von ihm schreibe, desto unwohler wird mir bei diesem Wort: Gott. Dieses so oft benutzte, abgenutzte, missverstandene und missbrauchte Wort. Dieser Name, den wir alle nicht verstehen, weil wir das, was er bezeichnet, nicht verstehen.
Der Dichter Kurt Marti hat davon geschrieben: Gott ist ein Wort, das eine ungeheure Passion durchgemacht hat und noch durchmacht.
Aber ich habe kein anderes Wort für das, wovon ich schreiben will.
Will ich schreiben? Oder muss ich?
Ich schreibe, weil es in mir ist. Ich schreibe, was in mir ist.
Da ist etwas in mir, eine Gewissheit, die mir, sobald ich ihrer allzu gewiss geworden bin, schon wieder zwischen den Fingern zerrinnt. Und obwohl sie mir zerrinnt, ist sie niemals tot, sondern unverwüstlich, lebendig, als sei sie unzerstörbar.
Da sind Gedanken in mir, die allesamt nur menschliche Gedanken sind. Sie sind angefochten, verunsichert, bezweifelt.
Was von alledem ist wahr angesichts der Wahrheit Gottes? Was kann den beschreiben, dessen Friede alles Verstehen übersteigt? (Phil 4,7)
Ich kann ihn nicht beschreiben. Ich will es auch nicht. Nur ER selbst kann sich bezeugen (Joh 15,26). Meine Worte werden wahr dadurch, dass ER sie wahr macht.
Es muss etwas passieren mit meinen Worten. Sie müssen gesegnet und neu geschaffen werden. Sie müssen, wie man es ausdrücken könnte, getauft werden von IHM selbst.
Wenn ich von ihm ER sage, trifft es schon nicht mehr. Wenn ich von ihm ES sage, trifft es auch nicht. Es ist eben unsagbar.
Dennoch darf ich DU zu ihm sagen. Das DU ist wohl das angemessenste Wort für ihn.
Gelobt seist du, zu dem ich DU sagen darf.
Gelobt seist du, der du dich durch mein Stammeln verständlich machst.
Gelobt seist du, der du in mir Wohnung genommen hast (Joh 14,23), dich in mir festgesetzt hast und mich nicht mehr loslässt.
Gelobt seist du, der du in mir redest, so dass ich nicht schweigen kann.
Gelobt seist du, der du mich – trotz all meiner Anfechtungen und Zweifel – immer wieder deiner Liebe und deines Wirkens gewiss werden lässt.
* * * * *
danke für diesen Beitrag! Ich finde ihn mutig, authentisch und viel besser als vieles andere Reden und Schreiben von Gott, das eine Sicherheit vortäuscht, die nicht vorhanden ist.
Auf dieser Basis kommen wir zusammen.
Viele Grüße
Thomas
danke für deine Zustimmung!
Viele Grüße
Klaus
auch ich finde, wie Thomas: deine Gedanken und Sätze authentisch - auch weil sie ihre LeserInnen zum Weiterdenken ermutigen. Aber was heißt in diesem Kontext eigentlich genau "mutig"? Sollten nicht jede und jeder Gläubige das Recht haben, solche und ähnliche mutigen Gedanken zu äußern? Du schreibst: "Es muss etwas passieren mit meinen Worten." Wie wahr! Ich habe das Recht mir meine eigenen Gedanken zu machen. Dieser Gedanke stimmt mich frohgemut - Danke für deine Anregungen !
Viele Grüße
Michael
ich könnte mir vorstellen, mit "mutig" ist gemeint, dass sich nicht alle Christinnen und Christen zur Begrenztheit und Fehlbarkeit ihrer Erkenntnis bekennen, weil sie Angst davor haben, dass sie dann nicht mehr ernst genommen werden und dass ihrer Bezeugung des Evangeliums dann etwas von seiner Autorität genommen wird; sicher auch Angst, dass ihr eigener Glaube dann verunsichert wird.
