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Karneval zu Weihnachten - Die Banalisierung eines Festes

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Veröffentlicht von in Theologie mit Humor · 17 Dezember 2022
Tags: WeihnachtenKultur

Karneval zu Weihnachten
Die Banalisierung eines Festes
Klaus Straßburg | 17/12/2022

Gestern war ich in der Sauna. Das erste Mal seit Corona, also seit ungefähr drei Jahren. Ich war gespannt, ob sich etwas verändert hat.

Es hat! Jetzt wird auch in der Sauna Weihnachten gefeiert.

Gestandene Männer zogen sich rote Zipfelmützen auf den Kopf. Das kam zwar vereinzelt auch schon vor drei Jahren vor, aber nicht als Massenbewegung. Und das war komplett neu: Voll im Leben stehende Frauen trugen ein Kunststoff-Geweih mit bunt blinkenden Lichtern auf dem Kopf, andere farbige Häschenohren. Solche blinkenden Lichter habe ich vorgestern noch in der Fußgängerzone an den Schuhen von Kindern gesehen. Nun also auf den Köpfen der Erwachsenen. Nun ja, wenn's Spaß macht ...

Aber es ging noch weiter: Die Frauen hängten sich einen bunten Plastik-Reif um den Hals, und außerdem einen Anhänger, der in Neon-Farben leuchtete. Nach dem Motto: Oben Blitz, unten nix. Und dann die ganze Mannschaft mit viel Palaver in die Aufguss-Sauna!

Ich musste unwillkürlich an den Ballermann denken und dann an Karneval. Die bunte Verkleidung, die ausgelassene Stimmung, der Zug in die Sauna – Karneval zu Weihnachten.

Ich weiß nicht, was sich in der Sauna abspielte, weil ich solche Massenaufgüsse tunlichst vermeide. Der Phantasie sind hier aber keine Grenzen gesetzt. Jedenfalls hing ich gerade noch meinen Gedanken darüber nach, dass der Mensch doch ein Herdentier ist und nicht so individualistisch, wie er immer meint, als aus der Sauna lautstark ein Hit erklang: Heintje sang "Mama" (für die jüngeren Lesenden: Das ist schon etwas länger her).

Das war nun irgendwie der Gipfel. Aber ich kenne ja den Ballermann nicht wirklich, von daher ist es für manche wohl das Normale. Ich möchte aber ausdrücklich festhalten, dass es sich bei den von mir Beobachteten nicht um Menschen handelte, denen man irgendeinen Mangel an Intelligenz oder Lebenserfahrung nachsagen könnte. Nein, es waren reife Erwachsene, teilweise Rentner, die voll und ganz im Leben standen.

Nach 15 Minuten kam die ganze Horde – sorry: Herde – aus der Sauna zurück. Es wurde lauthals gescherzt, die Stimmung war prächtig.

Da ich mich gerade in ein Buch über Rainer Maria Rilkes lebenslange Gottsuche vertieft hatte, kann man sich den Kulturschock vorstellen, dem ich ausgesetzt war. Das pralle Leben hatte mich zurück. Später, beim Verlassen der Sauna, musste ich tatsächlich lachen, als mir eine voll beweihte und behängte Frau entgegenkam. Sie lächelte zurück. Gut, dass sie nicht wusste, warum ich lachte.

Anderen vergeht vielleicht das Lachen bei so viel Ignoranz gegenüber einem der wichtigsten christlichen Feste. Aber ich gebe mich da schon lange keinen Illusionen mehr hin. Das Weihnachtsfest ist ja schon lange der Säkularisierung anheimgefallen. Aber offensichtlich sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Es kann immer noch schlimmer werden ...

Das bestätigt mich in meiner Meinung, dass der Mensch in verhängnisvoller Weise dazu neigt, das Kostbarste seines Lebens – vielleicht sollte man hier wirklich einmal sagen: das Heilige – zu banalisieren und zu entwerten. Als Beispiele seien nur genannt: die Sexualität, die Liebe, die Entstehung menschlichen Lebens im Mutterleib, die Schöpfung, die Wahrheit, die Religion, Gott sowieso. Die Banalisierung all dessen muss uns nicht wundern, wenn wir uns vor Augen halten, was mit Jesus passiert ist.

Man kann die These aufstellen, dass der Mensch das Kostbarste, das ihm gegeben ist, das Heilige deshalb banalisieren und entwerten muss, weil er spürt, ihm nicht gerecht werden zu können. Er ahnt, dass er damit nicht in angemessener Weise umgehen kann, dass er damit überfordert ist. Dieser Ahnung entledigt er sich dadurch, dass er dem, worum es geht, seine Würde und Heiligkeit nimmt und es der geist- und inhaltslosen Leere, der platten Oberflächlichkeit preisgibt; dem kann man sich dann in bedeutungsloser Vergnügungssucht hingeben.

Der säkulare Mensch kann offenkundig absolut nichts damit anfangen, dass ihm Gott in Gestalt eines Menschen so nah gekommen ist, wie er ihm näher gar nicht kommen kann. Das ist dann aber doch zu viel des Guten: Gott rückt dem Menschen damit zu dicht auf den Leib. Einen fernen Gott im Himmel kann man ja noch irgendwie akzeptieren – der kann uns ja auch nicht reinreden und hat eigentlich nichts mit uns zu tun, solange er schön in seinem Himmel bleibt. Aber ein Gott ganz nah bei uns, neben uns ...

Ob die These von der Banalisierung des Heiligen stimmt, kann ich natürlich nicht beweisen. Aber sie leuchtet mir ein. Einen Beweis dafür zu liefern überlasse ich lieber der Tiefenpsychologie – aber die hat daran wahrscheinlich überhaupt kein Interesse.

Neben einigen Einsichten über Rainer Maria Rilkes Gottsuche habe ich gestern in der Sauna also eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse gewonnen:

Die Karnevalisierung und Banalisierung des Weihnachtsfestes ist fortgeschritten. Weihnachten wird jetzt so gefeiert: Bunt blinkende Rentiergeweihe ersetzen ab sofort den Weihnachtsstern. Arme Hirten und Gelehrte aus dem Morgenland mit Gold, Weihrauch und Myrrhe ziehen nicht mehr andächtig zum Stall, sondern halbnackte Männer und Frauen ziehen mit viel Palaver, roten Zipfelmützen und bunten Lichteffekten in die Sauna ein. Dort erklingt statt des Engelsgesangs "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden" Heintjes "Mama".

Das ist die Wirklichkeit des christlichen Abendlands im Jahr des Herrn 2022. Na dann: Weihnacht alaaf und helau!


* * * * *


Foto: Jeff Jacobs auf Pixabay.




2 Kommentare
2022-12-17 22:49:23
Hallo Klaus,

eine solche Episode wie du in der Sauna habe ich noch nicht erlebt. Aber die Tendenz zu Weihnachten als Volksfest stört mich schon lange. Mit Santa Claus und seinem Rentiergespann haben wir USA-Brauchtum übernommen, selbst das dortige Christmas wird teilweise schon zu X-Mas verballhornt, der Unterschied zwischen Advent und Weihnachten verschwimmt weitgehend, und es geht a) um Weihnachtsmärkte und Glühweingelage, b) bunte Beleuchtung in der dunklen Jahreszeit, c) immer aufwendiger und teuere werdende Geschenke zu Weihnachten.

Theologische Deutungen kann man sich wahrscheinlich sparen. Die Kirchen haben keine Mehrheit mehr, viel der Mitglieder sind obendrein passive. Gott wird nicht mehr als selbstverständlich und existent vorausgesetzt, sondern ist so etwas wie ein pensionierter älterer Kollege von Santa Claus.

Trotzdem sehe ich viele Herrnhuter Sterne in den Fenstern, unser Kurrendeblasen ist gut angekommen, unser Adventskonzert war gut besucht.

Wir Christen müssen uns eben nur daran gewöhnen, dass wir eine Minderheit sind.

Viele Grüße und einen gesegneten vierten Advent

Thomas
2022-12-18 11:38:15
Hallo Thomas,

vielen Dank für deine Ergänzungen, die das Ganze noch einmal von einer anderen Seite beleuchten. Ich stimme dem voll zu. Theologische Deutungen sind hilfreich für mich (und vielleicht auch für andere), wenngleich sie bei der Mehrheit gar nicht ankommen. Aber ich finde, man sollte den Menschen (und uns selbst, die wir ja den Versuchungen der Banalisierung ebenfalls ausgesetzt sind) mal einen Spiegel vorhalten, damit sie (und wir) zumindest die Möglichkeit haben, das eigene Verhalten auch mal kritisch zu beleuchten.

Dass die Glaubenden immer stärker als eine Minderheit in den Blick kommen (die sie wohl immer schon waren, siehe den breiten und schmalen Weg; Mt 7,13f), muss kein Nachteil sein. Es kann auch ein Stück Ehrlichkeit der Kirchen sein, einsehen zu müssen, dass die Zugehörigkeit zu ihnen nicht einfach in Mitgliedschaft besteht (wie in einem beliebigen e.V.), sondern in Glaube und Glaubenssehnsucht, Gottesgewissheit und Gottsuche.

Auch dir einen gesegneten Sonntag
Klaus
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