Ich bin auch der Meinung, dass jeder glaubende Mensch das Recht hat und sogar die Pflicht, der Begrenztheit seiner Erkenntnis Ausdruck zu verleihen, weil diese Begrenztheit in der Natur der Sache liegt und es zur Überheblichkeit führt, wenn sie ignoriert wird.
Natürlich hat auch jeder Mensch das Recht, sich seine eigenen Gedanken zu machen - im Bewusstsein, dass er sich irren kann, dass er sein Leben lang dazulernen sollte und dass er stets der Gnade Gottes bedarf, um vor dem Irrtum bewahrt zu werden. Das Vertrauen darauf, dass Gott das auch (soweit er es will) tun wird, ist für mich ein Aspekt christlicher Freiheit: Ich bin nicht selbst dafür verantwortlich, die Wahrheit zu finden (was ich auch gar nicht kann), sondern sie wird mir geschenkt!
Vielleicht gibt es da eine Parallele zur Kunst, in der der kreative Impuls ebenfalls nicht von uns "gemacht" werden kann, sondern geschenkt werden muss. Wobei man in der Kunst wohl ohne Gott auskommt, sondern es beim kreativen Erlebnis um ein seelisches Geschehen geht, das sich auch ohne die Prämisse "Gott" einstellen kann, oder?
Viele Grüße
Klaus
ob mit oder ohne einen Gott - ein gelungenes Kunstwerk verunsichert mich; eine gelingende Auseinander-setzung mit uns selbst und unseren Zweifeln, stärkt meinen Glauben und vermindert meine Ängste. Das ist, finde ich, kein geringes Geschenk.
In diesem Sinne - glauben wir an ein gelingendes Leben.
Viele Grüße
Michael
Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die bewusst gewordenen und verarbeiteten Zweifel nicht mehr im Unbewussten ihr Unwesen treiben können und dass etwas Gelungenes uns (wenn wir selbstkritisch sind) auch die Relativität alles Gelungenen bewusst machen kann. Ein gelingendes Leben wäre dann eins, das sich seiner Relativität, seiner Begrenztheit, seines fragmentarischen Charakters bewusst ist. Das fällt mir gerade spontan dazu ein.
danke für Deinen ungewöhnlich offenherzigen Artikel. Im Kern enthält er, dass wir nichts wirklich Konkretes, Beweisbares über Gott wissen und aussagen können. Wir glauben, zum Teil, das, was andere lange vor uns aufschrieben und was bis heute in Bibelauslegungen und von der Kanzel verbreitet wird.
Um Ihn zu loben und zu preisen, versah man Gott mit schmückenden Attributen und bildhaften Namen wie Löwe, Fels, Burg u. a. Sie alle wurden von Menschen erfunden. Auch dass Gott (die) Liebe ist, wird immer wieder behauptet. Dem kann ich nur eingeschränkt zustimmen und bedauere das.
Mit herzlichem Gruß
Hans-Jürgen
danke für deine Rückmeldung. Mit dem Wissen über Gott ist es schwierig, weil es verschiedene Arten von Wissen gibt. Es gibt z.B. das empirisch belegbare Wissen oder auch ein bewährtes Erfahrungswissen. Es gibt aber auch ein Wissen, das auf einer inneren Gewissheit beruht, die weder empirisch belegbar noch durch Alltagserfahrungen zustande gekommen ist. Es gründet eher im Vertrauen zu einer Person oder auch zu Gott. Dass Gott vertrauenswürdig ist, lässt sich weder empirisch belegen noch durch Alltagserfahrungen bewahrheiten, weil diese immer so oder so gedeutet werden können. Dennoch kann diese Gewissheit (ich spreche lieber von Gewissheit als von Wissen) fester in uns verwurzelt sein als alles angeblich belegbare oder bewährte Wissen. Denn auch das empirische Wissen ist ja, wie die Wissenschaftsgeschichte zeigt, längst nicht so unhinterfragbar, wie es oft empfunden wird.
Insofern würde ich schon von einem "Wissen" über Gott sprechen, das aber, wie alles menschliche Wissen, nicht vollkommen ist, sondern Stückwerk, wie Paulus selbst schreibt. Das ändert aber nichts daran, dass ein Mensch sich seines Glaubens gewiss sein kann, gewisser sogar als aller anderen Gegebenheiten. Auch wenn der Zweifel immer wieder am Glauben nagt, kann doch eine stärkere Gewissheit in ihm sein. Das habe ich im Artikel versucht zu beschreiben.
Zur Bedeutung der Bibel gibt es mehrere Artikel, die auf der Themenseite unter dem Stichwort "Bibelverständnis" zu finden sind. Einen davon habe ich oben mit meinem Namen verlinkt.
Letztlich machen wir den Glauben nicht selbst, sondern können nur um ihn bitten - und uns die offenen Hände füllen lassen.
Herzliche Grüße
Klaus
Hallo Michael,
du fragst, vermutlich bezogen auf meinen Kommentar zu Klaus' Beitrag, was in diesem Zusammenhang mutig heißt. Dazu folgendes: Wenn sich Klaus als studierter Theologe und Pastor so äußert, ist das in meinen Augen schon etwas Besonderes. Ich habe viele Prediger, Missionare und auch Theologen erlebt und erlebe sie noch immer, die eine enorme Glaubenssicherheit vor sich her tragen, als ob sie die Weisheit mit Löffeln gefressen oder eine besondere göttliche Offenbarung empfangen hätten. Und ich glaube, dass das von vielen Gemeindemitgliedern auch so erwartet und mit entsprechender Anerkennung honoriert wird.
Wenn jemand aus dieser Linie ausschert, kann es für ihn schwierig werden. Deshalb finde ich diesen Beitrag mutig.
Viele Grüße
Thomas
Danke für Eure Reaktionen! Ja, es ist sicher mutig sich als Theologe und Pastor deutlich Selbstzweifel zu erlauben und damit auch seine Gemeinde produktiv zu verunsichern. Ich empfinde diese offen geäusserten Zweifel vor allem als authentisch - womit ich gerne eine Brücke zur Kunst schlagen möchte.
Von Kunstwerken, die mich wirklich im Innersten berühren, komme ich oft sehr lange nicht los. Joseph Beuys, der in seinen rätselhaften Werken immer wieder verschlüsselt seine Vergangenheit thematisierte, ist so ein Künstler, der authentisch seinen Glauben die Kunst lebte : ernsthaft, visionär, melancholisch aber immer auch begabt mit rheinischen Humor und Lebendigkeit. " Ich habe keine Zeit zu sterben. " (J.B.) Mutig war Beuys zu sich selbst. In diesem Sinne habe ich viel von diesem Visionär gelernt...
herzlich grüsst euch
Michael
Zitat: "Wie kann ich etwas Wahres über Gott schreiben, wenn er doch unbegreiflich ist?" Obwohl evidenzbasierter Glaube nicht wirklich funktioniert, ist der apostolische Glauben klar logisch aufgebaut. Glaubhafte Zeugen vorausgesetzt gibt es eine Weitergabe dessen, was uns Jesus verlässlich über Gott erzählt hat bis zum heutigen Tag. Ist das nicht befreiend, dass man die Wahrheit nicht jeden Tag selbst neu erfinden muss, sondern dass man lediglich ein Glied in einer langen Kette ist? Du hast meine ich selbst gelegentlich betont, dass Glauben ein Geschenk ist. Oder ist es so, dass wir nicht mehr glauben, was wir glauben, weil wir den Zweifel längst zum höheren Prinzip erhoben haben?
danke für deine berechtigte Frage.
Ich stimme dir zu darin, dass es befreiend ist, sich auf glaubhafte Zeugen und Zeuginnen verlassen zu können. Wir sind auf sie angewiesen. Jeder Christ hat seinen Glauben von solchen Menschen bezeugt bekommen, und alle zusammen haben wir die biblischen Zeugen als Grundlage unseres Glaubens. Insofern kann es gar nicht darum gehen, die Wahrheit neu zu erfinden, sondern lediglich darum, sie neu zu bezeugen.
Ich stimme auch zu darin, dass der formulierte Glaube keine logischen inneren Widersprüche enthalten sollte. Dennoch müssen wir uns bewusst sein, dass der Friede Gottes „allen Verstand überragt" (Phil 4,7 wörtlich) und dass „wir nur teilweise erkennen ... Wenn aber das Vollkommene kommt, wird das Teilweise zunichte gemacht werden" (1Kor 13,9f wörtlich; Luthers Übersetzung ist natürlich schöner). „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in rätselhafter Erscheinung, dann aber von Angesicht zu Angesicht" (1Kor 13,12).
Das bedeutet: Unsere Erkenntnis Gottes ist unvollkommen, es gibt sie sozusagen nur unter Vorbehalt besserer Erkenntnis, die wir auch spätestens erlangen werden, wenn wir einst Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Darum muss jede jetzige Erkenntnis unter dem Vorbehalt stehen, es vielleicht schon zu Lebzeiten besser zu erkennen, also dazuzulernen (das gilt doch eigentlich für alle menschliche Erkenntnis, oder?).
Das heißt aber nicht, dass ich vor lauter Selbstzweifeln lieber den Mund halte und von Gott überhaupt nicht mehr rede, ihn gar nicht mehr bezeuge. Das wäre mit Sicherheit der falsche Weg. Im Gegenteil: Im vollen Bewusstsein der Unvollkommenheit meiner Erkenntnis und meiner Verstehensmöglichkeiten will ich ihn bezeugen, so gut ich es kann – nicht, weil ich es so gut kann, sondern weil ich darauf vertraue, dass ER SELBST durch meine Worte sprechen kann, so wie er allerorten durch menschliche Worte gesprochen hat und spricht und so sich selber bezeugt.
Es geht mir also nicht um die Heiligung des Zweifels, sondern um das Vertrauen auf das Geschenk des Geistes und des durch den Geist geschaffenen Glaubens. Aber gerade darum nicht um das Vertrauen auf mich selbst, meine Erkenntnisse und meine Worte.
Das von dir genannte Zitat ist im Kontext des Artikels so gemeint: Gott ist für mich letztlich unbegreiflich, er ist ein Geheimnis. Darum können meine Worte ihm nicht gerecht werden. Aber er kann sich selbst kundtun durch die Worte, die ich lese und höre und auch durch die Worte, die ich selber spreche. Alles liegt an ihm und seiner Offenbarung.
Ich hoffe, dass das Gemeinte dadurch klarer geworden ist. Sonst frag bitte nochmal nach.
ein wichtiger Bestandteil deiner Argumentation ist das „Glaubhafte Zeugen vorausgesetzt“. Soweit ich weiß, hat nach dem heutigen Stand der Theologie kein einziger der Autoren der neutestamentlichen Bücher den historischen Jesus persönlich gehört. Ich will überhaupt nicht die guten Absichten der Autoren in Frage stellen, aber es gibt für mich von daher sachliche Grenzen der Zuverlässigkeit ihrer Aussagen.
Ich persönlich komme besser damit zurecht, wenn jemand wie Klaus seine Karten auf den Tisch legt und ich trotz dieser Unsicherheit gemeinsam mit ihm glauben kann, als wenn mir eine Kulisse präsentiert wird, die an vielen Ecken und Enden als solche erkennbar ist und dem Glauben bei mir und möglicherweise auch anderen modernen Menschen mehr schadet als nützt.
Viele Grüße
Thomas